Hallo in die Runde!
Ich erlaube mir einmal auf das einzugehen, was Tingeltangel beschrieben hat und was mich doch nachdenklich stimmt.
Dazu werde ich ein Beispiel zu Hilfe ziehen.
Es gab vor einiger Zeit eine zehnteilige Dokumentation auf arte, in der es um die Durchquerung der Nord-West-Passage (ein legendärer Seeweg in arktischen Gewässern) ging. Einer der Protagonisten, ein Norweger glaube ich, erlebte genau das was Du beschreibst. Er hat einen super Job und eine Partnerschaft; lebt also ein Leben, dass wir heute als erfolgreich bezeichnen. Und trotzdem war dieser Mann unglücklich, weil in ihm auch das Gefühl entstand, ach etwas auf der Suche zu sein. Er selbst bezeichnete sein derzeitiges Lebensgefühl als eine Art Depression, aus der er ausbrechen wollte. Und genau an dem Zeitpunkt bekam er das Angebot von einem Freund, mit einem kleinen Segelboot das Abenteuer Nord-West-Passage zu wagen, welches er nach einigem Zögern auch angenommen hat. Gesagt-getan. Und plötzlich befand sich dieser Mann in einer Situation, in der eben nicht alles berechenbar, steuerbar war und alles automatisch funktionierte. Stürme, Eisfelder und er Alltag an Bord lassen sich eben nicht einfach kalkulieren. Er wurde quasi wirklich auf das zurückgeworfen, was ihn als Mensch ausmacht. Und genau an dem Punkt erlebte er seine Katharsis und er begann darüber nachzudenken, wie er in seinem festgefahrenen Leben so funktionierte und eben auch in der Beziehung zu seiner Frau. Es entstand plötzlich das Gefühl der Wertschätzung für das, was wirklich wichtig ist. Materieller Wohlstand, Verantwortung und Karriere rückten in den Hintergrund. Er begann wieder zu fühlen, schrieb Lieder auf der Gitarre, Gedichte in sein Tagebuch und musste seine Rolle im Team auf dem Boot finden. Er war nicht mehr der, der alles kontrollierend im Griff hatte. Das brachte ihn am Ende der beschwerlichen Reise dazu zu sagen, dass er als besserer Mensch zurückkehren wird und auch seine Beziehung anders führen will. Seine Prioritäten hatten sich verschoben.
Ich will mit diesem verdeutlichen, dass dieses Suchen vielleicht gar nichts mit der Partnerschaft zu tun hat, sondern dass es vielleicht um etwas Tieferliegendes geht, was mehr mit einem selbst als mit der Beziehung zu tun hat. Und vielleicht ist es auch gar nicht der Alltag der Liebe, der scheinbar die Luft verliert sondern eher der Alltag, der im Job stattfindet und den wir mit in die Beziehungen schleppen. Ich lese hier ganz oft, dass zum Beispiel Menschen ihre ganze Kraft in die Karriere stecken und dann daheim eben keine mehr für sich und ihr Gegenüber haben. Und wenn ich überlastet, ausgelaugt und mies gelaunt bin, was tue ich? Ich gebe diese innere Unzufriedenheit nach außen ab. So wie ich ein Lächeln weitergebe, wenn ich mich unbeschwert und sonnig fühle.
Und dann kommt es zum nächsten Punkt. Der Partner soll doch bitte dafür sorgen, dass es mir gut geht und ich mich wahrnehme. Dabei könnte es mir viel besser gehen, wenn ich mal meine Lebensweise reflektieren würde und mal darüber nachdenke, was mich wirklich fühlen und mich selbst wahrnehmen lässt. Der Job wird es sicher nicht sein. Dort funktionieren nämlich die meisten mit einer Maske, die ihnen u.U. überhaupt nicht entspricht. In leitender Position z.B. muss man hart und berechnend sein, obwohl man vielleicht als Mensch ganz verletzlich, empathisch und eigentlich spontan ist. Und dieses Doppelleben soll glücklich machen und uns Selbstverwirklichung schenken? Ich weiß nicht... Man entfernt sich doch eher immer weiter von sich selbst bzw. von seinen Gefühlen. Da darf es dann nicht wundern, warum die Depressionen in unserer Gesellschaft zunehmen. Auch von dieser Erkrankung liest man im Forum, gefühlt in jeder zweiten Geschichte. Mir gibt das zu denken.
Mein Eindruck ist, dass viele stetig unter Strom stehen und sie kaum noch zur Ruhe kommen können oder wollen. Immer muss etwas passieren, alles muss aufregend sein, jeder Endorphinausstoß wird geifernd herbeigesehnt. Dass was verlässlich und beständig ist, wird als tödlicher Stillstand begriffen. So oft auch Partnerschaften. Um Gottes Willen keine Routine! Und wenn ich mich selbst nicht spüre, soll der Partner bitte diese Lücke füllen. Wir vergessen dabei, dass es andere Wege und Möglichkeiten gibt, die uns näher an unsere Gefühle bringen können. Das kann ein kreatives Hobby sein, spirituelle Dinge, eine soziale Aufgabe oder etwas Körperliches, dass uns herausfordert. Dort können wir unser Bedürfnis nach dem Gefühl der Schwäche, der Stärke und des Erfolgs viel besser spüren als es uns eine volle Lohntüte am Monatsende jemals vermitteln können wird. Denn Geld ist etwas Unpersönliches, Unemotionales, Unkreatives, auch wenn uns die Welt von heute etwas anderes vermitteln will. Ich schweife etwas ab...
Was ich nur sagen will ist, dass man sein persönliches Gefühl für sich selbst nicht vom Partner abhängig machen sollte. Dann passieren vielleicht auch solche Dinge nicht mehr, wie das Beenden einer Partnerschaft, nachdem die gemeinsamen Kinder flügge geworden sind und plötzlich die Inhalte im Leben fehlen. Man liest ganz oft, dass sich nach so einem Einschnitt die Leute plötzlich anfangen, sich eine sportliche oder kreative Beschäftigung suchen, in der sie sich wieder wahrnehmen. Ich frage mich dann immer, was in der Zeit der Partnerschaft passiert ist und warum man da nicht in der Lage war, ebenso für sich zu sorgen. Haben diese Menschen nur durch den Partner gelebt und sich dabei völlig aus den Augen verloren? Woran liegt das? Hat etwas mit unserem romantischen Ideal der Liebe zu tun oder etwas damit, dass wir emotional nie wirklich auf eigenen Beinen gestanden haben; erwachsen geworden sind?
Es ist viel geworden, so kurz vor dem Jahreswechsel. Aber vielleicht ist das der richtige Zeitpunkt, mal ein paar Gedanken loszuwerden, die mich seit geraumer Zeit begleiten.
Ich wünsche allen einen möglichst guten Rutsch und ein erfolgreiche(re)s 2o15!
31.12.2014 15:54 •
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