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Eine Reise durch den Fluss

C
Eine ganze Weile war ich zu Besuch auf Deiner Insel. Schön war es da. Warm, geborgen, irgendwie sicher. Irgendwie. Denn es gibt einen Vulkan auf Deiner Insel, der immer wieder Feuer spie. Ich wollte oft das Boot nehmen, um Deine Insel zu verlassen. Ich hab es nicht getan. Es war einfach zu schön - trotz des Vulkans.

Es kam aus dem Nichts: ein Ausbruch, ein Erdbeben, ein plötzlicher Graben zwischen uns auf dieser doch so schönen Insel. Da stand ich nun. Eine Woche lang bewegungslos, streckte die Hände nach Dir aus. Du auch, aber Du warst verletzt und konntest mich nicht mehr halten.

Die Hitze des Vulkans war erloschen. Die Eiszeit begann. Zu Eis erstarrt, bewegungsunfähig. Der Boden bebte weiter und ich fiel. Ich fiel tief, tiefer ins Wasser. Dort schwimme ich nun schon so lang. Die Traurigkeit lässt mich zurück schwimmen zu Dir. Aber ich schaff es nicht zurück zur Insel. Die Wut lässt mich wegschwimmen.... doch wohin? Kein Land in Sicht. So schwimme ich im Zickzack seit Monaten. Hin und weg, hin und wieder weg.

Ich schwimme weiter weg, Deine Insel ist kleiner geworden. Der Vulkan glüht nicht mehr, ich sehe nur noch verschwommen die schönen Lichter. Warm ist es schon lange nicht mehr. Aber ich kämpfe und spüre eine neue Wärme. Meine. Es tut gut zu schwimmen, denn ich kann nicht mehr fallen.

Manchmal steigst Du ins Boot, fährst in meine Richtung, um .... Ja, um was eigentlich zu tun? Mich zu retten? Nein. Mich zurück zu holen? Nein. Mich sicher auf die andere Seite zu holen? Nein, Du ziehst mich nur ein Stück zurück, um meinen Blick auf Deine Seele zu sehen. Weil Du gesehen werden willst. Je länger desto besser. Ist Dir nicht klar, dass ich im Wasser schwimme und kämpfe? Mein Überleben ist wichtiger als Dein Ego!

Ich schwimme weiter. Mit letzter Kraft, ich sehe nicht mehr zurück .... Und sehe neues Land! Da vorne taucht es auf. Ganz klein noch und ziemlich weit entfernt. Ist es dort schöner? Ist es dort anders? Ganz egal, ich will erst einmal ankommen und es ist noch sehr weit. Bin schon so weit geschwommen und der Weg ist noch immer weit.

Aber: der Weg zur neuen Insel ist jetzt kürzer als zu Deiner. Ich drehe nicht mehr um. Ich schwimme weiter. Die Insel dort ist unbekannt, vielleicht weniger schön, vielleicht sogar viel besser. Ich lasse mich ein wenig treiben. Ich muss nicht unbedingt bald dort ankommen. Manchmal schwimmen Schildkröten vorbei und nehmen mich ein Stück mit.

Hey, jetzt bringt mir sogar das Schwimmen manchmal Spaß. Es ist noch kalt, ok, etwas frisch. Aber irgendwann werde ich mich wieder aufwärmen können. Langsam. Nicht zu schnell. Alles wird gut.

19.01.2016 17:10 • x 9 #1


T
Sehr schön geschrieben!

20.01.2016 02:19 • #2


A


Eine Reise durch den Fluss

x 3


E
Poetisch
Magisch

20.01.2016 08:23 • #3


S
Wunderschön... Kann es Dir gut nachfühlen...

20.01.2016 10:54 • #4




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