Junge, Kopf hoch. Lass dich nicht so gehen. Muss ja nicht jeder sehen, wie es dir geht.
Das sind die gutgemeinten Ratschläge meines Vaters.
Eventuell begleitet von einem aufmunternden Klaps auf den Rücken.
Solche Menschen vermute ich mittlerweile haben noch nie vom Kelch der Liebe mehr als nur genippt, mit spitzen Lippen. Geschweige denn hemmungslos sich daran besoffen, und zwar aus Angst, der Trunk könnte giftig sein.
Dieses Gefühl welches einen umfasst, wenn man heißhungrig trinkt, Zug um Zug um Zug, wenn man sich rettungslos besäuft an der Liebe, ist doch der größte Beweis dass meine Existenz tatsächlich wahrhaftig ist.
Und dazu gehört auch der dunkle Zwillingsbruder, der Liebestod. Bei mir kam er ganz plötzlich, unerwartet. Er streckte mich mit einem Schuss aus dem Hinterhalt darnieder. Vor drei Wochen, und seitdem krieche ich weinend, schwerverwundet durch die Tage.
Unschuldig war ich nicht. Ich habe zunehmend gelogen, aus Bequemlichkeit und ohne ihr wirklich damit schaden zu wollen. Als ADSler, der seine Diagnose, die sein zerfetztes Leben im Groben erklärbar machte, erst mit 34 erfuhr, gehört das Lügen hier und da zum ganz normalen Repertoire.
Doch ich tat nichts gegen meine Krankheit. Ruhte mich aus, es war mir zu stressig, mich intensiv damit zu beschäftigen. Hatte anderes zu tun.
Denn just zum Zeitpunkt der Diagnose trat mein Engel von seiner Wolke herab in mein Leben.
Liebe kannte ich natürlich schon vorher. Ich war zwar Spätstarter was die Frauen angeht, tat mich mit diesen begehrenswerten und dadurch irgendwie auch gefährlich erscheinenden Wesen schwer. Doch hatte ich Beziehungen, hatte ich Glücksgefühle, hatte ich eine Ehe - schnell gescheitert, wie so ziemlich alles, was Langatmigkeit verlangt.
Aber das war alles nur ein müdes, klägliches Flattern der Gefühle. Es waren milde Luftaufwirbelungen an einem ruhigen Tage. Gegen das, wurde hier mein Herz einem sofortigen Chaos an wildesten Empfindungen, einem Tsunami gleich gepackt, als mein erster Blick dieses Mädchen traf.
In die Kiste der Liebe packen wir also alles rein? Den flachsten, banalsten Flirt, als auch den alles umblasenden Gefühlshurrikane. Nein. Alles vorher waren Trockenübungen für diesen Moment.
Und dieses traumhafte Wesen machte mir Avancen! Mir, der ich mir so verkommen, wie Ramschware vorkam, ein Nichts im Vergleich zu ihr, an Geld, Erfolg, Ausstrahlung, Selbstbewusstsein, Charme.
Ich streichelte ihre Füße auf der Sonnenwiese, und wusch meine Hände erstmal ein paar Stunden nicht, bis auch die letzte Ahnung ihres Dufts verflogen war.
Sie fixierte meine Augen quer über einen Tisch hinweg feixend. Und mir entglitten die Gesichtsmuskel vor Überraschung. Ich deutete immer wieder auf mich selbst. Du kannst doch nicht mich meinen. Sieh mich doch an, also?
Nun, sicher war sie nicht. Nicht auf meine Art. Mein Schatz hat mir erst nach vielen, vielen Wochen bestätigt, dass auch sie mich liebte. Da waren wir schon längst ein Paar. Und ich war schon bei ihr eingezogen. Als sie mich fragte, ob ich nicht bei ihr wohnen wolle das lausige Loch, worin ich damals gerade lebte, mit meinen paar Habseligkeiten in einer Blitzaktion verlassend.
Nun begann unsere schönste, unproblematischste Zeit. Ich entschloss mich, mit ihrer Rückendeckung, das Abendgymnasium zu besuchen.
Als ADSler war die Schulzeit eine Kette elender Demütigungen für mich. Mehrmals blieb ich sitzen, fühlte mich dumm und zunehmend aussätzig, denn mein Freundeskreis schrumpfte rasch auf Null, und jeder hielt mich, wenn ich doch ab und zu über den Schulhof strich um schweren Herzens dem Unterricht beizuwohnen für mickrig und nichtig. Ich weiß, das dachte vor allem ich am allerlautesten über mich. So laut, dass ich die anderen Stimmen garnicht mehr wahrnehmen konnte.
Meine soziale Desintegration war zur Oberstufenzeit schon voll ausgereift.
Ich schmiss die Schule, schmiss konsequent jede Arbeit nach kürzester Zeit, hatte keinerlei Freunde mehr.
Wenn das Gefühl, dass ich den Wohnort durch meine Person zu sehr kontaminiert hatte, flüchtete ich in die nächste Stadt, in die Anonymität, die jedoch bald auch nicht mehr lange Deckung geben konnte.
So kamen bis auf den heutigen Tag weit über 30 Wohnortwechsel zustande.
Was war los mit mir? Ich war zutiefst unglücklich, suizidierte auch in meiner Phantasie vor mich hin, ohne dass die spontanen, planlosen Versuche in der Realität von Erfolg gekrönt gewesen wären.
Natürlich suchte ich in Dro. zuflucht. Nicht zu harte, nicht regelmäßig all die Jahre hindurch, aber doch phasenweise in beängstigender Intensität - Gras, Speed. Nur die zwei, niemals Alk oder andere Sachen.
