Es war schon ein Kampf
zu entscheiden, ob ich angemessene Businessklamotten trage für den heutigen Termin (mit Luft nach oben für die nächste Auswahlrunde) oder etwas wilder auftrete. Er mag es wilder und ich wollte einfach so aussehen, dass er sich nach mir die Finger leckt, falls der verdammte Zufall uns tatsächlich aufeinander treffen lässt.
Der Job Nr. 3 ist vielleicht ein Teil der Zukunft. Er ist die Vergangenheit. Also habe ich mich für Variante 1 entschieden.
Kennt jemand das angeblich längste Einkaufszentrum Deutschlands oder Europas (oder was weiß ich)? Ich habe verdrängt, wie die Werbung dazu lautete. Das EKZ zieht sich über zwei bis drei Ebenen entlang einer langen Straße. Er arbeitet auf der anderen Straßenseite.
Nach 1 Stunde Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln war ich auf der mittleren Ebene gegen 7.30 Uhr auf dem Weg zu meinem Bestimmungsort - rechts und links Geschäfte. Bis auf ein paar Bäckereien u.ä. waren alle noch geschlossen. Vereinzelt war Reinigungspersonal unterwegs. Ich musste das halbdunkle, mehrere 100 Meter lange EKZ durchqueren und befand mich quasi in einem Geschäftetunnel ohne Abzweigungen nach rechts oder links.
Es wäre fast gut gegangen. Doch dann, fast am Ende, sah ich entgegen seiner früheren Gewohnheiten seine Silhouette aus dem Dunklen mit einer Brötchentüte in der Hand auf mich zukommen. Ich dachte, meine Fantasie spielt mir einen Streich. Aber nein, er war es.
Mein Vorteil: ich konnte mit dieser Begegnung rechnen. Er nicht.
DAS? Ausgerechnet heute vor diesem Gespräch, das Weichen für die berufliche Zukunft stellen wird oder zumindest könnte, am 7-Monats-Trennungstag, in Spießerklamotten!? Wtf? Aber ich hatte es im Urin!
Beim Entgegenkommen konnte ich nur sehen, dass seine Statur sich nicht verändert hat. Allenfalls hat er etwas zugelegt. Aber seine Haare waren schmierig - vermutlich gegelt - (er findet das gut so. Ich finde das bäh) und sein Gesicht war aufgequollen. Genau genommen, sah er elend aus, sofern ich das richtig gesehen habe. Ich vermute seine Krankheit dahinter.
Was habe ich gemacht? Ich habe im Vorbeigehen guten Morgen gesagt. Unfreundlich. Vorwurfsvoll. Provokant. Das ärgert mich jetzt, weil es unsouverän war. Lieber hätte ich ihm ein fröhliches Guten Morgen entgegen geschmettert, statt meine Verletztheit so zu offenbaren. Ich rechnete zwar mit dieser Begegnung, aber weiter hatte ich nicht gedacht. Allein der Gedanke daran löste hilflose Schockstarre aus.
Er war erstaunt. Natürlich.
Er hat zurück gegrüßt. Es kam mir vor, als hätte ER MIR gegenüber einen ähnlich vorwurfsvollen Ton an den Tag gelegt, als hätte ICH IHM etwas getan.
Aber vielleicht irre ich. Vielleicht interpretiere ich über. Vielleicht habe ich auch nur sehen wollen, dass er krank aussah. Was auch immer!
Nun kann ich mir also noch einmal neu die Frage stellen. Was bleibt nach 7 Monaten Trennung?
Ich könnte heute heulen. Ich könnte mir den ganzen Tag die Decke über den Kopf ziehen und ein bisschen Weltschmerz zelebrieren. Aber das geht heute nicht. Heute jagt ein Termin den nächsten.
Welche Gefühle sind in mir? Das ist erstaunlich. Ich will ihn nach wie vor nicht zurück (gut!). Ich bin nach wie vor traurig, dass es so gekommen ist (in Ordnung!). Ich bin immer noch sehr verletzt, wie er das (Trennen) auf diese Art vollziehen konnte und fühle mich abgelehnt (tja, meine Baustellen, inneres Kind und so!).
Aber immerhin war ich ziemlich schnell im Anschluss an die Begegnung in der Lage mir vorzustellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich ihm nachgelaufen wäre, wenn ich geschrieben, angerufen, gebettelt oder gefleht hätte. Dann hätte ich mich viel, viel mieser gefühlt. Die Haltung, sich selber zu gut zu sein für jemanden, der einen nicht (mehr) will, ist wohltuend. Für mich ist diese Würdebewahrung unfassbar wichtig.
Sei ihm gegönnt, dass er getan hat, was er für das Beste für sich hielt. Sein Leben, seine Entscheidungen, seine Aussehen, seine Gesundheit. Not my circus. Not my monkey.
Es war sehr unangenehm, aber nicht peinlich. Ich brauche das nicht wieder und werde diese Begegnungen sicher nicht suchen - egal, was die berufliche Zukunft bringt, aber ich werde mich auch nicht verstecken. Ich bin durcheinander und aufgewühlt, aber ich schäme mich für nichts. Außer vielleicht vor mir selber für den langen Leidensweg. Aber damit kann ich gut leben.
Ich fühle mich sehr allein jetzt, obwohl viele gute und wohlmeinende Stimmen um mich sind. Das weiß ich sehr zu schätzen. Aber dennoch fühle ich mich allein dem Sturm in mir ausgesetzt. Ich bin froh, dass das Seltenheitswert haben wird.
Doch. Ein wenig wird es mich zurückwerfen. Das ist zwangsläufig so. Aber es wird mich auch nach vorne bringen. Denn diese Begegnung musste irgendwann kommen. Da ist Hamburg dann doch irgendwie wieder ein Dorf.
Zum Glück war er nicht mit seiner neuen Freundin unterwegs, falls es sie noch gibt und jemals gab. Manchmal habe ich ja Zweifel.
Das Herz ist trügerisch. Denn obwohl ich ihn gar nicht mehr will und weiß, dass es so das Beste ist, ist da doch immer noch ein Flämmchen, das hofft oder sich fragt, ob er wohl jetzt, nachdem er mich gesehen hat, mal eine Nachricht oder Mail schreiben wird. Das hat er nicht. Das wird er nicht. Das ist gut so . und dennoch: das Herz ist ein Idiot.
So. Genug davon!
Wie schrieb ich neulich? Unter Druck bin ich am besten.
Ich glaube, den beruflichen Termin heute habe ich gerockt! Ich habe die mördersympathische und zugewandte, die kluge und umsichtige, die souveräne und lebhafte KBR herausgeholt und präsentiert.
Okay, danach . alle Energie verpufft. Zurück durch das EKZ an dem Bürogebäude vorbei, in dem er arbeitet. Schwierig. Nachspüren, reflektieren, nicht heulen, nur nicht heulen! Beim Schreiben dieses Textes: nur nicht heulen!
1. Begegnung nach der Trennung: Done!
1. Runde im Auswahlverfahren: Done!
17.08.2017 11:25 •
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