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Treffpunkt für Angehörige/r mit Demenz

bifi07
Hallo zusammen!

Ich habe mich gefragt, ob ich dieses Thema überhaupt hier einstellen soll, aber nachdem ich einige Beiträge gefunden hatte, wo über Demenz bei Angehörigen geschrieben, oder zumindest erwähnt wurde, habe ich mich dazu entschlossen es zu tun.

Mich persönlich betrifft es seit einem Jahr, wo ich die Betreuung meines Vaters übernommen habe.
Wenn ich zurück blicke, kam das natürlich nicht von heute auf morgen!

Es geht mir hier im Thema nicht um Diagnosen oder Medikamentenempfehlungen, sondern einfach, wie ihr euren Alltag unter dieser Entwicklung erlebt.
Da es viele mehr oder weniger betrifft, könnte ein reger Austausch helfen, oder zumindest es etwas leichter machen, wenn man merkt, man ist damit nicht allein.

Auch gibt es sicher einige lustige Begebenheiten, denn gerade in dieser Situation sollte man einiges mit Humor nehmen!

Zum Beispiel wollte neulich mein Vater eine PIN in den PC eingeben und hat statt die Tastatur zu nehmen, auf die Zahlen getippt, die ich ihm extra groß auf einen Zettel geschrieben habe und sich gewundert, dass sich nichts tut.

Natürlich ist so etwas im ersten Moment traurig, hat aber auch eine drollige Seite, die man nur entdeckt, wenn man schon länger damit zu tun hat.

Ich hoffe, dass sich einige User in diesem Theard wieder finden, die darüber schreiben möchten. Falls nicht, ist das auch okay.
Mir hat es jedenfalls gut getan, es einmal hier aufzuschreiben, zumal es gerade in letzter Zeit doch auch eine ziemliche psy. Belastung geworden ist.

Ich wünsche euch noch einen schönen Tag und viel Kraft, die wir alle brauchen werden.

Eure bifi

22.10.2021 11:45 • x 16 #1


A
Ich habe meinen demenzkranken Ehemann 10 Jahre gepflegt. (er war 19 Jahre älter als ich) Er ist vor 2,5 Jahren gestorben.

Die Krankheit schlich sich sozusagen an. Er war Herzkrank, musste regelmäßig Medikamente einnehmen. Alles war gut, dann rief sein Arzt bei uns an. Er bat mich, die Medikamenteneinnahme zu beobachten, weil mein Mann seine Medikamente offenbar nicht nach Vorschrift einnahm.
So fing es an. Ich übernahm die Einteilung seiner Medikamente.
Das ging aber nicht problemlos ab, denn er beklagte sich lautstark. Ich kann das alleine.
Es war nicht einfach mit ihm, und es wurde zunehmend problematischer, weil er sich auch bevormundet fühlte, wenn ich ihn zum Arzt begleitete. Ich kann das alleine.
Ich musste nach und nach die Terassentüren und die Haustür verschließen, damit er nicht weglief.

Eines Tages muste er ins Krankenhaus. Ich warnte den Arzt sofort: Er wird nicht bleiben, er wird weglaufen.
Der Arzt winkte ab und mein Mann lief weg, nachdem er eingeliefert worden war. Er soll sich listig davongeschlichen haben.
Wir gingen alle auf Suche, auch der Arzt, dem es peinlich war.

Abends um 10 Uhr wurde er von einem Ehepaar im Park gefunden, er war gefallen, hatte sich Arme und Beine blutig geschlagen. Er kam mir - wie ein kleines Kind, das allen gezeigt hatte, das man das mit ihm nicht machen konnte - entgegen, als er aus dem Auto des Ehepaares ausstieg, das ihn nach hause gebracht hatte. Von diesem Tag an lebte ich mit meinem Mann zusammen hinter verschlossenen Türen.
Nicht nur er war nun eingesperrt, sondern auch ich. Und da er sich von Pflegepersonal nicht betreuen ließ, und auch in keine Begegnungsstätte ging, wo man ihn für Stunden oder Tage betreut hätte, wurde es ein extrem schwere Zeit für mich.

Es wird nicht leicht, aber es ist machbar.
Ich habe versucht meinem Mann das Leben so schön wie möglich zu machen.

Viel Kraft.

22.10.2021 12:55 • x 14 #2


A


Treffpunkt für Angehörige/r mit Demenz

x 3


A
Ich will aber auch nicht verschweigen, dass es nicht einfach war.

