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Unglücklich verliebt - kann man sich so täuschen?

P
ausserdem ist dieser satz eine viel zu grosse verallgemeinerung. ich glaube, du bist einfach nur gefrustet, dass es nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast. du hoffst noch auf ihre liebe. sei nicht so quängelig.

21.09.2016 08:39 • #106


V
Zitat:
du bist einfach nur gefrustet, dass es nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast.


Das ist schon richtig. Allerdings in dem Sinne, dass ich dieses letzte Gespräch zu diesem Thema gerne so bald wie möglich hinter mich bringen möchte, um wirklich abschließen zu können.

Zitat:
du hoffst noch auf ihre liebe.


Eine Hoffnung, die zugegebenermaßen noch irgendwo vorhanden ist. Allerdings wird mir mehr und mehr klar, wie unrealistisch sie eigentlich ist. Dieses ganze Getue ihrerseits, jetzt wieder Kontakt zu suchen ist letztendlich nur der Versuch, größere (moralische) Kollateralschäden verhindern zu wollen. Wir müssen schließlich noch mind. ein Jahr zusammen arbeiten. Da kann die Jungfrau-Frau noch so kontrolliert sein, wie sie will. Meiner Erfahrung nach ist das kein Verhalten, dass darauf schließen lässt, dass jemand ernsthaft interessiert ist. Dann würde sie den nur Freundschafts-Aspekt nicht ständig so betonen. Oder ist das am Ende sogar ein Shit-Test?
Ich nehme stark an, sie hat das gleiche Problem wie ich auch ... was mich jetzt zu @Ricky zurückbringt:

Zitat:
warum zum Deibel ist das alles offenbar so wichtig für Dich?


Weil ich ein verdammtes Problem mit Loslassen-können habe - in vielerlei Hinsicht!
Weil ich die vermeintlich einfachere Lösung für ein Problem suche, das sehr belastend ist, und dabei die ganzen negativen Aspekte der kurzfristigen Alternative ausgeblendet hab.
Weil ich immer noch ambivalent bin.
Weil ich teilweise immer noch der Meinung bin, dass es ziemlich schwierig werden könnte, meine Ehe wieder in den Griff zu kriegen.

21.09.2016 09:07 • #107


A


Unglücklich verliebt - kann man sich so täuschen?

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G
Ich bin ein Freund der ehrlichen, direkten Worte, daher verzeih mir, wenn ich direkt lospoltere:

Du gefrustet, deine Frau gefrustet - die innere Bestätigung fehlt (kenn ich auch das Gefühl). Was passiert? Genau, da draußen in der Welt rennen Menschen herum, die uns interessieren; die wir hübsch / attraktiv finden. Ist man im Einklang mit sich und seiner Beziehung nimmt man attraktive Menschen wahr und das war's. Da bei euch beiden (also Frau und du) aber grad nichts im Einklang ist (oberflächlich betrachtet ja, aber ich hoffe du weißt was ich meine) guckt man genauer bei anderen attraktiven Menschen. Und zack, irgendein inneres was-auch-immer reagiert darauf. Ob man will oder nicht, man interpretiert, tagträumt über diesen anderen Menschen - ohne den genau zu kennen. Aber, dass will man in dem Moment auch nicht. Und ob man es sich eingesteht oder nicht, irgendwie hofft / wünscht man sich, dass genau dieser Mensch genau das Lichtlein in einem wieder zum leuchten bringt und das die eigene Welt wieder gut ist, sich gut anfühlt, man sich erhaben / glücklich / gebraucht / geliebt usw. fühlt.

Aber - Man bescheisst sich damit nur selbst. Rennt weg vor dem was ist, vor dem was geklärt werden müsste und stellt dann irgendwann fest: Mist, mit dem / der Angebeteten ist es ja genauso wie mit meiner Partnerin.

Daher - bei sich aufräumen, im wahrsten Sinne des Wortes.

21.09.2016 09:47 • x 1 #108


B
Zitat:

Weil ich ein verdammtes Problem mit Loslassen-können habe - in vielerlei Hinsicht!
Weil ich die vermeintlich einfachere Lösung für ein Problem suche, das sehr belastend ist, und dabei die ganzen negativen Aspekte der kurzfristigen Alternative ausgeblendet hab.
Weil ich immer noch ambivalent bin.
Weil ich teilweise immer noch der Meinung bin, dass es ziemlich schwierig werden könnte, meine Ehe wieder in den Griff zu kriegen.


