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Auf Wiedersehen

G
Es tut grad nicht mal richtig weh, irgendwie.
Es macht mir bloß so große Angst, dass ich seit Stunden wie erstarrt hier sitze.
Zittere.
Meinen Freundinnen geschrieben habe, die mich angerufen und mit mir geweint haben.
So große Angst, dass ich hier sitze und Löcher in die Luft starre.
Buchstäblich, ehrlich, ich kann sie sehen.
Sie werden immer größer und immer leerer.
So groß, dass er sich Sorgen macht.
Und ich kann nicht aufhören zu weinen.
Ich habe meinen Chef angerufen und weil ich nicht wusste, was ich ihm sagen soll, habe ich ihm eben das gesagt.
Ich kann kommen, aber ich fürchte, ich kann nicht aufhören zu weinen.
Verstanden hat er es nicht, aber er hat versöhnlich getan.

Und er?
Du hattest Recht, dass du mich zu der Hochzeit mit ihm fast schon gedrängt hast.
Weißt du, was er gesagt hat?
Nein. Das ist nicht verrückt. Wir wollen eben nicht verstehen, was wir nicht verstehen können. Was glaubst du, wie lange ich dachte, die Tür geht auf und er kommt einfach herein? Bis heute denke ich das. Bis heute habe ich manchmal den Gedanken, dass meine Mutter mich anruft und mir sagt, mein Vater lebt noch.
Das Datum hat er mir gesagt. Das hatte er noch nie.
Und geweint hat er.
Als ich gefragt habe, ob es egoistisch ist, wenn ich den Urlaub abblase, um die wenige Zeit noch mit dir zu verbringen.
Wie ich das fragen kann, dass er dich doch auch liebt, hat er gesagt.
Und mich in den Arm genommen und geschluchzt.
Und dann ist er heraus gerannt.
Dieser stolze, tolle Mann.
Mein stolzer, toller Mann, den ich ohne deinen Zuspruch nicht geheiratet hätte, weil ich so unsicher war.

Du hast schon manchen Terror veranstaltet.
Verziehen habe ich es dir schon länger.
Du weißt das nicht, aber ich habe manches Mal gedacht, dass das, was ich so ätzend fand, im Nachhinein eigentlich eine grundgute Entscheidung war, die auch dich viel Kraft gekostet haben muss.
Dass ihr so lange allein mit euch ausgemacht habt, dass meine Schwester adoptiert ist.
Irgendwie haben wir 29, bzw. 27 Jahre immer ins Lächerliche gezogen, dass das irgendwie nicht passt.
Aber aus eurem Verhalten hätte ich das nie ableiten können.
Wir waren völlig gleich für euch.
Alle drei eure originalen Kinder.
Das ist sehr nett, das hätten nicht alle Eltern hinbekommen.

Heute hast du gesagt, du würdest dir wünschen, dass ich wüsste, wie lieb du mich hast.
Das ist ein Geschenk.
Habe ich doch einen Mann an meiner Seite, von dem ich weiß, dass er diese letzten Gedanken aus seiner Erinnerung ziehen muss und es keine Chance gab, dass man sich verabschiedet.

Ich habe viel gelernt von dir.
Die Zähne zusammen beißen.
Die Fresse aufmachen, wenn es nötig ist.
Dass man stolz darauf sein kann, wenn man seine Meinung sagt.
Aber eben leider auch, dass man seine Wünsche, Träume, Ziele und Pläne nicht aufschieben soll.

Weißt du, es ist so seltsam und JETZT gerade spüre ich das wieder, was mir so Angst macht.
Ich sollte zusammen brechen.
Aber ich weiß, ich funktioniere im Alltag.
Ich sollte nicht funktionieren.
Diese Diskrepanz ängstigt diejenigen, die mich nicht gut kennen.
Die es tun, weinen mit mir.
Das ist wie ein Schock, der nie aufhört zu sein.
Als würde ich mich in diesen Momenten ständig selbst von außen her anschauen und mich anbrüllen, was in Herrgottsnamen ich denn da veranstalte.
Warum ich nicht begreifen will, dass das unser letztes Weihnachten zusammen war.
Und dann doch wieder eher versöhnlich, weil diese Einsicht Zeit braucht.
Aber ich will nicht.
Und ich muss doch.
Und es bleibt viel zu wenig Zeit.
Und wenn es JETZT schon so ist, wie wird es dann bloß, wenn du in ein paar Monaten nicht mehr da bist und ich dich nicht mal mehr fragen kann...?