Freilich, zu Rauchen hatte ich dafür schon mit 12 begonnen.
Die ehrenwerten Dotores der psychologischen Zunft überstülpten mir jede Menge Diagnosen, die allesamt schrott waren.
Denn bei meinem letzten Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik hatte meine Krankheit endlich einen Namen, ADS. Es war wie Schuppen die von den Augen flogen. Das war es, das erklärte alles. Bei intensiven Testungen sprach alles dafür.
Es war dies die Zeitenwende meines Lebens, erlöst von jahrzehntelangem Totalversagen, erstmals so glücklich und frei. Kein Wunder also, dass mein Schatz gerade jetzt in mein Leben treten konnte. Früher wäre ich ihr aus dem Wege gegangen, hätte mich vor ihrer Ausstrahlung und ihrer Schönheit zu verstecken versucht.
Ich legte ein irrsinnig gutes Abi nach zwei Jahren hin. Zwei Jahre mit ihr an meiner Seite, mit reihenweise Bestnoten. Bestätigung, die ich früher irgendwo in einer Muschel am Grunde des Meeres vermutet hätte, hier bekam ich sie pausenlos eingeschenkt. Bestes Abi der Schule, der schwarze Rattenschwanz meines bisherigen Daseins war abgezwackt, vor mir entfaltete sich das Panorama eines nicht mehr für möglich gehaltenen Lebens mittendrin, statt nur am Rande.
Nun also Uni, mit 36, was spielt das bei mir schon für eine Rolle. Und mein Schatz ließ mir freie Hand in meinen Entscheidungen. Sie arbeitete seit 10 Jahren bei derselben Firma und verdiente ordentlich Asche, während ich mit BaföG und Nebenjob auf kaum 1000€ kam. Aber es sollte ja eine Zukunftsinvestition sein.
Ich sprach schon an, dass ich mich auf meine DIagnose auszuruhen begann. Eine Therapie, bei der ausgewiesenermaßen größten Koriphäe im Erwachsenen-ADHS, ließ ich...schleifen.
Das JuraStudium...ich ließ es schleifen.
Ich wechselte die Fachrichtung: Geschichte und Philosophie...ich ließ es schleifen.
Vor also jetzt 3 Semestern war ich wieder auf dem absteigenden Ast. Und meine Lügen begannen, indem ich diese Probleme nicht ansprach.
Innerlich rechtfertigte ich mich (nächstes Semester legste dafür richtig los, und außerdem bringste weiterhin nen tausender monatlich rein.)
Wir hatte schwere Krisenerscheinungen, und impulsiv, wie ich bin, wollte ich ein, zwei Mal schon die Flinte ins Korn werfen.
Aber wir zwei, wir hatten auch eine lustvoll-harmonische Beziehung.
Wir ergänzten einander prima. Denn ich las ihr Schwächemomente an der Nasenspitze ab, und umsorgte sie, wenn sie wieder mal völlig erledigt war, bekochte uns, veruchte mich mit mäßigen Erfolgen als Hausmann, ging Einkaufen und liebte sie einfach abgöttisch.
Vor Weihnachte, also 2 Wochen vor unserem Ende, hatten wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub in den Bergen. Es war unglaublich schön, intensiv, intim.
Am 7. Januar gestand ich meine größte Lüge, als sie freudestrahlend etwas früher von der Arbeit kam. Ich war nicht in der Uni (da ging ich seit einem halben Jahr garnicht mehr hin), und sie fand Gras auf dem Sofa.
Ich gestand beides, auch dass ich seit 2 Monaten sehr viel gek. hatte.
Sie wies mich aus ihrer Wohnung.
Ich habs verbockt Leute, meine Liebste ist so erschüttert, dass sie die Beziehung beendete.
Nun kriech ich seit drei Wochen umher, voller Pein und Heulkrämpfen.
Ich mache so komische Sachen jetzt... Beispielsweise drücke ich mir meine Zig. am Arm aus, wenn ich an sie denken muss, oder ich sie sehe (was oft vorkommt, denn man kann ihr vom Bahnhof aus durch die Glasfront ihrer Arbeitsstelle arbeiten sehen.
Wir haben uns zweimal gesehen in der Zeit. Einmal dabei sogar tanzen gewesen. Romantisch, eng umschlungen.
Sie sprach davon, dass wir in einem Jahr sogar heiraten könnten und ein Kind großziehen.
Wenn ich mich geändert hätte, wenn ich mein leben wieder in den griff bekäme.
Aber ich merke dass es aus ist bei ihr. Sie ist willensstärker, konsequenter als ich. Und wahrscheinlich hat sie wohl doch nur genippt am Kelch der Liebe.
Während ich jetzt an einer vergiftung zugrunde gehe.
Ich kann nicht mehr schlafen. Ich weine andauernd und voller Verzweiflung. Mein Arm richt nun schon brandig.
Ich kann ohne sie nicht leben. Die Eifersucht gibt mir den Rest. Sie versprach zwar erst dann etwas mit einem neuen M'ann anzufangen, wenn es mit uns endgültig auch für zukünftige Optionen aus ist.
Aber ich kann ihr dahingehend trauen. Oder nicht? und wollte ich es wissen?
Die Geschichte ist langatmig. Aber ich habe seit 2,5 Tagen nicht mehr geschlafen, kaum gegessen.
Und dies ist schließlich meine Geschichte.
Vielleicht mein Testament.
Ich will und kann so nicht mehr leben.
Liebe Grüße
Mark
01.02.2015 03:07 •
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