Meine Geschichte - verlassen worden

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Mit 19, da hat man noch Träume... vielleicht liest sich mein Geschreibsel der eine oder andere durch. Die Internetforen zum Thema Liebeskummer haben mir viel Trost gespendet, jetzt möchte ich der Community etwas zurückgeben. Vielleicht kann jemand Parallelen zu sich selber ziehen und sich getröstet fühlen oder so.


Die erste eMail erhielt ich am 25.03.2002. Als Absender war Paula Hildebrandt angegeben, es war eine web.de-Adresse. Ihr richtiger Name war Eva, das erfuhr ich viel später. Sie fragte mich, was dieser Kleinkrieg im Explosionsgefahr-Gästebuch zwischen mir und ÜÜÜ solle, ich wirke einerseits politisch interessiert sowie gebildet, lasse mich aber andererseits auf Beleidigungen unter der Gürtellinie ein. Ich erklärte ihr, daß ich und die anderen im Gästebuch nicht wirklich Antipathien gegeneinander hegten, sondern das als eine Art HipHop-Freestyle-Battle betrachteten, also wer den anderen kreativer niedermachen könnte, gewinne. Zu dieser Zeit war ich ganz allgemein sehr unzufrieden. Ich hatte eher ein negatives Bild von mir selbst, betrank mich in geringem Umfang am Wochenende, mit Vorliebe auf ZZZ-Konzerten und mogelte mich so durch die Schule durch. Wir erzählten uns alles voneinander. Ich vertraute ihr sogar an, daß ich lange Zeit in Elisabeth T. verliebt war, jedoch nie einen Schritt in ihre Richtung unternommen habe. Ich habe Elisabeth auf einem ZZZ-Konzert gesehen und muss bis heute beim Vorübergehen an diesem Veranstaltungsort an sie denken. Daß ich seit den eMails diesen Ort meide, habe ich Eva nicht geschrieben. Sie ließ mich so durch die Blume erkennen, daß sie ebenfalls noch keinerlei handfeste Erfahrung mit dem anderen Geschlecht hatte. Ich bat sie am 1.4. um ein Treffen, z.B. bei einem ZZZ-Konzert in der darauffolgenden Woche, sie wand sich und lehnte dann doch ab. Am 04.04.2002 schrieb sie mir, daß ich sie kennen würde. Nach einer Weile wurde es mir zu bunt, ich verdächtigte sie, meine Banknachbarin in Mathe zu sein und schrieb ihr das auch, verbunden mit der Forderung, mir ihren Namen endlich zu nennen, allein der Fairness halber. Am 05.04.2002 war es soweit. Die eMail wurde um 22:04 von ihr versendet. Ein für mich bisher unscheinbar gebliebenes Mädchen aus dem Englisch-LK eine Reihe vor mir. Mich traf der Schlag. Die intimsten Gedanken, von denen ich noch nie jemandem erzählt hatte, kannte nun ein Mensch aus meinem näheren Umfeld und höchstwahrscheinlich auch noch ihre beste Freundin. In der Annahme, sie gehe nicht auf meine Schule, hatte ich auch viele Verfehlungen von Klassenkameraden ankedotenhaft in die eMails mit eingeflechtet, ja sogar meine eigene Situation sehr ehrlich beschrieben. Vor lauter seelischem Stress bekam ich noch am selben Abend Lippenherpes. In der Schule haben wir uns verhalten wie bisher, wir haben uns nichteinmal angesehen. Am 12.04 war es soweit, wir haben uns zum ersten Mal ausserhalb der Schule im Real Life gesehen. Wir sind in ein Kino bei mir um die Ecke gegangen, es lief The Royal Tenenbaums. Meine erstes Date. Mit 19 Jahren. Mit einer -mehr oder weniger- eMail-Bekanntschaft. Was war ich doch für ein Verlierer. Ich war vor ihrer Ankunft bis zum Zerreißen gespannt, habe drei Zig. nacheinander geraucht und mich, bevor wir hineingegangen sind, meiner Ansicht nach wie ein Idiot verhalten, habe undeutlich wirres, sinnloses Zeug genuschelt. Als sie die Treppe zum Kino hochkam und ich sie schon von weitem sehen konnte, war ich gerührt und trotzdem tieftraurig. Gerührt, weil ich sehen konnte, wie sie sich zurechtgemacht hatte, und das nur für mich. Eine Frau macht sich schön, ganz für mich allein, soviel stilles Glück ist mir in meinem bisherigen Leben noch nicht zuteil geworden. Traurig, weil ich die fixe Idee hatte, sie sei zu schön, zu selbstsicher (was sich später als Irrtum herausstellen sollte), zu liebenswert, als sich auf die Dauer mit mir abzugeben. Als der Film zu Ende war, wußte ich nicht, was zu tun sei, also schlug ich den Nachhauseweg ein, wenn sie zur Straßenbahn wollte, mußte sie mir folgen. Vor meiner Haustür, sie hatte nicht bemerkt, daß ich stehengeblieben war und lief noch ein oder zwei Schritte weiter, sagte ich auf eine Distanz von etwa zwei Metern einfach nur Tschüss. Ähm... ich schreib' Dir ne eMail.. Sie lachte hilflos, drehte sich um. Ich ließ die Tür in Schloß fallen. Den Gedanken, daß ich mich recht idiotisch verhalten hatte, verdrängte ich mit Leichtigkeit. Immerhin hatte ich gerade meine erste Verabredung absolviert und allein diese Tatsache machte mich zufrieden. Später sagte sie mir, sie hätte erwartet, daß wir noch irgendwo was trinken gehen und uns unterhalten.