Du weißt davon, dann geh sie an!

21.09.2016 10:22 • x 1 #109


V
@Grace_99

Danke! - Das bringt es so ziemlich genau auf den Punkt!

Zitat:
Und ob man es sich eingesteht oder nicht, irgendwie hofft / wünscht man sich, dass genau dieser Mensch genau das Lichtlein in einem wieder zum leuchten bringt und das die eigene Welt wieder gut ist, sich gut anfühlt, man sich erhaben / glücklich / gebraucht / geliebt usw. fühlt.


Das ist die Illusion ... der ich lange genug nachgelaufen bin.

Zitat:
Aber - Man bescheisst sich damit nur selbst. Rennt weg vor dem was ist, vor dem was geklärt werden müsste und stellt dann irgendwann fest: Mist, mit dem / der Angebeteten ist es ja genauso wie mit meiner Partnerin.


Jepp - darum jetzt Schluss mit der Illusion, um mir diese Erfahrung zu ersparen.

Zitat:
Daher - bei sich aufräumen, im wahrsten Sinne des Wortes.


Ja, es hat länger gedauert, bis ich das endlich so klar gesehen hab. Vor allem, als mir gestern (wieder) gesagt wurde: Du bist nicht wegen dieser Tusse hier, sondern weil Du um Deine Ehe kämpfst. Pack es endlich richtig an und kümmer Dich auch um Deine Altlasten! (thnx to pat!).

21.09.2016 10:30 • x 1 #110


G
@victim_of_love

Ob's um die Räumarbeiten in der Ehe geht oder nur um dich - das ist letztendlich egal (also was bei rauskommt), wichtig ist, dass du mit dir wieder im Reinen bist und klar kommst.

LG

21.09.2016 10:39 • #111


V
Hallo Ihr Lieben,

seit ich diesen Thread vor fast 2 Jahren eröffnet hab, ist viel passiert. Nachdem ich damals sehr viel Feedback und Anregungen bekommen habe, möchte ich Euch aus gegebenem Anlass an den zwischenzeitlichen Ereignissen teilhaben lassen.

Mein Abgang im September 2016 war abrupt, aber notwendig, weil ich gemerkt habe, dass das Forum für mich eine Wichtigkeit und Funktion bekommen hat, die nicht mehr gut gewesen ist. Ich war nach der Geschichte um meine Kollegin gekränkt, habe nach jeder Art von Bestätigung gesucht und sie teilweise hier gefunden. Dabei habe ich fast den Blick dafür verloren, dass sich mein Leben da draußen abspielt und nicht hier drin. Ein altes Muster, wie mir erst später bewusst geworden ist.

Aber mal der Reihe nach: Durch vierlei Rückmeldungen bestärkt, habe ich versucht, in meiner Ehe zu retten, was noch zu retten war und habe den Kontakt zu jener Kollegin fast bis auf Null zurückgefahren. Leider wurde die Situation nicht wirklich besser. Heute weiss ich, warum: Ich habe weitergemacht, meine seit der Kindheit frustierten Bedürfnisse nach Anerkennung, Wertschätzung und auch (emotionale) Versorgung auf meine Frau zu projizieren und war zutiefst gekränkt, dass diese Erwartung nicht erfüllt wurde. Die Tiefenpsychologen würden das als Kollusion gezeichnen. Ich habe ihr quasi mein erweitertes Selbst übergestülpt, wobei mir egal war, ob sie es wollte oder nicht. Auf die dann folgende Kränkung, weil sie sich nicht so verhalten hat, wie es gerne gehabt habe, reagiert ich mit mehr oder weniger offenener Kritik, Abwertung und weiterem Rückzug. - Die emotionale Distanz wuchs, meine Frau flüchtete sich immer weiter in die Arbeit, die ihr oberflächlich die Art von Bestätigung und den Selbstwert geben konnte, die sie von mir nicht mehr bekam. Meine Reaktion bestand darin, mich nun ganz auf die sich schon am Horizont abzeichnende Abschlussprüfung meiner Weiterbildung zu konzentrieren, für die ich meine gesamte Energie benötigen würde.

Was dann passierte, hat schon was von Matrix:
Zitat:
Was du weißt, kannst du nicht erklären, aber du fühlst es. Du hast dein ganzes Leben lang gespürt, das mit der Welt was nicht stimmt. Du weißt nicht was es ist, aber du weißt, es ist da, wie ein Splitter in deinem Verstand, der dich zum Wahnsinn treibt.

