mhm versucht meinen Beitrag zu posten, scheint nicht angekommen, hier neuer Versuch
Ach herje, was geht denn hier.
Amy, Liebes, was für eine Situation. Puh, wir atmen mal ne Runde durch und versuchen ein bissl zu sortieren. Mir fallen drei Sachen auf: Deine Wortwahl, das Fehlen von Kontext und schließlich Dein Instinkt.
Wortwahl: Liebes, übergriffig ist, wenn mir auf ner Party ein Typ, dem ich drei mal gesagt hab, ich mag keinen weiteren Drink, einen neuen in die Hand drückt. Übergriffig ist, wenn Schwiegermami ne extra Portion Majoran ins Gulasch haut, an dem ich stundenlang gekocht habe und Majoran da nicht rein soll. Und übergriffig is, wenn der neue Typ beim ersten Betreten Deiner Wohnung Dir ne halbe Stunde lang erklärt, warum man den Geschirrspüler besser anders befüllt.
Für das Verhalten von Ex ist das jetzt nicht der so ganz passende Begriff. Mein Wort wäre aggressiv.
Womit wir beim Fehlen von Kontext wären: Unklar ist, ob Ex denn dann tatsächlich die Kohle aus der Kasse genommen hat. Dazu äußerst Du Dich nicht. Du schreibst von unzähligen Anrufen, was mir noch nicht ganz klar ist, wie Du das handhabst. Bei ein paar hast Du scheinbar den Hörer abgenommen, so verstehe ich das zumindest, daher auch die Kenntnis von der Drohung.
Deine Wortwahl kommt immer wieder auf ein er ist nicht er selbst, er ist nicht Herr der Lage zurück. Ist Alk. das oder ein Problem? Schau, das hier geschilderte ist in der Eskalationsstufe offensichtlich neues Level, dennoch scheinst Du irgendwie Erfahrung mit dem jetzigen Geisteszustand von ihm zu haben. (Stichwort hat seine Impulse nicht unter Kontrolle, beleidigt Tochter). Ich frage deshalb, weil es jedenfalls im Verstehen, vermutlich aber auch in der Einschätzung der Gefahrenlage einen Unterschied macht.
Sagen wir mal so, Alk. hat nun einmal den ausgesprochen blöden Effekt, daß dieser Aggression extrem verstärken kann. Was bei Alk, als Mittel der Wahl erschwerend hinzu kommt, ist die relativ einfache Verfügbarkeit.
Wenn wir über Alk reden: Gibt Leute, wie mich, die eher lustig, total anhänglich werden und noch mehr quatschen als ohnehin. Gibt Menschen die werden weinerlich. Und dann gibt es Menschen wie scheinbar Ex, die werden aggro. Nicht cool. Nicht cool deshalb, weil unberechenbar. (Das ist dann immer der Moment, in dem ich durchaus dankbar für die restriktiven Waffengesetzen in Europa bin).
Womit wir langsam zur Frage von Intuition übergehen....
Checklist ohne Kenntnis von Faktenlage:
Hat Ex Zugang zu Schusswaffen?
(Türlich reicht auch ein Messer, ne Schere oder die eigenen Hände... , aber mit Schusswaffen fangen wir mal an.)
Hat Ex im Rausch oder nicht Herr der Lage schon mal zugeschlagen?
a) Sachbeschädigend (ist mal was zu Bruch gegangen?)
b) sich selbst während a) oder auch so verletzt
c) ein anderes Lebewesen (Dritte oder Tiere) verletzt?
d) Euch schon mal verletzt?
Hat Ex Dich oder Deine Tochter neben Beleidigungen (nein, die sind nicht zu verharmlosen, aber jetzt grad für die checklist noch nicht völlig maßgeblich) Euch mal in Angst versetzt?
a) hinsichtlich eurer körperlichen Unversehrtheit
b) seiner körperlichen Unversehrtheit
c) körperliche Unversehrtheit Dritter
Wenn Du all diese Fragen mit nein beantworten kannst, dann liegt das Risikopotenzial für Deine Tochter am heutigen Abend allgemeiner Lebenserfahrung nach bei dem vermeintlich normalen. Sprich, Du könntest am Weg zu ihr oder gemeinsam mit ihr zurück auch nen Autounfall haben, weil Sch.eiße nun mal passiert.