Wir sahen uns von jetzt ab regelmäßig, meistens kam ich ein- bis zweimal am Wochenende abends zu ihr nach hause, wir redeten sehr viel oder sahen einen Film. Fast immer blieb ich von 20 bis etwa 02 Uhr. Um den 01.05. herum fasste ich mir ein Herz und fragte sie, ob sie sich eine tiefergehende Beziehung jenseits der freundschaftlichen Ebene vorstellen könne. Nach etwa zehnminütigem Anschweigen sagte sie mehr oder weniger ja. Beim nächsten oder übernächsten Mal, die genauen Daten verschwimmen vor meinem geistigen Auge, lagen wir engumschlungen auf dem Sofa, irgendwann fanden sich unsere Lippen, es war wunderschön. Wie besoffen wurde ich immer kühner, betastete schließlich unter ihrem T-Shirt ihre Brustwarze. Ich war der glücklichste Mensch auf der ganzen, weiten Welt. Daß ich verliebt war wie noch nie wollte ich mir nicht so recht eingestehen und konnte es ihr gegenüber auch nicht richtig zeigen. Wir sahen uns weiterhin etwa zweimal pro Woche, die Besuche verliefen immer nach einem bestimmten Muster. Zuerst eine förmliche Begrüßung ohne Körperkontakt, ein ein- bis dreistündiges Gespräch, ab und zu gemeinsames Essen und schließlich die körperliche Nähe. Ich hätte sie am liebsten gleich bei der Begrüßung umarmt und geküsst, wollte sie jedoch auch nicht überfordern und ließ es bei diesem eingespielten Schema beruhen. Wie das nunmal so ist, wuchs in mir der Wunsch nach S.. Eines Abends lagen wir engumschlungen auf meinem Bett, spontan hatte ich einen Samenerguß. Sie war leicht schockiert, ich haderte ein paar Tage mit mir selbst, kaufte schließlich über das Internet einige Kond.. Wir versuchten mehrmals, miteinander zu schlafen, sie hatte jedesmal starke Schmerzen. Wie sie mir später schilderte, kam sie sich wie ein Versager vor. Ich kam mir danach jedesmal wie ein s.gut Perverser vor, versuchte mein Begehren in Zaum zu halten, so daß wir auch einmal einen Abend ohne S. miteinander verbringen könnten, doch wenn sie neben mir lag, waren alle diese frommen Wünsche wie weggeblasen. Schließlich machte sie es mir regelmäßig mündlich, einerseits war mein persönlicher Lustgewinn enorm, andererseits kam ich mir noch viel mehr wie ein Schwein vor, das das arme Mädchen ausbeutet. Einige Zeit lang verzichtete sie auf den Ov., ich glaube sie hatte Angst, in meinen Augen zum austauschbaren S. zu verkommen. Irgendwann fing sie wieder damit an, ich befragte sie nach ihrer Motivation, sie behauptete, mein Lustgewinn würde ihr im Moment ausreichen. Wieder schlugen zwei Seelen in meiner Brust, immerhin liebte ich sie und wollte sie respektieren, zu nichts zwingen, auch beim S. Gleichberechtigung usw., aber andererseits fühlt sich Ov. schlicht und einfach zu gut an, als daß man ernsthaft widerstehen könnte. Sie verwehrte sich weitgehend meinen Versuchen, ihr das Oberteil auszuziehen. Bei fast allen s.uellen Kontakten war sie angezogen. Ich wußte nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich spürte, daß sie eine gewisse Bestätigung brauchte, ich versuchte ihr klarzumachen, daß der S. ein Teilaspekt der Beziehung ist und sie mir als Person wesentlich mehr bedeutet. Obwohl das mein tiefstes Empfinden war, glaube ich nicht, daß sie es mir so ganz abgenommen hat. Langsame begann es leicht zu kriseln. Unsere Gespräche wurden immer mehr zu Frage-Antwort-Spielen, sie stellte mir die Fragen oder gab Stichworte vor, ich hielt Monologe und war unfähig, sie in gleichberechtigter Weise ins Gespräch miteinzubeziehen. Ab und zu stellte ich ihr eine CD zusammen und bastelte aus Modezeitschriften u.ä. ein ansprechendes Cover. Sie hat sich sehr darüber gefreut, glaube ich.