Über meine Lerngruppe lernte ich eine Frau kennen, zu der ich von Anfang an einen sehr guten Draht hatte. Wir trafen uns auch außerhalb der Gruppe und stellten fest, dass wir nicht nur ganz ähnliche Interessen, sondern auch eine sehr ähnliche familiäre Vorgeschichte haben. - Sie gab mir zwar keine blaue Pille, aber Bücker von Bärbel Wardetzki, Anthony DeMello und Alice Miller. Das war mein Weg durch den Kaninchenbau in die reale Welt - die Abkoppelung aus meiner Matrix, in der ich 45 Jahre gelebt habe.

Die Erkenntnis war nicht einfach, sondern schmerzhaft und traurig: Die Geschichte eines kleinen Jungen, der schon früh körperliche Gewalt und emotionalen Missbrauch erfährt. Der daraufhin beginnt, seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse ganz weit wegzupacken und so zu sein, wie die anderen ihn haben wollen. Ein kleiner Junge, dessen Selbstwertgefühl systematisch demontiert wird und der zunehmend sehr negative Annahmen über sich und über das Funktionieren von menschlichen Beziehungen entwickelt. Hänseleien und Außenseitertum in der Schule tun ihr Übriges dazu. Aber der Kleine entdeckt, dass seine Unzulänglichkeit und Minderwertigkeitsgefühle kompensieren kann. Er strengt sich an, häuft Wissen an, saugt es auf wie ein Schwann. Er liest, was ihm unter die Finger kommt, beschäftigt sich mit Wissenschaft und Kunst. Sein Verstand und (später festgestellte) 138 IQ-Punkte werden seine schärfsten Waffen im Kampf gegen die Welt, die er zunehmend als ungerecht und feindselig empfindet. Er muss sich ständig beweisen, unter Beweis stellen, dass er besser, nein - der Beste ist. Permanente Selbstzweifel und depressive Anflüge lassen ihn den Erfolg nicht genießen - immer weiter, noch mehr ... Schule, Abitur, Bundeswehr, Studium, Academia. - Es wiederholen sich immer die gleichen Konflikte und Muster, ohne dass er es merkt - Macht, Kontrolle, Egozentrismus. Seine Freunde und Partnerinnen leiden - er sieht die Gründe nicht bei sich selbst. Enttäuschungen und Kränkungen führen schließlich zu Verhaltensexzessen - Alk., schädlicher Internetgebrauch. Beständiger Neid und Hass auf alle, die es vermeintlich leichter haben und sich nicht permanent aufs Neue anstrengen müssen. Immer weiter auf der Jagd nach Bestätigung und Anerkennung - Titel, Abschlüsse, Zertifikate, Karriere. Aber glücklich ist er nicht - weil nicht bei sich ist. Weit weg von sich und gefangen in einem falschen Selbst, voller Angst, Depression, Wut und Aggression. Dazu die in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrenden Bilder der früheren schmerzhaften Erfahrungen aus der Kindheit - die Schläge, die Verachtung und Demütigungen, das Lächerlich-machen über ihn. Erinnerungsfetzen, die unkontrolliert mit voller emotionaler Wucht in sein Bewusstsein drängen. - Er ist eines von Alice Millers begabten Kindern und tut das, was sie bereits Ende der 70er Jahre beschrieben hat - er wird Therapeut. Selbsterfahrung und Supervision bahnen die ersten Schritte zurück zum wahren Selbst: Die Wiederentdeckung der einst angespaltenen Gefühlswelt, die lange zurückgestellten Bedürfnisse, die sich immer wiederholgenden Muster. - Die Ehe - ebenfalls ein verzweifelter Versuch, den vermeintlichen äußeren Erwartungen zu genügen und die Befriedigung der frustrierten Bedürfnisse zu bekommen. Game - Set - Match - Wardetzki. Es ist bereits zu viel kaputt gegangen, als das noch etwas zu retten gewesen wäre.

