Exkurs
Je länger ich diesen Thread hier mitlese und mich daran beteilige, desto mehr vermisse ich etwas, das „früher“ zumindest in meinem sozialen Umfeld noch gang und gäbe war: Feste Regeln, die dazu dienen, Leben unter einem Dach und auch sonst miteinander zu erleichtern.
So sehr er mich „früher“ oft nervte: Der Satz „Sowas tut man einfach nicht – ohne wenn und aber“ – mittlerweile dämmert mir, dass diese Regeln gar nicht mal so autoritär gemeint waren, wie das damals bei mir ankam. Sondern dass sie vielmehr halfen, eben solche Szenen wie von @Sensibelchen5 hier berichtet von vornherein zu vermeiden – solange „man“ (also alle) ihnen schlicht folgten.
Moderne Zeitgeister hören das bekanntlich überhaupt nicht gern. Aber seien wir doch mal offen und tolerant. Hören wir uns also ein paar Glaubenssätze an, deren Einhaltung „man“ sich „früher“ schlicht und selbstverständlich erwartete:
· „Feste Zusagen und Versprechen gehören eingehalten.“
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er gleich die Wahrheit spricht.“
· „Wenn man nicht alles selbst macht…“
„Man kann sich nur selbst vertrauen.“
„Du kannst Dich auf nichts und niemanden je wirklich verlassen.“
· „Wenn einem etwas nicht passt, sagt man das gefälligst auch und zwar nicht erst dann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.“
· „Wer den Ton macht, spielt die Musik.“
· „Niemand tanzt mir auf der Nase herum. Meine Kinder* am allerwenigsten.“
(* hier: meine ‚kleine‘ Schwester)· „Man kann doch nicht einfach machen, was man will.“
· „Wenn jemand sich Mühe macht, ist das zu würdigen; Arbeit schändet nicht.“
· „Wo kommen wir denn hin, wenn das jeder machen würde?“
· „Man kann nicht auf jede(n) (Befindlichkeit) Rücksicht nehmen.
· „Du musst aber auch immer mit dem Kopf durch die Wand!“
Einige (aber nicht alle) der o.g. Aussagen stammen aus diesem Artikel hier:
https://birgit-ising.com/kriegsenkel-ah...enssaetze/Da steht natürlich noch viel mehr, aber der Rest führt m.E. hier im Thread jetzt zu weit.
Worauf ich hinaus möchte: Jungen Menschen treibt das womöglich schon beim Lesen die Nackenhaare hoch und über den Ton lässt sich natürlich streiten.
Eigentlich waren solche Regeln aber eben
nicht dafür gedacht, Menschen zu gängeln, sondern deren Miteinander möglichst unfallfrei zu steuern. Jede Kollision ist nämlich ärgerlich, verursacht Stress und mitunter sogar erhebliche Kosten – was sich durch schlichtes Befolgen dieser Grundsätze hätte verhindern lassen.
In welchem Verhältnis steht das letztlich zueinander?
Hier z.B. geht es nicht allein um ein völlig für die Katz vorbereitetes Abendessen für 30 Personen und die abrupt zerstörte Vorfreude von @Sensibelchen5 auf diesen „ihren“ Tag, an dem auch sie endlich „mal dran“ hätte sein sollen. Letztlich sitzen alle Beteiligten mittlerweile wahlweise traurig, beleidigt oder auch stinksauer in einer Sackgasse, aus der sie allein immer weniger gesichtswahrend herauszufinden drohen. Evt. wird eine Mediation erforderlich – hat sich mal jemand näher damit beschäftigt, was das ggfs. noch obendrein kostet?
Nach der gestrigen Recherche (s. Beitrag #250) dachte ich die in einem der Mediationsangebote erklärte Vorgehensweise mal konkret zuende:
Das Erstgespräch ist noch kostenlos. Die Mediatorin wird sich den Fall anhören und dann einschätzen, ob sie ihn übernimmt oder nicht. Falls ja, wird es Aufgabe des Anrufenden (hier: der TE), ihre Geschwister von der Möglichkeit einer Mediation zu unterrichten und deren Zustimmung einzuholen, dass deren Telefonnummern an die Mediatorin weitergegeben werden.
Das allein kostet also schon wieder Zeit für ein Telefonat und die Vorbereitung einer Nachricht an alle, die dem einen oder anderen dann auch noch näher erläutert werden muss, ehe man sich darauf einlässt - sofern die Idee nicht eh gleich beiseite gewischt wird.
Aber setzen wir mal voraus, alle sind einverstanden und die Rufnummern werden der Mediatorin übermittelt. Ergo wird diese bei jedem Geschwister erst mal einzeln anrufen und sich dessen Sichtweise schildern lassen. Bei fünf Geschwistern macht das – denke ich mal – je eine Stunde Aufwand. So die Mediatorin um die Euro100 bis Euro200 pro Stunde berechnet, sind da also schon mal die ersten Euro500 bis Euro1.000 weg.
Jede weitere Gesprächsrunde – und die kommen ganz sicher – kosten nochmal extra. Ohne sowas je persönlich beansprucht zu haben und daher auch ohne jede Garantie auf Richtigkeit: Schon nach erstem Durchlesen würde es mich nicht wundern, wenn man am Ende so anderthalb bis zwei Tausender dafür los geworden ist.
