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Liebes Leben

G
Liebes Leben,

weißt du, wie du dich anfühlst?

Wie ein riesiger, farbloser Block aus Gallerte. Ich durchwandere deine quallige Masse gerade in von dir erzwungener Behäbigkeit.

Der Widerstand, den du mir bietest, ist groß. Jede Bewegung vollzieht sich wie in Zeitlupe. Der Blick nach rechts, nach links und nach vorne ist getrübt (nach hinten schaue ich nicht mehr), die Geräusche gedämpft und du riechst irgendwie komisch. Bei jeder meiner Bewegungen waberst du hin und her. Wir bringen uns in gegenphasige Schwingungen und das macht es noch schwerer, durch dich hindurchzukommen.

Zugegeben. Du warst schon Schlimmeres, als nur ein Haufen wabbeliger Gallerte.

Vor ein paar Wochen noch fühltest du dich an wie eine massive Wand, gegen die ich meinte immer und immer wieder laufen zu müssen. Peng. Peng. Peng. Das tat weh. Heiland Sack, tat das weh! Und man konnte nicht durch dich hindurchschauen, du massive schei.. Ja, man konnte nur nach hinten blicken. Okay. Und zur Seite. Aber nach vorne, wenn auch nur getrübten Blickes ... das ging nicht.

Jetzt scheint wenigstens Licht durch dich hindurch. Ich beginne zu ahnen, dass du ein Block von endlichen Ausmaßen bist. Eine Phase in einem viel größeren Etwas, das dich selbst umgibt. Und irgendwann werde ich wohl deine äußere Grenze erreicht haben, vielleicht etwas eingesaut, schleimig aus dir hervorkriechen, aber durch deinen Widerstand an Kraft und Ausdauer gestärkt.

Und es wird duften, da draußen. Jede Bewegung wird sich leicht anfühlen.

Ja, liebes Leben, SO wird es sein.
Ja, liebe N., die du mich erst gegen die Mauer gehauen und dann in dieses quallige Etwas gestoßen hast, SO wird es sein.

09.03.2017 13:14 • x 6 #1


G
Liebe Liebe!

Ich habe da eine Theorie. Man muss dich erst einmal wegsperren, wenn du gegangen bist. Macht das Sinn für dich? Vermutlich nicht, hm? Denn wie kann man etwas wegsperren, was nicht zugegen ist. Das ist, als würde man einen flüchtigen Verbrecher wegsperren, den man noch nicht gefangen hat.

Moment ... du bist doch noch da, sagst du?

Naja .. das stimmt. Aber heißt das dann nicht, dass man dich doch wegsperren kann? Am besten für immer und zwar ins tiefste Loch.

Warum bettelst du?

Weil du dich gut anfühlst? Hast du mal, dich gut angefühlt, Miststück. Aber jetzt nicht mehr. Irgendwann wieder so ein Chaos? Nein danke.

Ja, ich höre deinen Einwand natürlich: Du wirst dich wieder gut anfühlen und ich habe jetzt immerhin bewiesen, dass ich dich fühlen kann.

Da hast du Recht. Nehmen wir also erst einmal eine GPS-Fußfessel. Da kann ich wenigstens kontrollieren, wo du hinwanderst.

Oh ... die Ortung sagt, du bist noch bei N.

Miststück.

09.03.2017 15:16 • x 3 #2


A


Liebes Leben

x 3


F
Darf ich dich fragen. Warum tust du dir das an. Ich glaube du hast dass gar nicht nötig. In so einem forum abzuhängen und dir igendwie gedanken wegen einem miststück zu machen. Die es nicht wer ist.Weist was ich meine.

09.03.2017 15:42 • #3


G
Liebe Zukunft,

darf ich hoffen auf dich?

Warum ich das frage? Herrje! Liebe Zukunft, sei nicht so naiv. Du hast dich mir gestohlen, entzogen. So jedenfalls fühlt es sich im Moment an. Kannst du nun meine Zweifel an dir verstehen? Nein? Gut. Ich erkläre es genauer, denn du scheinst heute etwas begriffsstutzig.

Es ist doch so … in der Hoffnung liegt der Glaube an dich. Ohne Hoffnung kein Glaube, ohne Glaube keine Hoffnung und ohne beides keine Zukunft.

Ja, ich weiß. Klingt ziemlich pessimistisch. Aber das ist das Problem, wenn du dich einfach ins Dunkle verpisst, in die Ferne, dahin, wo man dich nicht sehen, nicht greifen kann. Da wird man für eine Weile so, auch wenn man es - weil man kein Teenie mehr ist - eigentlich besser weiß.

Denn du, Zukunft, bist nicht nur einfach die nächste Sekunde, der nächste Tag, die nächste Woche. Da machst du es dir zu einfach mit dir selbst. Du bist ein Geäst, das sich in viele Richtungen ausbreitet und zwar ausgehend von einem Stamm. Der Stamm, das waren wir und das Geäst die Kinder, die wir haben wollten.