Nun endlich in der realen Welt angekommen - Welcome to the real world!. - Der Weg ist das Ziel.
Im Juli letzten Jahres die Trennung - die einjährige Kündigungsfrist des Vertrags endet demächst.
Eine neue Beziehung, eine Gefährtin auf dem Weg, echtes Verständnis, nie gekannte emotionale Nähe.
Auf dem Weg zum Frieden mit der Vergangenheit - mit fachkundiger Hilfe von außen. Es wird kein Spaziergang, aber der erste Schritt ist getan. - Hoffnung und Zuversicht ...

03.06.2018 11:38 • x 7 #112


stjärna
Schön, von dir zu lesen. Und zu erfahren, wie deine Lebensgeschichte weitergegangen ist.
Ich hatte damals deinen Thread gelesen und habe mich gerade in letzter Zeit komischerweise daran erinnert.
Und voilá: Es hat sich eine Menge getan.
verliebtverliebt

04.06.2018 15:32 • x 1 #113


Zeldine75
Wow. Ich bin sprachlos. Auch weil ich jemanden in dir wiedererkenne
Ich habe zwar (noch) nicht den ganzen Threat gelesen, jedoch gebührt Dir für diese Aufarbeitung, die Reflexion und die Fähigkeit, dass in Worte zu fassen, die mir eine Gänsehaut verpasst haben mein ganzer Respekt. Ich ziehe den Hut vor Dir und wünsche Dir nur das Beste!

04.06.2018 15:58 • x 1 #114


Ricky
@victim_reloaded

Good work, son...

05.06.2018 18:10 • x 3 #115


V
Lasst mich noch ein paar Gedanken zur Eingangsfrage des Threads niederschreiben:

Die Eingangsfrage muss nach allen, was ich bisher dazu an Überlegungen angestellt habe, mit einem klaren JA beantwortet werden.

Es geht um Selbsttäuschung, die verschiedene Ursachen hatte:

(1) Der kleine Junge hat schon sehr früh gelernt, sehr sensibel für zwischenmenschliche Geschehnisse zu sein. War diese Fähigkeit doch von existentieller Wichtigkeit, um jede kleine Verstimmung zu erahnen oder vorauszusehen, die zu entsprechend negativer Aufmerksamkeit in entsprechender Form (Schläge, verbale Aggression) führen konnte. Dieses Muster behielt er bei und seine Aufmerksamkeit war auch als Erwachsener fokussiert. Zusätzlich war er darauf konditioniert, vieles in seiner Umgebung automatisch auf sich zu beziehen - so wie er als Kind oder Jugendlicher oftmals für alles verantwortlich gemacht wurde.
Folge: Aufmerksamkeitfokussierung und starker Ich-Bezug führen zu Verzerrungen in der zwischenmenschlichen Wahrnehmung, Über-Interpretationen oder Projektionen (s. weiter unten).

(2) Die narzisstische Sicht auf Beziehungen: Der kleine Junge wuchs auf mit einem Defizit an Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Anerkennung. Die elementaren Grundbedürfnisse nach Bindung einerseits und Entwicklung (auch im Sinne von Unterstützung oder Förderung) andererseits wurden nicht hinreichend befriedigt. Das zentrale Schema in seinen Beziehungen war immer die Erwartung, dass Partnerinnen diese Bedürfnisse nun anstelle der Eltern befriedigen sollten. MIt anderen Worten: Diese Erwartungen wurden den Partnerinnen als Erweiterung des eigenen Ichs (Frau Wardetzki nennt es expanded self) übergestülpt - egal, ob die es wollten oder nicht. Es gab ziemlich genaue Vorstellungen darüber, wie die Partnerinnen zu sein und zu funktionieren hatten. Es muss in diesem Zusammenhang als psychologische Ironie angesehen werden, dass der Junge im Alter von 18 Jahren im Deutsch-LK eine Facharbeit über Max Frischs Roman Stiller verfasste, in der es um exakt jene Problematik geht. - Ziel des Musters ist es, den eigenen Selbstwert dadurch zu erhöhen, in man von der Partnerin Anerkennung erfährt.

