Scham. Dieses Gefühl kenne ich so gut. Das innere Zusammenzucken bei einer Erinnerung an eigene Worte. Eigene Reaktionen. Die man als Überreaktion abstempelt.
Die erste Reaktion ist Wegdrücken. Aber das Gefühl, die Erinnerung kommt immer wieder. Man verdammt sich selbst. Man möchte es rückgängig machen oder zumindest in der Zukunft verhindern. Man sagt sich: Ich muss mich mehr kontrollieren. Ich muss mich selbst mehr zurücknehmen. Ich muss es wieder gutmachen.
Man will sich vor sich selbst verstecken. Eine andere Reaktion ist die, der Person aus dem Weg zu gehen, sie aus dem Leben zu stoßen, der gegenüber man sich so verhalten hat. Um sich selbst nicht daran erinnern zu müssen. Um mit anderen Personen einen neuen Anfang, eine neue Chance zu haben. um perfekt zu sein.
Vielleicht ist es der bessere Weg, sich einmal anzuschauen, was da passiert ist. Die Ursache zu ergründen, warum man scheinbar überreagiert hat, statt sich selbst und seine Gefühle wegzudrücken.
Zuerst muss man sich klar machen: Ich darf Fehler machen! Ich kann mit Fehlern geliebt werden!
Und sich dann zu fragen, wo kommen diese starken Gefühle her und weshalb sehe ich sie als Fehler an?
Mein momentaner riesiger Schampunkt ist ein Gespräch, das ich mit dir hatte. Ein Schreibgespräch. Du hast mir klargemacht, dass du mit mir nur befreundet sein möchtest. Das hast du oft gesagt. Aber in diesem Moment habe ich darauf sehr heftig und verletzt reagiert. Ich habe dir gesagt, dass ich so einen Mann sowieso nicht will. Was natürlich nicht wahr ist. Ich habe ja so heftig reagiert, eben weil ich dich will. Ich wollte dir wehtun, weil du mich so getroffen hast. Ich habe viele Worte gewählt, um dir klar zu machen, warum du ein schlechter Mann bist, den ich eh nicht will. Ich kann sie nicht genau wiedergeben, weil ich danach unseren Chat gelöscht habe, weil ich diese Worte von mir selbst nicht mehr lesen wollte. Ich weiß nur, dass ich immer wieder an diese schwache Reaktion von mir denke und zusammenzucke. Nicht nur, weil das einfach billig von mir war, sondern auch so durchschaubar. Du hast natürlich genau gewusst, dass ich das nicht so meine, ich habe damit nur meine absolute Verletztheit offenbart. Aber eben auch Schwäche.
Da ich glaube, dass du mich bis dahin für eine reife Person gehalten hast, fühlt sich die Vernichtung doppelt so stark an. Du hast nicht nur meine totale Verletzung gesehen und die Tatsache, dass ich mich unreif verhalte, sondern vielleicht auch deine Meinung über mich geändert. Dadurch gedacht, dass es gut ist, dich nicht weiter auf mich einzulassen. Und das tut weh.
Ich habe mich entschuldigt und erklärt und du hast gesagt, meine Reaktion sei verständlich gewesen und dich für meine, dann schönen, Worte bedankt. Aber dennoch stehen diese anderen Worte weiter im Raum.
Wenn du mich jetzt weniger magst oder willst, dann ist das so. Und dann wäre es aber auch nicht das, was ich brauche. Immer noch das, was ich will, aber eben nicht das, was mir beim Heilen hilft. Denn ich habe so reagiert, weil du zwar eigentlich immer gesagt hast, du willst mit mir befreundet sein, dich aber dennoch nicht so verhalten hast. Ich fühle mich von dir betrogen. Ich kann nicht wirklich etwas sagen, denn deine Worte waren meist klar. Du hast meine Grenzen überschritten. Ich habe dir meine Gefühle gesagt, ich habe dich gefragt, wieso du dich so verhältst, ich habe dich mehrfach darum gebeten, mich nicht so anzusehen oder mir so nahe zu kommen. Du hast dich nicht daran gehalten. Du hast aber auch auf meine Versuche, das dann zu klären, nicht wirklich reagiert. Du hast immer zugehört, du hast mir auch Teile deiner Gefühle gezeigt, gesagt, dass du Angst hast, dass du weinst, dass du mit den Gefühlen für mich kämpfst, dass du über die Vergangenheit und die Zukunft nachdenken musst, dass du nicht anders kannst, als mich so anzuschauen, dass du keinen cut willst und keine Türe schließen, etc. Du hast einmal gesagt, du hältst mich nicht fest und lässt mich nicht los. Und genau so war es.