Ich hatte oft das Gefühl, dass er mich dafür hasst, dass ich alles übernahm, ihm die Rolle als Vorstand der Familie streitig machte.
Das Ende kam, als das Herz meines Mannes zu flimmern begann. Der Paliativ Mediziner, der sich die letzten Tage mit um meinen Mann kümmerte, hatte mir entsprechende Medikament da gelassen.
Irgendwann halfen die dann auch nicht mehr, und mein Mann flippte vollkommen aus. Er riss sich die Kleider vom Leib, sprang nackend durchs Haus, beschimpfte und beleidigte mich, sah mich zornig an und versuchte mich die Treppe herunterzustoßen, als ich ihm helfen wollte. Er gab mir wohl die Schuld an seinem Zustand, er wusste offenbar nicht was er tat.
Es war kein schönes Ende....

Aber ich bereue nicht, dass ich ihn nicht weggegeben habe, wie alle mir geraten haben.

22.10.2021 13:13 • x 13 #3


bifi07
@Angi2
Danke dir für deine Geschichte, wenn sie auch sehr schwer und traurig ist...

Mein Vater war noch nie ein einfacher Mensch, was die Demenz noch verstärkt hat.
Der Sozialdienst meinte schon vor einem Jahr, dass wir uns zeitnah Hilfe suchen sollten.

22.10.2021 18:03 • x 3 #4


Plentysweet
Zitat von bifi07:
dass wir uns zeitnah Hilfe suchen sollten.

Ja. Das würde ich auch empfehlen.
Die Krankheit Demenz ist so leidvoll und anstrengend für das Umfeld, daß man ohne externe Hilfe bald in die Knie geht.
Als Lektüre empfehle ich Der alte König in seinem Exil.
Das Buch ist wunderschön, sinnvoll, traurig, menschlich, real.
Holt Euch Hilfe! Um einen Demenzkranken muss sich wie ein
Ring von Helfern (Netzwerk) bilden, die dem Kranken helfen und sich gegenseitig unterstützen.
Es kostet sehr viel Kraft.
Alles Gute .

22.10.2021 18:16 • x 5 #5


Wollie
Wir versorgen und kümmern uns auch um meine Mutter, welche bei uns im Haus lebt und ebenfalls eine Demenz seit drei Jahren hat, welche sich auch so schleichend verschlimmert und für alle herausfordernd und anstrengend ist.
Schreib heute Abend dazu mehr, ist ein längeres Thema.

22.10.2021 18:21 • x 4 #6


A
Zitat von bifi07:
@Angi2 Danke dir für deine Geschichte, wenn sie auch sehr schwer und traurig ist... Mein Vater war noch nie ein einfacher Mensch, was die Demenz noch verstärkt hat. Der Sozialdienst meinte schon vor einem Jahr, dass wir uns zeitnah Hilfe suchen sollten.

Das wurde mir ständig geraten. Sie meinten, dass ich das nicht durchstehen würde.

22.10.2021 18:25 • x 1 #7


Plentysweet
Zitat von Angi2:
Sie meinten, dass ich das nicht durchstehen würde.

Man kann es durchstehen. Man braucht nur die Kraft und den unbedingten Willen dazu. Und die Bereitschaft sein eigenes gesundes Leben weitgehend in den Dienst einer Dauerkrankenpflege und Betreuung zu stellen. Und das können und wollen die Wenigsten. Was ich auch völlig legitim finde.
Demenz bringt das ganze Umfeld an seine Grenzen.
Wir haben das auch in der Familie durch. Es war ein sagenhaften Ritt durch die Instanzen, die Entscheidungen, die Heime, die Dauerspanne zwischen Wut-Erleichterung-Schuldgefühlen, familären Querelen, kurz: Das volle Programm.

22.10.2021 18:29 • x 4 #8


A
Zitat von Plentysweet:
Ja. Das würde ich auch empfehlen. Die Krankheit Demenz ist so leidvoll und anstrengend für das Umfeld, daß man ohne externe Hilfe bald in die Knie geht. Als Lektüre empfehle ich Der alte König in seinem Exil. Das Buch ist wunderschön, sinnvoll, traurig, menschlich, real. Holt Euch Hilfe! Um einen ...

Ja, es kostet unendlich viel Kraft,und ich verstehe jeden, der sich Hilfe holt.
Mein Mann wehrte jede Hilfe ab, er duldete außer mir, niemanden. Auch wenn er dement war, und man nie wusste, was er mitbekommt, hatte ich immer das Gefühl, dass ich ihn abschieben würde. Für mich war er ein Menschen, mit Bedürfnissen wie alle, und er wollte sein zuhause nicht verlassen. Ich habe an mich selber gedacht, wie ich wohl fühlen würde, wenn man sich über meine Wünsche einfach hinwegsetzt, nur weil ich krank bin.

Es ist unendlich schwer, ich hatte nicht die Kraft ihm sein zuhause zu nehmen.

