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Alles nur ein Traum

G
Zitat:
war seit langer Zeit nicht mehr so mutig wie die Menschen, die sich in eine Partnerschaft begeben haben; die für Glück und Liebe offen waren, aber auch Rückschläge in Kauf nahmen und an der Beziehung arbeiteten.


Zitat:
Andere haben Schmerzen, ja. Doch sie wissen auch wie es ist sich glücklich zu fühlen. Ich lebe in der Schmerzlosigkeit, ein Flüchtling vor den Schmerzen der Vergangenheit und im gleichem Atemzug auch vor neuem Glück.


Oft ging sie hinaus in den dunklen Garten und hinüber zu der Wiese hinter der Dornenhecke, die man vom Haus aus nicht sehen konnte. Dort wartete sie immer auf ihn. Mit ihm konnte sie über all ihre Träume reden. Ein wunderschöner dunkler Prinz, den nur sie sehen konnte. Und sie fühlte sich wie eine Königin.

Irgendwann hatte sich all das verloren. Sie war erwachsen geworden ......

Der Gedanke an ihn erfüllt sie jetzt mit einem tiefen Gefühl der Leere und des Schmerzes. Sie schenkt ihm ein trauriges und resigniertes Lächeln. Die Zeit hatte ihn verändert, ein gehetzter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Eine fremdartige Schwermut hatte ihn erfasst. Dunkel und schön war er, fast unwirklich. Makellos und unwiderstehlich. Unleugbar dämonisch, aber mit einem Hauch von Melancholie und Weltschmerz, der tief ins Herz schnitt. Denn selbst in mitten von Menschen war er einsam ....

01.09.2016 22:52 • x 3 #46


H
Getrennte Wege und starke Schwäche: Ruf (bloß nicht) an

Es gibt wahrscheinlich die unterschiedlichsten Gründe für Trennungen und Kontaktabbrücke. Fremdgehen und Affären, kein Liebe oder Gefühle mehr, Streit, Stress - und so weiter und so fort. Und genauso viele Varianten gibt es für den Umgang damit. Etwa wenn es mich mal wieder trifft, mittlerweile schon erwartet unerwartet.

Über Wochen und Monate grübelte ich schon, was mit ihr los ist. Beim Blick aus dem Fenster erscheint ihr Gesicht vor meinem inneren Auge, in den Wolken oder an der Garage. Sie lächelt mich an. Selbst darüber freue ich mich, ganz egal, ob ich in der Bahn sitze, im Arbeitszimmer am PC oder in irgendeinem Cafe. Die Art wie sie mit mir umgeht, tut mir gut. Und auch sie mag mich und meine Art. Es ist ein eigenartiges Gefühl, dass ich mal mit einer Frau harmoniere und nicht dazu Gefühl habe, gleich flüchten zu müssen - weil ich ja sowieso keine Chance habe? Natürlich wachsen da die Hoffnungen auf mehr. Die schönsten Szenarien male ich mir aus. Aber da habe ich wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Ich sitze gerade im Lesesaal am Laptop, als das Display an meinem Handy geräuschlos aufleuchtet. Kurzer Blick auf das Briefumschlag-Symbol: 'Ah, ne SMS. Na wer isses? Ach, sie ist es! Na das ist ja schön. Jetzt bin ich aber gespannt, was los war.' Sie entschuldigt sich für das lange Schweigen und erklärt auch warum. Sie hat sich neu verliebt und ist glücklich in einer neuen Beziehung. Mich trifft der Schlag. Ich bin tieftraurig. Nach einer Weile sammele ich mich und gratuliere ihr - per SMS. Gott sei Dank gibt es diese Möglichkeit. Da kann ich aus sicherer Distanz schreiben, so dass meine wahre Gefühlslage nicht deutlich wird. Ich rufe sie nicht an, ich würde schluchzen. Und das soll sie nicht hören. ich will mein Gesicht wahren - so tun als wäre ihr Glück gar nicht schlimm für mich, als würde ich mich wirklich für sie freuen. Dann schicke ich meine SMS los. Puh, geschafft. Jetzt kann ich ja in Trauer versinken. Doch eine SMS später geht die richtig auf den Meeresgrund. Sie schreibt mir eine SMS zurück Jetzt müssen wir auch für dich eine Freundin finden. 'Ich will aber nicht irgendeine Freundin, ich will dich' denke ich.

Nun herrscht wieder Ruhe, monatelang. Immer wieder schaue ich aufs Handy. Ob es leuchtet, klingelt oder vibriert, immer hoffe ich, dass sie es ist. Und immer wieder senkt sich mein Blick, wenn es mal wieder irgendein Kumpel, Freund, Verwandter oder Geschäftspartner ist. Von denen will ich eigentlich nichts wissen. Der Blick für meine Umwelt geht mir in diesen Monaten flöten. Ich ignoriere sogar schöne Frauen, die mich freundlich anlächeln 'schaut gefälligst jemand anderes an. Ihr habt mich soviele Jahre ignoriert, jetzt will ich von euch auch nichts mehr wissen'. Auch wenn ich nicht mehr den Kontakt zu ihr suche oder sie zu mir, ist sie ständig in meinen Gedanken präsent. Doch ich schweige eisern. Ich will mir ein bisschen stolz wahren, auch wenn das ziemlich naiv ist. Sie muss auf mich zukommen habe ich mir vorgenommen. Ich werde nicht wieder den ersten Schritt machen.

Und in dieser Phase des Schweigens werde ich so langsam übellaunig. Es dauert ein halbes Jahr bis wieder eine SMS kommt. So wenig bedeute ich ihr also. Was sollte das ganze Gewäsch von Freundschaft. Kaum springt da ein neues Männchen in ihrem Leben rum, bin ich vergessen. Nein, so nicht! Ich erkläre ihr, dass es besser ist den Kontakt abzubrechen. Sie zeigt sich darüber halbherzig enttäuscht, aber akzeptiert es.

Und damit ist die ganze Sache endlich abgehakt! ... Ach wirklich? Heimlich trauere ich ihr weiterhin nach, kann mich bei der Arbeit nicht so gut konzentrieren. Ich denke weiter oft an sie, an die guten Zeiten. Immer wieder schaue ich auch aufs Handy, ob nicht vielleicht doch eine Nachricht von ihr kommt: Dass sie sich von ihrem neuen Freund wieder getrennt hat, weil er doch nicht so toll war ist meine heimliche Hoffnung. Immer wieder liege ich nachts mit offenen Augen im Bett und denke an sie. Immer will ich ihr schreiben - eine SMS oder Mail. Immer wieder will ich sie anrufen und ihre Stimme hören. Doch was will ich ihr sagen? Ich will ja weiterhin meine wahre Gefühlslage verschweigen. Ich will ihr auch nicht das Gefühl geben, dass ein schöner Mann trotz Zurückweisung weiterhin verrückt nach ihr ist. Ich will ihr das Gefühl geben, dass auch schöne Männer auf den Kontakt zu ihr pfeiffen, wenn sie sich gegen sie entscheidet. Ich habe keine Lust als eines von vielen Rädern an ihrem Wagen zu enden, die sich weiterhin Hoffnungen auf sie machen.

Aber das Schweigen ist hart. Es geht nun schon ein ganzes Jahr so. So langsam suche ich Gründe, ruhig fadenscheinige, um wieder den Kontakt zu ihr aufzunehmen. Vielleicht Finanztipps geben? Die spielen ja nicht auf der Gefühlsebene. Oder um ein Feedback bei einer neuen Bekanntschaft bitten? Damit sie sieht, dass sie abgemeldet ist und es überall Ersatz für sie gibt. Letztendlich sehe ich ein, dass diese beiden Versuche sofort in einer Sackgasse enden. Nichts wird mehr so wie es einmal war. Und damit verläuft sich unser Kontakt endgültig, obwohl sie auch danach immer wieder in meinen Gedanken auftaucht.

