Liebe ohne Leiden? Beziehung ohne Schmerz?

E
Hallo,

Offenbar leben wir in einer Gesellschaft, die in extremer Weise versucht hat, das Leben im Rückzug auf das eigene Ich zu definieren und zu gestalten.

Das Glück des eigenen Ich ist der oberste Wert. Das hat aber nichts daran geändert, dass Menschen Sehnsucht nach einer Beziehung haben.Es bleiben Sehnsüchte: nach Nähe und danach, die wichtigste Person im Leben eines anderen Menschen zu sein.

Es geht beim Thema Beziehungen um viel mehr als um ein bisschen Verliebtsein und Zärtlichkeit. Es geht dabei um den Wert meiner Person. Wenn ich die wichtigste Person im Leben eines anderen Menschen sein darf, dann erfahre ich, dass ich selber wertvoll bin. Der Wert meiner Person hängt nicht nur von mir selber ab, sondern auch von einem anderen: wie er zu mir steht, was ich ihm bedeute.

Für viele ist Liebe gleichbedeutend mit Schmerz und Leid und niemand leidet gern.

Eine Liebe ohne Leiden ist aber ein sehr zerbrechliches Beziehungsideal. Es ist ein Verständnis von Glück und von Liebe, das Tränen und Schmerzen, aber auch das Durchleiden von Tiefen von vorneherein ausschließt.

Man weiß aber auch, dass hinter den Schmerzen ein zutiefst lohnender Weg steht.

Schmerz und Liebe sind Zwillinge. Schon deshalb, weil ich im Gegenüber zu einem geliebten Menschen erst einmal mich selbst erfahre: Ich erfahre meine Begrenzungen, meine Ängste, meine Unfähigkeit zu lieben, meine Eifersucht, meine Macken usw.

Eine Beziehung ist die Chance, mich der Wahrheit über mich selbst und dem Schmerz, der damit verbunden ist, zu stellen. Die Liebe des anderen ist der Raum, in dem ich mich verändern und in meiner Persönlichkeit wachsen kann.

Zur Liebe gehören auch die Enttäuschungen und Verletzungen. Der Mensch, den ich am meisten liebe, kann mich am tiefsten verletzen.

Die Frage dabei ist nicht, ob wir es schaffen, Verletzungen zu vermeiden, sondern ob wir lernen, einander zu vergeben.

Jede Beziehung entwickelt ihre eigenen Mechanismen im Umgang mit Verletzungen. Bei den einen wird es furchtbar laut, bei den anderen ganz still. Manche ziehen sich gekränkt zurück, andere lassen einfach Gras darüber wachsen.

Ich denke, dass es für die Beziehung ganz wesentlich ist zu lernen, alle Enttäuschungen, Verletzungen und Vorwürfe auszusprechen, den Streit auszutragen und einander zu vergeben.

Eine Beziehung ist zu wertvoll, um sich einfach umzudrehen und am nächsten Morgen weiterzumachen, als wäre nichts gewesen.

Aber wer fängt an zu reden? Natürlich der andere, denn der ist ja wohl schuld. Manchmal sitzt man Stunden nebeneinander, bis endlich einer seinen Stolz überwindet und anfängt zu sprechen. Aber anders als durch Worte kann man die Dinge nicht wieder zusammenkriegen.

Diese Erfahrungen des Vergebens, des Immer-wieder-zueinander-Findens nach Enttäuschungen und Verletzungen, sind die wertvollsten Bausteine einer Beziehung.

Es gibt den schönen Ausdruck: Ich mag dich leiden. Das heißt: Du bist mir so viel wert, dass ich bereit bin, dich zu erleiden.

Natürlich will ich auch Freude an dir haben, aber ich bin auch bereit, deine Macken und Abgründe zu tragen. Wo wir das von einem anderen Menschen erfahren, dass er uns annimmt, trotz der Schmerzen, die ich ihm zufüge, ist das eine der tiefsten Erfahrungen an Liebe und an Wertgeschätztsein, die wir machen können.

