Hallo,
ich möchte gern meine Erfahrung mit meinem Narzissten darlegen. Es tut gut eure Beiträge zu lesen, denn es ist für mich einerseits ein Stück Trauerarbeit, die da voran geht, andererseits auch eine Bestärkung, auf dem Weg, zu mir zu finden. Vielleicht kann mein Beitrag auch eine Bestärkung für jemanden sein.
Ich befinde mich aktuell im Wunderland auf dem Weg zu mir, nachdem ich alle diese Phasen durchlebt habe, die hier so oft beschrieben werden: Zuerst der absolute Schock, dann die unbändige Wut, benutzt worden zu sein, dann die Achterbahnfahrt zwischen Hoffen und Bangen (s)einer Rückkehr, die vielen Selbstzweifel, ob man sich nicht doch alles nur eingebildet hat und der Fehler im Bild doch nur bei mir zu finden ist. Und letztlich beschreite ich gerade den Weg zum Frieden - mir mir, mit ihm, mit der ganzen Geschichte.
Mein Narzisst ist sehr intelligent, beschrieb sich stets als hilfsbereit, loyal, treu und sozial orientiert. Er vertrat (verbal) stets die besondere Bedeutung von zwischenmenschlichen Werten, wie Unterstützung, Toleranz, Verbindlichkeit. Seine Freunde, die ich rasch kennenlernte (schon damals zu früh für meinen Geschmack), untermauerten dies, lobten ihn in den höchsten Tönen, so dass ich mich dabei ertappte, wie ich während dieser Schilderungen über mein Gefühl schmunzeln musste, der Messias säße neben mir. Mir war in diesen Momenten erstaunlicherweise sehr klar, dass sie etwas dick auftrugen. Aber ich nahm es nicht allzu ernst, freute mich, einen Menschen kennenzulernen, der von Anderen geschätzt wird und der gleiche Werte vertritt, wie ich. Mit zunehmender Zeit endete der Honeymoon und die Diskrepanz zwischen dem, was er sagte und dem, wie er handelte, wurde größer und größer.
Der Weg, aus dem Ganzen herauszufinden, fing bei mir auch mit Recherche über das seltsame, widersprüchliche Verhalten seinerseits an. Damit, dass ich mich über mich wunderte, mich kaum noch fühlte und permanent verwirrt zurückblieb.
Ich stellte fest, dass die Hoffnung, er möge sich eines Tages melden, sich weniger darauf gründete, dass ich tatsächlich auf einen Neubeginn hoffte, sondern vielmehr meinen Wunsch darstellte, er möge dem Nichts einen Sinn geben. Dieser Satz stammt von einer Userin aus einem anderen Forum, der mich sprichwörtlich getroffen hat. Durch ihn habe ich erstmal begriffen, dass ich mich in einer Situation befinde, in der mir nicht mehr klar war, worum es eigentlich geht, wo oben und wo unten ist und worunter ich eigentlich so leide. Es ist kein Liebeskummer, es ist nicht einfach nur Wut oder Verletztheit, sondern es ist der Wunsch nach Erlösung. Dass er mich erlöse von etwas, von dem ich nicht mal wusste, was es war. Ein Zauberbann aus Manipulation, Projektionen und Attraktion - Schmerz und Anziehung gleichermaßen. Und ich habe erkennen müssen, dass er mich daraus niemals erlösen wird. Nur ich selbst kann mich davon erlösen.
Und zum ersten Mal in dieser Geschichte, war mir etwas wichtiger, als diese Beziehung: Ich wollte nicht mehr leiden. Ich war mir wichtig. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Und mir wurde klar: wenn es wirklich mein Wunsch ist, nicht mehr leiden zu wollen, dann muss ich alles tun, was dafür nötig ist.
Ich merkte, dass meine Wut und meine Beschuldigungen gegen ihn pures Gift für MICH sind. Anfangs waren diese Gefühle wichtig um für mich klarzuwerden: NICHT Ich bin verantwortlich für seine Unaufrichtigkeit - sondern er. NICHT ich habe einen Knick in der Optik, sondern es war der Platz, den es in dieser Beziehung für mich gab. Der einzige Platz. Ich als Diejenige, die alles falsch sieht, zu laut, zu leise, zu offensiv zu defensiv - die nie richtig ist. DAS war der einzige Weg für ihn, mit meiner Kritik umzugehen und mich zu entmachten.
