Hallo,
ich bin 38 und seit 15 Jahren mit meiner Frau zusammen. Wir haben zwei gemeinsame Töchter (9 und 11) und sind seit 11 Jahren verheiratet.
Beginnend mit der Pubertät bis hin zu der Zeit, bevor ich sie kennengelernt habe, hatte ich immer mal wieder einzelne Erlebnisse mit anderen Männern. Ich wusste also schon sehr früh, dass ich (auch) auf Männer stehe. Als wir nach vier Jahren Beziehung heiraten wollten, erzählte ich ihr davon, war mir aber sicher, dass das kein Problem werden würde. Ich war halt verliebt, und ich sehnte mich auch schon immer nach einer Familie. Vermutlich bin ich deshalb die so langfristige Bindung mit einer Frau eingegangen, weil ich dachte, mit ihr kann man eine Familie gründen und Kinder haben. Das wird schon irgendwie. Ich war geblendet von dem Wunsch nach Familie, und anfangs war ja auch alles prima (sowohl der S., als auch das Zwischenmenschliche).
Heute, gute 10 Jahre später, sieht das Leben nicht mehr so rosig aus. Dass man sich in einer Ehe irgendwann abliebt, das ist vermutlich normal. S. gibt es einmal im Quartal (worüber ich nicht mal besonders traurig bin, dazu später mehr), und im Alltag läuft alles wie in einer eingespielten WG. Natürlich verbringt man hin und wieder auch mal einen schönen Abend zusammen und geht was essen oder so, aber gefühlsmäßig bin ich mittlerweile schon ganz schön abgestumpft.
Warum? Nun, weil es mich seit Jahren nach einem Mann sehne (also keinem bestimmten, es geht ums Geschlecht) - und es wird mit jedem Tag ein bisschen schlimmer. Ich kann dieses Verlangen schon lange nicht mehr unterdrücken. Ich bin bereits seit Jahren bei einiger Community für gleichgeschlechtlich Treffen angemeldet und suche dort immer mal wieder nach Kontakten. Aus hunderten Chats wurden in den letzten Jahren immerhin drei Treffen - wenn auch nur One-Night-Stands.
Ja, ich weiß, ich bin ein A.. Ich hintergehe meine Familie, ich betrüge mich selbst und die Menschen um mich herum. Aber ich muss halt auch sagen: ich bin ein emotionales Wrack. Wenn man so lange seine Gefühle unterdrückt und seiner Frau - nur um den Schein zu wahren - eine halbwegs normale Ehe vorgaukelt, dann zehrt das an den Kräften. Ja, wir reden hin und wieder drüber, aber eher oberflächlich, vom ganzen Ausmaß hat sie keine Ahnung.
Hatte ich anfangs immer gedacht, dass es nur das rein S. wäre, das mich bei Männern reizt (ich hatte früher nie eine Beziehung zu einem Mann), so habe ich inzwischen erkannt, dass ich mich auch emotional zu Männern hingezogen fühle. Aus der Bi-Neigung, die ich mir immer eingeredet habe, ist nun die Erkenntnis geworden: ich bin gleichgeschlechtlich. Daher stört mich auch kaum, dass wir nur selten S. haben. Ich muss mich eh stark konzentrieren und an was anderes denken, um zum Höhepunkt zu kommen. Frauenkörper reizten mich nie besonders, aber inzwischen gar nicht mehr.
Dass ich gleichgeschlechtlich bin, weiß ich auch nicht erst seit gestern. Das weiß ich schon seit ein paar Jahren. Und dennoch habe ich immer wieder Gründe gefunden, warum ich den Schein noch ein bisschen aufrecht erhalten sollte. Bis die Kinder etwas größer sind und es vielleicht besser verstehen, bis das Haus abbezahlt ist, bis .
Doch das Retten von Strohhalm zu Strohhalm macht die Situation nicht besser. Und ein Leben auf Angst, Unzufriedenheit, Unsicherheit und gespielter Freude aufzubauen, das macht mich kaputt.
Ich habe mich letzte Woche mit einem guten Freund darüber unterhalten, der sich letzten Jahr nach über 15 Jahren von seiner Freundin getrennt hat. Er meint, es war sehr sehr schwer, aber im Nachhinein ärgert er sich über jeden Tag, den er die Entscheidung länger rausgezögert hat als nötig. Vier Jahre lang hat er immer wieder - für sich - Gründe gefunden, warum er noch weiter macht. Im Grunde genau wie bei mir. Nur dass er keine Verpflichtungen hatte: keine Ehe, keine Kinder, kein gemeinsames Haus. Das macht die Entscheidung natürlich einfacher.
Bei mir stellen sich immer wieder drei Fragen:
1. was wird aus den Kindern, werden Sie es verstehen und werde ich sie immer noch sehen können. Was, wenn sie weg ziehen will oder es meine Kinder psychisch belastet?
2. was wird aus der Beziehung. Ich hasse meine Frau ja nicht. Ich habe sie immer noch gern. Sie ist immer noch der Mensch, der mich wohl mit am besten kennt (bis auf dieses Thema) und mit dem ich viel durchgemacht habt. Ich liebe sie nur einfach nicht mehr.
3. Was wird finanziell? Wir haben mehrere Kredite auf unserem Haus und Auto, die längst nicht abbezahlt sind. Mir eine eigene Wohnung zu nehmen wäre finanziell belastend genug. Aber was ist mit Unterhalt, eigenen Verpflichtungen usw.? Werde ich womöglich alles verlieren, was ich mir die letzten 15 Jahre aufgebaut habe?
Wie lange kann ich die Beantwortung dieser drei Fragen auf Kosten meiner Psyche vor mir her schieben?
Im Grunde gibt es sogar noch eine vierte Frage:
Ich bin fast 40 und meine besten Jahre sind gewesen. Übermäßig attraktiv war ich nie, dazu kommen nun noch Falten und graue Haare. Was, wenn ich gar niemanden finde, der mein Leben als Mann mit mir teilen möchte? Was, wenn ich dann nicht nur unglücklich, sondern auch noch allein bin? Sollte ich dieses Risiko nicht eher scheuen und bei meiner Familie bleiben?
Soll ich es wirklich wagen? Soll ich meine Frau das ganze Ausmaß erklären, ausziehen (ich könnte für einige Zeit bei einem Freund unterkommen) und meine Familie im Stich lassen, nur aus egoistischen Gründen? Habe ich als Familienvater überhaupt ein Anrecht darauf, Glücklich zu sein, oder wird von mir - wie in den letzten Jahren - erwartet, dass ich mein persönliches Seelenheil dem Familienglück unterordne? Wie viel Schmerz kann ein Mensch ertragen? Und werde ich es ertragen können, ähnlich viel Schmerz zu verursachen?
Bitte entschuldigt, falls das jetzt alles zu viel auf einmal war. Mir geht so viel durch den Kopf und ich finde keine Antworten. Es klingt alles so furchtbar endgültig und endgültig furchtbar.
12.04.2019 03:02 •
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