B, Munin, Mensch mit Blut, den ich nicht mehr kenne,
ich habe Dir ein paar Zeilen zukommen lassen, Du wirst auch darauf nicht antworten. Du wirst sie lesen, es wird Dir vielleicht eine Regung entspringen. Vielleicht auch erst in Monaten. Jahren. Vielleicht wirst Du plötzlich den Wandel spüren, ein Kind bekommen, ein Haus, ein wenig mehr Einfachheit. Ich denke so könntest Du denken, ich denke, dass ich denke, dass Du so denkst. Ich denke bei den Texten, die ich an Dich schrieb, es waren ja eigentlich seit November nur 2, immer, sie seien falsch. Aber es gibt kein richtiges im Falschen und auch kein falsches im Richtigen und so bleibt es zurück, was ich bin: ich.
Ich höre Ligeti. Sonatina, II. Andante. Vieles führt nun zurück, ich kann meinen Geist weiter dehnen und ich wandere durch die Zeit leichter, als noch vor Monaten. Am Anfang der Trennung zeigte mir mein Gehirn folgendes: wie Du mich streichelst, wie wir lachen, wie Du auf so vielen Bildern neben mir lachst, Küsse, Momente der Unbeschwertheit, Schwüre, Sicherheit. Die Bilder mit Dir waren erfüllt, nicht alle gewiss, aber die meisten, ich sah mich im Maelstrom des Liebens, ich sah unsere Katzen, unsere Liebe für sie, bunt alles.
Nun fängt es weit früher an: meine Kindheit, meine (Un-)Möglichkeit zu lieben, meine Ängste kommen aus den hinteren Ecken hervor, ich steige Leitern hinab, an denen Du nie eine Hand hattest, ich steige Leitern wieder hinauf, ich sitze vor dem alten Haus, ich bin wieder alleine und ich versuche es nach 13 Jahren zum ersten Mal losgekoppelt zu verstehen. Meine Fehlerhaftigkeiten, meine Methoden des Umgangs. Meine Schuld und meine Unschuld. Alles ist Schmerz, alles ist klar, der Himmel zieht kühl auf, es gibt auf dieser Fläche keine Mulde, keine Häuserecke zum wegducken, Ein Glück, empfinde ich. Eine Aufgabe, die ich erfüllen will und durchleben, aber auch eine, deren Kraft gerade extrem gewachsen ist.
Ich gehe durch die Stadt, ich sehe und höre Raben, ich denke an Dich. Ich werde umarmt und ahne die Nähe, sie dringt partiell durch, ich spüre Küsse von Freunden und bin dankbar, erst einmal nur in der ersten Ebene, der, dass ich darum weiß. Ich spüre kaum etwas mehr. Und ich spüre alles zugleich, ich versuche die Defragmentierung langsam laufen zu lassen, ich sitze bei mir und trinke einen Tee, und ich steuere meinen Geist über alles und bewerte die Felder neu, auf die ich getreten bin - nicht aus dem Sinn heraus, einen Fehler wett zu machen, sondern den Fehler mit mir zu verbinden, meine Schritte zu verstehen.
Penderecki, jetzt. Agnus Dei. Lamm Gottes, ich sprach letzte Nacht fast eine halbe Stunde mit einem Taxifahrer, nachdem wir am Ziel waren. (Weisst Du noch die unzähligen Fahrten, die wir so zusammen erlebt haben, wo wir solche Gespräche zusammen auf der Rückbank mit Fremden geführt haben? Wir immer für andere so greifbar als Paar, wie die Frau in England, die sich bedankte dafür, dass sie uns eigentlich 5 Meilen begleitete, weil wir nicht wussten, wo wir sind) . Koran, das heilige Buch der Christen, Kaaba, Humanismus, Werteverfall. Keine Missionierung, kein Gespräch über sondern mit Wissen. Wie sich in der Erkenntnis die Dinge gleichen: sie streben in Aufrichtigkeit immer dem guten, dem Licht entgegen. Es klingt esoterisch, ich nutze mal den Begriff Licht synonym, und inwieweit Aufrichtigkeit belohnt wird, liegt auch daran, in wie weit frei wir diese betreiben können. Wir sprachen über die Gesellschaft, die Überforderung der Menschen, den Sinn von Glauben (nicht für mich). Wir kommen mit einem Schrei und wir gehen mit einem Schrei in das Nichts zurück. Liest Du mich? Mein Geist spannt sich um Dich als unsichtbares Netz, dass Du durchdringen kannst, mein Geist will bei Dir sein und Dich behüten, aber so etwas gibt es nicht. Es passiert doch so unfassbar viel, ich werde aufgesaugt, ich werde belohnt. Es gibt keine Klage, keine Anklage. Die Lieder gehen alle weiter, und die Veränderung trägt viele Gesichter, aber das Gesicht der Veränderung ist noch immer das klarste, dass es gibt. Es trennt alles auf und macht es unmöglich einfach zu verharren, starr zu werden. So vereinigt sich so Vieles: im Einklang ist nur die Unrast, die uns voran treibt. Klarer werden wir nur, dadurch, dass wir die Welt mit unserer abgleichen. Ich wünsche es Dir, dass Du auch an diesen Ort kommst, vielleicht warte ich dort dann. Vielleicht nur als Abbild von Dir, wenn Du mich besser verstanden hast an den Umständen der Welt, wie ich es nun für mich und wie ich auch lerne Dich besser zu verstehen. Vielleicht bin ich dann noch immer da. Ich will mich dem nicht verschließen, aber ich lerne: es ist kein Ziel mehr.
Penderecki, Stabat Mater. Düster ist es noch draußen, bald wachst Du auf, bald fütterst Du die Katzen, bald schließt Du die Tür.
Ein Buch will ich heute fertig lesen, ich will müde werden an Worten und ich will den Traum von vorgestern reanimieren, Deine Art, zum ersten Mal nach 3 Monaten habe ich Dich wieder darin gesehen, wie Du schriebst, wie Du ausschautest.
Zurück beim Taxi Fahrer erfanden wir einen Schlüssel für Frieden: Liebend ist der, der hinter den starken auch den schwachen erkennt und dann findet sich Frieden, weil man die Welt als Ganzes sieht. Die Teile fügen sich immer mehr zusammen, sie brechen auch mal auseinander, aber ich merke: ich lerne bald meinen Frieden mit Dir. Ich lerne unser, dein, mein Schwaches zu erkennen. Zu verstehen. Und damit das Wir, und was es belegt hat. Ich gebe dem Wir langsam die Hand, es wird kein Freund, aber es wird auch weniger das befremdliche.
Und finally, f. it: ich liebe Dich. Gehe in den Tag und möge es ein guter für Dich sein.