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Lieber Papa

K
Hallo Papa,

Jetzt bist du bald 5 Jahre nicht mehr da und es hat sich einiges getan bei mir.

Voller Wut war ich auf dich als du deinen letzten Atemzug in deinem Pflegebett getätigt hattest obwohl ich dich bis zum Schluss liebevoll gepflegt hatte.

Während alle konsterniert um dich herum saßen habe ich das getan was ich immer getan habe- nämlich funktioniert.
Ich habe den Bereitschaftsarzt angefordert und das Bestattungsinstitut angerufen.

Als du abgeholt worden bist habe ich dein Pflegebett abgezogen und geweint.

Seit 2014 nun mehr trage ich diesen Trennungsschmerz in mir und die Summe meiner Muster seit meiner Kindheit ,plus dem Fakt, dass ich dir nie richtig gesagt habe, dass du ein A. Loch bist aber ich dich unendlich geliebt habe führte mich zu dem was ich heute bin.

Unter Schlägen hast du mir im Suff als ich vier Jahre alt war gesagt, dass ich nicht richtig bin und das habe ich bis heute verinnerlicht.
Jedes Mal wenn du getrunken hast habe ich mich geschämt.
Jedes Mal wenn du betrunken am Fußballplatz vorbei gelaufen bist , habe ich meine Freunde panisch gedrängt aufs gegenüberliegende Tor zu spielen damit dich niemand sieht.

Heute weiß ich, dass du es nicht anders konntest, dass du dein ganzes Leben nicht verstanden hast, dass du selbst ein Opfer deiner Kindheit und deiner Muster warst.
Du konntest es nicht anders.

Und manchmal hast du glaube ich getrunken weil du dich geschämt hast.

Heute Abend kommt das Champions League Finale und ich werde an dich denken.
Du warst es der mich als Kind das erste mal mit ins Stadion mitgenommen hat und mit mir danach zu Hause geschaut wo welche Städte liegen und meine Begeisterung für Fußball geweckt.
Deshalb bin ich heute in Geografie so gut und ein Fußball-Lexikon.

Du warst mein erster richtiger Freund , hast mich oft enttäuscht und verletzt aber trotzdem liebe ich dich.

Am Montag , wenn ich frei habe, werde ich zu deinem schönen Baumgrab fahren und bisschen auf der Mauer sitzen.

Auch dann werde ich denken, dass du oft ein idiot warst , aber auch ein liebenswerter.

Machs gut, mein lieber Papa!

01.06.2019 11:03 • x 44 #1


B
Sehr berührende Worte. Ich habe den Eindruck, dass du anfängst, ihm zu verzeihen? Ein, in meinen Augen, sehr wichtiger schritt für dich.

Alles Gute auf deinem Trauerweg!

01.06.2019 11:30 • x 2 #2


A


Lieber Papa

x 3


N
Ergreifend. Und regt zum Nachdenken an.

01.06.2019 11:45 • x 1 #3


E
Wüssten manche Menschen es besser hätten Sie besser gehandelt.

* Niemals in der Welt hört Hass durch Hass auf. Hass hört durch Liebe auf. *

Vergebe unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Aber ich würde an deiner Stelle auch Loslassen auch wenn dein Vater so war, wie er war.

Ich denke wir alle haben trotz mancher Booshafter Momente auch einen guten Teil immer noch in uns.

01.06.2019 12:19 • x 2 #4


P
Oh nein, es ist auch ok seinen Mißhandlern nicht zu vergeben. Eine vergiftete Kindheit bleibt was sie ist.
Irgendwann hat man sich mal entschieden sein Kind schlecht zu behandeln, man hat immer eine Wahl.

Wer die Bibel kennt, es wird nur dem vergeben, der auch bereut. Wer nicht bereut braucht deine Vergebung schon einmal gar nicht. Das kratzt die Person nicht im Geringsten.

Und es ist auch ok den Mißhandler deiner Kindheit zu lieben. Kindliche Liebe halt, die dein Überleben sicherte, dich dabei aber emotional verkrüppelte.

01.06.2019 12:33 • x 1 #5


N
@Körperklaus
Mein Gott. Da oute ich mich auch mal.

Auch mein Vater hat gesoffen wie ein Loch ! Er war nie da, weil immer dicke wie Luzi.
Wie gerne wäre ich mal Angeln gegangen oder hätte Freizeit mit ihm verbracht.

Das ist starker Tobak KlausiMausi ! Meinen größten Respekt !

Ich habe vor mehreren Jahren damit meinen Abschluss gemacht. Und auch ich verzeihe ihm,auch das was er meiner Mutter angetan hat ! Seine Freunde haben mir damals erzählt, da wohnte er schon nicht mehr bei uns, was er für ein Bomben-Typ war. Der Beste Freund ever. Aber leider der Alk, leider leider leider............................

Ich lasse mal bewusst die Smileys weg, den die haben hier nichts zu suchen.............................

ich muss glatt heulen........paaaaahhhhhhh

01.06.2019 12:34 • x 11 #6


B
Ja auch dies ist ein Trennungsschmerz, wenn ein Familienmitglied für immer oder begrenzt von uns geht.

Mein Respekt! Für Deinen Mut uns Dein Leid mitzuteilen.