Is it that it's over or do birds still sing for you?
Wir müssen uns danach wiedersehen.
Irgendwann.
Eine andere Möglichkeit kann ich mir einfach nicht vorstellen.

Traurig, dass man erst zum Ende hin begreift.
Traurig, dass ich vorher viel zu selten gesehen habe, dass du eine Löwenmutter bist.

31.01.2015 02:23 • x 1 #1


Tiefes Meer
Liebe Gast, ich musste Deinen Text jetzt zweimal lesen, um zu verstehen, über wen Du schreibst, warum Du weinst. Nun sitze ich hier und weine auch, weil mich Deine Worte so bewegen. Ich wünschte, ich hätte tröstende Worte für Dich. Doch ich finde gerade keine, kann Dir nur eine Umarmung senden.

31.01.2015 16:58 • #2


A


Auf Wiedersehen

x 3


G
Vielen Dank, tiefes Meer, für dein Mitgefühl.

Ich sitze auch schon wieder hier und weine.

Und wütend bin ich auch, irgendwie.
Weil das so ungerecht ist.
Das kann man aus der Ferne vielleicht nicht verstehen.
Oder vielleicht auch doch, weil es (fast) jeden ja irgendwann mal betrifft.

Und dass ich hier nur noch sitze und weine und wütend bin, ist nicht das schlimmste.
Das schlimmste ist, wenn ich sehe, wie es den anderen geht.
Das bricht mir das Herz.
Ihre beste Freundin, die so geweint hat.
Die sie kennt, seit sie dreizehn ist.
Meinen Vater haben sie sogar zusammen kennen gelernt.
Mein Dad...
Ich weiß überhaupt nicht, was werden soll...
Alles, was ich aufgebaut habe, fühlt sich mit einem Mal so fragil und zerbrechlich an.
Als wäre es ganz egal, wie vorbildlich wir uns verhalten, wie vernünftig wir uns benehmen, wie viel wir lernen.
Als würde es darauf gar nicht ankommen und als wäre es das auch nie.
Die täglichen Telefonate sind auch so schlimm.
Weil so klar ist, dass sie demnächst nicht mehr sein werden.

Und dann ist es jetzt jeden Tag so, als würde sich auf der Arbeit alles anstauen und sobald ich zur Tür heraus bin, bricht alles über mir zusammen.
Jeden Abend, seit Freitag, seit wir das wissen.
Wir sind uns alle einig, dass wir die letzte Zeit zusammen besser lachend als heulend verbringen, das geht auch fuer einige Zeit. Aber einer läuft doch immer zwischendurch in ein anderes Zimmer und kommt mir nassen, roten Augen wieder.
Und trotzdem weiß man, dass das alles noch viel besser ist, als das, was danach noch kommen wird...

04.02.2015 01:38 • #3


G
Unaufhörlich

Dumm
sich
die Tränen
zu trocknen
bevor man
aufhört
zu weinen

Aber
man muß sie
trocknen
um zu versuchen
ob man nicht doch
aufhören kann
zu weinen

Oder
man darf
überhaupt
nicht mehr
aufhören
wollen
zu weinen

(Erich Fried)

04.02.2015 01:45 • x 1 #4


G
Deine beste Freundin hat mich eben angerufen.
Wohl eher, damit ich ihr eine Stütze sein kann, aber ich konnte manchmal nicht weiter reden.

Manchmal fühle ich mich überrollt, ich kann dir das nicht sagen, weil ich nicht möchte, dass du neben deinem nahenden Ende auch noch Sorgen wegen uns hast.
Aber manchmal fühle ich mich so.
Wenn der Tag rum ist und ich ins Auto steige und diese Gefühle nicht zulassen will, weil ich weiß, es bringt mich nicht weiter, aber sie dann einfach da sind.

