So, Henry hat sich erleichtert. Bis zum längeren Spaziergang muss er sich noch gedulden, der arme Hund. Aber er kennt mich inzwischen und da er selbst in langsam in die Jahre kommt, wird er geduldiger.
Also Pavel kam Anfang der 80er Jahre als junger Mann aus Danzig nach Deutschland. Nach 2 Jahren war er beruflich bereits gefestigt und holte seine Familie nach. Er war gelernter Dachdecker und war fleißig und zuverlässig. So dauerte es nicht lange, bis er sich weiterbilden durfte und seinen Meisterbrief bekam. Seine Frau allerdings konnte in Deutschland nie richtig Fuß fassen. Sie hatte unglaubliches Heimweh und fuhr oft nach Hause, wie er mir erzählte. Sie haben in Danzig ihr Haus nie aufgegeben und so blieb sie immer öfter und immer länger dort. Die Kinder allerdings gingen in Deutschland zur Schule. Er kümmerte sich rührend um sie und zog sie mit Hilfe seiner Schwester, die ebenfalls nach Deutschland übersiedelt war, fast alleine groß. Irgendwann entschieden er und seine Frau, daß eine Scheidung unausweichlich sei und trennten sich einvernehmlich. Ähnlich wie mein Noch-Mann und ich haben sie aber bis heute eine freundschaftliche Beziehung und sind füreinander da.
Er machte sich selbstständig und baute hier seine eigene Firma auf. Seine Kinder machten das Abitur und stiegen mit in den väterlichen Betrieb ein. Bis heute verbindet ihn und seinen Sohn eine sehr innige Beziehung. Der Tod seiner Tochter muss ihn sehr hart getroffen haben. Gut, daß in dieser Zeit auch seine Frau für ihn und die Kinder da war.
Nun gut, Pavel ist ein sehr attraktiver und wohlhabender Mann und so war es nicht weiter überraschend, daß er eine sehr viel jüngere Frau kennen lernte und natürlich ist es verständlich, daß er sich in sie verliebte. Rein optisch spielte sie in einer anderen Liga als ich. Das war mir sofort klar. Er aber leugnete diese Tatsache bis zum Schluss. Dieser höfliche und galante Mann wollte mich schonen und nicht verletzen. Doch ich bin nicht blind und nicht dumm. Und ich weiß, wie Männer ticken. Ich habe selbst viele Jahre durch meine optische Attraktivität viele Chancen gehabt. Ich bin immernoch für mein Alter recht ansehnlich aber natürlich konnte ich mit Ende 50 nicht mehr mit einer 40 jährigen mit halten. Ich sage das ohne Verbitterung. Es ist einfach ein Fakt, daß bei Männern die körperliche Attraktivität einer Frau nicht ganz unwesentlich deren Gefühle beeinflusst. Kein Wunder also, daß ich für ihn nie mehr als eine liebe Freundin war.
Seine Freundin, Nathalia aber war seine große Liebe. Das sah ich in seinen Augen, wenn er von ihr sprach. Und daher auch seine große Wut und Verzweiflung, als sie ihn verließ. Ihre Beziehung war wohl nicht ganz einfach, denn die Dame war anspruchsvoll und kapriziös. Wegen unserer Briefe machte sie ihm noch lange Vorwürfe und sie kontrollierte ihn, wann immer es ihr geboten schien. Dieser freiheitsliebende, unabhängige Mann wurde zu ihrem Schoßhündchen. Alles das fand ich im letzten Jahr heraus, denn wir nahmen unsere Schreiberei wieder auf. Jetzt in Form von Nachrichten über einen modernen Messengerdienst.
Nachdem seine Wut verraucht war, wollte er mich wieder sehen. Doch ich blieb vorsichtig. Ich hatte in den 1,5 Jahren der Kontaktsperre sehr gelitten und wollte das nicht noch einmal erleben. Auch ließ er keine Zweifel daran, daß sich seine Gefühle für mich nicht geändert hätten. Er wollte einfach da wieder anknüpfen, wo wir aufgehört hatten. Wie gerne hätte ich seinen Bitten nachgegeben, doch meine innere Stimme warnte mich. Also blieb es beim Schreiben... und ja, ich gebe es zu... es kam auch wieder zu sehr anregenden Gesprächen. Peinlich in meinem Alter aber ich bin eben - wie gesagt - kein Kind von Traurigkeit.