(3) Die Situation der Ehe: Wie in vorangegangenen Beziehungen setzte sich auch in der Ehe das beschriebene Muster fort. Und noch mehr: Die Ehefrau entpuppte sich als idealer Gegenpart - eine Co-Narzisstin mit einem etwas anderen Stil. Hierbei geht es um den sog. weiblichen Narzissmus, eine Form von Selbstaufopferung, jedoch nicht aus Altruismus, sondern ebenfalls mit dem Ziel, den eigenen fragilen Selbstwert durch die Bestätigung des Partners zu stabilisieren. - Leider geht die Rechnung nicht auf. Die Erwartungen werden nicht erfüllt. Die Folge: Eine tiefe Kränkung. Die Konsequenzen: Kritik und Abwertung der Ehefrau gegenüber, Suche nach alternativer Bestätigung. Das in diesem Sinne nun narzisstisch besetzte Objekt (furchtbarer Ausdruck, aber in der Tiefenpsychologie üblich): Die besagte Kollegin.
Auch hier findet sich wieder eine bemerkenswerte Parallele zu Stiller: Als dieser feststellt, dass sich seine Frau Julika nicht gemäß seinem Bild von ihr formen bzw. verändern lässt, wendet er sich von ihr ab und beginnt eine Affäre mit Sibylle, der Frau seines späteren Staatsanwalts.

To be continued ...

02.07.2018 16:48 • x 2 #116


Gast17
Hallo victim_of_love_reloaded,

sehr interessante Sachen, die du da schreibst. Und toll, dass du dich nach zwei Jahren wieder meldest, wie es weitergegangen ist, das sollten mehr Leute machen.

Deine sehr hohe Intelligenz erkennt man sofort an deinem Schreibstil. Ich habe oft das Gefühl, dass hochintelligente Menschen es im Leben generell schwerer haben, weil sie zu viel nachdenken, grübeln und alles perfekt machen wollen. Auf der anderen Seite kann diese Intelligenz aber auch helfen, eben jene Probleme die evtl. erst dadurch entstanden sind, zu lösen.

Grundsätzlich finde ich, dass auch die Gefahr bestehen kann, dass man zuviel reflektiert, überanalysiert und nachträglich Dinge evtl. falsch rationalisiert. Konkret meine ich die Situation, dass du dich in die Kollegin verliebt hast vor zwei Jahren. Was ist passiert? Du hast dich verliebt. Punkt. Jetzt im nachhinein schreibst du was von alternativer Bestätigung und einem narzisstisch besetztem Objekt. Kann es sein, dass das alles schon wieder viel zu kompliziert gedacht ist? Was zum Beispiel macht dich jetzt so sicher, dass deine jetzige Freundin (du hast ja wieder eine, so wie ich das verstanden habe) nicht auch wieder was mit Bestätigung usw. zu tun hat? Vielleicht ist der Unterschied zu der Kollegin vor zwei Jahren einfach nur der, dass diese Frau jetzt Ja zu dir gesagt hat, wohingegen die andere Nein gesagt hat.

Evtl klingt der vorherige Absatz irgendwie vorwurfsvoll oder besserwisserisch. So ist das in keinem Fall gemeint. Im Gegenteil, das sind alles Fragen, mit denen ich mich selbst beschäftige und auch keine wirkliche Lösung dafür habe - wahrscheinlich weil es keine Lösung gibt und sehr vieles Ansichtssache und vom Betrachtungswinkel abhängig ist und die Wahrheit immer irgendwo dazwischen liegt.

Du hast von Selbstwerterhöhung gesprochen, die du deiner Meinung nach fälschlicherweise vor zwei Jahren bei der Kollegin gesucht hast, wie dir jetzt aufgefallen ist. Ich denke eine Selbstwerterhöhung erfahren wir immer in einer guten Partnerschaft und das ist auch völlig normal und gut, sonst bräuchte es die Partnerschaft nämlich gar nicht. Dazu passt zum Beispiel auch der - auf den ersten Blick völlig richtige - Glaubenssatz Ein Partner macht nicht glücklich, der wohl von jedem Menschen blind unterschrieben wird, weil er sich so toll und reif anhört. Aber bei genauerem Hinsehen ist das Ziel und die höchte Priorität in einer Partnerschaft, dass man liebt und geliebt wird, was wiederum eben doch dazu führt, dass ein Partner glücklich macht.