Ich denke, darum ist es das Ganze auch wert. Die Schmerzen der Liebe können zur Schönheit der Liebe werden.

Es gibt ein schönes altes deutsches Wort; das heißt freien. ... Freien heißt, dass ich jemand in die Freiheit helfe. Ich werde dem Partner die Person, die ihm keine Bedingungen mehr stellt. Er kann sein, wie er will: Er gehört zu mir und ich zu ihm.

Und das ist es, was sich jeder wünscht: dass es einen Menschen gibt, der mich in diesem Sinne befreit. So erfahre ich ein Ja zu meiner Person und nicht nur zu bestimmten Eigenschaften.

Wir sind bereit, uns auf einen Menschen einzulassen, aber nur soweit meine Freiheit dadurch nicht angetastet wird. Beziehung meint man, ist Beeinträchtigung meiner Freiheit.

Die eigentliche Freiheit erfahre ich aber gerade darin, bedingungslos geliebt zu sein! Wo ich das erfahre, kann ich ich selber sein, ich selber werden. Ich muss nicht Angst haben: Wenn das jetzt noch von mir rauskommt, wenn der andere erfährt, wer ich wirklich bin, dann wird er weggehen.

Wer sich alle Optionen offen hält, verliert Beziehungsqualität und verzichtet auf die tiefsten Erfahrungen von Geborgenheit und Angenommensein. Von der Angst und von dem Zwang, mit einer Maske zu leben, werde ich erst befreit, wenn ein anderer mir verbindlich zusagt: Ich stehe zu dir!

Die Angst vor einer verbindlichen Beziehung kann aber auch daran liegen, dass ich nicht fähig bin zu vertrauen. Das liegt sehr häufig daran, dass in meinem Leben Vertrauen nicht gefördert, sondern zerbrochen wurde. Ich bin dann angenagt von Misstrauen und grüblerischen Gedanken. Ich will mich zwar gerne auf eine Beziehung einlassen, aber doch nie so ganz.

Aber genau darum geht es doch: dass jemand Vertrauen lernt und es lernt, sich zu öffnen. Das ist ein mühsamer und langsamer Prozess. Man muss Vertrauen einbringen, in ganz kleinen Schritten.

Man muss Enttäuschungen einstecken können und bereit sein, es wieder von neuem zu wagen. Vertrauen kann sich aber nur entfalten, wo ich auf der anderen Seite Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit erfahre.

Scheinbar müssen wir uns voreinander schützen, scheinbar brauchen wir ein Image, um voreinander bestehen zu können.

Dort wo wir dieses Vertrauen aber wieder gewinnen, wo wir uns zu erkennen geben können und zugleich geliebt werden, da ist Heimat. Heimat ist, wo ich nach und nach entdecke, wer ich eigentlich bin, wo ich lerne, mich zu öffnen und die Erfahrung mache, dass der andere trotzdem zu mir steht.

Das ist Treue. Und nur dort, wo ich Treue erfahre, kann ich mich fallen lassen und Schritte des Vertrauens gehen. Wo dieser Schutzraum fehlt, müssen Beziehungen in einer gewissen Weise oberflächlich bleiben.

Wenn wir an Bedingungen festhalten, geben wir die Möglichkeit aus der Hand, tiefe und kostbare Beziehungen zu leben. Es geht um die Tiefe und den Wert unserer Beziehungen. Liebe stellt keine Bedingungen, und Treue setzt keine zeitliche Grenze.

Liebe bringt unvermeidbar Schmerz mit sich. Wir erfahren Enttäuschungen, Verletzungen und Ängste. Wir erleben unsere Unfähigkeit zu lieben und zu vertrauen. Oder wir machen gar die Erfahrung des Scheiterns und stehen vor den Scherben einer Beziehung, bis hin zu Bitterkeit und Hass.

Die Frage ist dann nicht mehr nur: Wie kann Beziehung gelingen?, sondern noch viel grundsätzlicher: Wie kann mein Leben (wieder) heil werden?

Erfahrungen des Scheiterns sind ein Hinweis darauf, dass in unserem Leben mehr kaputt ist, als durch ein paar Tipps und guten Willen zu kitten ist.