Das ist dann, als wäre alles egal.
Meine MS. Pah. Kindergarten, so irrelevant, dass ich gar nicht drüber reden will.
Ob ich die Wohnung schnell abbezahlt habe?
Ob ich es jemals kann, weil ich selbst krank bin? Schei*egal.
Meine Arbeit?
Meine Güte, ich würde eine neue finden.
Eindringlich hat sie mir eben gesagt, dass ich das nicht darf.
Alles hinschmeißen.
Tja, warum eigentlich nicht?
Es hat einmal sehr gut gepasst.
Acht Jahre lang.
Und manchmal passt es noch.
Wenn mir, wie gestern, zwei gut betuchte Kundinnen Buchvorschlaege machen und ich von den Erzählungen schon grinsen muss.
Bringe ich Ihnen nächstes Mal mit.
Obwohl ich mir im Moment alles andere als passend vorkomme in dieser Szene.
Abgeranzt und ausgelaugt fühle ich mich.
Vielleicht sieht man das auch, ich weiß nicht und es ist mir auch egal.

Und obwohl ich weiß, wie es sich anfühlt, vor einem sinnlosen und zweckentleerten Leben zu hocken und sich zu fragen, was man damit bloß anfangen soll, ist es diesmal anders.
So als bestünde auch nicht die kleinste Chance, dass man überhaupt nochmal einen Sinn finden könnte.
Also ich. Nicht man.
Dieses Gefühl überkommt mich also und es fühlt sich nicht mal fehl am Platz an.

Und dann wünschte ich mir, ich hätte etwas von deiner Stärke.

Heute ist sowieso ein komischer Tag.
Bis eben ging's.
Jetzt nicht.
Ich frage mich oft, ob ICH das nur nicht ertragen kann und ob es nicht normal wäre, irgendwie besser damit umgehen zu können.
Und dann denke ich wieder, dass ich meinen Kram ja mache, dass das doch reichen muss.
Ich arbeite, ich versuche fuer dich da zu sein, ich versuche, dass meine Ehe dabei nicht auf der Strecke bleibt.
Ich versuche so vieles und was davon ist überhaupt zu schaffen?

Weißt du, mir ist eben bewusst geworden, was für gute Freunde du hast.
Dass sie schon dreimal angerufen hat und immer ihn dran hatte, weil du geschlafen hast, hat sie gesagt.
Und dass sie sich Sorgen um ihn macht.
Und dass sie MICH anruft, das ist auch so nett.
Und ich weiß auch, woher das kommt.

Du hast manchmal eine seltsame Art gehabt, zu zeigen, was du von jemandem hältst.
Und du hast mich auch oft verletzt.
Aber man kann dir nicht nachsagen, du wärst einer von diesen Leuten gewesen, die auch ihrem Geld sitzen oder denen ein Aufwand zu groß hätte sein können, um jemandem eine Freude zu machen.

Deiner Putzfrau hast du jedes mal an Weihnachten Geld in den Briefkasten geworfen. Ohne Absender, weil du meintest, sie gäbe es dir sonst zurück.
Solche Sachen hast du oft gemacht.
Ach, die brauchen das viel dringender als wir.
Das war dein Spruch.
Aber verars*hen konnte man dich mit gar nichts!

Ich habe nie verstanden, wie du diesen Spagat geschafft hast und du hast es mir nie verraten.
Ich wünsche mir, du tust das noch.
Dann könnte ich vielleicht auch meinen Sinn wieder finden...

Meine Fesse, warum fällt mir so spät auf, was ich an dir hatte?

07.02.2015 18:42 • #5


G
Heute habe ich mich mit der Selbsthilfegruppe getroffen.
Haha.
Eher mit der trinkgemeinschaft.

Weißt du, wie ich mich fühle?
Als ob die Wohnung zusehends verlottert, während ich am freien Tag zuhause (endlich) schlafe.
Als hätte mein Mann berechtigte Zweifel an mir.
Ich bin krank.
Ich kriege nichts auf die Reihe.
Ich bin eher eine Belastung als eine Stütze für jeden, der irgendwas von mir will.
Ich bin so ungenügend.
Und auf der anderen Seite... Ich weiß nicht... will ich nur pennen (weil ich mitten in einer Depression hänge?).
Oder (wie meine Kollegen sagen), erwarte ich einfach zu viel von mir?
Ich weiß es nicht!
Und dieses Gefühl ist schei.!
Und geht das wieder weg, irgendwann?
Und wird es nicht alles noch viel schlimmer, wenn du nicht mehr da bist?
Und kann ich dieses Verständnis von meinem Mann erwarten, wo ich selbst so wenig zurück geben kann?
Ich finde mich manchmal kacke.
Ich will manchmal einfach, dass du mir sagst, dass es reicht, was ich mache.
Und ihr macht so viel!
Und ich setze mich bloß die paar Stunden am We ins Auto.
Ich weiß nicht....
Ich habe so große Sorge, dass das alles niemals reichen wird.
Dass mich das alles auch nicht liebenswerter macht.
Wie erbärmlich...
Sag doch mal was dagegen, bevor du gehst, bitte...

