Liebe Berlinerin91,
ich glaube, es ist ganz gut dass du hierher gefunden hast, um dir ein bisschen den Rücken stärken zu lassen. Du liest dich wie jemand der sich selbst durchaus gut reflektieren und an sich arbeiten kann - was bedeutet, dass du noch sehr viel für dich selbst erreichen kannst, um dich so aufzustellen, dass du anfängst Gutes und Schönes in dein Leben zu ziehen. Auch im Hinblick auf Beziehungen.
Einige hier haben dir schon sehr wertvolle Gedanken mit auf den Weg gegeben. Ich empfehle dir, diese Beiträge ruhig mehrmals zu lesen und sacken zu lassen, vielleicht auch mit deiner Therapeutin zu besprechen.
Eltern und Freunde sind wichtige Begleiter in der Not, aber in Beziehungsfragen manchmal nicht die besten Ratgeber, weil sie einem einfach zu nahe stehen. Da sind Einschätzungen von mehr oder weniger neutralen Fremden manchmal tatsächlich hilfreicher.
Was mir auffiel beim Lesen deiner Geschichte ist, dass du mehrfach wichtige Warnhinweise (sogenannte rote Flaggen) übergangen hast, obwohl du sie durchaus bemerkt hast:
Zitat von Berlinerin91:Dieser Mann war sehr engagiert und machte einen seriösen Eindruck auf mich, wobei dieser sich nach dem ersten Treffen (Mai 2017) geändert hat. Ich hatte das Gefühl, dass er zu sehr an mir interessiert war, obwohl dieses Treffen recht kurz ausgefallen ist, weil er es in der Nacht erzwungen hat (...) und ich abgelehnt habe, ihn mit zu mir zu nehmen.
Dein zunächst guter Eindruck hatte sich beim ersten Treffen geändert, er hat sich ein Treffen erzwungen. Da hab ich gestutzt: Wer versucht mich zu einem Treffen zu nötigen, den treffe ich garantiert nicht. Wenn man dich dazu zwingen kann, stimmt etwas Wichtiges nicht mit deinen Grenzen oder deiner Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Diese Baustelle zieht sich wie ein roter Faden durch deine weitere Geschichte:
Zitat von Berlinerin91:Eigentlich wollte ich das abhaken, weil er mir zu anhänglich wurde, (...), aber zum zweiten Treffen sollte es erst viele Monate später kommen
... weil er eine andere hatte und auf dich zurückgriff, als es mit der nicht klappte. Liebe Berlinerin91, es ist nie eine gute Idee, sich selbst zu einer zweiten Wahl zu machen. Besser wäre es gewesen, bei deiner ursprünglichen Entscheidung zu bleiben, die ja auch einen guten Grund hatte: er war dir zu anhänglich, und dir kam das zu recht merkwürdig vor.
Zitat von Berlinerin91:... relativ spät am Abend bei ihm war, meine Übernachtung dort erzwingen musste und er mich am nächsten Morgen mehr oder weniger rausschmiss, weil er im Home-Office arbeiten musste. Danach ging es mir unglaublich schlecht
Erneut haben deine Systeme nach dieser schlechten Erfahrung Alarm geschlagen. Offensichtlich funktioniert bei dir also einiges richtig! Die Frage bleibt, warum du selbst nach diesem eindeutigen Erlebnis und deiner erneuten Feststellung, dass diese Verbindung dir nicht gut tut ...
Zitat von Berlinerin91:Ich bestätigte dies und habe ihm offen gesagt, dass ich nach diesem Rausschmiss sehr verletzt war und ich nicht weiß, was er jetzt eigentlich von mir will.
... du dich ihm hier erneut passiv überlässt. Es spielt keine Rolle, was er (noch oder wieder) von dir will. Er hat sich bereits zweimal disqualifiziert, und obwohl du das weißt und spürst, ignorierst du es erneut und gibst dieser Sache erneut die Chance, dich zu verletzen. Warum? Weil er halt nochmal ankommt und du immer noch nicht glauben
willst, dass er auf menschlicher Ebene nichts taugt.
Jemand hier schrieb, dass dein Bericht Elemente von Selbstverletztendem Verhalten zeige, und das sehe ich definitiv genauso. Als ich das Folgende las, wollte ich dich am liebsten in den Arm nehmen und dir das gefährliche Werkzeug aus der Hand nehmen:
Zitat von Berlinerin91:wir hatten eine schöne Nacht, in der er mir das Gefühl gab für mich da zu sein, weil wir offen über alles sprachen und ich mich überwunden habe ihm zu sagen, dass ich eine sehr selbstzerstörerische Beziehung hinter mir habe und sich daraus starke Selbstzweifel entwickelt haben.
Liebe Berlinerin91, ich persönlich denke, dies ist ein häufiger, aber auch oft fataler Denkfehler von Frauen, vor allem von jungen Frauen (ich hab das auch hinter mir). Du denkst, mit so einer Offenbarung geht einher, dass das Gegenüber besonders rücksichtsvoll sein wird. Aber das stimmt nicht. Das Verhalten deines Gegenübers steht und fällt mit dessen Gefühlen für dich, nicht mit dem Wissen über deine Verletzbarkeit. Im Gegenteil - für die meisten Männer dürfte es eher eine Bürde sein, mit so einer Verletzbarkeit konfrontiert zu werden, es kann abschrecken und Druck ausüben. Im schlimmsten Fall gerätst du an jemanden, der dieses Wissen gezielt gegen dich anwendet.