02.09.2016 12:07 • x 2 #47


A


Alles nur ein Traum

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Zitat:
Damit sie sieht, dass sie abgemeldet ist und es überall Ersatz für sie gibt. Letztendlich sehe ich ein, dass diese beiden Versuche sofort in einer Sackgasse enden. Nichts wird mehr so wie es einmal war.


Sie sitzt auf der weißen Steinbank und starrt auf den schmalen Streifen Licht am Horizont. Der Lichtstrahl wurde breiter. Ein erster Hauch von Sonne schnitt ihr ins Gesicht.
Erinnerungen wabern wie seelenlose Geister durch ihre Gedanken. Vage Erinnerungen an einen Kampf tief in ihrem Inneren. Sie schließt die Augen, Tränen kullern über ihre Wangen, als ihr seine Zärtlichkeit wieder in den Sinn kommt, mit der er sie behandelt hatte. Doch was er dachte, was er fühlte, blieb ihr verborgen. Sie wusste nicht, wovor er sich fürchtete und wonach er sich sehnte. Sein unnahbarer Stolz, die Härte in seinen Zügen, ließen sie oft genug daran zweifeln, ob sie ihn je erreichen konnte. Er schien gefangen in einer anderen Welt und sie hatte begriffen, dass sie nicht genug für ihn war.

Deshalb musste sie gehen, denn sie brannte. Brannte vor Sehnsucht. Ein unstillbarer Hunger nach etwas, das sie sein konnte. Sie suchte danach. Nach diesem einen, das ihr Frieden bringen würde. Für einen kurzen Moment nur. Doch es würde genügen. Und wenn es nicht mehr genügte, würde sie weiter suchen.

02.09.2016 17:21 • x 1 #48


H
Wärme geben aus der Kälte

Zuhause besteht ein Familienleben: Ein Ehepaar, Mutter, Vater und zwei Kinder. Die Eltern gehen morgens auf die Arbeit und kommen spätnachmittags zurück. Der Weg der Kinder führt statt dessen in den Kindergarten und in die Schule. Abends sitzen sie am Tisch und essen gemeinsam Abendbrot. Das gehört sich so. Der furchterregende Vater beschäftigt sich dann mit sich selbst. Die Mutter macht den Abwasch und bereitet sich auf den nächsten Tag vor. Zwischendurch noch ein paar nette Worte für die Kinder (dabei würde sie doch lieber Karriere machen, aber die Kinder sind nun mal da). Die beschäftigen sich auch mit irgendwas, spielen oder schauen bunte Bildchen in Comics.

Oft ist der Kleine unterwegs, sucht nach Spielkameraden und fährt dafür weite Strecken. Mit dem dicken Mädchen von oben will er nicht spielen. Die will ihn immer nur knutschen. Der Junge von neben an ist doof und zu dem kleinen Mädchen dort gibt es keinen wirklichen Kontakt. So gehts halt bei Sonne und Regen durch den Ort - über die gefährliche, große Straße mit den langen Trucks; vorbei an der roten Schule, wo sich einer erhängt haben soll, zu den Knallerbsensträuchern und durch den weichen Sand vor der Ausfahrt auf den nächsten Bürgersteig. Und wenn keiner da war gings halt mit dem Rad im Straßengraben auf und ab. Der große Bruder war meist weg, unterwegs mit seinen Freunden oder beim Sport. Manchmal fand der kleine Burder auch Spielkameraden und nutzte die Zeit so lang es ging - bis deren Eltern ihre Kinder hereinriefen. Nun war es Zeit nach hause zu fahren in diese Welt zwischen Totalignoranz vom väterlichen Kumpel und mütterlicher Ordnung des vorschriftsmäßigen Familienlebens. Oh Loriot, du hast genauer gesehen, als man es für möglich hält.

Neben diesem Familienleben und der schwierigen Sache nach Freunden kommen bei dem kleinen Bruder auch irgendwann Gefühle für Mädchen auf. Hingezogenheit, die doch noch gar nicht sein darf. Er ist doch noch viel zu klein. Und doch sind sie da, die Gefühle - ganz egal, ob es sich um Mädels aus der Verwandtschaft handelt oder auch Schulmädchen. Er war noch sehr jung, als die erste, spöttische Zurückweisung kam. Was nun? Er wurde übervorsichtig. Schaute lieber ein paar mal, ob andere Mädels für ihn ein Lächeln übrig hatten. Aber wenn das nicht kam, kam von ihm auch nix als ein vorsichtiges, verlegenes Lächeln - so dass sie es wenigstens mitbekommen.

In der Pubertät wurde es noch schwieriger als sich die Testosterone in fröhlicher Regelmäßigkeit meldeten und mit unzähligen Gefühlen mischten Ich will ja, aber die mich nicht. Und wenn die erst meinen Vater kennenlernen ist sowieso alles vorbei. Doch von den Mädels in seinen Klassenstufen kam nur Ignoranz und Verachtung. Die Hoffnung in die örtliche Disco zu gehen und da jemand kennenzulernen, sich verlieben und das ganz drum und dran zerschlug sich schnell. Wer sollte schon anderes da sein als die Mädels aus dem Ort und der Schule? Hier entwickelte sich das ganze Spiel zu einem Deja vu. Selbst als die Gesamtschule vorbei war und das Gymnasium versprach, dass die Karten nun noch einmal neu gemischt würden. kam er nicht mehr aus seinem zurückhaltenden Leben heraus. Er war zufrieden, wenn er irgendwie Teil der Klasse sein durfte und sie ihn in Frieden ließen. Nur nicht mutig sein, nur nicht noch ein Ablehnung. Und auch in den Clubs kam nur wenig bis nichts von ihm. Er war nur da und sah gut aus. Für ein Kennenlernen gab es keine Grundlage mehr.

05.09.2016 08:48 • #49


H
Spielort der Kindheit

Morgens auf dem Weg zum Zug, abends mit dem Rad unterwegs - immer wieder komme ich an Stellen vorbei, die Erinnerungen wach rufen. Drumherum ist vieles neu. Doch ich sehe eine durchsichtige Shilouette, von mir, vor vielen Jahren. Ich sehe wie alles einmal ausgesehen hat in diesen Momenten.

Dort unten im Park am Bahnhof stehe ich, nehme Anlauf und zirkele einen Fussball durch die Gabelung zweier Birkenäste. Er landet im wild wucherndem Gras. Meine Schulkumpels staunen. Auf der Rasenfläche dahinter reite ich einige Monate vorher im Kreis auf einem großen Pferd. Abgestiegen hole ich erfreut mir ein Apfelmilchleis im großen Wagen daneben. Den großen Rasen des Parks umgibt eine halbrunde Hecke Knallersensträucher. Durch ihr inneres schlängeln sich kleine, höhlenartige Gänge. Beim Versteckspiel finde ich jedes Mal neue und klettere auch mal über den herabgebrochenen Ast auf den alten Baum. Von dort oben sehe ich auf die anderen herab, die mich nicht finden.

