4

Eine einfache Geschichte

M
Hallo zusammen,
bin das erste Mal hier und möchte Euch meine Geschichte erzählen. Bis zu meinem 43. Lebensjahr habe ich recht sorglos gelebt, alles gelang leicht, obwohl es auch harte Arbeit war. Schule, Studium, Auslandsaufenthalte, mit 30 Geschäftsführer einer Firma. Und in der Liebe? Viele Beziehungen, auch langjährige, zumeist offen geführt aber meistens habe ich schon sehr früh gespürt, das war es noch nicht. Habe immer zutiefst daran geglaubt, dass es da einen Menschen gibt, mit dem ich mein restliches Leben verbringen werde, und der mir meinen Traum von Familie erfüllen wird. Und dann haben wir uns eines Tages gefunden und für beide war es die große Liebe. Wunderschön waren die ersten Jahre, bald schon wurde unser Sohn geboren und wir erlebten vollkommenes Glück.
Dann wurde es beruflich immer schwieriger bei mir und vor vier Jahren, kurz vor Weihnachten, musste ich dann viele Menschen entlassen und die Firma abwickeln. Ich hatte versagt und schleichend setzte sich dann ein großer schwarzer Vogel auf meine Schulter. Ich verschloss mich immer mehr, nichts und niemand erreichte mich, auch nicht die Bitten meiner Frau, mir Hilfe zu suchen. Alle Lasten des Alltags bürdete ich ihr auf und sie trug sie. Dabei ist sie das Gegenteil der treusorgenden Hausfrau, die vielleicht keine Alternativen findet, klug, schön, charismatisch, eine der wenigen Top-Managerinnen hierzulande, von vielen Männern begehrt.

Eines Tages vor zwei Jahren hatte ich dann, ohne mein oder fremdes Zutun, ein fast metaphysisches Erweckungserlebnis, plötzlich sah ich wieder Sonne, spürte Wärme und begann mit der Arbeit an mir selbst. Ich wurde wieder zunehmend der autonome Mensch, der ich mal gewesen war, der berufliche Erfolg stellte sich wieder ein, Freunde, die ich zwei Jahre lang ignoriert hatten, kamen zurück. Letzten Oktober dann eine Krebsdiagnose, mit 50-prozentiger Rückfallwahrscheinlichkeit, aber davon ließ ich mich nicht unterkriegen, die Kraft die ich hatte, würde reichen, auch das zu überstehen.

Anfang diesen Jahres dann ihre plötzlich Veränderung. Kein liebes Wort, keine Zärtlichkeit nur noch Verschlossenheit und Ernst. Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht, ihre Kraft war erschöpft und sie gestand mir, dass sie sich in den Jahren zuvor einen Schutzpanzer zulegen musste, um das alles ertragen zu können. Meiner Gesundung misstraute sie und ich hielt es nicht für nötig, sie bei meinen Fortschritten mitzunehmen, sie musste doch sehen, wie stark ich wieder wurde (Borniertheit, Selbstüberschätzung, ich weiß es nicht).

Das nennt man wohl bad timing. Wir leben zwar noch zusammen, aber es scheint, dass sie sich emotional woanders hingewendet hat. Sie wird unsere Ehe bald beenden und nach all den Kämpfen der letzten Jahre werde ich den für mich wichtigsten verlieren, denn ich bin jetzt müde und habe keine Kraft mehr.

Warum ich das schreibe? Es hilft mir jetzt und heute! Lehren daraus ziehen? Nur, obgleich so banal: Wenn Du Deine große Liebe triffst, kämpfe jeden Tag darum, lass niemals nach.

Deutlich schöner und lyrischer drückt das Tucholsky in seinen Briefen an Mary aus, besonders im letzten, der Quintessenz ihres ungelebten Lebens.

Vor 25 Jahren war das mein Lieblingsbuch, heute weiß ich warum...