Und den richtigen Weg zur Selbstheilung kann nur jeder für sich allein finden, und der ist oftmals genauso mit Schmerz verbunden, wie die Liebe selbst.


LG

Thilde

15.07.2003 18:02 • #1


E
liebe Thilde,

puuuhhhhhhh das war jetzt total viel, viele wirklich wahre worte. mit den meisten dingen kann ich dir für mich auch recht geben, einiges sehe ich etwas anders, aus meiner heutigen sicht wohlgemerkt, damals so wie du es dort beschreibst.

'Eine Beziehung ist die Chance, mich der Wahrheit über mich selbst und dem Schmerz, der damit verbunden ist, zu stellen. Die Liebe des anderen ist der Raum, in dem ich mich verändern und in meiner Persönlichkeit wachsen kann.'

lernt man diesen schmerz nicht schon von kindheit an? ist eine beziehung immer die definition paar--mann und frau? nein ich denke eine beziehung kann auch eine freundschaft sein, die man schon als kind hatte (hoffe das kennt jeder ) und da wird man das erste mal mit nähe, verbundenheit, öffnen der eigenen person einer anderen gegenüber und all diesen dingen vertraut, aber es bleibt eben nicht nur bei den fröhlichen und innigen stunden, nein da passieren schon verletzungen und man leidet, jedenfalls ging es mir so. fazit, man leidet nicht nur in einer paarbeziehung sondern auch in freundschaften, zwar anders geartet aber liebe und leid ist hier auch sehr nahe.
aber dass ich mich nur in einer beziehung mann--frau so wie ich das aus deinen zeilen verstehe, weiterentwickle (wachse), da muss ich dir widersprechen. natürlich entwickelt sich erst einmal jeder für sich, beziehungen sind dynamisch in dem sich jeder auf seine art und weise entwickelt aber eben innerhalb diese beziehung (grenzen). heute sehe ich, welche schwierigkeiten ich mit meinem ICH habe, auch wenn ich viele freiheiten hatte, mein leben meinte so zu leben wie es gut für mich war, doch ich glaube meine persönliche entwicklung ist dabei auf der strecke geblieben, eingeschlafen, sonst hätte ich nicht diese schwierigkeiten mich gerade selbst wieder als person sabs zu definieren, ja wirklich neu zu definieren. das soll nicht heissen, dass ich nur das anhängsel von Ex war und mich über ihn definiert habe, es ging schon viel in richtung WIR. es war auch nicht schlecht, denn ich habe mich für ein WIR entschieden mit allen konsequenzen. so und was ist passiert, EX hat sich für ein neues wir entschieden, ich war unaufmerksam all die jahre und habe nicht mehr wirklich meine entwicklung verfolgt, jedenfalls nicht in dem sinne wie es nötig war, sonst würde ich nicht da stehen wo ich jetzt stehe. verstehst du was ich damit sagen will??? ich habe aufgehört für mich zu wachsen und deshalb denke ich, kann man nicht für sich wachsen aus einer beziehung heraus, das muss man selbst tun, mit oder ohne beziehung, wenn man merkt die zeit ist reif.