06.07.2002 10:59 • #1


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Die Probleme begannen rund um unseren Abschlussball. Bis dato hatten wir unsere Beziehung vor der Aussenwelt geheimgehalten. Ich deutete zaghaft an, daß das für mich kein ehernes Gesetz sei, doch sie war gegen eine öffentliche Bekanntgabe. Ich drehte mich auch wieder, u.a. weil mein bester Kumpel sie nicht ausstehen konnte und ich eine gewisse Angst hatte, ihn zu verlieren. Hätte sie auf einer Bekanntmachung bestanden, hätte ich selbstverständlich meinen Kumpel fallenlassen. Ihre beste Freundin Julia hegte eine gewisse Abneigung gegen mich, zumindest war dies mein Gefühl. Eva war der Ansicht, Julia würde sich gegen jeden stellen, der ihre Aufmerksamkeit gegenüber ihrer besten Freundin schmälerte. Was ihre Eltern von mir dachten weiß ich nicht. Im persönlichen Umgang waren sie höflich. Nach und nach wurde mir von Eva eher indirekt der Vorwurf gemacht, einen schlechten Charakter zu besitzen. Ich interessiere mich sehr für kranke und trotzdem realitätsbezogene Bücher, die i.d.R. ein seltsames Bild der Frau transportieren (American Psycho, 39,90, Michel Houellebecq, Sartre, Bukowski). Sie hatte eine Vorliebe für sozusagen märchenhafte Bücher und Filme, beispielsweise Stadt der verlorenen Kinder oder Bücher wie Das Hotel New Hampshire. Ich versuchte ihr klarzumachen, daß alle Charaktere meiner Lieblingsbücher bis auf American Psycho auf der Suche nach der Liebe seien und sich hinter einer Mauer des Zynismus und der Frauenfeindlichkeit versteckten. Ich weiß nicht, ob sie das nachvollziehen konnte. Ich respektierte ihren Geschmack, konnte Stadt der verlorenen Kinder sogar etwas abgewinnen und erwartet denselben Respekt vor den Neigungen des anderen auch von ihr, formulierte diesen Anspruch aber nie. Leicht verärgert war ich darüber, daß sie ihrer Mutter 39,90 zu lesen gab, in dem Buch geht es um eine Art Abbeichte eines Werbers; ihre Mutter arbeitete zufällig in einer Werbeagentur. Das Buch ist durchsetzt von Dro., S., Gewalt und halbphilosophischem Gemeckere über die westliche Zivilisation. Ich machte ihr meinen Unmut darüber nicht deutlich, immerhin habe ich mit diesem Buch in gewissem Sinne etwas von mir preisgegeben. Was ihre Mutter nun von mir dachte, war mir eigentlich egal.