06.08.2011 15:01 • #1


C
Hallo Montventous,

hast du denn in den letzten zwei Jahren, seit es dir psychisch wieder besser geht und du wieder richtig am Leben teilhast, auch deine Frau und deren Bedürfnisse und Wünsche genügend beachtet?

Das geht aus deinem Bericht nicht ganz hervor. Sie musste in den Zeiten deiner Depressivität (ich nenne den zurückgezogenen Zustand jetzt mal so) sehr zurückstecken und viel schultern (wie du es nennst). Hast du, als du dich wieder aufgerappelt hattest, ihr mal deinen Dank (der in deinem Beitrag durchaus zum Ausdruck kommt) deutlich gesagt und gezeigt?

Konnte sie sich wieder deiner Nähe, Zärtlichkeit und Liebe sicher sein oder hast du dich nach deiner Genesung nur ins Leben draußen gestürzt und dabei den Nachholbedarf, den eure Beziehung hatte, übersehen?

Dass deine Frau ausgepowert ist und sich vielleicht auch vor einem Rückfall in depressive Phasen (bei dir) fürchtet, wäre für mich nachvollziehbar. Und wenn sie sich jetzt schon schwach fühlt, kann es sein, dass sie sich durch die Krebsdiagnose zusätzlich überfordert fühlt.

Vielleicht hat sie sich emotional woanders hingewendet (wie du meinst), vielleicht ist sie emotional aber auch so ausgelaugt, dass sie selbst keine Freude mehr empfindet, sprich dass sie selbst am Rande einer Depression steht.

Mag denn deine Frau das Buch von Tucholsky ebenfalls?
Du könntest mit ihr evtl. die Stellen lesen, die dir besonders wichtig sind. Vielleicht könnte das euren Austausch über ungelebtes Leben fördern und euch eine Basis geben, gemeinsam darüber nachzudenken, was ihr einander Gutes tun könntet bzw. besonders, was du jetzt deiner Frau Gutes tun könntest.

Oder ein liebevoller Brief von dir an sie könnte als Anstoß dienen?

Vielleicht ist ja noch nicht alles verloren und vielleicht kannst du in nächster Zeit eine wichtige Kraftquelle für deine Frau sein?

Alles Gute euch beiden,
Chiara

06.08.2011 21:26 • x 1 #2


A


Eine einfache Geschichte

x 3


J
Hallo,

Ich kann gut nachvollziehen wie schlecht und hilflos du dich fühlst.
Deine Geschichte ist beispielhaft dafür, dass eine große Liebe an Schicksalsschlägen sterben kann.

Ähnliches habe ich auch erlebt in etwas anderem Rahmen. Ich hatte einen Unfall, meine Eltern starben ziemlich zeitgleich, mein Sohn outete sich als gleichgeschlechtlich. Es ist das Leben, leider. Ich habe mich auch zurückgezogen.... nicht gemerkt, dass meinem Partner was fehlt. Heute mit Abstand kann ich einen Blick auf die andere Seite werfen. Einer allein trägt die Last nicht und jeder geht leider ganz anders mit solchen Dingen um. Es wäre wichtig sich mitzuteilen, die Gefühle und Ängste und alles was damit verbunden ist seinem Partner mitzuteilen, anstatt sich zurückzuziehen.
Ganz wichtig ist, gibt dir nicht die Schuld und suche sie auch nicht bei deiner Frau, es hat niemand Schuld, ihr habt euch nur verpasst.

An deiner Stelle würde ich ihr einen Brief schreiben (wenn du das gut kannst) und ihr deine Gefühle erklären. Du hast sie ja immer geliebt, einfach nur zu schwer belastet. Vielleicht gelingt dir auch ein Gespräch, wenn etwas Zeit vergangen ist.