Einige Monate später ließ sein Interesse wieder nach. Ihm wurde wohl klar, daß ich diesmal hart bleiben würde und ihn nicht noch einmal in mein Bett lassen würde. Doch unsere Briefe waren so offen und so ehrlich, wie nie zuvor. Schrieb er mir, so war ich fröhlich und vergnügt. Schrieb er nicht, so kostete es mich sehr viel Mühe, den Tag zu überstehen.
So ging es bis zum Juni diesen Jahres. Plötzlich riss der Kontakt ab. Noch einmal hatte er ein aktuelles Profilbild eingestellt, daß ihn an einem festlich gedeckten Tisch zeigte. Ich wollte ihn noch fragen, zu welchem Anlass es aufgenommen worden war aber da er nicht mehr online ging, nahm ich an, daß er verreist sei. Ich wartete Woche um Woche. Mit der Zeit wuchs meine Unruhe, denn ich wusste, daß er inzwischen gesundheitliche Probleme hatte. Als nach 4 Wochen immernoch kein Lebenszeichen von ihm kam, fuhr ich zu seinem Haus. Fast hätte ich dort angeschellt, als seine Tür aufging und er mit einer jungen Frau an der Hand das Haus verließ. Wie vor den Kopf geschlagen, sprang ich noch schnell in mein Auto und versteckte mich. Lachend ging er mit ihr vorüber und ich sah den beiden nach.
Meine innere Stimme hatte mich also nicht getäuscht. Er war wieder glücklich liiert mit einer neuen Frau in seinem Leben. Davon hatte er mir nichts erzählt, doch ich spürte anhand seiner knapper werdenden Briefe und des leicht gereizten Untertons, daß seine Stimmung sich wieder gewandelt hatte. Ich - seine allerbeste, liebste Freundin - wie er mich manchmal nannte hatte sein Herz wieder nicht gewinnen können.
Dennoch freut es mich, zu wissen, daß er glücklich ist. Ich hoffe, diesmal ist es eine Frau, die bis zum Ende seines Lebens an seiner Seite bleibt. Ich allerdings werde ihn nicht mehr kontaktieren. Er war meine große Liebe. Nie habe ich für einen Mann tiefere Gefühle gehabt. Nie fühlte ich mich einem Menschen so nahe und nie hat mich ein Mann so sehr erfüllt und erregt, wie er. Ich bin dankbar für die Zeit mit ihm. Dankbar für jede kostbare Minute, die ich mit ihm verbracht habe. Und doch weiß ich, daß nie wieder ein Mann mein Herz so sehr berühren wird. Ich bin nun Anfang 60. Ich habe noch einige schöne Jahre vor mir, wenn Gott will. Ich habe ein gutes Leben und ich habe sehr viel Liebe bekommen und noch mehr Liebe gegeben. Nun bin ich müde! Meine restlichen Jahre werde ich zufrieden und erfüllt alleine verbringen. Nein, ich bin ja nicht alleine. Henry, der gute, ist bei mir. Und sollte er gehen, werde ich noch einmal einen älteren Hund aufnehmen. Ich werde meinen Hobbys nachgehen und meine Freundschaften pflegen. Es wird ein gutes und erfülltes Leben sein.
Meine große Liebe aber warst du, Pavel. Deinen Namen und einige Details habe ich geändert, um deine Identiät zu schützen. Du bist ein wunderbarer Mann. Der beste, der mir je begegnet ist. Aber du bist eben ein Mann. Ich konnte nicht erwarten, daß du bei mir bleibst. Aber eine Zeit lang durfte ich davon träumen. Dafür danke ich dir von Herzen!
Deine Krolewna Sniezka