An der Haupstraße stehen viele Wohnhäuser. Doch ich sehe noch immer die kleinen Läden und wie ich als Junge hineingehe. Vor dem Fleischer steht eine Schlange - und ich mir die Beine in den Bauch. Die alten Leute und die dicken Frauen geben mir keine Sicht auf den Eingang. Nach einigen Minuten steige ich dann doch langsam die steile Treppenstufen empor mit meinen kurzen Beinchen. Drinnen bilden die mächtigen Glastruhen eine lange Theke. Dahinter wirbeln wiederum dicke Frauen mit weißen Schürzen und Hauben.. Sie lassen ihre Hackbeile auf Metfleisch und Schweinekämme hinabsausen. Mir tun die Rippen schon beim Anblick weh. Doch schließlich zeigt sich ein Lächeln in meinem Gesicht als ich zur Belohnung für die Warterei eine frische Bockwurst bekomme. Beim Schuster ein paar Häuser weiter blicke ich erst durch das große Schaufenster. Vielleicht sind auch ein paar neue Schuhe für mich dabei? Ein paar Fussballschuhe? Dann drücke ich die schwere Holztür auf. Sie gibt meinem Fliegengewicht nur langsam nach. Drinnen riecht es nach Schuhcreme. Den kleinen Raum teilen sich ein Schuhregal, Sessel zur Schuhanprobe und eine Ecktheke. Eine Schlange von 5 Leuten wartete scheinbar ewig. Die Frau des Schuhmeisters an der Theke lässt sich auch bereitwillig in langes Getratsche hineinziehen. Manchmal kommt der Meister durch die kleine Tür hinter der Theke aus der Werkstatt nach vorn. Und heute ist ein Schmuck-Klimbim-Laden drin.

Den Hang hinunter kommt das Schattenstück. Ein Bach markiert die Grenze zwischen meinem Dorf und dem Nachbarort. Das dichte Blätterdach hoher Eichen und Erlen nimmt dem Bach und Sumpfland drumherum das Licht. Hinüber gehts nur per Brücke. Die Straße flankieren Brückengeländer aus massiven Beton mit Moosflechten und ausgewaschen von vielen Jahren Regen. Radler und Fussgänger müssen sich mit einer schlappen Bretterbrücke begnügen. Als Knirps radle ich immer schnell rüber. Hoffentlich bricht sie nicht oder kommt kein Krokodil drunter hervor. Bloß nicht in den Sumpf fallen. Als sich das Sonnenlicht wieder zeigt atme ich wieder auf: Geschafft.

Auch das andere Ende meines Ortes bewahrt Geschichten. Mit der Kindergartengruppe laufe ich vor vielen Jahren durch das Dorf, über die Hauptstraße auf dem Schotter-Sandweg in den Wald. Wir kommen an einer kleinen Schonung vorbei. An ihrem Rand führt ein schmaler Pfad tiefer in den Wald hinein. Während die Gruppe pausiert, schaue ich mir den Pfad genauer an. Ich sehe aber nicht, wohin er führt. Plötzlich sieht mein Blick wieder das heute. Mein Kindergarten-ich dreht sich um und blickt mich stumm an. Die Schonung ist längst verschwunden, die Bäume in die Höhe geschossen und ausgewachsen. Es gibt keinen Unterschied mehr zum übrigen Kiefernwald. Fassungslos begreife ich wie weit die Kindheit schon zurückliegt, wie wenig es hier noch zu entdecken gibt, wie alt ich bin - und ich neue Ufer brauche.

06.09.2016 21:47 • #50


H
Vergeben und gehören

Wem gehöre ich? Die Antwort liegt auf der Hand, ganz klar - selbstbewusst sagt vermutlich jeder ich gehöre mir selbst Und wie ist das dann mit den verliebten, kleinen (oder auch schon erwachsenen) Mädchen, die stolz und mit rosaroter Brille erklären Ich gehöre zu ihm oder er gehört zu mir. Jungs sind da viel passiver. Im kleinen Kreis untereinander heißt es da, dass ...sie zu mir gehört. Nur die aufgeplusterten Gockel tönen das auch in der Öffentlichkeit breit, teilweise verbunden mit echten Besitzansprüchen. Doch ist nicht genau das auch der Fall bei den Mädels, die das zueinander gehören deutlich herausstellen? Dafür wird das Ich scheinbar aufgegeben, als wenn wir oder uns eine Person sind. So kitischig, süss-romantisch (herrje, heute morgen tropft die Zuckerglasur mächtig) das auf der einen Seite auch ist, so sehr frage ich mich, ob es das ist mit der Selbstbehauptung. Wo ist das ich gehöre mir selbst geblieben?

Irgendwie scheint hier auch nur ein schmaler Grad zwischen reiner Verliebtheit, Besitzansprüchen und Verlustängsten zu bestehen. Naja, wer weiß schon, welche Lebensgeschichten die Leute so mit sich bringen. Auch drängt sich der Verdacht auf, dass ein Festkrallen einher geht mir dem ersie gehört zu mir. Nun gibt es viele, die genau dieses Festkrallen nicht möchten und lieber auf ihre Freiheit setzen. Bei dieser Freiheit höre ich nur Unverbindlichkeit. Und weil ich das so verstehe möchte ich diese Menschen dafür kritisieren: Man kann doch nicht, du darfst doch nicht, das gehört sich nicht - wenn Beziehung, dann muss man doch Freiheit aufgeben. Und wenn ich das so schreibe merke ich, dass ich eigentlich nur landläufige Meinungen transportiere wie eine Beziehung laufen müsste. Alles theoretisch also. Doch wie stehe ich dazu?

Die landläufige Meinung macht mir jedenfalls Angst. Ich habe mich nämlich im Verdacht, dass ich zu jenen gehöre, die sich festkrallen, wenn mich die Verliebtheit erreicht. Immerhin bin ich schon über Jahre allein. Und da ich nicht für anhänglich oder als Klette gehalten werden möchte, nicht jemandem die Freiheit rauben und mich festkrallen möchte ls wenn ich nicht alleine laufen kann, gehe ich lieber auf komplette Distanz. Ich habe mich im Verdacht, dass ich mich als vergeben bezeichne, damit ich das gleich einem Verwaltungsakt gegenüber allen klar stelle. Wem ich dann gehöre? Natürlich meiner Freundin lautet die ernüchternde Aussage. Vorbei ist dann die Logik, dass ich mir selbst gehöre. Mensch, das ist doch ganz schön schwer, vergeben zu sein und doch noch noch immer zuerst sich selbst zu gehören....

07.09.2016 08:08 • #51


H
Unter Ahornen

Es war ein schöner Morgen. Die Sonnenstrahlen fielen in die Gärten und tauchten das hellgrüne Rasenfeld in ein warmes Licht. Auf Gräsern, Rösen und in den Fenstern lag noch der Morgentau. Und die weißen Gestelle der barocken Bank und Stühle standen unter den beiden hohen Ahornen abgedeckt rum als wären die Nachbarn seit langer Zeit verreist. Dabei schliefen sie unten wie die meisten normalen Menschen.

Ich versuchte so noch etwas Zeit totzuschlagen bis es endlich Frühstück gab. Im Wohnzimmer meiner Großeltern war nichts los. Mit den Matchbox wollte ich irgendwie nicht spielen. Mensch ärgere dich rausholen bringt auch nix. Vielleicht mal wieder durch alle Schubladen und Türen in der Schrankwand stöbern? Hey, vielleicht liegen ja wieder ein paar neue Keks drin rum. Der erste Griff ging wie immer an die mittlere Schublade rechts außen: Die Schokoladen-Schublade. Vollmilch (lecker), Haselnuss (ihgitt) oder Zartbitter (och, muss das sein?) - was würde ich wohl diesmal drin finden. Oh, Vollmilch! Toll, der Tag ist gerettet. In der Schublade darunter lagen Opas Zigarren - Havannas. Wie der nur an dieses Zeug kommt. Cuba ist doch soweit weg. Er hat mir auch nix darüber erzählt. Naja, was soll ich schon mit Zigarren anfangen. Weiter gehts mit den Schubladen: Das gute Besteck für Feiern, das Schokoladen-Geheimfach hinter der oberen Schranktür (oh, auch wieder was da); dann Bettzeug, Wischtücher, das Fach mit Gesellschaftsspielen und Crackern und zuletzt die verspiegelte Schnaps-Bar mit Gläsern und Bränden. Hm, ich futtere einfach mal einen von den Waffelbechern für den Eierlikör. Merkt sowieso keiner.

