Hamburg. Es war ein „reiner Zufallsbefund“, der nun auch international für Aufsehen sorgt. Was die neuen Erkenntnisse für Betroffene bedeuten. Hunderttausende Long-Covid-Betroffene allein in Deutschland setzen alle Hoffnung in die Forschung, da es bislang keine zugelassenen Medikamente oder gar eine Heilung gibt. Das gilt insbesondere für die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom – kurz ME/CFS –, die schwerste Form von Long Covid. Hoffnung kommt nun aus einem kleinen Forscherteam des Professor Stark Instituts am Schlump in Hamburg-Eimsbüttel.
Konkret geht es um eine Studie, die wegen des großen nationalen und internationalen Interesses bereits vorab veröffentlicht wurde. Der Hamburger Wissenschaftler Dr. Christof Ziaja, der die Studie federführend geleitet hat, spricht von einem „Durchbruch“. „Durch die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, gehen wir davon aus, dass wir einen Bio-Marker gefunden haben, der das Krankheitsbild quasi beweist“, so der 49-Jährige. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass etlichen Betroffenen unterstellt wird, es handele sich um eine psychische Erkrankung, sei diese Erkenntnis „bahnbrechend“.
Post Covid: Was die Ergebnisse der Hamburger Studie für Betroffene bedeuten
Im Gespräch mit dem Abendblatt erklärt Dr. Ziaja, wie die Studie aufgebaut ist, was herausgefunden wurde und was die neuen Erkenntnisse für Betroffene bedeuten.
Hamburger Abendblatt: Wie war die Studie angelegt, und was war die Ausgangshypothese?Dr. Christof Ziaja: Eingangs wollten wir im Grunde eine bereits abgeschlossene Studie der Stanford University quasi nachbauen. Diese untersuchte Betroffene in einem sogenannten funktionalen MRT – das ist ein spezieller und seltener Scanner, der mehr Veränderungen sichtbar machen kann als ein herkömmliches MRT. Da es am UKE ein solches Gerät gibt, wollten wir uns das auch genauer anschauen, um die Erkrankung besser zu verstehen. Die Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, unterlagen also gewissermaßen keiner These. Es war ein reiner Zufallsbefund.
Wie sah dieser konkret aus? Was haben Sie gesehen?Bei den 90 zum Teil schwer betroffenen und bettlägerigen Patientinnen und Patienten, die wir über mehrere Jahre hinweg mehrmals im funktionalen MRT untersucht haben, glaubte ich in der Bildgebung zunächst an einen Darstellungsfehler. Doch das war es nicht. Wir haben im Verlauf der Erkrankung sehen können, dass ein bestimmter Teil ihres Gehirns massiv geschrumpft ist. Ich habe mich dazu umgehend mit den Kollegen der Stanford University ausgetauscht, und die sahen auch, was ich gefunden hatte. Fortan arbeiteten wir eng zusammen.
Hamburger Long-Covid-Forscher: Darum wachen Betroffene morgens erschöpft aufGehirnteile, die verschwinden? Das klingt sehr bedrohlichKonkret geht es um eine Verbindung zwischen dem Stammhirn, dem Kleinhirn und dem Hirnmark, dem sogenannten vierten Ventrikel, das relevant ist für wesentliche Dinge wie: Erholung, Schlaf-Wach-Rhythmus, Herzschlag, Vitalität und vieles mehr. Diese Verbindung – eine Art Brücke (das Dach der sogenannten Rautengrube) – ist bei den Betroffenen gewissermaßen gebrochen. Und das erklärt viele Symptome. Etwa, dass Patienten eben keine Erholung mehr finden und morgens völlig gerädert aufwachen. Die neuen Erkenntnisse treiben uns natürlich um. Aber eben nicht nur das. Denn wir können von dieser Erkenntnis vieles ableiten, was uns hilft, die Erkrankung zu verstehen. Es ist im Grunde wie ein Bio-Marker, der beweist: Das ist ein organischer Befund, das ist nicht psychisch.
Gibt es Klarheit dazu, was diesen Prozess auslöst?Klarheit noch nicht, aber wir verstehen immer mehr. Wir gehen aktuell davon aus, dass Spike-Proteine des Corona-Virus das Immunsystem toxische Auto-Antikörper produzieren lässt, die die entzündlichen Prozesse in der Rückenmarkflüssigkeit vorantreiben. Eben diese Flüssigkeit haben wir auch in den betroffenen Hirnregionen gefunden. Weiter gehen wir seitens der Autoren der Studie davon aus, dass die Veränderungen, die wir auch im Bereich der sogenannten weißen Substanz gesehen haben, möglicherweise mit Schädigungen entlang der Nervenfaserbahnen einhergehen.
Reaktionen auf Hamburger Forschungsergebnisse: „Man kann es nun verstehen“
Welche Bedeutung haben die Ergebnisse der Studie?Die Bedeutung ist riesig. Viele Forscher, und dazu zähle ich mich auch, argumentieren seit Jahren gegen die, die immer noch sagen, dass es die Krankheit nicht gibt. Angesichts der aktuellen Ergebnisse kamen schon Mediziner auf mich zu, die gesagt haben: „Sie haben recht. Man kann es nun verstehen.“ In Fachkreisen wird ME/CFS inzwischen von vielen als ‚MS-like-Desease‘ bezeichnet, also als eine Erkrankung, die Multipler Sklerose ähnelt. Auch diese Erkrankung hat man noch nicht komplett verstanden, aber sie wird anerkannt, und es gibt Medikamente.
Hamburger Post-Covid-Forscher: „Wissen nun genauer, wonach wir suchen“
Medikamente sind das Stichwort. Hunderttausende Betroffene warten allein in Deutschland darauf. Können Ihre Ergebnisse die Suche nach geeigneten Medikamenten vorantreiben?Auf jeden Fall. Wir sind einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Und dieser Erkenntnisgewinn ist wichtig dafür, um Parallelen zu anderen, in Zügen ähnlichen Erkrankungen zu sehen, die mit Medikamenten behandelbar sind. Die Liste der potenziellen Off-Label-Medikamente ist lang. Jetzt wissen wir genauer, wonach wir suchen.
Wie geht es nun weiter?Nach der Vorabveröffentlichung auf dem renommierten Portal medRxiv, das unter anderem von der Yale University betrieben wird, wollen wir die Studie nun bald auch ganz offiziell beenden und vorstellen. Wir haben im Grunde alle relevanten Daten, aber damit es wissenschaftlichen Kriterien genügt, muss die Kontrollgruppe an Gesunden noch größer werden. Wir rechnen damit, dass es im Sommer so weit sein wird. Vorher werde ich unsere Studie aber schon auf Fachtagungen vorstellen. Im Mai bin ich etwa als Redner auf der ME/CFS Conferenz 2025 in Berlin geladen.