Es gibt Hoffnung, lass Zeit vergehen, mache ihr keine Vorwürfe und bleib du selbst, es waren auch für dich schwere Zeiten. Manchmal bringt die Zeit für vieles eine Lösung. Ich wünsche Euch viel Glück. Gruß Jasmin.

06.08.2011 23:38 • x 1 #3


sanin
Noch ist sie da. Noch kannst du kämpfen und versuchen zu retten was noch zu retten ist.
Die Idee mit dem Brief finde ich schon mal sehr nett. Aber du musst dir überlegen was du schreibst, was du fühlst, was du denkst und was du ihr geben möchtest.

Sie hat dich unterstützt als es dir gut ging. Sie hat dich aufgefangen, als es mit der Firma bergab ging. Sie war bei dir als du ausgebrannt warst. Dann kommt ein Lichtblick und dann wurdest du krank.
Sie war da, du hast es dankend angenommen. Aber wo ist sie?
Was für Wünsche hat sie? Sie muss sich alleine in ihrem Job durchboxen, was weisst du davon? was tust du für sie? Was kannst du für sie tun?

Du hast all die Zeit für dich in Anspruch genommen. Wo kannst du nun sie unterstützen? Sie hat einen anstrengenden Job, redet ihr darüber, oder ist das alles in deinen Problemen untergegangen?

Vielleicht gelingt es dir das Blatt zu wenden, vielleicht ist es schon zu spät. Es ist immer einen Versuch wert ..... noch ist sie da...

Es tut mir sehr leid mit deiner Diagnose, und ich hoffe dir geht es halbwegs gut. Leider musst du dich zusammenreissen und alle Kraft für deine Frau aufwenden, einfach versuchen sie zu halten.

Vielleicht klappts. Aber danke für deine Geschichte, ich hoffe es regt so mancheinen zum Nachdenken an.

lg sanin

07.08.2011 01:53 • x 1 #4


M
Ich danke Euch,
der Brief, von dem ihr meint, ich solle ihn schreiben, ist längst geschrieben und ich habe ihn ihr vor ein paar Monaten gegeben. Sie hat eine halbe Nacht darüber geweint, hat verstanden, dass ich ihr die Dinge nicht bewusst aufgebürdet habe, ich nicht bei mir war. Sie sagt mir oft, wir sind beide Opfer und das trifft es wohl. Ich lasse sie nicht mehr alleine, wir reden viel über uns, ihren Beruf und über unser ungelebtes Leben, aber es gelingt ihr einfach nicht, sich aus ihrem Kokon zu befreien. Wir haben eine Paartherapie begonnen, sind beide Scheidungskinder und wollen unserem Sohn dieses Schicksal ersparen. Ich befürchte nur, es wird nichts nützen, sie hat sich zu weit entfernt. Nochmals danke
Bernd

07.08.2011 09:40 • #5


C
Hallo Bernd,

wenn sie sich in einem Kokon befindet, ist es natürlich schwer, die eheliche Beziehung wieder zu finden. Aber trotzdem braucht sie dich an ihrer Seite. Wenn du selbst die Kraft hast und diese Aufgabe leisten kannst, dann sei einfach da (auch wenn es sich um eine harte, zermürbende Durststrecke handelt).

Ihr Kokon könnte plötzlich platzen, so wie deiner es tat. Noch ist nicht abzusehen, wann das sein wird - aber halte doch noch an der Hoffnung fest.

Wenn du kannst, dann lass dir selbst Zeit, lass ihr Zeit und lass euch Zeit, um eure Opferrollen hinter euch zu lassen.

Falls eine/r von euch (für eine gewisse Zeit) Abstand und/oder Tapetenwechsel braucht, dann könnt ihr dafür Möglichkeiten finden, ohne dass ihre eure Ehe, eure feste Beziehung, deshalb aufgeben müsst.

Viel Kraft wünscht dir und euch
Chiara

07.08.2011 13:41 • x 1 #6




Ähnliche Themen

Hits

Antworten

Letzter Beitrag