in dem punkt liebe und schmerz gebe ich dir 100% recht, gegensätze wie leben und tod (ja ist wohl krass, ist aber so). liebe ist mit leben verbunden schmerz mit tod, ohne leben kein tod. und wenn ich mich hinsetze und sage, ach ich sterbe sowieso irgendwann, warum soll ich dann leben, dann macht das alles keinen sinn, denn dann sollte man sich am besten gleich hinlegen, nichts mehr essen, warten bis man verhungert ist, weil man stirbt früher oder später. man kann also trotz des wissen, dass man stirbt sein leben geniessen, man muss mutig sein, jeden tag kann der letzte sein, aber deshalb darauf warten das wäre öde. aber wenn man so verletzt wurde, dass es schmerzt wie verrückt, man dem tod in die augen gesehen hat (metapher), dann wird man erst einmal mit dem leben vorsichtiger. die schritte werden behutsamer weil man einen denkzettel erhalten hat. und das ist normal. wenn ich eine lebensbedrohliche krankheit hatte, angst haben musste, dass alles vorbei ist, das kostbarste, dann komme ich nicht aus dem krankenhaus, zwar mit der 1. diagnose danach, es ist alles ok und rase sofort los wie verrückt, nein ich gehe mit anderen augen durchs leben, höre mehr in mich rein, lasse keine nachuntersuchung aus, bis ich über den berg bin, der doc zu mir sagt, es ist überstanden, dann werden die schritte grösser und grösser bis man wieder wirklich lebt!! und bei diesem passierten hatte man anfangs eine schei., man sagt sich, warum ich, was habe ich getan. aber diese frage beantwortet einem keiner, man arrangiert sich und versucht etwas daraus mitzunehmen, zu lernen, eben auch behutsamer zu sein.

womit ich dir auch völlig recht gebe und was mir auch sehr wichtig in einer beziehung war und immer sein wird, ist das reden miteinander. manchmal bedarf es dazu vielleicht einen äusseren einfluss weil man aus seiner festgefahrenen bahn schwer heraus kommt, aber spätestens dann sollten beide bereit sein sich hinzusetzen und anzufangen zu kommunizieren, keine vorwürfe sondern sachlich. leider sind aber einige menschen dazu nicht in der lage, für sie scheint oberflächlich die welt zu stimmen, weiter geht es bei ihnen nicht. und wenn die oberfläche ein paar unangenehme dellen bekommt nun was tut man da, man sucht sich eine neue, damit es wieder passt. ich kann ein lied davon singen. was habe ich mir den mund fusslig geredet, dass einzige was von Ex kam war:'sag bloss du findest unsere beziehung noch ok'.......tja und damit war seine kommunikation schon beendet. die mitteilung im übersetzten sinn: also pass mal auf, den schei., den wir hier noch leben kannst du doch wirklich nicht mehr toll finden?! ich habe mich immer gefragt welchen 'schei. der nicht mehr toll ist' meint er, er hat mir nie gesagt was für ihn so übel ist. ich weiss es bis heute nicht! für mich war das kein schei., ich habe immer und zu jeder zeit meinen mund aufgemacht und habe die dinge die schief liefen in meinen augen versucht anzusprechen, zu verändern und bei ihm sah es so aus als wäre alles stimmig. und was lerne ich daraus mit der enddiagnose, ich werde vorher mit argusaugen prüfen ob ein mann fähig ist sich mit sich und mit mir auseinander zu setzen. so etwas brauche ich nicht noch mal, scheinwelten habe ich genug vorgelebt bekommen mit dem grossen knall.

und liebe wächst nicht nur mit dem zusäuseln von worten wie 'ich liebe dich' denn da ist das haltbarkeitsdatum schnell abgelaufen, zu oft gesagt hat dieser satz nicht mehr die bedeutung, die er haben soll, er automatisiert sich. nein man wächst an der reibung die man miteinander hat, den schmerzen den man wegen seines partners erleidet, ich rede jetzt nicht vom trennungsschmerz!!! es ist doch so, das dieser mensch einem am nähesten steht und dadurch wird man am verletzlichsten, da das herz ganz weit offen steht.

so jetzt aber genug philosophiert. ich hoffe gelernt zu haben aus dem was passiert ist und weiter lernen. ich werde behutsamer sein mit mir bei dem menschen, den ich wieder an mein herz lasse, noch gelingt mir nicht mein herz zu öffnen, schmetterlinge liegen in schutt und asche, aber der tag wird kommen, da kann ich es wieder zulassen, weil ich behutsam war/bin für mich.

sabs

15.07.2003 20:43 • #2


E
Thildes Beitrag ist in meinen Augen nichts hinzuzufügen...

Also schieb ich einfach mal den Thread nch oben, dass er nicht auf die nächste Seite rutscht!

18.07.2003 14:53 • #3




Ähnliche Themen

Hits

Antworten

Letzter Beitrag