Was sagst du? Das war nur eine Version deiner selbst, nur meine Interpretation von dir? Mag sein. Aber das war verdammt noch mal die Version, die ich wollte! Und wehe du pfeifst jetzt „You can’t always get what you want“. Dann trete ich dir höchstamtlich in den Hintern.

Aber gut. Ich gebe dir noch eine Chance. Zeig, was du drauf hast. Ich hoffe auf deine baldige Rückkehr.

PS: Für den Anfang ... schaff mir die Armen im Geiste vom Halse. ItsFun is nämlich no fun.

09.03.2017 22:02 • x 2 #4


G
Liebe Leidenschaft!

Was waren wir für ein gutes Team. Erinnerst du dich? Du warst gierig, unkontrolliert, außer Rand und Band, hast uns wahnwitzige Höhenflüge verpasst, uns zum Zittern gebracht, die Schweine (wie wir das nannten) aufeinander gehetzt.

Aber nein, du warst beileibe nicht alles zwischen uns.

Deine Freundin, die Liebe, war auch immer zugegen. Frag sie, wenn du mir nicht glaubst. Du warst ja blind. Ich weiß, das sagt man immer der Liebe nach. In deinem Wüten bist du es aber keinen Deut weniger. Und das ist gut so.

Jedenfalls so lange sich die Zukunft raushält.

Die, ja die, kann einem wirklichen Ärger machen, wenn sie im Gewandt der Angst, als Damoklesschwert daherkommt. Dann wird sie zum Antagonisten, ein Gegenspieler in deinem Wirken. So war das hier.

Du hast dich, liebe Leidenschaft, zurückgezogen. Peu à peu. Die Zukunft, die Frage wie sie wohl wird, die war fortan mit dabei. Wie ein feiner Rinnsal grünen Giftes hat sie sich in dich geschlichen, dann durch- und zersetzt. Peu à peu.

Warum, liebe Leidenschaft, warst du am Ende so schwach? Du produzierst Megatonnen Sprengstoff, aber am Ende knickst du ein. Vor der Zukunft? Vor der Angst? Ich bitte dich! Das nennt man Blender. Jawohl, Blender. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Schau dir die Liebe an. Die ist noch da! Du meinst, das ist immer so? Das sei der natürliche Lauf der Dinge? Du würdest dich immer irgendwann zurückziehen. Ja, vielleicht. Bestimmt sogar.

Lass mich nachdenken ... „Blender“, das war das Stichwort. Ich hab’s. Möglicherweise bist du am Ende nur ein Trick der Ollen im Wald (wie wir die Natur immer nannten), ein Mittel zur Sicherung der Art. Puh, wäre das desillusionierend! Findest du nicht?

Liebe Leidenschaft. Du musst dringend auf die Couch. Du musst dich selbst finden, definieren, an deiner Ausdauer arbeiten und dich losmachen von der Angst vor der Zukunft und der Ollen im Wald. Dringend, hörst du?

PS: Wann kommst du wieder. Ich mag dich trotz deiner Fehler wieder sehr gerne in meinem Leben haben. Und liebe Liebe ... trotzdem, dass du mir im Moment alles andere als gut tust: Danke, dass du so stark warst, nicht so schnell eingeknickt bist. Das macht es wertvoll. Angst ... mit dir habe ich noch abzurechnen. Später.

10.03.2017 08:59 • x 3 #5


G
Liebe Zeit,

irgendwie nervst du mich.

Man sagt, je mehr von dir verginge, desto besser würde es. Das stimmt auch. Ich merke es ganz deutlich (Danke dafür). Aber du hast eine unangenehme Begleiterscheinung. Du trägst Erinnerung im Gepäck und ergießt sie einem in fröhlicher Arroganz ins Hirn.

Wie, du hast keine Ahnung wovon ich rede?

7:00 Uhr. Sie steht auf. 7:45 Uhr. Sie schminkt sich. 8:00 Uhr. Sie fährt zur Arbeit. 8:45 Uhr. Sie fährt den Rechner hoch. 12.15 Uhr. Sie geht zum Mittagessen. 13:15 Uhr. Sie ist wieder am Platz. 15:45 Uhr. Sie fährt nach Hause. 22:45 Uhr. Sie bewegt sich in Richtung Bett.

Begreifst du jetzt, liebe Zeit, was an dir unangenehm ist? Du magst vergehen, aber du bist dabei wie einer dieser kleinen, fiesen Köter, die wie aufgezogen um einen herumrennen, nach den Beinen schnappen und einen ins Stolpern bringen.

Was sagst du? Das sei doch nicht schlimm? Am Anfang warst du gemeiner, weil du nicht vergangen bist, eine Stunde maß wie eine Woche, eine Minute deiner quälenden Herrlichkeit wie ein Tag? Ja, das stimmt wohl. Aber erwartest du ernsthaft Dankbarkeit dafür, dass du jetzt einfach nur subtiler fies bist und die Erinnerung mit dir schleppst, obwohl sie gar nicht zu deiner Kompetenz gehört? Du bist die Zeit. Nur die Zeit. Also vergehe einfach. Du hast keinen Beförderungsauftrag. Konzentriere dich bitte auf deine Kernaufgabe.

