Hey ihr,
seit 14 Jahren bin ich mit meiner Freundin zusammen. Wir hatten eine schöne Zeit am Anfang und eine wohlige Gewohnheits-Vertrauens-Phase im Anschluss. Wir hatten auch Krisen, in denen jeweils ich sie oder sie mich verlassen wollte. Darüber sind wir aus Mutlosigkeit oder Anhänglichkeit gut weggekommen (das ist sehr negativ ausgedrückt, aber ich fürchte, dass Verliebtheitsgefühle dabei keine Rolle mehr spielten). Zwar ist unsere Beziehung immer noch humor- und vertrauensvoll, die Chemie stimmt auf persönlicher Ebene, aber im amourösen Bereich sind wir sehr . wie soll ich sagen. automatistisch. Sie sucht durchaus Zärtlichkeiten, ich gebe sie leider deutlich weniger und weniger. Von S. ist leider jede Spur verloren gegangen, was mich sehr stört und was trotz Aussprachen keine Verbesserung zeigt. Dazu kommt, dass sie nicht heiraten will (ok), aber auch keine Kinder möchte, was ich zunächst widerwillig hinnahm, aber mehr und mehr überdenke, je älter wir werden. Schließlich wohnen wir trotz überdurchschnittlichem Doppelgehalt noch in einer Art Wohngemeinschaft (seit 10 Jahren die gleiche Wohnung). Sie sucht Stabilität, weil sie keine Familie mehr hat, ich will schon lange die Veränderung und habe das auch kommuniziert.
Nun habe ich eine Arbeitskollegin, mit der ich seit über einem Jahr zunächst freundschaftlichen, dann sehr intimen Kontakt hatte. Wir haben im letzten halben Jahr sehr, sehr, sehr, sehr viel auf whatsapp geschrieben und unser halbes Leben ausgetauscht. Von Anfang an war mir klar, dass diese Frau mich will, auch wenn sie bald erfahren hat, dass ich vergeben bin. Immerhin hatte ich aber genug Zeit, abends sehr viel mit ihr zu schreiben, während meine Freundin fernschaute oder selbst am Handy hing.
Jedenfalls Mit ihrer touchigen, sehr extrovertierten Art strahlte die Kollegin gleichzeitig etwas ziemlich notgeiles aus, aber auch etwas stark anziehendes. Mit ihrer unglaublichen, sicherlich produzierten S. in Gesten und Blicken hat sie es geschafft, mich in ihren Bann zu ziehen, dem ich nur durch knallharte Konfrontation hätte entgehen können. Als eher konfliktscheuer, aber immerhin auch geschmeichelter Mann habe ich bedauerlicherweise viel zu lange nichts anbrennen lassen.
Immer wieder war der Kontakt zu ihr zunächst gelegentlich eingeschlafen, dann aber wieder aufgewacht. Harmlos am Anfang, dann aber schnell mit sehr S. aufgeladenem Gesprächsstoff. Über viele Monate gemeinsam verbrachter Zeit am Arbeitsplatz und Hin- und herschreiben, wächst einem ein solcher Mensch auch ans Herz, weil es ja immer um weit mehr geht als S. Ersatz. Trotzdem habe ich mich nie so richtig in sie verliebt, weil sie einfach zu needy gewesen ist und sie sich mir um jeden Preis hingegeben hätte. Nach über einem Jahr nun, das wir uns kennen, hatte sich bis Weihnachten eine deutliche Intensivierung unseres Verhältnisses ergeben. Wir sind in unserer Sprache deutlich expliziter geworden, die Komplimente deutlich S. und der Kontakt auch im echten Leben viel häufiger (aber: keine Küsse, kein S.). Sie hat sehr deutlich gemacht, dass sie es am liebsten hätte, dass ich mich trenne und zu ihr gehe, nachdem ich ihr auch von meiner eigenen Unzufriedenheit berichtet hatte.
Bereits ein paar Monate zuvor hatte ich ihr noch/schon einmal erklärt, wie wichtig mir meine Beziehung sei, was kurzfristig in eine Sendepause mündete, weil sie mir meine Unentschlossenheit bei gleichzeitiger Nähe zu ihr übel nahm (verständlich) und den Kontakt vorübergehend abbrach. Schließlich gerieten wir danach doch wieder in diese whatsapp-attractiveness-Schleife/Blase, die ich nach Weihnachten wieder habe platzen lassen, weil mir nach so einer Art Cybers**-Chat mir ihr bewusst geworden ist, was ich da tat: ich betrog seit langer Zeit schon meine Freundin, auch wenn ich niemals mit einer anderen Frau S. hatte.
Nun war auch klar, dass die Kollegin sich bereits handfest in mich verliebt hatte und mir meinen Rückzieher sehr verübelt hat. Erst Wut, Trauer und Enttäuschung, dann nach 10 Tagen noch ein kurzes Aufbäumen per Skype und auf FB (Ausweichmedien), auf denen sie sich immer wieder gemeldet hat: Ach komm schon, wir wären echt ein süßes Pärchen.
Heute reden wir nicht mehr miteinander, sie will Abstand, wir ignorieren uns weitgehend, können uns aber nicht aus dem Weg gehen. Ich habe keine Probleme damit, wenn ich sie gar nicht sehen muss und komme im Grunde dann auch ohne sie aus. Allerdings macht mich ihre unvermeidbare Präsenz dann immer wieder sehr traurig und es hat sich zwischen uns ein seltsames Wettrennen entwickelt, wem es zuerst wieder am besten geht. Dabei tut es mir weh zu sehen, dass wir mit den gleichen Menschen Spaß haben können, aber uns selbst gegenseitig vom Spaß ausschließen, weil wir uns nicht begegnen wollen, sie, weil sie nicht mehr in die Schleife zurück will, ich, weil ich in ihr keine Hoffnung wecken will, die mich wieder unter Druck setzt.
Es gelingt auf dem engen Raum nicht immer, dass man den jeweils anderen schont und so passieren unbeabsichtigte Provokationen, vor allem im Umgang mit Kollegen, mit denen wir uns beide verstehen.
Dann frage ich mich oft, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe und vielleicht einfach nicht mutig genug war, mein Leben wirklich zu ändern. Ich weiß, wie viel Spaß ich mit ihr haben konnte und ich weiß, dass sie mir hätte geben können und auch gegeben hat, was mir einfach fehlt.
Im Moment ist aber das bemerkenswerteste an der Angelegenheit, wie sehr ich mich immer mehr innerlich aus meiner Beziehung entfremde, auch wenn ich weiß, dass am Ende nicht zwangsläufig direkt eine Anschlussbeziehung mit der Kollegin stehen wird. Es ist eine einzige moralische und emotionale Zwickmühle. Es fühlt sich an, als wolle man einen Gegenstand hinter einer Gummiwand ergreifen, die man mit den Händen eindrücken kann, sodass sich die Form abbildet. Den Gegenstand selbst bekommt man aber nicht zu fassen, außer durch das Gummi, das dauern abrutscht. Ich weiß nicht, wo mein Weg ist und mir fehlt der Mut zu einer Entscheidung.
12.03.2018 23:23 •
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