Währenddessen höre ich das Kofferradio lauter aus der Küche durch die Wohnung plärren. Ob Opa wach ist? Hm, ich könnte ja mal hingehen und guten Morgen sagen. Bei jedem Schritt knarzten selbst unter meinem Fliegengewicht die alten Bretter, die immer unter der abgelatschten Linoleumschicht verborgen lagen. Ich tapse langsam durch den schmalen Flur mit hohen Wänden und vergilbter, mintgrüner Tapete. Um die Ecke sehe ich schon wie meine Oma irgendwas am Essenstisch am Fenster. Sie geht kurz zum Kühlschrank, holt was raus, dann rüber zur Brotschneidemaschie. Sie dreht ein paar mal die Kurbel und hat dann ein paar mehr Stullen in der Hand. Mein Großvater sitzt derweil am Tisch und macht sich verzweifelt am Kofferradio zu schaffen. Auf der Such nach besseren Empfang dreht er am Stellknopf, zieht die Antenne aus und ein, dreht sie in alle Richtungen - und gibts irgendwann auf. Morgen sage ich. Mein Großvater schmatzt darauf vor sich hin. Meine Oma sagt gibt gleich Frühstück. Ich setze mich auf den kleinen, wackeligen Hocker, warte und schaue aus dem Fenster. Zum ersten Mal fällt mir auf wie groß die Ahorne hier am Ende der Straße sind. Sie überragen selbst den zweiten Stock des Hauses. Ihre Blätterkrone scheint größer zu sein als das Hausdach. Und so unglaublich große, gezackte, rote Blätter. Toll. Am Fuss des Ahorn verschwinden die Pflastersteine der Straße unter einem schwiefen Sandwall. Dahinter folgen nur Laubberge, kleine Bäumchen und größere Kazien. Die Straße weckt den Anschein als wäre sie einmal weiter gegangen, als hätte es diese Bäumchen damals nicht gegeben. Wenn ich groß bin werde ich die Straße mit der anderen hinter den Bahnschienen verbinden. Doch von diesen heimlichen Gedanken bekommen meine Großeltern nicht mit. Was habe ich hier auch schon großartig zu melden? Eigentlich will ich hier weg. ... Nein, ich will gar nicht hier weg, ich will auch gar nicht hier hin. So schön die Umwelt hier auch ist bin ich doch relativ früh auf Distanz zum grün-weißen Zaun und zum großen Haus unter den Ahornen gegangen.

09.09.2016 20:02 • #52


MrsSmith
Mir gefällt sehr, was ich hier lese. weiter machen!

10.09.2016 00:24 • x 1 #53


H
Unberührte Natur

Wenn ich heute an den Sportplatz komme, sehe ich zwei große, gepflegte Rasenflächen. Die Kreidelinien sind ganz gerade gezogen, die kleinen Tore befinden sich in tadellosem Zustand und auch das Sportdress vom Verein hat ein frisches, neues Design. Ein kleinbürgerliches Idyll. Doch dann blicke ich auf den großen Hügel hinter dem Sportplatz und ein zynisches Lächeln schiebt sich auf mein Gesicht. Ja ja, auch dieser Verein und das ganze Dorf hat einen Teppich, wo so manches drunter gekehrt worden ist. Das mögen viele vergessen haben. Ist ja auch wesentlich angenehmer auf den schönen Platz zu schauen als zu dem Hügel mit Unkräutern. Doch ich habe es nicht vergessen, was da begraben liegt - die alten Waschmaschienen, Plastikmüll, Kram aus allen Gärten. Es ist nie entsorgt worden. Einfach Sand drüber und schön isses.

Eine Freundin hat schon recht, wenn sie die Vergesslichkeit der deutschen Volksseele kritisiert. Schon was vor vier Jahren war ist weit genug entfernt, um es nicht mehr in die Gegenwart rufen zu können. Doch warum haben die Leute denn soviel Angst davor dem Dreck mal ins Gesicht zu blicken? Warum sind immer nur die anderen schuld? Warum kapiert der kleine Mann nicht, dass auch er als Verbraucher enorm zur Umweltverschmutzung beiträgt? Denkfaulheit. Und bei der nächsten Party am See landet, die Fluppe im Wasser, Kronkorken, Flaschen, Plastikfolien oder Plastiktüten im Wasser: Hat der Wind dahin geweht; ach, komm die eine Flasche, bist du doof Das ist die Denke von Kindern. Leider sind die oft weit über 20. Und genau jene wollen auch an die schönen, klaren See, Urlaub machen in der unberührten Natur und kümmern sich einen Dreck um ihren Dreck, den sie angeschleppt haben. Dass sie freiwillig sogar vorhandenen Dreck vom See entfernen - undenkbar. Das macht die Gemeinde, dafür gibts dochdie Stadtreinigung; wozu bezahl ich Steuern Jedenfalls sind die nicht hoch genug, um so eine kranke Denke beseitigen zu können.

Als Jugendliche haben mein Kumpel und ich mit naiver Freude versucht unseren kleinen Weiher wieder schick zu machen. Wir haben uns Harken besorgt und holten einfach mal die Plastiktüten raus, die wir erreichen konnten. Bald mussten wir jedoch einsehen, dass diese Methode nur für das flache Uferwasser reicht. Aller Müll, der bereits tiefer im Wasser lag, war außer Reichweite und moderte vor sich hin. Wir fürchteten uns davor einmal zu sehen, was auf dem Grund zum Vorschein kommt, wenn mal das Wasser aus dem See weg wäre.

Dieses Bild habe ich noch heute im Kopf, wenn ich mal auf den Flüssen der Stadt unterwegs bin. Was da wohl nach 40 oder mehr Jahren Industriegeschichte am Grund liegt? Die sog. Flösse sind mir ein Dorn im Auge. Damit bekommen die gröhlenden Dumpfbacken endlich Zutritt zum Wasser und können nun hier ihren Mist reinschmeißen. Beim Hügel hinterm Sportplatz weiß ich wenigstens noch, was drunter ist. Doch was am Boden der Gewässer liegt kann ich nur anhnen - und es ist eine fürchterliche Ahnung.

11.09.2016 18:00 • #54


H
Was hast du denn zu bieten? Man, bist du oberflächlich. Auf die inneren Werte kommt es an! Oft bin ich mit diesen Vorwürfen, Abwertungen oder - aus einem gewissen Blickwinkel - Empfehlungen konfrontiert worden. Meine innere Stimme sagt da schnell stimmt, viel zu bieten habe ich nicht. Und trotzdem gibt es eben die Typen, die Frauen, die ich einfach schön finde. Da spricht dann nur noch der Instinkt bzw. die innere Stimme. Da gibt es eben nicht die Frage, was ich zu bieten habe. Ich weiß genau, sowie ich mich mit der Frage beschäftige ist jede schöne Frau für mich gestorben. Und so betrachte ich sie immer nur heimlich - als wenn ich durch eine Gemäldegalerie gehe und mir ein schönes Bild länger ansehe. Nie wird sie erfahren, was ich denke. Warum auch? Die kennt doch die ganzen Komplimente, tausendmal gehört. Warum sollte ich ihr das noch ein tausend und erstes Mal sagen? Im Endeffekt erhält sie nur noch ein wenig Selbstbestätigung von irgendsoeinem Typen, der da rumläuft. Vielleicht betrachtet sie mich auch noch als irre. Und das will ich ja auch nicht. Doch wer macht schon Komplimente, ohne etwas zu wollen - nur im letzten, verborgenen Hinterzimmer? Ist das nicht irre?