Ihre beste Freundin war ein durchaus interessanter Mensch, allerdings mit einer gewissen Tendenz zum Strebertum. Sie saß im Grundkurs Chemie vor mir und hatte zwei Chemiebücher aus der Bibliothek dabei. Bei den Schülerumfragen zum Abibuch trug ich sie als größten Streber ein. Sie gewann in der Kategorie mit 49%., d.h. fast jeder Zweite des gesamten Jahrgangs hielt sie für die größte Streberin. Eva hat mir das übelgenommen, glaube ich. Bis auf einen Blickkontakt auf dem Abiball hatten wir uns neun Tage nicht gesehen, in mir stiegen Verlustängste auf, ohne daß ich sie mir offen eingestehen konnte. Mein Zivildienst begann am 01.07., es war recht anstrengend aber durchaus interessant. Nach neun Tagen war ich also wieder bei ihr, versuchte ihr einige Sachen von meiner Arbeitsstelle zu erzählen, sie ging jedoch in keinster Weise darauf ein, sondern hielt mir nur etwas fragend das aufgeschlagene Abibuch hin. Auf Elisabeths Seite, Eva wusste wie gesagt, daß ich mal in jenes Mädchen verknallt war, stand eine kleine, verschlüsselte Widmung. Blonder Typ mit grauer Jacke auf'm Fahrrad - bist'n Süßer. Mein Selbstbewußtsein stieg natürlich enorm, als ich jenen Satz zum ersten Mal las, was jedoch nicht auf Evas Sofa geschah. Ob sie von ihrer Freundin auf diese Abibuchseite hingewiesen wurde, oder ob sie diese Textstelle von alleine gefunden hatte, traute ich mich nicht zu fragen. Wiedereinmal versuchte ich ihr etwas klarzumachen, nämlich daß ich diese Bemerkung als nette Geste verstand und mehr nicht. süß kann aber sehr viel bedeuten... presste Eva heraus, ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Mehr als ihr mein Empfinden zu schildern, kann ich auch nicht machen, und wenn sie dieses dann nicht akzeptiert, bin ich halt relativ hilflos. Spontan entschloß ich mich, bei ihr zu übernachten, weil ich eine gewisse Distanz zwischen uns spürte. Vor dem Einschlafen rieb ich mich bis zum Orga. an ihr und befingerte ihre Brust. Danach tat es mir wahnsinnig leid, ich machte wieder genau denselben Fehler und trat s.uell zu fordernd auf. Ich war ein kompletter Idiot. Beim Frühstück unterhielten wir uns sehr nett, lächelten uns an, es war sehr, sehr harmonisch und ich war wieder mal sehr, sehr glücklich. Ich dachte alle Schwierigkeiten wären nun beseitigt. Am nächsten Morgen rief ich gegen 6 Uhr ,kurz bevor ich zum Zivildienst musste, noch eMails ab und mich traf der Schlag. Sie wollte Schluß machen, per eMail, und mich noch einmal sehen, wegen einiger CDs, die ich mir von ihr ausgeliehen hatte. In diesem Moment wurde mir erst bewusst, wieviel sie mir wirklich bedeutete. Ich fühlte eine unglaublich starke, unbestimmte Angst, wie ich sie nicht mehr gefühlt habe, seit ich mit etwa 13 Jahren einmal von ein paar halbstarken Jugoslawen an einer Bushaltestelle einige Faustschläge abbekommen hatte. Wie versteinert saß ich fast zwei Minuten da und tippte schnell eine flüchtige Antwort, daß sie sich das nochmal überlegen solle und ich jetzt gleich los müsse und ihr am Nachmittag nochmal antworten würde. An meinem Arbeitsplatz hielt es mich keine ganze Stunde, von Kopf- und Bauchschmerzen geplagt ließ ich mich krankschreiben; ich war objektiv betrachtet nicht arbeitsfähig. Ich war so verwirrt, daß ich in die falsche S-Bahn einstieg. Wenn ich ihr nun am Nachmittag eine eMail schreiben würde, wäre alles verloren, das war mir klar. In einer Kurzschlußreaktion kaufe ich einen Strauß Blumen und klingelte bei ihr, es war kurz nach 9 Uhr. Sie öffnete im Nachthemd. Ich murmelte irgendwas und stand halb im Türrahmen, sie bat mich herein. Ich wollte ihr die Blumen geben, doch sie nahm sie nicht