Liebes Gretchen,
ich verfolge als stille Leserin deinen Thread und möchte dir als Erstes meine Anteilnahme aussprechen. Es ist großer M...t, was da passiert ist und es ist mehr als verständlich, dass dir die Situation den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Ich kann das voll verstehen und es würde mir auch nicht anders gehen. Du kamst mir aber den ganzen Thread als sehr reflektiert rübergekommen, daher bin ich ganz zuversichtlich, dass du es schaffst, einen guten Weg für dich und für deine Kinder zu finden.
Die Idee mit dem Tagebuch schreiben finde ich toll, mir hilft es sehr, Klarheit über meinem Inneren zu gewinnen. Die Gefühle benebeln sonst diese, beim Ausformulieren kann man immer konkreter werden und das Gefühl als Wasserrute benutzen, um zu merken, wo es sich nicht stimmig anfühlt, also dementsprechend man tiefer bohren muss.
Es ist momentan dichter Nebel und das könnte auch nicht anders sein. Was könnte dir helfen, diesen Nebel zu vertreiben? Die Gefühle sind überwältigend und da vermischen sich aktuelle - unmittelbar von der Situation verursachte Gefühle - mit älteren. Also solchen, die man vielleicht sogar aus der Kindheit mitbringt. Das zu sortieren scheint mir in der jetzigen Situation kaum machbar, also da wüsste ich mir nicht zu helfen. Fühlen, zulassen, annehmen und irgendwo tief ein Funken Vertrauen finden, dass man das unbeschadet übersteht. Sei es auch nur, weil man bereits vieles überstanden hat.
Dann gibt es noch die Handlungsebene, die äußerst unschön, aber womöglich weniger wirr ist. Und dort fühlt man sich weniger verloren. Ich helfe mir in solchen Situationen indem ich versuche, das Wesentliche von dem Unwesentlichen zu unterscheiden...
Was steht jetzt konkret an?
Was kann man wann angehen?
Was möchte ich im Moment erreichen? Zum Beispiel eine räumliche Trennung. Oder einen normalen Alltag für die Kinder, so gut es geht. Also konkrete Ziele definieren, völlig unabhängig von dem Nebel. Die können unter Umständen etwas Festigkeit geben, man fühlt ja so unendlich verloren... und überfordert.....
Die Situation ist sehr akut und eine besonnene Haltung deinem Mann gegenüber ist etwas viel verlangt. Jedoch wenn du in der Lage wärst, keine Feindesbilder was ihn betrifft aufzubauen, würde es dir im Endeffekt besser gehen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Sein Verhalten ließ viel zum Wünschen übrig - das steht außer Frage - aber der Mensch selbst ist grundlegend in Ordnung. Eine Trennung zwischen Verhalten und Person kann Erleichterung verschaffen.
Jede Wut, jeder Vorwurf den du ihm gegenüber in deinem Inneren entstehen lässt, hat leider automatisch eine negative Wirkung auf dich, denn es kommen Zweifel auf. IMMER. So astrein kann sich niemand verhalten, so saubere Weste kann keiner haben, dass da nicht ein Restzweifel aufkommt. Vor allem bei reflektierten Menschen, die ganz tief in ihrem Inneren wissen, dass zu jeder Situation zwei geführt haben.... Schafft man den Gedanken zuzulassen, dass er sich so verhalten darf, dass das eine gewisse Legitimität hat, obwohl es natürlich nicht der Königsweg war und auch nicht ruhmreich, entfallen die Selbstvorwürfe, die Zweifel und der Groll. Dann bleibt nur noch die Traurigkeit zurück, dass man es nicht besser zusammen hinbekommen hat. Und irgendwann Dankbarkeit, dass man so viel miteinander erleben durfte, dass man so viel zusammen lernen konnte....
Ich wünsche dir viel Weisheit und viel Kraft Gretchen,
Achtungvoll,
Ella
24.07.2018 15:26 •
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