Und vermutlich ist das der Grund, der mich so verletzt. Der Grund, warum ich mich in dich verliebt habe. Weil das eine Wunde von mir ist, die endlich heilen will. In den letzten Monaten habe ich mich niemandem so geöffnet wie dir. Niemand wusste so genau, wer ich war und was ich fühlte. Ich habe dir mein Vertrauen geschenkt. Und dann ist etwas passiert, was ich so gut aus meiner Kindheit kenne. Du hast meine Gefühle verletzt, aber leise. Ich habe dir meine Grenzen und meine Verletzlichkeit offenbart und du hast keine Rücksicht darauf genommen, im Gegenteil. Ich habe immer wieder versucht, es dir zu erklären und dich darum gebeten, anders mit mir umzugehen. Und dann wurde ich laut. Eben ungerecht, verletzend. Nur eben nicht so leise und subtil wie du. Und dann stand ich vor mir selbst und vor dir wieder als Dramaqueen da. Wie so oft in meinem Leben. Als jemand, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat, der nicht achtsam ist, als jemand, der Erwartungen hat. Da werde ich ja direkt wieder wütend. Was ist an Erwartungen falsch? Du hast sie geweckt, du hast sie gefüttert und das, obwohl ich dir permanent gesagt habe, was das mit mir macht. Und statt dass ich weiter wütend darauf bin, wie du mit mir umgegangen bist, wie du alles kaputt gemacht hast, aber so subtil, dass ich das niemals belegen kann, stattdessen verdamme ich mich selbst für meine Worte. Statt zu feiern, dass ich mich endlich gewehrt habe, auch wenn in einer Situation, in der ich quasi keine Wahl mehr hatte. Ich hätte auch weiter auf meine Gefühle keine Rücksicht nehmen können, damit du dich wohlfühlst. Damit du nur nicht aufhörst, mich zu mögen. Damit ich bequem genug bin. Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich fast froh, so infantil und durchschaubar reagiert zu haben. Denn dieser Ausbruch war so lange zurückgehalten worden, dass er nun eben auf diesem destruktiven Weg stattfand, aber immerhin raus durfte.
Und da wird etwas existenziell Wichtiges deutlich. Die Scham hat mir eigentlich nur meine Wunde gezeigt. Gezeigt, dass ich denke, nur gemocht oder gar geliebt werden zu können, wenn ich nett, lieb, bequem, lustig, kontrolliert bin. Aber dann wäre es keine Liebe. Diese Scham ist meine Enttäuschung, meine Trauer, dass das nett und toll und lustig und eloquent sein, wieder nicht gereicht hat.
Erst vor Kurzem hatte ich so einen Moment mit meiner Mutter. Auch da hatte ich einen emotionalen Ausbruch, den sie subtil angefüttert hat. Mit ihrem steinernen Gesichtsausdruck, mit ihren Blicken, mit ihrer mitschwingenden Ablehnung auf Reaktionen von mir. Sie war die Kontrollierte. Ich war die Dramaqueen. Dabei habe ich bei diesem subtilen Spiel nicht mitgemacht. Meine Gefühle nicht des lieben Friedens willens weggedrückt. Ich habe sie benannt. Zu laut, zu impulsiv, ja. So, dass man sie nicht annehmen kann. Und sie dann gebeten zu gehen. Danach wollte ich den Kontakt abbrechen. Ich will mich nicht mehr abgelehnt fühlen, wenn ich meine Gefühle zeige. Ich will geliebt werden. Ich will in den Arm genommen werden, wenn ich meine Verzweiflung, meine Selbstzweifel, meine Not zeige. Denn dieses Zeigen ist ein großer, großer Vertrauensbeweis. In diesem Moment Ablehnung zu erfahren, stößt mich in meine Einsamkeit zurück.
Was mir das alles hier gerade zeigt, ist: Ich bin am Heilen. Deswegen kam es zu diesen Momenten. Weil ich nicht mehr still war. Wenn ich lerne, meine starken (negativen) Gefühle nicht mehr zu bewerten, sondern ihre Berechtigung anzunehmen, werde ich sie auch adäquater und sinnvoller äußern können. Statt mich für mich zu schämen und mich selbst bestrafen zu wollen, sollte ich mich lieber selbst in den Arm nehmen. Mir sagen, dass da jemand gerade nicht gut mit mir umgeht, dass mein Bauch das verstanden hat, dass meine Worte versuchen, mich zu beschützen. Dass da eine Wut ist, weil andere mich verletzen, während ich versuche, Verbindung herzustellen und zu vertiefen.
Man kann mich mit Fehlern lieben. Besser gesagt: mit Gefühlen. Vielleicht fange ich selbst damit an. Danke Scham.
25.04.2025 11:13 •
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