Emotional allerdings ist das ein anderes Ding, muß man hier schreiben, wenn der Typ, trotz aller obigen Neins, etwas unternimmt, dann gibt es das Problem, daß Du Dir aller Wahrscheinlichkeit nach für den Rest Deines Lebens vorwirfst, nicht auf seine Drohung mit Maßnahmen reagiert zu haben. Ist eine sogenannte Güterabwägung, Wahrnehmen der Drohung, Einschätzung der Lage und Bedürfnisse Deiner Tochter.
So jetzt sind wir mittendrin in der Intuition und da hab ich ne Frage, Ex kommt in den Laden, verhält sich, wie er sich eben verhält und Du magst nicht die B.ullen rufen. Warum?
Mein ich total ehrlich. Völlig wertfrei. Gibt ne ganze Reihe von Szenarien, die das erklären. Das Ding ist halt für die Risikoeinschätzung sind manche relevanter als andere.
Aus irgendeinem Grund hast du gehandelt, wie Du gehandelt hast. Und es schien mir, als würdest Du es de-eskalierend verstanden haben wollen. Den Ansatz kann ich erst einmal gut verstehen. Ist halt die Frage, ob es tatsächlich zweckdienlich ist oder der sprichwörtliche Frosch im Kochtopf, den man zwar ins heiße Wasser nicht schmeißen kann, aber wenn man ihn ins kalte setzt und langsam über Jahre die Temperatur immer weiter erhöht, wird er halt irgendwann doch als Froschschenkel mit Soße serviert.
Schau, niemand kann für Dich die Entscheidung treffen was den heutigen Abend oder das nächste Mal angeht. Ich kann nur versuchen, mit Dir zusammen eine Form von Input zu erzeugen. Wenn ich tippen müßte, kämen mir zwei mögliche Begründungen in den Kopf für die ich lass den im Laden Nummer: Scham oder schlechtes Gewissen.
Dein Mitgefühl in allen Ehren, aber reines Mitgefühl läßt uns nicht passiv werden. Normalerweise braucht es dazu mehr. Um das auch nur im Ansatz darstellen zu können, bräuchte ich jetzt noch fünf virtuelle Seiten, ich fange mal beim Ergebnis an, alles absolut spekulativ, aber hier zwei Sätze.
Scham ist ein zutiefst menschliches Gefühl, aber es ist und bleibt vor allem eins lähmend. Scham hindert uns an ganz vielen Dingen. Überwindung der Scham hat zumeist Befreiung und echte Handlungsoption zur Folge. Will sagen, Liebes, so lange Du nicht hingegangen bist und 4jährige Kinder für ihn verfügbar gemacht hast (drastisches Beispiel, aber es geht grad darum einen wirklich tückischen Mechanismus außer Kraft zu setzen), mußt Du Dich nicht schämen. Es ist egal, was in den letzten Jahren gelaufen ist. Es ist egal, ob Du Teil dessen warst, das nur denkst, oder eigene Anteile aufzuarbeiten sind. Und ich verspreche Dir eins aus ganzem Herzen, Scham ist und bleibt ein Verhinderer, Überwindung von Scham befreit. Etwas nicht zu tun, weil einen Scham hindert, ist sehr menschlich, aber nicht langfristig.
Denn glaub mir, Scham ist chronisch und progressiv. Es wird einfach nur immer schlimmer.
Schlechtes Gewissen. Das Rollstuhlfahrer-dilemma. So nenn ich das. Darf man jemandem, der ganz offensichtlich Schutz und Hilfe benötigt im Stich lassen, noch dazu aus eigennützigen Motiven. Darf der Ehemann, der sich absolut in jemanden anderen verliebt, die an Krebserkrankte Ehefrau, mit der er 35 Jahre verbracht hat, verlassen? Darf man jemanden in eine noch schlimmere Lage bringen, obwohl man irgendwie teilweise für die jetzige schlimme Lage mitverantwortlich ist?