Jetzt schreibe ich noch etwas zu deinem ersten Beitrag vor zwei Jahren, was mir beim Lesen da durch den Kopf gegangen ist (ich habe dem Beitrag heute erst gelesen, kannte das Thema bisher nicht). Ich hatte das Gefühl, dass du vieles falsch gemacht hast, vor allem dass du zu lange gewartet hast und sie dann nur feige per Email kontaktiert hast. Dann als keine Antwort kam, zwei Wochen später noch eine Opfer-Email, in der du ihr nachgerannt bist, mit der Bitte, dich erklären zu dürfen. Wenn du dich ein wenig mit der Anziehung zwischen Mann und Frau beschäftigt hättest, hättest du gewusst, dass man das genau so eben nicht macht. Das Internet und youtube wimmelt seit ein paar Jahren nur so von unzähligen Videos und Coaches zu diesem Thema. Es ist unvorstellbar, wieviel Material sich da im letzten Jahrzehnt zusammengetragen hat. Konsens: Ein Mann fragt nicht groß rum, sondern macht Statements und nimmt sich was er will, das ist für Frauen attraktiv. Also nicht per email wage Andeutungen machen, sondern persönlich hingehen und sagen: Lass mal was zusammen machen, am Dienstag um 19 Uhr, da und da ist Treffpunkt.

Das war also mein erster Eindruck, wie ich ihn noch vor ein paar Monaten blind unterschrieben hätte. Mittlerweile denke ich ein wenig anders darüber, mehr nach dem Motto Der Richtige kann fast nichts falsch machen, der Falsche fast nichts richtig. Wenn es gepasst hätte zwischen euch und sie auch eine Grundanziehung zu dir empfunden hätte, dann hätte evtl auch dieses zweifellos nicht optimale Vorgehen funktioniert, weil sie sich dann gesagt hätte Naja, er ist eben auch unsicher und wenigstens hat er gefragt!


Auch interessant finde ich wie du das hier mit dem Forum reflektiert hast. Du hast geschrieben, dass du dich aus dem Forum zurückgezogen hast, u.a. weil es einen zu hohen Stellenwert eingenommen hat. Auch das kenne ich von mir. Es ist und bleibt nämlich eine Parallelwelt und das wahre Leben spielt sich draußen ab, mit richtigen Menschen. Wenn es irgendwann wichtig wird, wie viele Beiträge man schreibt, wie viele Danke man bekommt, welchen Stellenwert man im forumsinternen Ranking hat und man ständig an dieses Forum hier denken muss und sich früh automatisch einloggt, läuft etwas schief. Es ist und bleibt ein Onlineforum, auch wenn dahinter echte Menschen stecken. Ein guter Mittelweg ist wichtig. Das Forum bietet andererseits nämlich den Vorteil, dass hier Menschen ohne Masken sind, und sie somit aufgrund der Anonymität vollkommen offen und ehrlich sind (zumindest bei hilfesuchenden Neuankömmlingen; irgendwann macht sich nämlich auch online das Ego breit und man versucht auch hier gut dazustehen), was man wiederum in dieser Form im Reallife nicht hat.

Abschließend noch: sehr interessante Thema, danke dafür, aber evtl würde dir auch helfen, mal weniger zu analyisieren und einfach mal den Kopf auszuschalten. Es musst nicht immer alles perfekt laufen und ich habe irgendwie das Gefühl, dass du auch jetzt bei deiner Selbstverbesserung, wie man immer das nennen will, wieder alles perfekt machen willst und ein Stück weit deinen Selbstwert daraus ziehst, dass du jetzt hier bei diesem Thema möglichst optimale Erfolge verbuchst. Es kann sein, dass das jetzt nur ein anderer Punkt ist, den sich dein Ego ausgesucht hat, um hier wieder Bestätigung zu erfahren, nach dem Motto So gut sich selbst reflektieren wie ich kann kein anderer! Das wäre dann ein ähnlicher Kreislauf, nur noch subtiler und noch schwerer zu erkennen. Aber grundsätzlich ist dein Vorgehen natürlich trotzdem richtig, keine Frage, du bist auf einem sehr guten Weg.

04.07.2018 09:43 • x 2 #117


V
Lieber @gast17,

vielen Dank für die umfangreiche und spannende Rückmeldung.

Zu einigen Punkten möchte ich noch was kommentieren:

Zitat:
Was ist passiert? Du hast dich verliebt. Punkt. Jetzt im nachhinein schreibst du was von alternativer Bestätigung und einem narzisstisch besetztem Objekt. Kann es sein, dass das alles schon wieder viel zu kompliziert gedacht ist?