01.06.2019 12:37 • x 3 #7


G
Dabei, mein Vater ging im Feb. '18. Auch dort war nicht immer Sonnenschein, aber in der Gesamtschau hatte ich einen guten Vater mit Macken. (mit 4 konnte ich mein Fahrrad selbst Flicken) Zudem eine ganz andere Generation, wo die Bomben noch neben das Kinderbett fielen. All das hat diese Generation gezeichnet und das Land wurde auch von IHNEN wieder aufgebaut. Alles ist mit dem ableben abgegolten, verziehen und vergeben. Er wurde nach langem Leiden erlöst. Das gute wird bewahrt.

01.06.2019 12:54 • x 4 #8


S
Einen lieben Papa hätte ich auch gern gehabt. Meiner war sehr streng. Kein Alki aber sehr dominant, leistungsorientiert Und zu mir oft sehr abweisend, hart und ungerecht. Ja, Schläge gab es auch und verbale Gewalt. Meine Therapeutin riet mir, ihn aus meinem Leben zu verbannen. Posthum sozusagen, denn er ist schon seit Jahren tot. Das aber kann ich nicht tun, denn ich habe ihn sehr geliebt und verehrt. Ich versuche jetzt, das schlechte hinter mir zu lassen und das Gute mitzunehmen. So, als würde ich einen Tumor aus meinem Körper entfernen, ohne das Gewebe drum herum zu zerstören. Ich hoffe, ich schaffe das.

Verzeihen kann ich ihm nicht. Das kann er nur selbst für sich tun. Das spielt aber für mich auch keine Rolle mehr. Überleben ist mir wichtiger.

01.06.2019 17:11 • x 3 #9


mafa
Ja ich weiß wie das ist wenn ein Vater Alk. ist. Meiner war das auch. Und er ist mittlerweile auch tot, für mich wird er immer ein A. bleiben und ich werde ihm ganz sicher nicht verzeihen. Denn er hat mir meine ganze Jugend versau t und auch einen Großteil meiner Psyche mit der ich mich nun mein ganzes Leben rumschlagen muss. Nein man muss nicht immer verzeihen... aber gut das du es konntest und damit Frieden schließen könntest vielleicht

01.06.2019 17:16 • x 5 #10


K
Vielen herzlichen Dank für die lieben und motivierenden Reaktionen!

Es ist irgendwie eine Erleichterung gewesen das runter zu schreiben und ich bin ordentlich verquollen aber auch gelöst in die Arbeit gedüst.

Erstaunlich wieviele von euch, oder uns ähnliches an struggle haben.

Vielen lieben Dank euch allen!

01.06.2019 21:50 • x 3 #11


Lebensfreude
vor 45 Jahren und 4 Tagen ist mein Vater am Herzinfarkt gestorben. Er hat auch viel getrunken, hat geschlagen.
War Soldat im Krieg, hat seine erste Frau verloren.
Es hat viel Therapie und eine Familienaufstellung gebraucht, um in die innere Aussöhnung zu kommen. Und endgültig gelöst hat sich für mich alles durch eine Sitzung bei einem Trancemedium. Die Botschaften von meinem Vater haben mein Herz und meine Seele getröstet und versöhnt.
Ich bin dankbar für die guten Dinge und Eigenschaften, die ich von ihm habe. Und dass er das Haus gebaut hat, in dem ich heute leben kann. Das andere lasse ich bei ihm und seinem Schicksal.
Meine Mutter ist vor 9 Jahren gestorben und wieder mit ihm zusammen, in Frieden. So nehme ich es jedenfalls wahr.

Mein Vater hatte 2 Seiten. der humorvolle, liebevolle Papa, für dessen Bauch ich Plümmo sein durfte, mit dem ich gerne geschmust habe.
Aber er konnte auch jähzornig sein. Und diese Seite hat mir Angst gemacht.

Er hat mich oft im Gesicht mit seinen Bartstoppeln gekitzelt. Das spüre ich heute noch manchmal als Jucken auf der Nase. Dann weiß ich, mein Papa ist mir nahe. Und ich weiß, dass er in all der Zeit auf der anderen Seite eine Transformation gemacht hat und mir heute liebevoll zur Seite steht.

Danke @Körperklaus für diesen Thread und Deine Worte

01.06.2019 22:46 • x 5 #12


P
@Körperklaus

Ich freue mich wahnsinnig zu lesen, daß ich nicht alleine bin mit meiner inneren Zerrissenheit zwischen dem Ekelpaket, der mir in mir ordentlich was hinterher zu räumen überlassen hat und der Tatsache, daß ich meinen Vater liebe, weil er mein Vater ist.
Ich freue mich nicht, daß es anderen damit schlecht geht sondern darüber, daß ich mich hier verstanden fühle, gerade in deinen Zeilen. Und das tut unglaublich gut. Danke für deine offenen und treffenden Worte!

01.06.2019 23:10 • x 2 #13


K
Zitat von Perzet:
Ich freue mich nicht, daß es anderen damit schlecht geht sondern darüber, daß ich mich hier verstanden fühle, gerade in deinen Zeilen. Und das tut unglaublich gut. Danke für deine offenen und treffenden Worte!


Und wenn einem mal zum weinen ist, dann macht man das einfach

01.06.2019 23:12 • x 3 #14


_Lydia_
Wow!
Wahnsinnig schön geschrieben und so toll, dass du dir und ihm anfängst zu vergeben.

02.06.2019 00:12 • x 1 #15


A


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