Mir hilft dabei, nicht reflexartig zu reagieren, sondern mir Zeit für meine Reaktion zu nehmen und mir zu überlegen, was erfahrungsgemäß als nächstes passieren wird, wenn ich handele wie sonst/früher immer. Dann ist doch eigentlich nur noch die Frage: will ich, dass es immer so weiter geht? Falls nein, habe ich in der Hand, es zu ändern.
Außerdem finde ich es auch wichtig, von der Reaktion (er schmeißt einen Brocken hin, Du reagierst darauf) hin zur Aktion zu kommen, die da lauten könnte:
Ich würde dich gern besuchen. Falls du das auch möchtest, sag mir bitte, wo ich dich finde. Falls du das nicht kannst oder willst, stehe ich für einen Besuch auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung.
Fertig. Und dann bleib auch dabei.
Weißt Du, wann ich geheilt war von einem alten Muster?
Mein Ex (eine Fernbeziehung) schrieb mir, als wir schon auseinander waren, eine SMS. Das tat er immer mal wieder, wenn er in HH war. Die Nachricht lautete nur, er würde in HH am Hafen sitzen. Er wusste, damit hat er mich am Haken. In mir spielte sich mein altes Muster ab Oh Gott, oh Gott, er ist in HH und wenn er schon hier ist, dann .. oh, mein Gott, usw. .. ich muss dieses und jenes absagen, um ihn zu treffen.
Und das, obwohl schon während unserer Beziehung seine Hoppla, da bin ich-Masche ein ständiger Konfliktpunkt zwischen uns war, da ich stets einforderte, er solle sich mit mir verabreden und nicht immer von jetzt auf gleich in mein Leben platzen und erwarten, dass ich dann zur Verfügung stünde. Er folgte dem nur sehr selten, aber ich stand immer zur Verfügung. Ich redete und redete über Respekt und Planung und Verbindlichkeit, aber ich stand zur Verfügung, statt ihm nur ein einziges Mal zu sagen: Dein Problem, dass Du 800 km gefahren bist. Ich habe keine Zeit.
Wie dem auch sei. Dem Impuls, zur Verfügung zu stehen, widerstand ich in diesem Fall noch, denn ich hatte es gelernt, die Brocken nicht mehr zu nehmen, die er mir hinwarf.
Aber er war ja steigerungsfähig und ich hatte ja meine Muster. Also klingelte am Abend das Telefon und er teilte mir mit ersterbender Stimme mit, er wäre im Krankenhaus, sei vorher in der Hotellobby zusammengebrochen, er wüsste nicht, wo er sei und könne nun auch nicht mehr sprechen. Woraufhin das Gespräch abbrach. Er ging auch bei meinen Rückrufversuchen nicht ans Telefon.
Wieder gingen die Gedanken los: Ohje, ich bin ja die Einzige, die überhaupt weiß, dass er in HH ist. Wie soll das denn werden, wenn er bewusstlos, länger bettlägerig oder was auch immer ist? Seine armen Kinder werden feststellen, dass ihr Vater nicht auffindbar ist. Jemand muss es seinen Eltern, seinen Kindern, seinem Arbeitgeber sagen. Er braucht Kleidung, Hygieneartikel usw. usf. Wie Du fühlte ich mich sofort verantwortlich und er war ja meine große Liebe.
Also nahm ich mir vor, die Krankenhäuser abzutelefonieren. Bereits beim ersten hatte ich Glück. Ja, ich könne in die Notaufnahme kommen. Also habe ich ein Taxi organisiert und bin panisch und überfordert ins Krankenhaus gefahren, während sich meine Gedanken darum drehten, was als nächstes zu tun sei. Ich hatte angenommen, er wäre auf der Reeperbahn in eine Schlägerei geraten.
Da saß ich dann irgendwann im Krankenhaus im Wartebereich und und was sah ich durch eine geöffnete Zimmertür? Mein Ex lag quietschvergnügt im Bett und spielte sich unter der Bettdecke an seinen Beeep herum.
Ich war stinksauer und verabschiedete mich sehr schnell wieder.
Doch dem nicht genug. Als ich wieder zuhause war, rief er mich an, um mir zu erklären, er würde sich jetzt auf eigenen Wunsch entlassen lassen. Er hätte wohl sehr schmerzhafte Nierensteine gehabt, etwas anderes sei nicht gefunden worden. So dass er zuvor im Hotel vor Schmerzen zusammengebrochen sei.
Und was mache ich? Ich protestiere, aber ich fühle mich berufen, ihn abzuholen und in sein Hotel zu begleiten, seinen Kram zusammen zu packen und sein Auto aus der Garage zu holen und ihn mit zu mir zu nehmen, damit er wenigsten unter Beobachtung ist. Denn schließlich, war ich ja die Einzige, die er hier hatte, die überhaupt davon wusste, die ihn immer noch liebte ... blablabla.
So half ich ihm die vier Stockwerke in meine Wohnung hoch, denn er war ja soooo geschwächt. Kaum dort angekommen, ging es ihm blendend. Er legte mich flach, schlief ein und verabschiedete sich am Morgen vor dem Frühstück, weil er nun wirklich los müsse. Ohne Dank, ohne Entschuldigung, natürlich ohne weitere Verabredung. Er ging einfach.
Seitdem war ich von meinem Verantwortungsbewusstsein und meiner Hilfsbereitschaft ihm gegenüber wirklich befreit. Nicht befreit, bin ich von meinen Mustern, denn die melden sich immer noch, wenn er sich heute - noch 20 Jahre später - mit der alten Masche, er würde gerade in HH am Hafen sitzen und die Schiffe angucken, meldet. Doch ich falle nicht mehr auf sie rein. Statt zu antworten Wann sehen wir uns? oder Warte, ich komme dorthin., wünsche ich ihm heute allenfalls viel Spaß dabei oder ignoriere es ganz. Und trotzdem: die Tendenz, etwas anderes zu tun, ist immer noch da.
Wenn ich dann eine Schritt weiter denke, weiß ich, ein Treffen würde so enden wie immer und ich mich über mich selber ärgern. Und darum treffe ich mich nicht mit ihm. Nicht, so lange er nicht zu einer verbindlichen Verabredung in der Lage ist.
Es gibt anscheinend Menschen, die haben es drauf, unsere Muster zu aktivieren, aber wir haben es in der Hand, ihnen nicht zu folgen. Also: los geht´s!
27.10.2019 15:42 •
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