direkt an. Ich legte sie in ihrem Zimmer irgendwo ab. Wegen einer verschleppten Erkältung war ich äußerst heiser, nach wenigen Minuten brachte ich kein Wort mehr heraus. Wir setzten uns in die Küche und schrieben auf bunten DinA4-Seiten mit einem Kugelschreiber jeweils einige Absätze, die sich der jeweils andere anschließend durchlas und schriftlich darauf antwortete. Sie weigerte sich zu sprechen und teilte mir ihre Antworten ebenfalls schriftlich mit. Während dieser knappen Stunde stand ich praktisch neben mir, ich war wie von Sinnen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was geschrieben wurde, nur daran, daß sie sich bis Samstag entscheiden wolle, ob eine Weiterführung der Beziehung noch Sinn mache. Zum Abschied umarmten wir uns unglaublich lange, bestimmt an die fünf Minuten. Und fünf Minuten können sehr, sehr lang sein. Unsere Köpfe waren sich sehr nah. Auf dem Nachhauseweg ging es mir etwas besser, die Kopfschmerzen ließen nach. Ich hatte den Eindruck gewonnen, die Umarmung ging nicht von mir allein aus und daß sie folgerichtig noch auf gewisse Weise meine Nähe vielleicht nicht suchte, sich in ihr aber doch wohlfühlte. Ich schöpfte wieder etwas Hoffnung. Jeder Gedanke an den Samstag versetzte mir einen Stich ins Herz, ich hatte große Angst, sie danach nie mehr wieder zu sehen. Ich rief sie völlig heiser an. Ich mußte mit meinen Worten sparsam umgehen, nach einigen Sätzen würde ich gar nichts mehr sagen können, das war mir klar. Wir schwiegen viel. Ihre zumindest akustische Nähe gab mir sehr viel. Nach einer Weile rückte sie damit heraus, die in der eMail genannten Trennungsgründe wie s.uelle Unstimmigkeiten etc. seien durchaus mit gegenseitigem Verständnis zu lösen und kein richtiger Trennungsgrund. Der wahre Grund sei, daß sie immer öfter an einen anderen Jungen denken müsse, für den sie vor einiger Zeit einmal geschwärmt habe. Sie wisse selbst, wie blödsinnig diese aufgewärmte Schwärmerei sei, aber daß sie ihre Gefühle nunmal nicht abstellen könne. Sie käme sich sehr schmutzig und mir gegenüber unfair vor, wenn sie jetzt immer noch mit mir zusammen wäre. Obwohl ich kurz nach dem Namen des anderen fragte, wollte ihn gar nicht wissen, das war letztendlich unbedeutend. Seltsamerweise fühlte ich mich nach dem Telefonat wesentlich besser, ich wusste jetzt immerhin, daß es nicht direkt an mir oder meinem Verhalten lag. Am Abend habe ich sie nochmal angerufen. Sie erzählte mir, was gerade im Fernsehen läuft, ich plapperte daher, was ich gerade zu lesen versuchte (einen Artikel über türkische Fussballfans, sie sah irgendwas auf dem offenen Kanal). Wir schwiegen viel. Ich empfand das Telefonat als sehr, sehr intensiv. Auf die Frage, ob wir noch zusammen seien, antwortete sie Ich weiß nicht.. Zum einen war das immer noch besser als nein, zum anderen tat es mir sehr weh. Ich wollte ihr erklären, daß das, was wir beide aneinander haben, nicht für eine momentane Stimmung geopfert werden sollte, aber ich glaube nicht, daß sie mich verstanden hat oder daß ich auch nur ansatzweise die richtigen Worte gefunden habe. Meine Heiserkeit kam erschwerend hinzu. Am Sonntag fährt sie für einige Tage weg, am Samstag will sie gegen 17 Uhr bei mir vorbeikommen, mir ihre Entscheidung mitteilen und sich ihre CDs abholen. Ich habe wahnsinnigen Bammel. Schlimmer als vor der schriftlichen Abiturprüfung. Ich möchte sie nicht verlieren. Heute ist Donnerstag, der 04. Juli, 11:22 Uhr. Um 12 Uhr werde ich sie anrufen. Ich war gerade beim Arzt und bin bis einschließlich Sonntag krankgeschrieben. Ich nehme zwei Medikamente, eines gegen den Husten und eines gegen die Heiserkeit.

