Liebe Kiki,
es macht mich traurig und nachdenklich, deine Zeilen zu lesen. Wegen dem Ende deiner Beziehung auf der einen Seite, aber noch wegen etwas anderem. Ich will mal versuchen, zu formulieren, was mich beschäftigt und möchte ein paar Kernsätze von dir zitieren, um darauf einzugehen.
Zitat von KikiHerbst:Zu meinem Satz mit der 'großen Liebe'... Du hast völlig Recht. Dieses Resümee lässt sich eigentlich nur auf dem Totenbett anstellen. Nüchtern betrachtet. Ich bin mir (ich gebe zu, ich bin pessimistisch) allerdings ziemlich sicher das mir so ein Glück nicht wieder widerfahren wird. Hoffentlich irre ich. Aber manchmal spürt man sowas vielleicht doch.
Also ganz klar: Nein, das spürt man nicht - schon gar nicht, wenn man in einem Schockzustand und Phase des Liebeskummers ist. Das denkt jeder nach Ende einer langen Beziehung. Wieder, so leid es mir tut - auch da du bist ein absoluter Durchschnitts-Normalo . Wir entwickeln keine hellseherischen Fähigkeiten, nur weil wir gerade in einem Loch sitzen. Ich verrate dir noch was: Die allermeisten werden eines besseren belehrt. Diejenigen, bei denen es nicht zutrifft, können sich nur nicht vom Mantra der großen Liebe des Lebens lösen. Klar, dass da eine neue keine echte Chance hat. Self fulfilling prophecy nennt man das..
Ich habe betont, dass ein Abenteuer und neue Erfahrungen und Freundschaften auf dich warten - mir war aber nicht klar, dass du das meiner Ansicht nach auch wirklich dringend nötig hast.
Zitat von KikiHerbst:Ich war in der für mich perfekten Beziehung.
Ich habe Freunde nie vermisst. In den Heimatstädten des jeweiligen gab es natürlich Freunde aus früheren Zeiten, aber zusammen haben wir es verpasst einen Freundeskreis aufzubauen.
Zitat von KikiHerbst:Er wurde hofiert und gefördert. Großes Business, großes Auto, große Verantwortung. Mir war das alles nicht so wichtig. Ich war die Frau, die zuhause warte, in Jogginghose und mit dem Essen im Ofen... Haushalt perfekt, Wohnung perfekt.
Wenn ich das so rekapituliere, dann hat sich dein Leben schon in sehr jungen Jahren nur um ihn und das liebe Heim gedreht. Kein Freundeskreis, einen netten, aber nicht besonders herausfordernden Job, keine Leiter, die man erklimmen möchte, die Jogginghose und ein gemütlicher Abend zu Hause mit ihm haben dir gereicht. Wenn ich deine reflektierten Zeilen so lese, halte ich dich für zu intelligent, in so einem Käseglocken-Leben zu verharren. Freundschaften, Karrierewünsche, eigene Hobbys inspirieren einen Menschen und lassen ihn wachsen. Was ja bei deinem Ex auch zutraf..
Ehrlich gesagt verstehe ich ihn sehr gut. Er hat sich weiterentwickelt, für ihn taten sich neue Chancen und Kontakte auf, von denen er vielleicht noch nicht mal geträumt hat mit 18, als ihr zusammenkamt. Ein Mensch, der auf der Karriereleiter nach oben will, der neue Aspekte des Lebens kennenlernt und Erfahrungen macht, verändert sich zwangsläufig. Er wächst über sich hinaus - und sucht dabei Gefährten, die ihn weiterpushen, inspirieren, fördern, die einem Dinge zutrauen, wenn man sich selbst noch unsicher ist und manchmal sogar mit der Peitsche hinter einem stehen. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Ein - verzeih bitte - Muttchen am Herd, dass brav zuhause in der Jogginghose mit dem Essen wartet, ist für diese Rolle a la longue wenig passend. Es hält einem zwar vielleicht den Rücken frei, aber ist keine geeignete Weggefährtin, wenn es darum geht, weiterzukommen, neue Kontakte zu machen, zu wachsen.
Ich verstehe ihn deshalb sehr gut, weil ich in einer ähnlichen Situation war. Ich war mit einem lieben Mann zusammen (ok, bei der Trennung hat er sich als ziemlicher Depp erwiesen ), aber ich merkte auch, dass er mich bremst, mich immer weniger inspiriert. Das führte mich zu der Erkenntnis, dass ich mit diesem Mann an meiner Seite mein volles Potential nicht ausschöpfen kann. Ich traf mich deshalb mehr und mehr mit Leuten, mit denen ich Dinge besprechen konnte, die weit über den Aktionsradius meines damaligen Freundes hinausgingen. Das brauchte ich wie die Luft zum Atmen. Was mich aber natürlich auch in der Beziehung zusehends frustete. Ich denke, dein Ex tickt da vermutlich so ähnlich wie ich. Einen Weggefährten zu wollen und auch zu brauchen, der die Schritte aktiv mitgeht - und nicht nur zuhause in der Raststation mit Speis und Trank wartet. Das drückt auch folgender Satz von dir ganz anschaulich aus:
Zitat von KikiHerbst:Ich glaube er wollte so nicht verharren, er ist jetzt 35 und erwartet mehr vom Leben. Für mich hätte es ewig so weitergehen können. Ich habe halt irgendwie stagniert in meiner Entwicklung.
Und das bringt mich wieder zu dir. So bequem ein (vermeintlich) sicherer Hafen auch sein kann, so hinderlich kann er auch sein, wenn es um das eigene Wachstum geht. Du hast dich zurückgelehnt, dich wie ein Hamster im Winterschlaf zufrieden eingemummelt und bist, wie du selbst erkennst, stagniert. Es geht nicht darum, dass du dich verändern sollst und zur Karrieremaus mutieren. Aber Stagnation ist Rückschritt und Aufgabe. Das Leben ist so bunt, bietet so viele Möglichkeiten und Erkenntnisse - die an dir bis dato großteils vorbeizogen, weil du dich in dein warmes Nestchen eingekuschelt hast. Zwar zufrieden, aber ohne aus dem Vollen des Lebens zu schöpfen.
Das erkennt man auch hier ganz schön:
Zitat von KikiHerbst:15 Jahre bekam ich zum Geburtstag einen gebackenen Kuchen mit Kerzen zum auspusten. Ganz ehrlich... Da bringt mir die Karibik leider gar nichts.
Einen gebackenen Kuchen als großes Glück zu betrachten, ist schon sehr ambitionslos, meine Liebe Klar ist das nett, aber Eclairs in Paris zu essen und dem fröhlichen Treiben zuzusehen, ist es ja wohl auch. Natürlich sind deine Gedanken immer bei ihm, aber bei dir scheint es mir, als hättest du dir 15 Jahre lang auch über wenig anderes wirklich Gedanken gemacht. Und das ist etwas dürftig.
Also, raus aus der Wohlfühlzone und dem hamsterschen Mummelnest. Halt die Nase gegen den Wind, Mädel. Da du scheinbar in Berlin wohnst, geh ins Museum, auf Ausstellungen, was auch immer. Trau dich raus, guck dir die Welt an - nur mit deinen Augen. Klar kannst du dich hin und wieder auch einmummeln - aber für mein Dafürhalten ist es an Mummelei in deinem Alter nun wirklich auch mal genug! Alles Liebe!