21.02.2015 02:30 • #6


P
Liebe Gast700

ich habe nur Phrasen..
keine tröstenden Worte

ich denke an dich!

21.02.2015 02:56 • #7


G
Hi peppina, vielen Dank zumindest fuer die nicht vorhandenen Phrasen.

Ist alles Mist zur Zeit.
Müssen halt sehen, wie es weiter geht.

21.02.2015 03:07 • #8


P
es ist so blöd,man möchte etwas sagen, abe was bringt denn ein Wort?

Ja.. müssen halt sehen, wie es weiter geht..
aber vielleicht können wir den Weg auch erst sehen, wenn er von allein schon etwas gegangen ist..
irgendwie..
du bist nicht allein..

21.02.2015 03:11 • #9


G
Ja, ich weiß, was du meinst.
Nur im Moment ist ALLES so ungewiss.
Ich habe seit kurzem die Diagnose, dass ich MS habe.
Das dränge ich notgedrungen irgendwo in den Hintergrund und so dramatisch macht es sich bisher auch nicht bemerkbar. Zum Glück.
Meine Ma hat Bauchspeicheldrüsenkrebs....
Es ist plötzlich so vieles, was auf einmal kommt...
Ich habe das Gefühl, als müsste ich alles neu sortieren und trotzdem muss ich für die anderen funktionieren.
Und mein Mann ist so dermaßen lieb und ich werde ihm auch nicht gerecht.
Und meinen Freunden auch nicht.

Ich fühle mich, als hätte ich ein ungenügend auf die Stirn gestempelt.

21.02.2015 03:31 • #10


tlell
ich glaube es ist eine zeit in der alles erlaubt ist. tränen, lachen, erinnerungen, fröhliches, trauriges. es reicht dann, wenn alles gesagt wurde, was zu sagen war.

menschen erinnern sich nicht nur an das ist, sondern auch an das was wahr. das ist soviel wichtiger als das jetzt. weil es so wahnsinnig tröstet.

die frage was tut dir gut grade ist wichtig.

so hab ich das erlebt und begleitet grob umschrieben.

lg

tlell

21.02.2015 03:56 • #11


G
Hi tlell,

Danke. (Euch dreien.)
Wirklich vielen Dank für eure Antworten.

Mich trösten eure Antworten gerade wirklich.
Obwohl ich euch ja gar nicht kenne. Komisch.

Und in vier Stunden muss ich aufstehen und so tun, als wäre ich kompetent....
Ich hasse es im Moment.
Sorry, so destruktiv bin ich nicht immer.
Aber im Moment schon.

Was treibt euch denn mitten in der Nach hier her?
Was tolles kann das ja auch nicht sein?!

21.02.2015 04:04 • #12


tlell
warum musst du so tun? dann bist du eben mal nicht kompetent.

ja eigentlich liebeskumme und dann der abend heute mit freunden und die lachende einsicht das ich mich wieder verliebt habe grins.

21.02.2015 04:11 • #13


G
Verliebt oder verliebt in das Gefühl des Verliebt-seins?

Tja, ich muss schon kompetent tun, mein Chef ist schräg drauf in der letzten Zeit.
Unter anderem auch deshalb unsere Selbsthilfegruppe, die aus einem Kunden und einer Kollegin besteht.
Witzige, völlig unpassende Kombination eigentlich.
Aber machen wir schon seit einigen Jahren. Treffen, Essen, Trinken, Auskotzen.
Muss manchmal sein.

Ich versuche jetzt trotzdem mal, mich schlafen zu legen, muss ja danach noch zu meinen Eltern und da weiter irgendwie funktionieren.

Schlaft ihr alle gut..

21.02.2015 04:21 • #14


L
liebe gast 700,
trost kann ich auch nicht wirklich spenden...und trotzdem...du machst es super gut...bleib auf diesem weg..es ist der richtige...erlaube es dir...du bist die tochter der loewenmutter...
ganz viel kraft und eine liebe umarmung

21.02.2015 05:10 • #15


A


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