06.07.2002 10:59 • #2


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Ich habe sie pünktlich um 12 Uhr angerufen, wir haben bis etwa 13:20 Uhr telefoniert. Durch die Medikamente war meine Heiserkeit weitestgehend verschwunden, ich konnte also wieder normal mit ihr reden. Sie hat seit gestern eine Angina, will aber trotzdem arbeiten gehen. Sie hat mir vorgeworfen, ich würde zuwenig auf sie eingehen oder sie nach ihrer Meinung fragen, ich muss mir selbst eingestehen, daß sie damit ein bißchen Recht hat. Ich hatte immer den Eindruck, sie intuitiv einfach auf Anhieb zu verstehen und sozusagen ihre Gedanken zu erfassen, ich wäre mir teilweise doof vorgekommen groß nachzufragen, weil ich immer dachte ich hätte sie bereits verstanden. Sie hat mir von der Musikschule erzählt, die sie seit einer Weile nicht mehr besucht und von ihrem Theaterkurs. Nach einer Weile habe ich mich überwunden und ihr von meinem leiblichen Vater erzählt, der nach einigen Jahren in der Psychiatrie jetzt in München lebt und mit dem ich bis auf ein Telefonat alle paar Monate nichts zu tun habe.  Sie konnte nicht so recht verstehen, wieso ich ihr davon nichts erzählt habe. Ich kam mir wieder so blöd vor, weil es mir teilweise gereicht hat, einfach nur ihre Nähe zu spüren, kürzeres Schweigen habe ich nicht als beklemmend empfunden. Am Sonntag fährt sie mit dem Zug weg und läßt sich und ihr Gepäck von einer Freundin zum Bahnhof bringen. Ich war mir einen Moment lang unsicher, ob ich sie fragen sollte, wie es denn wäre, wenn ich sie verabschieden würde, tat es schließlich doch. Sie meinte, daß das ein bißchen blöd wäre, da sie ja von ihrer Freundin hingebracht wird. Gegen Ende des Telefonats habe ich sie gefragt, was sie denn jetzt über uns denke, Ich weiß nicht. Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht war die Antwort. Obwohl ich an die 80 Minuten mit ihr gesprochen habe, hätte ich wohl noch ewig weitertelefonieren können. Am Nachmittag arbeitet sie. Gegen 21 Uhr werde ich sie nochmal anrufen, das habe ich mit ihr ausgemacht. Praktisch minütlich wechseln meine Gefühle zwischen Verzweiflung und Zuversicht. Schreckliche Tage sind das.
Es ist 17 Uhr und ich fühle mich grässlich. Ich höre Blues-Musik. Draußen ist es duster, Regen fällt. Die Wohnung ist verlassen, der Rest der Familie ist verreist. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren bin ich den Tränen nahe. (geweint habe ich aber nicht) Ich fühle mich entsetzlich allein. Jerry Lee Lewis - Mean Woman Blues, wie passend. Mein Schmerz ist gleichbleibend und heftig. Ich weiß nichts mit mir anzufangen, lesen, fernsehen, Videoschnitt, essen, all das erscheint mir so vollkommen sinnlos und unangebracht. Ich friere und habe mich in eine Decke eingehüllt. Die Decke, auf der sie so oft mit mir saß. Wenn ich mich konzentriere, kann ich den zarten Schauma-Geruch an den Rändern der Decke erfassen, der so charakteristisch für sie ist. Für ihr Haar. Das durch meine Hände glitt. Das tut weh. Erst wenn man verliert, weiß man, was man besessen hat. Man wird still. Man stützt den Kopf auf die rechte Hand, starrt minutenlang ohne sich zu bewegen auf die braunen Ziegel des gegenüberliegenden Daches, die im Regen ein wenig glänzen, so wie die eigenen Augen. Sie ist der Grund, warum ich lebe. Bevor ich sie kennenlernte, habe ich nur existiert. sagte Johnny Depp einmal. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so schrecklich gefühlt. Gegen diese Gefühle kann man mit Rationalität nicht ankämpfen, so sehr man es auch versucht, es ist unmöglich. Ich möchte sie umarmen, meine Hand auf der ihren spüren, ihr sagen, wie unendlich viel sie mir bedeutet, jetzt sofort. 164 eMails hat sie mir bisher geschrieben. Allein das Starten des eMail-Programms tut mir in der Seele weh.
Ich träumte, sie säße auf meinem Bett und hätte wieder zu mir gefunden, wir küssten uns. Als ich aufsah, war sie *beep* und hatte sich in ein anderes Mädchen aus meinem Jahrgang verwandelt, mit dem ich nie etwas zu tun hatte. Mein Blut geriet in Wallung, ich begann sie zu befummeln und bin nach den ersten Berührungen aufgewacht.