In keinem Fall aber ist es eine gute Idee, im Rahmen eines Kennenlernens einem Menschen, den man noch nicht gut kennt, auf so eine Weise eine viel zu große Verantwortung für das eigene Wohlergehen aufzuerlegen. Da hattest du schlichtweg zu große Erwartungen an ihn, die zudem, wie du eigentlich aus eurer Vorgeschichte hättest wissen können, kaum Aussicht auf Erfüllung hatten.
Zitat von Berlinerin91:Ich war völlig fertig und konnte das nicht begreifen, weil er mir während der Treffen das Gefühl einer Verbundenheit gab. Es sah so aus, als wäre er regelrecht vor mir geflüchtet, was ich als Bindungsangst interpretierte.
Und prompt bekommst du die schmerzhafte Quittung. Nein, dieser Mann ist wahrscheinlich nicht bindungsängstlich. Er wollte sich schlichtweg nicht an dich binden. Monatelange Sendepause, dann mal wieder ranpirschen, späte spontane Treffen - so verhält sich kein Mann, der sich verliebt hat und eine Beziehung zu seiner Herzdame aufbauen möchte. Er hat einfach nicht genug Gefühle für dich. Und du ja, wenn du mal ehrlich bist, eigentlich auch nicht für ihn. Es ging dir, so liest du dich zumindest, mehr um die Chance auf eine Beziehung als um die tatsächliche Person, die du eigentlich kaum kanntest, wie du hier sehr schön formulierst:
Zitat von Berlinerin91:Im Grunde passt dieser Mensch also überhaupt nicht zu mir. Ich war geblendet von seinen wenigen, liebevollen Gesten und sehne mich nach Nähe, Anerkennung, wie jeder Mensch.
Liebe Berlinerin91, ich denke dieser Mann hatte von Anfang an nur se*uelles Interesse an dir. Das hat er auch sehr deutlich gezeigt, durch sein von dir hier beschriebenes Handeln. Du hast das auch gemerkt, aber nicht auf deine Wahrnehmung gehört sondern deine eigenen Warnsignale konsequent und mehrfach ignoriert. Du hast dich aufgrund deiner Sehnsucht nach Liebe einem unpassenden Partner überlassen, ihm noch die ungeschützte Kehle gezeigt (dich ihm als schwach offenbart und unterworfen) und kaust jetzt daran, dass er dich so behandelt hat, wie er es tat, weil er es mit dir tun konnte.
Das klingt bestimmt gerade sehr hart für dich, aber bitte sei versichert, dass ich nur versuchen möchte dir aufzuzeigen welche Dynamiken ich da zu sehen glaube und ich denke, dass es dir wirklich helfen wird, wenn du sie dir auch anschaust. Auf keinen Fall möchte ich dich verletzen oder dir irgendeine Schuld suggerieren, aber wenn man aus solchen Mustern nicht ausbricht, wiederholen sie sich immer wieder, daher ist es so wichtig sie zu erkennen.
Weiters: Ich habe den Eindruck, dass du bisher noch nicht gelernt hast worauf man bei einem Menschen achten sollte, wenn man ihn als potentiellen Partner in Betracht zieht. Woher sollst du das auch wissen, wenn du bisher nur ungeglückte Beziehungen hattest - und den Unterschied nicht aus eigenem Erleben kennst?
Mein Rat wäre daher, neben der dir bereits empfohlenen Arbeit am Selbst, dich ganz grundlegend mit dem Thema Männer und Frauen zu befassen - lies ein paar Dating-Ratgeber, schau dir die Coaches auf YouTube an, lies in den Strängen hier über die Regeln der Anziehung und lerne, das Verhalten der Männer besser zu deuten und vor allem, es stets mit deinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen abzugleichen. Im Grunde musst du lernen, geeignete von ungeeigneten potentiellen Partnern zu unterscheiden. Dazu musst du dich vor allem mit deinen Wünschen und Bedürfnissen auseinander setzen. Wie soll dein idealer Partner sein? Was zeichnet ihn aus? Welche Eigenschaften sind unverzichtbar für dich, welche eher zweitrangig? Welche sind Ausschlusskriterien, welche tolerabel? Mach dir ruhig mal eine Liste - so lernst du auch sehr viel über dich selbst.
Hier wurde dir geraten, erstmal Abstand von der Partnersuche zu nehmen um dich selbst zu finden. Ich halte das für einen guten Rat, aber falls du dennoch weiter daten möchtest, solltest du das vielleicht mit einem anderen Ziel tun: nämlich nicht, so schnell wie möglich den Nächsten zu finden, sondern so viel wie möglich über Männer zu lernen und vor allem auch, über deinen eigenen Umgang mit ihnen. Triff viele, ohne Absichten, probiere dich aus, mach deine Erfahrungen. Lerne, deine Grenzen zu erkennen und sie bewusst abzustecken.
Zitat von Berlinerin91:Es hat sich wie eine erneute Ablehnung angefühlt und Bestätigung, dass ich es nie schaffen werde, eine Partnerschaft einzugehen.
Liebe Berlinerin91, lass dir von einer alten Schachtel sagen, dass du noch jung bist und viel Schönes auf dich wartet. Leben ist Lernen und eines Tages schaust du zurück auf alte schlechte Erfahrungen und bist dankbar für die wertvollen Lektionen die sie dir gebracht haben, weil sie dir bessere neue Erfahrungen ermöglicht haben.