Das Leben wird vorwärts gelebt, aber nur rückwärts verstanden. Um es in der Zukunft besser zu machen, muss ich mich mit den Ursachen und Hintergründen aus der Vergangenheit auseinandersetzen. Da kann es meiner Ansicht nach kein zuviel geben. Ich versuche, die verschiedenen Mosaiksteinchen, die ich im Laufe der Zeit gefunden habe, zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen. Und das bedeutet nun mal, dass ich infolge des frühen emotionalen Missbrauchs und der Gewalterfahrungen nicht nur komplex traumatisiert bin, sondern auch mehr oder weniger ausgesprägt narzisstische Persönlichkeitszüge entwickelt habe. Persönlichkeitsstörungen sind Beziehungsstörungen. Daher sind vor allem Beziehungsmuster und -schemata interessant, um zu verstehen, warum das alles so und nicht anders passiert ist.

Zitat:
Was zum Beispiel macht dich jetzt so sicher, dass deine jetzige Freundin (du hast ja wieder eine, so wie ich das verstanden habe) nicht auch wieder was mit Bestätigung usw. zu tun hat? Vielleicht ist der Unterschied zu der Kollegin vor zwei Jahren einfach nur der, dass diese Frau jetzt Ja zu dir gesagt hat, wohingegen die andere Nein gesagt hat.


Die Vermutung liegt vielleicht sogar nahe, dennoch verhält es sich anders:
Meine jetzige Freundin hat mir quasi vor gut einem Jahr die Augen geöffnet für das, was ich schon länger geahnt habe. Das konnte sie, weil sie ähnliches erlebt habt und schon lange an sich arbeitet. Gemeinsam bemühen wir uns jetzt, die alten Muster so gut es geht zu erkennen und sie abzulegen.
Beispiele: Bei ihr kann ich authentisch sein, ohne das Bedürfnis ständig unter Beweis stellen zu müssen, was für ein toller Hecht ich doch bin. Das hat dazu geführt, dass ich (im Sinne von Alice Miller) meinem wahren Selbst wieder ein Stück näher gekommen bin. In der Summe macht das zwischen uns eine wahnsinnige Vertrautheit und emotionale Verbindung, wie ich sie bis dahin nicht erlebt habe.

Zitat:
Aber bei genauerem Hinsehen ist das Ziel und die höchte Priorität in einer Partnerschaft, dass man liebt und geliebt wird, was wiederum eben doch dazu führt, dass ein Partner glücklich macht.


Und das ist genau der Punkt der narzisstischen Liebe, wie ich sie bis vor einem Jahr noch ohne Bewusstsein dafür praktiziert habe. Es kommt auf die Funktion der Partnerschaft an. Wenn es nur darum geht, den Partner vor dem Hintergrund des eigenen Egotrips nach seinen Wünschen zu formen, macht man sich auf Dauer nicht glücklich. Das ist immer eine Asymmetrie, keine Augenhöhe. Beide benutzen und manipulieren den anderen. Spurt der andere nicht, wie er soll, endet es in Kritik, Abwertung, Demütigung und einem riesigen Scherbenhaufen.

Zitat:
Ein Mann fragt nicht groß rum, sondern macht Statements und nimmt sich was er will, das ist für Frauen attraktiv. Also nicht per email wage Andeutungen machen, sondern persönlich hingehen und sagen: Lass mal was zusammen machen, am Dienstag um 19 Uhr, da und da ist Treffpunkt.


Genauso hab ich meine jetzige Freundin kennengelernt. Direkt bei der Weiterbildung, die wir zusammen hatten, die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich hab eine klare Ansage gemacht, war offen und hab aus meinem Herzen auch keine Mördergrube gemacht. Da hat dann auch der Umstand, dass ich noch verheiratet war / bin, nicht mehr so schwer gewogen, denn ich habe klar gesagt, was bzw. wen ich will und hab der Ankündigung, mich zu trennen, zeitnah Taten folgen lassen.

Zitat:
Es kann sein, dass das jetzt nur ein anderer Punkt ist, den sich dein Ego ausgesucht hat, um hier wieder Bestätigung zu erfahren, nach dem Motto So gut sich selbst reflektieren wie ich kann kein anderer! Das wäre dann ein ähnlicher Kreislauf, nur noch subtiler und noch schwerer zu erkennen.


Ein Schelm, wer Böses dabein denkt.
Vielleicht ist wirklich ein Fünckchen Wahrheit dabei. In erster Linie geht es mir darum, auch was zurückzugeben, was mir das Forum damals gegeben hat. Ich habe hier in einer schwierigen Situation etwas bekommen, was mich weitergebracht hat. - Vielleicht hift das, was ich dann draus gemacht habe, jetzt auch anderen in einer ähnlichen Situation weiter.