Auch dafür fehlen uns jetzt fünf weitere virtuelle Seiten. In Kurzform: Das Rollstuhlfahrer-Dilemma ist lösbar. Weißt du warum? Weil Verlassen nicht Entzug von Unterstützung und Hilfe bedeuten muß.
Weil Dir jeden Co-Abhängigkeitsfibel für Anfänger erklärt, daß Bleiben unter den falschen Vorzeichen nur bedeutet, daß man denjenigen, der Hilfe braucht, in seinen ungesunden Strukturen nur weiter unterstützt. Und da sind wir noch nicht mal bei der Frage von Selbstschutz.
Und damit wären wir endlich bei zwei Dingen angelangt:
Wie gesagt kurz fassen und ich, sind keine Freunde.
Amy, Es gibt einen schmalen aber leider so etwas von deutlichen Grad zwischen De-Eskalation und nur weiter machen im System. Das Problem an dieser Unterscheidung ist nämlich das Resultat. Das eine führt zur echter Beruhigung, das andere nur zum Aufrechterhalten einer sehr schwierigen, prekären, womöglich gefährlichen Lage. Wenn du mich fragst, dann wäre ich wahnsinnig überfordert mit einer solchen Angrenzung. Ich würde denken, es ist Zeit für Unterstützung.
Und dann war da noch dieser Satz über den ich gestolpert bin:
Zitat von Amyontour:Das schlimme ist dass es kein Anlass dazu gab. Ja, er weiß dass ich den Laden verkauft habe zum 31.12 .
Sehe ich anders. Was wäre, wie gesagt es fehlt wirklich ganz viel Kontext, aber was wäre, wenn es genau umgedreht wäre? Wenn der Neuanfang auf irgendeine verdrehte Weise für ihn eben genau das ist, Anlass?
Mal angenommen, Ex Aussagen, er checkt jetzt, warum Typen auf die Idee kommen, die Familie auszulöschen, ist nicht nur völlig nicht zu akzeptierende Drohung und gefährliche narzisstische Kränkung, sondern auch genau das, was er sagt. Du gehst hin und gestaltest alles neu, von der Selbstständigkeit ins Angestelltendasein. WOW, cooler Schritt, noch mal fünf Seiten und wir würden auch mal über Steuererklärungen oder deren Wegfall, Buchhaltung und deren Wegfall und auch darüber plaudern, daß brutto zwar leider nicht netto ist, aber wie angenehm so eine unproblematische gesetzliche KV und andere soziale Absicherungen sein können.
Du lebst Dein Leben, Du änderst alles.
So mal von Frau zu Frau, egal, wer die Trennung ausgesprochen und verursacht hat, Männer sind nicht unbedingt bekannt dafür, auf Veränderungen des Systems sagen wir mal differenziert und kreativ reagieren zu können. Anpassungsstörung und so.
Es bleibt bei Wortwahl, fehlendem Kontext und Intuition.
Die mehrfachen Aufrufe zur Dokumentation sind nicht zu vernachlässigen. Und fein, du willst die B.ullen nicht im Haus haben, find ich ja durchaus ne Ansage, dann aber brauchen wir halt nen Plan B. Aus praktischer Perspektive sind bulgarische Freunde keine schlechte Wahl, juristisch gesehen nicht unbedingt die beste.
Liebe Amy, 20 Jahre sind so eine lange Zeit. Es tut mir so wahnsinnig leid, daß ihr drei so leidet. Ich hoffe, daß Deine Tochter einen wunderbaren Abend hat. Ich bin absolut überzeugt davon, daß Du Deinen Weg findest. Amy on tour, you go Mädchen. Ich kann nachvollziehen, daß es noch nicht Zeit für die ganze Geschichte ist, aber wir brauchen nen Plan B. Sweetie übergriffig does not cut it, and you know this.
Schließlich und endlich, umarme ich dich.
Vielleicht ist es an der Zeit, den größten aller Glaubenssätze hinter sich zu lassen: no one is as crazy or broken as oneself.
Stimmt nicht. Stimmt ganz und gar nicht.