Davon abgesehen: Selbst wenn es wahr ist, dass du, liebe Zeit, so manche Erinnerungen löschst, finde ich es einigermaßen idiotisch etwas mitzuschleppen, das ohnehin der Löschung anheim fällt. Denk mal drüber nach.

11.03.2017 09:04 • x 3 #6


G
Liebe Worte,

manchmal fehlt ihr mir. Also ihr, die ihr beschreiben könnt, wie ich mich fühle. Heute ist so ein Tag. Ich weiß, ihr seid in meinem Repertoire. Um nur einige zu nennen:

Immer. Noch. Kloß. Hals. Du. Fehlst. Mir.

Aber ich kann euch nicht richtig ordnen, euch zu einem vollendeten Satz verbinden. Vielleicht, überlege ich gerade, ist das so, weil mir die Puste ausgeht? Weil ich müde werde, euch immer und immer wieder in einer Art masochistischem Recycling zu verwerten?

Was, wenn ich euch striche, einfach so ausradierte, aus meinem persönlichen Lexikon eliminierte … wie wäre das? Ginge es mir dann besser? Ich glaube nicht.

Spätestens dann würdet ihr mir erneut fehlen, wenn ich mit euch Banalitäten beschreiben will. Etwa wenn ich Lust auf Klöße habe und mir einer im Halse stecken bleibt. Ja, ja. Es darf daran gezweifelt werden, dass ich euch in dieser Situation klar artikulieren kann. Danke für den Hinweis, ihr Klugscheißer.

Wie auch immer. Eines Tages bekommt ihr eine andere Bedeutung, werdet in einem anderen Kontext benutzt werden.

Bis dahin … vielleicht fehlt ihr mir gar nicht mehr so sehr, der Drang euch zu benutzen verebbt? Schön wär’s.

12.03.2017 11:49 • #7


G
Liebes Vorgestern!

Heute sind meine Gedanken dir gewidmet. Dir nicht, liebes Gestern. Du hast es mir schwer gemacht. Aber, liebes Vorgestern, du warst war gütig und gnädig zu mir. Ach was. Untertreibung. Du hast mich nicht nur vor dir hergetrieben, wie viele deine Vorgänger, sondern förmlich mitgerissen. Und in diesem Mitgerissen sein spürte ich wieder eine Spur Leben und Hoffnung für die Zukunft.

Könnte es sein, liebes Morgen oder Übermorgen, dass du mit Vorgestern mithalten kannst?

Und Heute? Was ist mit dir? Richtig. Du bist noch jung. Also warten wir ab, was du mir bringst.

17.03.2017 09:23 • #8


G
Liebe Angst!

Mit dir soll ja auch noch abgerechnet sein.

Du sitzt tief. Aber nicht in mir. In ihr. Du hast uns alles vermasselt. Ein Wir, ein Uns. Ein gemeinsames Gestern, Heute, Morgen. Warum hast du das getan? Diente das einem höheren Ziel? Wenn ja, welchem? Ihrem Glück, meinem Glück? Vielleicht ... ja vielleicht. Deine Absicht ist nicht offenbar, erschließt sich noch nicht. Jedenfalls noch nicht.

Kennst du Zurück in die Zukunft (einer ihrer Lieblingsfilme, btw.). Die Szene, wo Marty McFly das Foto in die Hand nimmt und erst seine Familie und dann sich selbst verblassen sieht, weil er sich zu sehr in die Vergangenheit einmischt? So hat dein Wirken das Bild unserer Kinder verblassen lassen. Kinder, die nun niemals existieren werden.

Verdammt, liebe Angst, es muss einem höheren Ziel dienen, denn sie wären bestimmt wundervoll geworden.

So etwas kannst du nicht einfach leichtsinnig auslöschen. Daran muss ich glauben. Und auch daran, dass sich mir deine Absicht irgendwann erschließt - eines Tages. Eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages.

Bis dahin hoffe ich, dass die Kinder, die sie haben wird, nicht minder wundervoll sein werden.

18.03.2017 21:34 • x 2 #9


G
Liebe Gleichgültigkeit,

ich merke, du wächst.

Und in deinem Wachsen ebnest du sie ein, die tektonischen Platten meiner Seele, die sich verworfen und übereinander geschoben hatten. Du brichst hier eine Kante, schleifst und feilst dort, bis ich das, was ich einst war, wieder bin.

Nur zum Teil. Ich weiß.

Vieles wird anders sein. Ich werde anders sein, nachdem du deine Arbeit getan hast. Und das ist gut so. Wäre ja auch unsinnig, wenn du alles plan schleifst. Denn in den Rillen, Riefen und Kerben bleibt erhalten, kann man nach Jahren noch lesen, was passiert ist.

Also, liebe Gleichgültigkeit, denk daran: Du bist nicht das Vergessen! Mach deinen Job nicht allzu gründlich. Ich will nicht das Wunderbare vergessen, das da war. Diese Augenblicke der Nähe, der Wärme und das Gefühl innig zu lieben.

Schleif das nicht weg! Das musst du nicht. Denn es tut nicht mehr weh.

Dank dir.

02.05.2017 06:45 • x 3 #10


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