04.07.2018 15:05 • x 3 #118


V
Zeit für ein Update:

In der Zwischenzeit ist viel passiert - nicht nur Angenehmes.

Seit 06.12.18 ist meine Scheidung durch und auch rechtskräftig. Damit ist dieser Teil der Problematik erst einmal formal abgeschlossen. Zum Glück kein Rosenkrieg um Versorgungspunkte, Zugewinnausgleich und Unterhalt, sondern eine gütliche Einigung, die für mich immerhin bedeutet, dass ich sämtliche Schulden bei meiner Exfrau gegen meine Ansprüche aufrechnen konnte. Eigentlich eine gute Voraussetzung für einen Neustart.

Die Arbeit mit meinem Therapeuten geht weiter, auch wenn es nicht immer einfach ist, in regelmäßigen Abständen 150 km deswegen zu fahren. Die Beschäftigung mit traumatischen Inhalten und erste Versuche der Integration mit EMDR liegen hinter mir. Im Zuge dessen wurde ein weiterer Aspekt losgetreten, von dem ich 30 Jahre lang nur bestenfalls geahnt habe, dass er auch existiert. Neben emotionalem Missbrauch und physischer Gewalt kann ich jetzt auch S. Missbrauch in die Liste mitaufnehmen. Die gesichtere Erkenntnis kam im Oktober und war der buchstäblich letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Depression, Arbeitsunfähigkeit, Krise, die Einsicht, dass es mit ambulanter Therapie alleine nicht mehr getan ist. Derzeit läuft eine Antrag auf stationäre (Trauma-)Therapie. Ich hoffe, dass ich wenigstens vor Weihnachten schon einmal die Kostenzusage habe, wenngleich meine Wunschklinik enorme Wartezeiten hat.

Die Krankschreibung dauert an - voraussichtlich bis zum Beginn der stationären Reha. Früher hätte ich das als eine Form des narzisstischen Scheiterns aufgefasst und äußert gekränkt reagiert. Heute weiss ich, dass dahinter noch etwas anderes steckt. Eine recht unpopuläre Diagnose, die bis dato noch keinen rechten Eingang in die Diagnosesysteme, insbesondere ins ICD-10, gefunden hat. Es geht um die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung oder in der Terminologie der entsprechenden Theoretiker Disorder Of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS). Es handelt sich dabei um eine Form der Traumatisierung, die vor allem durch frühe und fortgesetzte Bindungs- und Beziehungstraumata verursacht wird, die in ihren Auswirkungen auf das spätere Leben sehr umfassend sind. Diese Diagnose machte es bei mir möglich, die vielen unterschiedlichen Symptome, die ich in den letzten 30 Jahren erlebt habe, zu integrieren. Das Kind hatte (endlich) einen vernünftigen Namen. So niederschmetternd die Diagnose war, so erleichternd war es aber, endlich zumindest eine Person zu haben, die die Zusammenhänge verstand und richtig zu deuten wusste. Zugleich wurden mir bei der Beschäftigung mit dieser Diagnose eine Vielzahl von Zusammenhängen bewusst, wie sich diese Störung insbesondere auf meine sozialen Beziehungen durch das ganze Leben hinweg ausgewirkt hat. Damit wurden weitere Prozesse erklärbar, die durch die narzisstischen Züge alleine noch nicht hinreichend begründet schienen. Ich werde an dieser Stelle demnächst noch mehr dazu schreiben. Jetzt muss ich erstmal unterbrechen, da meine Konzentrationsspanne momentan immer noch eingeschränkt ist.

15.12.2018 10:12 • x 1 #119


G
@victim_reloaded

Wie geht es Dir aktuell ? Würde mich freuen, wenn Du hier weiter schreibst, sofern Du magst.
Ich habe Dein Update leider eben erst gelesen und es berührt mich sehr.
Es geht mir auch nahe, daß Du bisher hier keine Reaktion Unterstützung seitdem bekommen hast.

Nach dem Austausch zum Thema Narzissmus in 2018 habe ich mich inzwischen schon etwas tiefer gehend eingelesen zum Thema Trauma und ua. auch komplexe PTBS.

Ich wünsche Dir viel Kraft und Alles erdenklich Gute !
Liebe Grüße
GiuliettaV

03.03.2019 18:46 • #120


A


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