Doch - so verrückt es auch klingt - ich habe nicht so sehr Angst vor einem neuen Korb, vor dem verachtenden Blick, vor dem Lächeln und dann dem abgewendeten, kalten Rücken oder dem nein. Ich habe viel mehr Angst vor einem ja, oh mein Gott ja, auf dich habe ich gewartet. Davor schlottern mir die Beine viel mehr. Ich fürchte mich vor der Situation, dass sich eine schöne Frau in mich verliebt - obwohl ich eben nicht viel zu bieten habe. Da suche ich dann heimlich angestrengt nach den Gründen wieso denn? Was sieht sie in mir, das ich nicht sehe und auch die vielen Frauen und Stimmen zuvor nicht in mir gesehen haben? Und ohne dieses Wissen würde ich mich natürlich mal wieder anstrengen, was außergewöhnliches für sie zu machen. Ausgefallene Ideen hatte ich ja schon immer. Doch ich habe das Gefühl, dass ich dann wieder zuviel mache. Dass dann Seiten auftauchen, die zwar sehr charmant sind, aber mit denen Frau auch erstmal klar kommen muss. In meiner Vorstellung sieht das natürlich ganz einfach aus: Sie braucht sich einfach nur zurücklehnen und es sich gefallen lassen. Doch dass mich eine Frau auch ganz ohne diese besonderen Ideen und Aktionen mag ... an den Gedanken kann ich mich irgendwie nicht gewöhnen.

Jedenfalls frage ich mich, ob nicht irgendwie jeder Mensch oberflächlich ist, zumindest teilweise. Er kann gar nicht anders. Auf den ersten Blick können die inneren Werte noch gar keine Rolle spielen. Da gibts halt nur das Gefühl gefällt mir, naja - oder eben - gefällt mir nicht. Von daher ist ein anfängliche Oberflächlichkeit schon okay und nur natürlich.

Doch auf die Reise geschickt mit der Empfehlung auf die inneren Werte kommt es an kam ich an Grenzen. Wenn das äußere nicht gefällt, können auch die inneren Werte an dieser Wahrnehmung nichts ändern. Der härteste Schlag für mich kam von den Mädels, die mir äußerlich gar nicht so sehr gefielen, ich aber irgendwie ganz sympathisch fand warum nicht? Nachdem sie mich vernascht hatten, kam der Korb. Sämtliches Liebesgesäusel war von der ein auf die andere Sekunde weg. Die Gründe waren für mich schwer begreiflich ich würde zu gut aussehen, man gibt mir lieber nen Korb bevor ich einen vergeben könnte, man kann mich nicht halten. Sprich: Meine inneren Werte spielten überhaupt keine Rolle. Das waren die bittersten Lektionen mit dem Fazit: Lass dich nie mit Frauen ein, die dir schon von Anfang an nicht so richtig gefallen - egal, ob ich nun viel oder wenig zu bieten habe

Und die andere Lektion: Hör nicht soviel auf das Geschwätz der Leute über innere Werte, die mein Leben überhaupt nicht kennen, die mich nicht kennen. Sie haben keine Grundlage, mich abzuwerten und Frauen gleichzeitig aufzuwerten. Das ist schon ein krankhafter Reflex in der Gesellschaft, den Frauen per se großartige innere Werte zuzuschreiben, während den Männern zugleich diese Werte gern abgesprochen werden. Da gibt es viele, die sich nie die Mühe gemacht haben, mal genau - ideologiefrei - nach den inneren Werten zu schauen. Ohne Sympathieverblendung. Doch eines ist bemerkenswert: Ich habe mir die Mühe gemacht, nach inneren Werten zu schauen - bei den Frauen, die ich kennengelernt habe. Ironischerweise habe ich nicht in mich reingeschaut. Ich weiß nicht, was ich zu bieten an inneren Werten zu bieten habe. Wie die meisten Irrlichter definiere ich das zu bieten habe nur auf materieller Sicherheit. Tja, ich bin also selbst mein größtes Rätsel...

12.09.2016 09:06 • x 1 #55


H
Badezeit

Baden fahren - das gehörte sicher zu den schönsten Ankündigungen, die ich von meinem Vater oder Großvater zu hören bekommen konnte. Ohnehin stand es ja wenigstens Zeit Mai fest, dass jetzt wieder die Badezeit kommt und ich mich heimlich schon auf jede Fahrt freute. Da gab es den großen Weiher in der Nähe meines Dorfes, versteckt inmitten von weitem, staubigen Ackerland und zwischen den hohen Bäumen eines kleinen Wäldchens. Aber im nächsten Ort lag ja auch noch ein kleiner, runder See - an der Haupstraße, davon getrennt und umringt von großen Bäumen sowie Wochenendgrundstücken. Weiter entfernt steuerten meine beiden Väter FKK-Seen oder zumindest Abschnitte an. Zwar waren die irgendwie schöner als die Seen in unmittelbarer Nähe. Aber das nakich gefiel mir nicht so ganz. Vor allem weil meine Männlichkeit ja noch gar nicht ausgeprägt war und ich wie so ein halbes Hemd umher lief. Ja, über sowas machte ich mir schon im Alter von 6 bis 8 Gedanken.

Wie das kam? Zuerst stand wirklich nur das Baden im Mittelpunkt. Ich freute mich, wenn es draußen knallheiß war und mein Vater mich fragte ob wir baden fahren wollten. Er hätte sich die Frage sparen können. Wenige Minuten später waren wir auch schon mit dem Mofa auf dem Weg. Auf der Landstraße wehte mir kühler Fahrtwind entgegen und verdrängte die Hitze etwa. Dann gings rein in eine Feldweg. Holter-di-polter donnerten wir durch nahezu jedes kleine order größere Schlagloch. Bei Regen waren sie mit großen Pfützen gefült. Als ich schon das Schimmern der Wasseroberfläche durch die Bäume sah, gab es für mich fast kein Halten mehr. Wir fuhren dann zur großen Badestelle. Dort sprang ich erstmal ins Wasser und plantschte. Dann konzentrierte ich mich auf das Ufer, tauchte meine Beine in warme Pfützen. Die fiel mir eine Gruppe älterer Mädels und Jungs auf, vielleicht Teenager oder junge Erwachsene. Sie hatten alle sportlich, schlanke Körper und wirkten fit auf mich. Sie lächelten. Doch die Jungs hatten ein freches Lachen und tönten lautstark. Mit der Aufmerksamkeit der Mädels liefen zwei, drei Jungs im Sprint in den See und machten Hechtsprünge in den See. Den Stein im Ufergewässer nutzten sie für akrobatische Sprünge oder einfach nur richtig dolle Ar.. Daneben am Ufer ragte ein Baum übers Wasser. Vom Seil an einem Ast ging es mit starken Schwüngen ebenfalls zu akrobatischen Sprüngen ins Wasser. Die Mädels kicherten, schüttelten manchmal mit den Köpfen oder zeigten mit den Fingern auf einen der Jungs. Oh, ja sie gefielen den Mädels. Na klar, so würde ich auch mal die Aufmerksamkeit von so schönen Mädels erhaschen. Doch im Moment baute ich nur Kleckerburgen am Ufer. Ich kam mir doch ein bisschen doof vor.