22.10.2021 18:30 • x 4 #9


P
Als Fachkraft kann ich dir sagen, Hut ab, das du dich selbst um deinen Vater kümmern möchtest.

Aber das musst du nicht, es ist keine Schande wenn du dir einen Pflegedienst suchst, der sich um deinen Vater kümmert.

Ich habe viele, viele Patienten mit verschiedenen Demenzerkrankungen schon gepflegt. Ja, es ist nicht einfach für Angehörige. Man braucht eigentlich eine emotionale Distanz um an so einer Mammutaufgabe nicht zu zerbrechen.

Kümmerst du dich allein um ihn? Oder gibt es weitere Familienmitglieder die mit im Boot sitzen?

In meiner Stadt, gibt es Stammtische für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen. Gibt es so etwas in deiner Stadt?

Zitat von bifi07:
zumal es gerade in letzter Zeit doch auch eine ziemliche psy. Belastung geworden ist.


Du bist nicht allein. Pass gut auf dich auf.

22.10.2021 18:30 • x 5 #10


A
Ich selbst habe keine Angehörigen, die an Demenz erkrankten, allerdings sah ich viele Jahre die Oma meines ehemaligen Lebensgefährten. Sie lebte im Haus ihrer Tochter, fing an Lebensmittel im Zimmer zu bunkern (der Krieg wird kommen) und sie sprach viel mit Menschen, die sie kannte und verstorben waren.
Das Zusammenleben zwischen Mutter und Tochter wirkte zuweilen urkomisch. ZB Sonntagsmorgens ging es immer zur Messe und an einem Sonntagmorgen frühstückte die alte Dame, zog ihre schönsten Kleider an, ging in ihr Zimmer zum lesen und kam ca 15 Minuten später nur noch in Unterwäsche wieder. Nachdem ihre Tochter völlig schockiert sagte, sie müsse sich anziehen zum Kirchgang, entgegnete die Ältere als ob ich vergessen würde wenn Messe ist. Ich glaub Du musst Deine Oberstube auch mal putzen lassen. Dieses Gespräch fand im tiefsten bayerischen Dialekt statt und ich verschluckte mich vor lachen am Kaffee.
Es war nicht einfach und ich wünsche allen Betroffenen genügend Kraft und Mut, diesen Weg zu gehen

22.10.2021 18:31 • x 5 #11


A
Zitat von Plentysweet:
Man kann es durchstehen. Man braucht nur die Kraft und den unbedingten Willen dazu. Und die Bereitschaft sein eigenes gesundes Leben weitgehend in den Dienst einer Dauerkrankenpflege und Betreuung zu stellen. Und das können und wollen die Wenigsten. Was ich auch völlig legitim finde. Demenz bringt das ganze Umfeld ...

Sind wir Gesunden nicht dazu da, dass wir den Kranken helfen?

Ich persönlich hätte niemals in Ruhe weiter leben können, wenn ich ihn weggeben hätte, weil ich mein eigenes Leben nicht aufgeben wollte.
Aber noch mal, ich verstehe jeden, der sich dazu entschließt, sich Hilfe zu holen.

22.10.2021 18:33 • x 2 #12


L
Hallo @bifi07,

ich war einige Jahre als ehrenamtliche Demenzbetreuerin tätig.
Nutze diese Möglichkeit.
Das wird über den Pflegedienst angeboten und es stehen dir ( ich weiß es mittlerweile gar nicht genau ) einige Stunden zur Betreuung zu. Es gibt auch die Möglichkeit zur Tagesbetreuung. Auch nutzen!

Ach, was hab ich die Montagnachmittage mit meiner Gertrud geliebt.
Sie erzählte mir immer und immer wieder von ihrer (unvergesslichen) Reise nach Afrika und wie die Menschen da so lieb waren......nur komisch gerochen haben sie.

Ihre Tochter ist währenddessen schwimmen gegangen.

Ich empfehle allen Angehörigen so einen Kurs! Man dreht sonst durch.

Alles Gute

22.10.2021 18:34 • x 5 #13


Plentysweet
Zitat von Angi2:
Sind wir Gesunden nicht dazu da, dass wir den Kranken helfen?

Jein.
Natürlich sollen und wollen wir helfen. Aber wenn es zur Selbstaufgabe wird, sehe ich es kritisch. Da sind die Grenzen manchmal fließend. Manche können es auch nicht, sind voll berufstätig, haben Kinder...

22.10.2021 18:37 • x 3 #14


E
Oma hatte Demenz, habe mitgepflegt.
Meine Mutter hat Alzheimer Demenz, bei meinem Stiefvater fängt es auch gerade an. Wir teilen uns die Arbeit, aber für ihn wird es immer schwieriger.
Es ist wirklich nicht leicht.

22.10.2021 18:42 • x 6 #15


A


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