Am darauffolgenden Tag, Freitag dem 05. Juli, haben wir nocheinmal weit über eine Stunde miteinander telefoniert, so gegen 11 Uhr vormittags. Sie hat mir multiple choice-Fragen aus einem Psychologiebuch gestellt, ich habe zu erklären versucht, daß ich bei der Umarmung bei ihr im Türrahmen doch auch von ihr noch etwas Emotionales habe ausgehen spüren. Ihre Freundin hat ihr empfohlen, mich sitzen zu lassen. Eva sagt, sie habe sich den Umarmungen und Küssen am Montag nur hingegeben und mir die Übernachtung überhaupt nur erlaubt, damit sie ihren Sinneswandel nicht verbal und direkt vorbringen müsse. Die eMail sei ihr sehr ernst gewesen, sie denke weniger über die Beziehung nach als vielmehr über die Angst vor ihrer eigenen Konsequenz, sie wisse ja, daß ich kein Roboter sei. Daß sie mir ihre Gedanken an den anderen nicht sofort erzählt hat, läge daran, daß sie mich nicht habe verletzen wollen. Bis sie morgen wegen der CDs vorbeikommt, werden wir nicht mehr miteinander telefonieren. Meine einzige, verzweifelte Hoffnung besteht darin, daß sie mich in den Zeit, in der sie mich nicht sehen wird, vielleicht doch vermisst. Sie hat nicht direkt gesagt, daß sie nichts mehr für mich empfindet, aber davon ist auszugehen.
Vor dem Telefonat war ich auf der Post und Einkaufen. Ich bin zu Fuss gegangen und habe Strokes gehört, obwohl Fahrrad fahren praktischer gewesen wäre. Ich konnte nicht aufrecht gehen, schlich so gebückt und mit gesenktem Blick dahin. Es ging mir sehr schlecht. Jetzt, nach dem Telefonat habe ich mir aus dem Netz die  zu meiner Situation passendsten Liebesgedichte von Heine herausgesucht und Rio Reiser - Junimond heruntergeladen. Ich habe eine Tiefkühlpizza gegessen. Ich habe Eis gekauft, genau das Eis, das sie bei mir immer gegessen hat, ich könnte mich selbst dafür ohrfeigen. Trotz allem fühle ich mich irgendwie erleichtert, der schlimmste Schmerz ist abgeklungen, eine tiefe, emotionslose Leere macht sich breit. Es scheint die Sonne, zum ersten Mal seit Tagen sehe ich wieder Licht am Ende des Tunnels. Rio Reiser bereitet mir eine Gänsehaut.
Ich habe ihr letzte Woche noch eine CD mit den Cardigans gebrannt. Die CD hatten wir in den zärtlichen Momenten gehört. Ich versprach ihr, ein schönes CD-Case zu basteln und dieses bei einem der nächsten Besuche nachzureichen. Ich denke, es wäre unangebracht, sich noch darum zu kümmern. Meine Argumentation, unser Glück nicht einer momentanen Stimmung zu opfern, sprach sie nicht an. Vielleicht habe ich mir diese Argumentation auch nur eingeredet. Ich meine, ich habe daran geglaubt, aber sie vielleicht nicht.
Ich habe eine wissenschaftliche Seite über Liebeskummer besucht, darin stand, daß der schlimmste Liebeskummer entweder beim Verlassenwerden oder bei der ersten grossen Liebe auftritt. Oh, wie perfekt. Es hielt mich am Nachmittag nicht mehr in der Wohnung, ich musste einfach raus. Ich ging in den Park, setzte mich auf eine Bank und stellte fest, daß ich das Buch The Bell Jar vergessen hatte. In der Ferne sah ich das Kino aufblitzen, es ging mir wieder durch den Kopf, wie sie dort die breite Treppe hinaufstieg. Stumpfsinnig saß ich auf der Parkbank und starrte Löcher in die Bäume. Strokes und Nirvana ließen mich herrlich in meiner Pein versinken. Eher unbewusst scannte ich alle weiblichen Personen ab, die an mir vorbeigingen, einige sahen gut aus und wären sozusagen in Frage gekommen; heute könnte mich Claudia Schiffer anflirten und es wäre mir egal. Während ich auf dieser Parkbank saß hatte ich noch eine schwer einzuordnende Empfindung. Durch all den Schmerz hindurch hatte ich eine Eingebung, ich wußte, daß ich wahrscheinlich nie wieder so intensiv fühlen würde wie heute, bei meinem ersten handfesten Liebeskummer, und ich jeden noch so brennend-stechenden Moment auskosten müsste, nicht aus masochistischen Motiven, sondern um zu reifen und diesen Momenten eine Art Sinn zu