Nicht nur all die hier im Thread erwähnte, vergebene Vorbereitungsmühe, den Schock im Chatraum angesichts der hochgehenden Daumen, den Ärger über das Verhalten der jeweils anderen, die Traurigkeit über den so entstandenen Status quo hätte man so verhindern können. Sondern auch solche handfesten Folgekosten.
Also indem man schlicht mal zuhört und tut, was „die Alten“ sagen – ohne wenn und aber, ohne hättste, wärste, könnste, ohne ich, ich und nochmal ich – ohne danach zu trachten, aber auch wirklich alles bei jeder sich bietenden Gelegenheit für sich selbst zu optimieren.
Was die heutzutage wahlweise als „falsch“ oder „überholt“ titulierten Glaubenssätze vielleicht auch erklärt oder zumindest nachvollziehbar macht:
Bis Mitte der 1950er ging es einem guten Teil der Bewohner hierzulande materiell schlicht dürftig. Also nicht allein während und zwischen den beiden Weltkriegen, sondern auch in den Jahrhunderten davor – insbesondere, als noch keine Bismarck’schen Sozialgesetze existieren.
Ob die Menschen damals das bisschen, was ihnen zum Leben über blieb dann auch noch für so einen Mediationspalaver ausgeben wollten oder stattdessen lieber „blind und hörig“ jahrhundertealte Regeln befolgten, die einem von den eigenen Eltern nahegelegt wurden – Menschen also, die es normalerweise definitiv gut mit einem meinen und nach eigener Bekundung auch selbst stets gut so durchs eigene Leben geschippert waren – na Ihr seht schon, worauf ich hinaus möchte.
Die „Alten“ waren nämlich
nicht nur bekloppt und früher war auch
nicht alles schlecht – so wie heute
nicht alles besser klappt, nur weil es medial überall rumgetrötet wird und zudem die Kassen der Beratungsindustrie klingeln lässt.
Ich fühlte mich tief berührt als @Sensibelchen5 schrieb, ihre Eltern hätten die Kinder seinerzeit gebeten,
einander die Hand zu reichen, statt miteinander rumzustreiten. Aus solchen Sätzen spricht nämlich eine Menge
Güte und
Innigkeit. Gut möglich, dass junge Menschen dafür heutzutage gar keine Antenne mehr haben, da sie diese Zeit und ihr Lebensgefühl nie selbst erlebten oder auch nur Umgang mit deren Vertretern hatten.
Auch deshalb meine Einlassung, man solle als erwachsener Mensch mittleren Alters nicht nur sein Elternhaus für alles verantwortlich machen.
Das funktioniert nämlich sehr wohl auch anders herum: Hätte die Schwester sich mal an elterliche Regeln wie die weiter oben genannten
gehalten, so
wäre diese Situation nämlich gar nicht erst
entstanden. Denn dann hätte sie nicht darauf geblickt, wie sie den Heiligabend nun doch noch für
sich optimiert und aber auch wirklich
alles unter
ihren Hut bekommt, sondern auf ihre Schwester und hätte sich spätestens angesichts von deren irritierter Nachfrage im Chat auch mal in deren Schuhe wenigstens hineingedacht. Das gilt übrigens auch für ihre Geschwister – jawohl.
Klar kann die TE sich momentan herzlich wenig kaufen, dass sie in der Sache recht, aber dennoch keinen Kontakt mehr zu ihren jede Einsicht diesbezüglich hartnäckig verweigernden Geschwistern hat. Aber so und nicht anders ist es nun mal und nein:
Eine nach vier Monaten passiv-aggressiven kollektiven Schweigens im Familienchat gepostete, einsilbig und als Gegenfrage formulierte Textnachricht hat mit der
im elterlichen Sinne aufrichtig ausgestreckten
Hand ungefähr soviel zu tun, wie eine Schachtel Billigpralinen vom Discounter mit einer liebevoll von Hand hergestellten Mousse au Chocolat auf dem mit viel Bedacht geschmückten Weihnachtsesstisch.
Hoffentlich bekommen alle Familienmitglieder noch irgendwie die
Kurve – denn
das und
nichts anderes hätten ihre Eltern jedenfalls
gewollt und darüber würden sie sich auch sicher immer noch freuen – egal von wo aus sie auf ihre Kinder jetzt herabschauen.
@Sensibelchen5 - falls meine Einlassungen Dir zuviel werden: Sag was Du willst und Du kriegst es auch. Bei dieser hier hoffe ich, dass sie vielleicht noch ein paar Gedanken beinhaltet, an die Deine Geschwister und Du – auch im ehrenden Gedenken an Eure seligen Eltern – irgendwann vielleicht doch nochmal gemeinsam wieder anknüpfen könnt. Wo ein aufrechter Wille, da auch ein Weg, an dessen Ende eine offene Tür mit jemand auf der Schwelle steht, dessen Hand ausgestreckt bleibt.
Wenn nicht auf dieser Welt, dann halt im nächsten Leben.
--- Exkurs beendet ----