Dasselbe Balzverhalten sah ich auch am See im Nachbarort. Hier hing das Seil sogar noch höher am Ast, die Sprünge wikten stärker, gewaltiger. Die Jungs hatten vielleicht noch mehr Kraft. Da kam ich mir doch wie ein kleiner Schwächling vor. Würde ein Mädel mich mit meiner schmächtigen Gestalt überhaupt wahrnehmen? Oh man, ich musste was tun. Aber aus den Augen, aus dem Sinn: Nur einen Tag nach dem Badeerlebnis dachte ich an andere Sachen als Mädels, Imponiergehabe und Training für einen geschmeidigen, muskelbetonten, starken Körper.

Doch mindestens an den FKK-See kam das wieder in meinen Kopf. Manche junge Frauen und aich Mädels die nur etwas älter waren als ich, hatten unglaublich schöne Körperkonturen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich wollte sie gern berühren, die jungen Mädels mit ihren noch kleinen Brüsten. Ab hier unterschieden sie sich von den Spielkameradinnen im Sandkasten. Der auffällige Köperunterschied war aufregend. Teilweise kam ich aus dem Schämen gar nicht mehr heraus - über mein verstecktes, aber vielleicht doch zu aufdringliches Schauen; über meine Erregung, die ich stehts vor Blicken verbergen musste, um kein Gelächter auszulösen; über meine zu kleine Männlichkeit.

Und der Weiheit letzter Schluss? Ich war nie in einer Jungsgruppe, wo wir gegenseitig mit unseren Körpern um die Aufmnerksamkeit von Mädels geworben haben. Es gab kein Seil, das wir für verrückte Sprünge nutzen konnten. Naja, Dorfgeschichten...

12.09.2016 14:36 • x 2 #56


MrsSmith
Mich interessiert jetzt der Teil,der nicht imponiert hat,der Teil was aus dem kleinen Jungen geworden ist. Wie er herangewachsen ist in der Dorfgeschichte

12.09.2016 19:22 • x 1 #57


Regibär
Das kommt mir fast alles so bekannt vor. Ich hätte da auch noch ein paar ähnliche Kapitel auf Lager. Aber, dass du das so wunderbar formulieren kannst. Da kann ich leider nicht mithalten. Zum Glück sieht es gerade keiner, dass ich die Tränen in den Augen stehen habe.

13.09.2016 14:01 • x 1 #58


H
Denk mal...

Wie geht so eine Dorfgeschichte weiter? ... Na ohne die großen Überraschungen ... aber mit Umzügen, Alltagsleben, vielen kleinen Abenteuern ... und mit einem besten Freund...

Manchmal fühle ich mich wie ein Zuschauer in dieser Geschichte. Wie ein bewegliches Denkmal verknüpfe ich über viele Jahre sämtliche Aktivität mit ihm. Wir spielen drinnen, machen Gefechte mit Cowboy- Indianerfiguren. lassen die Matchbox wild durch den Flur rollen und zocken später alle möglichen Videospiele durch. Draußen spielen wir im Buddelkasten, jagen Schmetterlinge, liegen auf Ästen im Kirschbaum und futtern bis wir platzen. Mit den Rädern fahren wir angeln oder zum Fussball spielen - egal, ob in der Schule, im Park oder dem offiziellen Sportplatz. Und sowieso fahren wir jeden Morgen gemeinsam zur Schule. Als wenn es immer so weiter gehen würde begreife ich gar nicht die Veränderungen in seinem Leben - und auch in meinem. Ich merke nicht, wie wir älter werden bis er schließlich aus meinem Leben verschwindet. Das Verschwinden hat sich mit vielen kleinen Zeichen angekündigt.

Mit ebensolchen beginnt auch unsere Geschichte und schließlich Freundschaft. Am Anfang steht der Umzug meiner Eltern vom einen Dorfende zum anderen. Hurra, eine neue Wohnung und sogar ein neues Zimmer. Aber ich kenn doch hier niemanden - als wenn ich in meiner vorigen Bleibe viele gekannt und Freunde gehabt hätte. Ich finde die neue Umgebung einfach doof. Die Häuser wirken mit den Zäunen wie Festungen. Auch das Haus schräg gegenüber. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem hohen, blaugrauen Maschendraht-Zaun, dem tiefgrauen Hausputz und den stillen Gardinen in den Fenstern mein Schicksal der nächsten Jahre verbergen sollte.

Zunächst gings morgens mit dem Rad zum Kindergarten am anderen Dorfende. Kurz vor dem Ende der Kindergartenzeit durfte ich wechseln zu einem in meiner Nähe. Dort traf ich viele neue Kinder. Darunter befand sich auch ein leiser, blonder Bengel. Wir redeten nur ab und zu, spielten nur gelegentlich. Erstaunt registrierte ich eines morgens, dass er aus dem Haus schräg gegenüber von meinem Elternhaus rauskam. Er wohnt hier?

Einige Monate später folgte unsere Einschulung. Er war mit seinen Eltern da und ich mit meinen. Wir blieben bei unseren Familien, bei unserer Herde, als wenn wir uns nicht würden; als wüßten wir nicht, wer schräg gegenüber wohnt; als wenn wir nicht schon heimlich gewetteifert hätten, wer mehr Süssigkeiten in der Zuckertüte hat. Seine sah irgendwie schicker aus als meine, war voller als meine, so dass ich meine Tränchen verstecken musste - großer Junge weint ja nicht. Doch ab jetzt hatte er morgens das selbe Ziel wie ich. Immer öfter fuhr ich schräg rüber und hielt. Auf dem Rad kam ich mit dem einen Fuss kaum auf den Boden, streckte meine Hand jedoch nach oben zum Klingelknopf und versuchte irgendwie die Balance zu halten. Ein kluger Junge wäre vermutlich abgestiegen. Bald wackelten hinter einem Fenster die Gardinen und sein Kopf erschien. Erst kam der fassungslose Blick, dann ein Nicken oder ein blödes Grinsen. Wenig später ging die Tür auf und dann fuhren wir mit unseren kleinen Rädern durch die kühle Morgenluft und das Licht des erwachenden Tages zur Schule.

Wir saßen anfangs noch nicht zusammen, aber versuchten uns mit guten Leistungen und Nettigkeit bei der Klassenlehrerin einzuschmeicheln. Ja, spätestens seit der Zuckertüte standen wir auch in einem inoffiziellen Wettstreit, wer der bessere ist. Und Noten bieten ja ein klares Vergleichskriterium und liefert die Antwort, wer intelligent ist und wer blöd ist. Oh ja, wir haben uns damit immer aufgezogen. Na was haste für ne Zensur? hieß es oft nach Klassenarbeiten und Diktaten. Meistens kannten wir die Zensur des anderen schon vorher. Im Sport musste es natürlich ne 1 sein. Wer das nicht schaffte, war kein Junge. Und so stand uns oft die Verlegenheitsröte ins Gesicht geschrieben, wenn wir zugaben hab ne 2.

Unseren kleinen Wettstreit führten wir auch beim nachmittäglichen spielen weiter. Ich also mal wieder rüber, auf die Zehenspitzen stellen und klingeln bis ich das Klingeln nach draußen hörte. Dinnen bei den Schlachten Cowboy- und Indianerfiguren stritten wir schon mal heftig, wer denn nun da wen getroffen hatte, wer umfallen musste und nicht mehr weiter im Angriff auf ein Spielzeugfort vorrücken konnte. Beim Federball oder Tennis auf der Straße wurden imaginäre Linien gezogen, nebst Markierungen auf dem Bürgersteig. Und auch hier stritten wir bis zum geht nicht mehr, ob da ein entscheidender Ball drin oder aus war. Ab und zu ging ich eingeschnappt nach haus. Also so was uneinsichtiges, der schummelt sich ja jeden zweifelhaften Punkt zu. Wie will er das aus der Entfernung gesehen haben?