geben. Eine Frau mit einer Kaufland-Einkaufstüte ging vorbei. Ich bin mir nichteinmal sicher, ob es eine Frau war. Ich starrte nur auf die Tüte. Gegen 17:40 Uhr war ich zuhause und las The Bell Jar am Küchentisch. Esther bekam ihre ersten Elektroschocks und schnitt sich selbst mit Rasierklingen in den Oberschenkel. Zu Beginn meiner Lektüre war ich in den Glauben verfallen, das Schlimmste hinter mir zu haben, doch im weiteren Verlauf des Lesens schüttelte es mich wieder richtig durch. Ich legte das Buch weg, trank einen Schluck Wasser, aß drei oder vier Kekse (mehr aus Pflichtgefühl meinem Körper gegenüber denn aus Appetit), setzte mich an den PC. Ich phantasiere, wie ich Elisabeth anrufen, mich für ihr Kompliment bedanken und sie zu irgendwas einladen könnte. Ich würde sie fragen, was sie so macht, wofür sie sich so interessiert und dementsprechend eine Veranstaltung heraussuchen. In meiner Phantasie sagte sie zu. Und doch würde es mir im Moment nichts bedeuten, das weiß ich ganz genau. Ich besuche eine Kontaktanzeigenseite, beantworte einen Haufen Fragen zu meiner Persönlichkeit, schicke Kurznachrichten an knapp fünfzehn gleichaltrige Damen aus Berlin. Mein Auswahkriterium war der Literaturgeschmack. Eine hatte als Lieblingsautor irgendetwas von Albert Camus angegeben, es kam mir somit nicht ungelegen, Der Fall vor kurzem gelesen zu haben. Ich glaube nicht, daß bei dieser Kontaktanzeigengeschichte etwas herauskommt. Ich verhalte mich haargenau der Psychologieseite entsprechend. Deren Schemata zufolge stürzen sich viele Liebeskranke auf dem Höhepunkt der Verzweiflung in Abenteuer. Mein Verstand sagt mir, ich solle mein Oberstübchen auslüften, ausgehen, neue Leute kennenlernen, mich meinetwegen sinnlos betrinken. Dies ist mir nicht vergönnt, ich habe noch immer leichte Halsschmerzen und eine leichte Bronchitis, die ausheilen muss, wenn ich am Dienstag wieder zum Zivildienst will. Die Straßenbahn, die mich zur S-Bahn bringt, wird exakt dieselbe sein, mit der ich immer zu ihr gefahren bin. Eine teuflische Strafe, jeden Werktag aufs Neue an die zurückliegenden, glücklichen Monate erinnert zu werden. Ich müsste nur drei Stationen weiterfahren und schon wäre ich bei ihr. Jeden Morgen. Morgen werde ich sie vielleicht zum letzten Mal sehen. Ob sie, wenn sie wieder zurück kommt, noch mit mir wird telefonieren wollen ? Wird sie morgen einen beinharten Schlusstrich ziehen oder mir noch ein wenig Hoffnung lassen, daß sich ihre Gefühle vielleicht nocheinmal ändern werden, ändern können ? Ich werde Harald Schmidt ab heute wieder aufnehmen, zur Ablenkung. Die gesamte Woche über habe ich es schlicht und ergreifend vergessen. Wenigstens verbringe ich inzwischen nicht mehr den Grossteil des Tages im Bett. Ich schlafe sehr schlecht, wache laufend auf und komme nicht wirklich zur Ruhe. Es ist 19 Uhr. Ich werde den Rest des Tages fernsehen, eine Kleinigkeit essen, mir die Zähne putzen, lesen und schlafen. Ich existiere nur noch. Es ist 19:50 Uhr. Ich habe das Buch und die CDs, die ich ihr noch schulde, herausgesucht. Ein altes, von mir gestaltetes CD-Case für eine andere CD werde ich ihr noch geben. Es war ursprünglich für eine ganz andere CD gemacht, ich hatte ihr schließlich noch ein weiteres gebastelt. Es tut sehr weh.
Ich habe Harald Schmidt nicht aufgenommen. Mir ist nicht nach Lachen zumute, irgendwie. Beim Abwasch stach mir die Teetasse ins Auge, aus der sie immer getrunken hat, wenn sie bei mir war. Es geht mir etwas besser als gestern, aber schmerzen tut es immer noch. Wie habe ich irgendwo im Internet gelesen ? Die berühmte 2-Monats-Schallgrenze, wenn man über die drüber ist, kann es was längerfristiges werden...


Und das mir... der über Liebeskummer immer nur den Kopf geschüttelt und den Ärzte-Song Teenagerliebe nie so ganz nachvollziehen konnte.

06.07.2002 11:00 • #3




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