Guten Morgen, fühl Dich gedrückt, Du hast wirklich viel, um das Du Dir gerade Gedanken machst.
Ich weiß nicht, ob es Dir hilft, aber ich möchte Dir ein paar Gedanken mitteilen.
Dein Freund hat emotionale und offenbar auch 6uelle sowie soziale Defizite. Die hatte er vor Eurer Beziehung, die hat er währenddessen und die wird er hinterher haben. Das sind seine Baustellen und nicht Deine. Du bekommst die Auswirkungen zu spüren. Doch Du kannst sie nicht für ihn abarbeiten.
Es liest sich, als wärst Du mit ihm eine Vernunftbeziehung eingegangen, da er eigentlich ganz okay ist. Das reicht aber nicht, wenn es an Anziehung mangelt. Ich weiß das, weil ich es selber einmal probiert habe mit einem tollen Mann, der charakterlich 1a war, aber mich trotzdem stresste, weil die Liebesgefühle fehlten. Es war einfach ein Herumgemurkse. Was eine partnerschaftliche Beziehung von einer Freundschaft unterscheidet, ist die körperliche Anziehung.
Meine Mutter ist nach Sterbebegleitung durch uns vor ein paar Wochen zuhause gestorben. Keine Ereignisse aus unseren Leben hätte sie am Sterben gehindert oder es befördert. Die Zeit war nach sehr langer Krankheit gekommen. So ist das Leben nun mal. Meine Mutter hat zwei erwachsene Kinder ohne Partner zurück gelassen und hätte ganz sicher nicht bleiben können, bis wir wieder erfolgreich in Beziehungen stecken oder befriedigender Berufe haben. Den Gesundheitszustand der Frau mit Deinen Lebensentscheidungen in Verbindung zu bringen, ist Blödsinn. Was ihr Sohn ihr sagt oder von ihr fern hält, ist seine Entscheidung. Du bist für den Weg dieser Frau nicht verantwortlich.
Dein Freund hat jetzt das Pech, dass er kein soziales Netz hat. Das ist sein (Lebens-) Versäumnis und nicht Deines. Dieses Defizit solltest Du Dir nicht überstülpen lassen und Dich nicht zur Kompensation gezwungen fühlen. Dafür gibt es vermutlich Gründe in ihm, die auch Du in Eurer Beziehung zu spüren bekommst.
Falls sich seine Mutter auf den letzten Metern im Leben befindet (ist das wirklich so? Gibt es eine entsprechende Diagnose?), hat er jetzt die Chance, daran zu wachsen. Als uns die Diagnose gestellt und die Endlichkeit des Lebens meiner Mutter vor Augen geführt wurde, waren wir erstmal erschüttert. Doch ziemlich schnell konnte ich jedem von uns dabei zusehen, wie er wuchs und Verhalten zeigte, das ich ihm nicht zugetraut hätte zuvor. Natürlich hätte ich es gern anders und
meine Mutter noch bei uns gehabt, aber es war und ist eine prägende Zeit gewesen, die uns viel über uns selbst und unsere Fähigkeiten gelehrt hat. Vielleicht kannst Du versuchen, eine solche Sicht auf das einzunehmen, was Deinen Freund nun in kommender Zeit bevorsteht, und Dich damit etwas weniger schlecht sondern auch etwas zuversichtlich für ihn fühlen.
Noch ein Aspekt: es war eine sehr intime Zeit. Dritte hätten und haben da nur gestört, wenn man vom Palliativdienst absieht. Relativ neue Partner wären für mich Dritte in diesem Sinn gewesen. Falls die Frau im Sterben begriffen ist, braucht sie Dich dabei nicht.
Für Deinen Freund ist es Zeit, erwachsen zu werden und Verantwortung im Leben zu übernehmen. Das wird er schmerzhaft tun müssen, ob er Dich dabei nun traktiert oder nicht.
Natürlich hätte ich auch gern jemanden zuhause gehabt, der etwas für mich erledigt oder mich mal in den Arm nimmt. Aber wenn ich Dich richtig verstehe, läuft diesbezüglich bei Euch sowieso nicht viel.
Erwartet er womöglich jetzt ein Verhalten von Dir, was er selber im umgekehrten Fall gar nicht in der Lage gewesen wäre an den Tag zu legen?
Es haben Menschen Unterstützung und Gespräche angeboten, aber wir könnten das gar nicht annehmen, weil es eine so sehr den inneren Kern betreffende Erfahrung war, dass wir gar nicht gewusst hätten, worin Unterstützung und Gespräche hätten bestehen können. So haben wir uns vor Dritten eher Zürich gezogen, da sie -so gut es auch gemeint war- Störfaktoren darstellten. Vielleicht wird er diese Erfahrung ebenfalls machen.
Noch etwas; Du schreibst, es wäre nicht die Zeit, sich zu trennen. Wann wäre diese Zeit? Nach der Bestattung des Lebensgefährten? Nach dem Versterben der Mutter? In 3 Tagen, nach zwei Wochen oder einem Jahr zwischen Leben und Tod? Und dann? Nach ihrer Bestattung? Nach dem ersten Geburtstag oder Weihnachten? Nach dem Trauerjahr? Wann während Deine Zeit ebenfalls verrinnt?
Denn richtigen Zeitpunkt gibt es nicht.
Du beschreibst, dass der Mann ein Energieräuber ist. Was müsste passieren, damit das aufhört und wie wahrscheinlich ist es, dass genau das eintreten wird, wenn Du nicht selbst für Dich sorgst?
Was Deinen besten Freund angeht: das ist belastend, denn gerade jetzt würdest Du ihn wohl brauchen, aber als Freund und nicht als Verehrer. Er handelt klug, wenn er auf seine seelische Gesundheit achtet. Gesteh' ihm das zu und freu Dich für ihn, dass er in der Lage ist, sich selbst zu schützen. Du kannst Dir da in Sachen Abgrenzung gerade was abgucken.
Vielleicht zum Trost: ich war gerade mit meinem besten Freund eine Woche im Urlaub. Es war eine In a
Katasrophe.
Was ich vermitteln will ist, so schlecht auch gerade alles anmutet, es birgt reichlich Chancen. Es ist lediglich eine Frage der Perspektive, die man einnimmt.