Dann entdeckten wir das Angeln. Er hatte seine Sachen ganz ordentlich in einem Angelrucksack und den guten Setzkescher auf dem Gepäckträger. Natürlich hatte ich auch einen, allerdings viel kleiner und Löchern. Meine Rollangel hatte ich über den Lenker geklemmt. Meine Trainigshose hatte ein Loch, seine war tip top. Nebeneinander starteten wir oft unseren Weg die Straße hinunter, bedeckt vom Blätterdach der Bäume, über die Schranke, den kleinen Hoppelweg entlang, durch die Felder bis zum kleinen See im Mischwald. Hier probierten wir alle Angelstellen durch - zwischen den großen Birken, schrägen Akazien, beim Schilf und an der Badestelle. Wie könnte es anders sein ging es auch hier um den dicksten Fisch, den spektakulärsten, den größten oder die meisten. Dafür angelten wir unter Büschen, platzierten den Köder zwischen Algen oder wetteiferten auch, wer am weitesten rauskam. Am weitesten raus bedeutete in unserer Logik auch, dass dort ja wohl die größten Fische sein müssen. Und so verbrachten wir hier viele Stunden und Tage, jahrein und jahraus. Wenn wir nicht gerade vor Aufregung standen, saßen wir - er auf seinem Angelstuhl und ich halt einfach auf dem feuchten Boden. Wird schon wieder trocken werden.

Fussball spielten wir auch sehr oft, abends mit anderen Jungs auf dem Schulsportplatz oder auf dem ollen Fussballplatz im Wald. In dem staubigen Platz verdreckten wir regelmäßig sämtliche Socken und Hosen. Mutti wäscht ja. Jedenfalls ging er meistens ins Tor, einer musste ja. Und ich machte mir ein Spaß daraus, Schüsse wie ein Strich auf seinen Kasten zu geben oder sie bei ihm oben ins Eck zu machen. Oft genug schüttelte er den Kopf. Denn die Bälle gingen munter rechts vorbei, links vorbei, übers Tor bis weit in den Wald hinein. In der Abendsonne fuhren wir Rad an Rad durch den Wald wieder nach haus.

Eines Tages sagte er mir, dass er umziehen müsse, nur im Ort. Das war ja okay, das schräg rüber ist nun halt ein paar Kilometer weit rüber. Es ging dann weiter wie gehabt. Ich klingelte, wir spielten drinnen, sauten uns beim Fussball ein oder fuhren zum Angeln.

Dann wechselte er aufs Gymnasium. Fand ich blöd. Ohne ihn in die Schule? Wie soll denn das aussehen. Den Wettstreit zwischen uns gab es ab sofort nicht mehr. Ich kam in eine neu zusammengewürfelte Klasse. Hier gab es auch einen Wettstreit, allerdings darum, wer sich dumm und noch dümmer geben konnte. Das stellte meine Weltsicht total auf den Kopf - und ich wurde zum Außenseiter. Ich wußte nicht wie ich diese Situation annehmen konnte. Ich wurde zum Buhmann, zum Streber - was bei dem niedrigen Leitungsniveau auch nicht sonderlich schwer war. Schlimmer noch kam ich gerade in die Pubertät - und sah die vollen Rundungen am Oberkörper der Mädels mit ganz anderen Augen. Die Mädels, die ich vorher ziemlich blöd gefunden habe - Nun, ab jetzt interessierte ihre Blödheit nicht mehr. Und ab jetzt übernahm meine Fantasie die Regie und spielte andauernd heiße Szenen in meinem Kopf ab. Aber ich war ja der Außenseiter - und das ließen sie mich mit gemeinen Worten oft genug spüren. ich war glücklich, wenn die Schule aus war, rannte zum rad und fuhr nach hause. Nun konnte ich ja auch wieder zu meinem Freund fahren und zusammen spielen. Mädels kennenlernen, außerhalb der Schule, in einem anderen Ort - die Vorstellung gab es nicht oder war mir zu furchtbar. Da müsste ich mich ja in die Fremde wagen. Naja, nach der 10 würde ich auch aufs Gymnasium wechseln und dort dann Mädels kennenlernen und zusammen mit meinem Freund Abitur machen. Wozu ist der denn sonst dahin geganen?

So konnte ich es auch nicht fassen als er mir eines Tages sagte, dass er nicht Abitur macht, sondern eine Lehre. Na gut, dann muss das wohl so sein. Ansonsten bleibt alles wie gehabt. Bald machte er Fahrschule und erhielt kurz darauf sein erstes Moped - kein Fahrrad mehr. Kein Fahrad mehr. Und dann noch der große Schutzhelm. Das ganz Bild war befremdend für mich. Aber jetzt hörte ich ihn schon von weitem, wenn er mich besuchte. Seine olle Knatterkiste röhrte wie ein Rasenmäher. Ungefähr in der Zeit entdeckten wir auch die Magazine meines Vaters, die er in der Schrankwand gehortet hatte. Die ero. darin sorgten bei uns für heiße Gedanken. Dass es dabei nicht bleiben würde, hatte ich nicht auf dem Schirm. Eines nachmittags besuchte ich ihn. Er blickte verhalten an mir herab, während ich mit einem Lächeln und lustigen Kommentaren die Schuhe auszog. Er kam mir irgendwie komisch vor, führte mich aber nicht in sein Zimmer, sondern zum Wohnzimmer. Ach Gott soll ich jetzt wieder mit seinen Eltern in der sterilen Atmosphäre Kaffee und Kuchen essen? Er öffnete die Tür, ich sah den Tisch und traute meinen Augen nicht. Da saß ... ein Mädchen, blond und ein wenig füllig, aber scheinbar ganz nett. Wann? Wie? Wo? Er? Wer? Wann hatte er denn die kennengelernt? Hat er mich gar nicht erzählt. Wie ich später erfuhr hatte er sich gerade von ihr getrennt. ich wußte nicht mal, dass er mit ihr zusammen war. Die Veränderung vor meinen Augen konnte ich gar nicht begreifen. Und noch weniger konnte ich begreifen, was seine zunehmende Entferung wieder für mich bedeutete; dass ich jetzt keinen Spielkameraden mehr hatte; dass ich jetzt wieder allein war; dass ich jetzt eigentlich auch Mädchen kennenlernen müsste.

Seine Welt hatte sich verändert und ich hatte meine eigentlich nur mit seiner irgendwie mitlaufen lassen - soweit es seine Änderungen zuließen. Nach der 10. wurde ich Gymnasiast und er angehender Einzelhandelskaufmann. In seine Welt traten die Berufsschule, ein Ausbildungsunternehmen und Arbeitskollegen. Sein Leben verlagerte sich mehr und mehr in die Stadt. Ich mochte seine dreisten Kollegen nicht sonderlich. Und ich verstand es auch nicht, dass er sich bei ihnen doch gut aufgehoben fühlte - und wir uns immer weiter entfernten. Ab und zu gingen wir nun schon in Discos ... na gut, neudeutsch Clubs oder was weiß ich. Dort lernte er seine künftige Frau kennen. Sie wirkte sehr einfach gestrikt, hatte käsig-weiche Wangen, ein müde Augen und ein liebes Lächeln. Ihre gewellten Haar hingen schlapp herab wie die Ohren eines Bernhardiners. Mit platten Kommentaren wollte sie was lustiges sagen - und lachte auch selbst darüber. Und er lächelte mit. Ich verstand gar nichts mehr. Ich dagegen sah mich auch schon um, ob da irgendwo im Club ein schönes Mädel wäre, die auch noch ein Lächeln in meine Richtung schickt. Aber alle, die mir gefielen, registrierten mich scheinbar nicht, War ja klar - mich, den Außenseiter, wer will den schon? Und so nistete ich mich so langsam aber sicher im Alleinsein ein. Es gab nur die heimliche Sehnsucht auf all die schönen Mädels, die ich hier und da sah. Im Bewusstsein ein Außenseiter zu sein, wagte ich nicht meine heimlichen Wünsche zu äußern - maximal ganz kryptisch. Erst als mein Schulfreund verschwand kam mein tatsächliches Alleinsein zum Vorschein - nur ich hatte es einfach nicht kapiert.

14.09.2016 22:04 • x 1 #59


H
It's a kind of magic - Wo sind all die Geister, Hexen und Teufel hin?

Das hat dir der Teufel gesagt schimpfte das Rumpelstilzchen, stampfte mit dem Fuss auf und verschwand. Prinz und die ehemalige Müllerstochter lebten fortan glücklich und zufrieden. Wenn sie nicht gestorben sind ... und so weiter und so fort. Das Rumpelstilzchen verschwand jedes Mal, wenn ich die Geschichte gelesen oder den Film gesehen hatte. Das macht es bis heute. Doch mit jedem Mal, das es verschwand, änderte es sich was. Dass ich älter wurde ist zu platt gesagt. Vielmehr verschwand bei jedem Mal etwas mehr Fantasie. Anfangs stieg ich so tief in die Geschichten ein, dass ich sie problemlos an Stellen in meiner Umwelt ablaufen lassen konnte.

Rumpelstilzchen musste irgendwo ganz tief im Wald leben, wo ich nur schwer hinkam. Der Waldrand markierte den Beginn dieser Welt. Von dort führten ausgefahrene Wege und schmale Pfade tief in das Dickicht hinein. Ihr Anfang waren so etwas wie Tore. Welches Tor, welcher Weg würde an die tiefste Stelle im Wald führen, in das dickste Dickicht? Würde da wirklich ein kleines, schäbiges Männchen um einen Kessel tanzen? Die schmalen Pfade ließen meine Fantasie munter sprießen. Nach jedem Ameisenhaufen und Blätterbergen, in lichtdurchlässigen Kiefernwäldchen mit moosigem Grund und Waldgras, dichte Schonungen mit jungen Tannen vermutete ich, dass es hier vielleicht sein könnte.

Und an lichten Stellen tief im Wald mit gerodetem Sandfurchen und *beep* Stümpfen mit Wurzeln in der Luft, dachte ich natürlich nicht an die Fortwirtschaft. Nein, das konnte nur das Werk von Hexen sein, die sich dort einen Tanzplatz für wilde, nächtliche Rituale machen wollten. Bloß weg hier, sonst fangen sie mich noch und fressen mich.

Eine Hexe gab es auch am Rand des verkommenen Gutsparks. Dort führte ein nicht zu breiter Wall entlang. Die rüberhängenden Äste von Buchen, Erlen und Eichen bildeten ein schönes Blätterdach. Es bot Schutz gegn Sonne und Regen. Den Wall trennte ein kleiner Graben vom weiten Feld. Am Anfang führt er kaum Wasser. Doch je weiter ich auf dem Wall geradeaus laufe, desto mehr nimmt das Wasser zu. Und dann kommt eine dunkle Stelle. Der Graben dehnt sich hier zu einem kleinen Teich aus. Ein Schilfgürtel schirmt ihm vom Feld ab. Und hier wohnt die Wasserhexe. Jedesmal schaute ich ängstlich, ob sie sich nicht irgendwo zeigte.

Ein wenig entfernt von hier wohnte die Wetterhexe. Durch die Felder führt ein tief eingeschnittener Melorationsgraben. Für uns Kinder war es eine aufregende Herausforderung die Schrägen nach unten zu rutschen und von der einen Grabenseite zur anderen zu springen. Bloß nicht hineinplumpsen. Dieser Graben führte zu einem größeren Mischwäldchen mitten im Feld. Eichen und andere Laubbäume standen hier so dicht, das die Blätterdächer das innere immer in Dunkelheit hüllten. Abends von der Ferne aus betrachtet hatte ich immer das Gefühl, das da die Wetterhexe lebt und mit ihrem ollen Gockel ein Hokuspokus veranstaltet. Im Weizenfeld lebte auch irgendwo noch die Roggenmume für den fleißigen Bauern, obwohl es bei uns gar keine Bauern mehr gab. Ach, diese Fantasie ist übrigens durch ein Märchen von Alfred Seidel belebt worden.

Selbiger lieferte auch den Stoff, damit ich den Sumpf nicht als Sumpf, nicht als lebensbedrohliche Umwelt mit hohen Bäumen, ausgehungerten Wurzeln, morastigen Wasserlöchern, stickiger Luft und Mücken betrachtete. Nein, dafür verantwortlich waren natürlich scheußliche Gnome, die hier in der Unterwelt lebten. Ich müsste nur den steilen, sandigen Pfad vom hohen Wall hinabsteigen, dann würde ich sie schon sehen. Aber ich bin doch noch verrückt. Ich müsste hier nur alles trocken legen, dann würde ich die Gnome vertreiben.

Und der Teufel? Der schaute bei hereinbrechender Dunkelheit als Schatten hinter jedem Baum im Wald hervor. Er wohnte auch in der Dachkammer meiner Großeltern. Im Treppenhaus gab es einen Bretterverschlag mit Tür darin. Sie war meist abgeschlossen. Wer sie öffnete, dem schlug eine stickige, modrige Luft entgegen. Oben angekommen sah ich mich jedes mal vorsichtig um. Aber - kein Teufel war da. Naja, wer wird ihn schon reizen wollen und ihm noch mehr auf die Pelle rücken? So begnügte ich mich mir der Vorstellung in der Wohnung meiner Großeltern. Jedes Rumpeln auf dem Boden - das musste eer sein. Er lebt also doch! Hoffentlich erwischt er mich nicht.

Doch ich konnte solche Märchengestalten auch in weit entfernten Orten finden. Hoch im Norden, neben einem breiten Sackbahnhof gab es einen hohen langgestreckten Hügel. Darauf stand ein kleines Stromhäuschen mit drei Türen, drei blauen, um genau zu sein. Ich schaute erstaunt hin und fragte mich, wer das da oben hinstellt und nicht in den Ort. Mein Bruder erzählte mir allerdings, dass da drei böse Geister wohnten - ein rotes, ein grünes und ein blaues. Logischerweise musste jedes schlimmer als das andere sein. An jedem Tag schielte ich nun heimlich nach oben, das die ja drin bleiben. Warum heimlich? Na mein Bruder sollte doch nicht mitbekommen, dass ich mich tatsächlich dadurch beunruhigen ließ.

Und heute? Sind die Felder einfach nur noch Felder, Bäume halt Bäume und die Gräben interessieren mich nicht mehr. Und die Stromhäuschen? Da kommen bei mir nur noch die Begriffe Energiewirtschaft, Atomkraftwerke, Umweltverschutzung in den Sinn. Die Aufklärung hat meine Fantasie weitestgehend erledigt.

16.09.2016 19:34 • x 1 #60


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