Ich habe erkannt, dass es rückblickend sehr viele Gelegenheiten gab, in denen mich mein Bauchgefühl bereits warnte. Ich habe nicht darauf gehört, sondern an mir gezweifelt. Aber ich halte mich nicht mehr an den Verletzungen auf, die in dieser Beziehung passiert sind, sondern daran, dass ich glücklich bin, dass meine Antennen auch damals schon gut funktioniert haben. So falsch - so meine Erkenntnis - kann ich ja dann gar nicht gewickelt sein. Scheinbar kann ich meinem Gefühl ja trauen. Und zum ersten Mal bin ich bei mir selbst angekommen: Was ich wahrnehme, kann richtig sein (oh Wunder!), was ich kritisiere, kann berechtigt gewesen sein (oh Wunder!).... und schließlich: führe ich den Gedanken weiter und male mir aus, was hätte sein können, wenn ich meinem Bauchgefühl gefolgt wäre, dann (oh Wunder!) hätte ich mich selbst vor zumindest diesen Verletzungen bewahren können. Ergo: Mein Bauchgefühl scheint ein guter Ratgeber zu sein, auf dem Weg, emotionale Sicherheit zu wahren. Und plötzlich scheint mir etwas möglich zu sein, von dem ich nie glaubte, das erreichen zu können: selbstbestimmt entscheiden und fühlen zu können. Ich bin nicht verantwortlich für das Handeln eines Anderen, sondern verantwortlich für mein Handeln, mein Fühlen, mein Denken. Ich MUSS nicht seine Probleme für ihn lösen, sondern darf eigene Bedürfnisse haben, habe ein Recht auf das Gefühl, das ich habe und es hat seine Berechtigung für mein Leben. Wichtiger noch: Es scheint mein Leuchtturm für den Weg in meinem Leben zu sein.
Ich kann nicht mehr zählen, wieviele Situationen mir nachfolgend einfielen, in denen er versuchte, mir meine Gefühle auszureden, sie zu ignorieren, sie zu überstimmen. Heute weiß ich, dass ein Mensch, der sich damit nicht auseinandersetzen kann, sondern meine Gefühle regelrecht zu löschen versucht, niemals ein Mensch sein kann, bei dem ich die Form von Sicherheit erleben kann, die ich mir wünsche.
Ich bin auf meiner Reise zu mir auch bei meinem eigenen Narzissmus angelangt - in dem Moment, in dem ich für mich ganz ehrlich erkennen musste: Mit diesem Menschen wärst du niemals glücklich geworden. Da war plötzlich Schmerz, plötzlich wieder ein Sehnen nach ihm und die zerstörerische Hoffnung, er möge sich bei mir melden und mir sagen, es war alles nur ein böser Traum.
Ich wunderte mich über diesen Schmerz, denn wenn ich doch schon selbst erkenne, dass er der Falsche für mich war, warum tut es dann so verdammt weh? Was an dem Ganzen kann ich partout nicht einsehen, so dass ich wieder anfange zu leiden und zu hängen?
Und mir wurde klar: das was schmerzte, war der Traum/ das Bild von einem Menschen, nach dem ich mich mein Leben lang sehnte und das er wunderbar erfüllte - zumindest zu Beginn der Beziehung. Und dieses Bild nahm er mir mit seinem stillen Weggang weg. Er überhäufte mich anfangs mit Aufmerksamkeit, interessierte sich für mich, meine Geschichte, las mir jeden Wunsch, noch bevor ich ihn überhaupt hatte, von den Augen ab, spiegelte mir, mich bei ihm sicher und aufgebhoben fühlen zu können. Als ich mich in diesem Schlaraffenland an Zuwendung befand, kam mir häufig der Gedanke: Endlich! ....ich erhalte das, was ich nach all den Entbehrungen der letzten Jahre auch verdient habe!
Ja, richtig, ich dachte, ich hätte es verdient. Ich dachte nicht: endlich erhalte ich das, wonach ich mich immer gesehnt habe. Nein, verdient - als stehe es mir zu. Und wenn ich aus heutiger Sicht ehrlich bin, dann muss ich erkennen: Ich habe NICHTS dafür getan, wirkliche Geborgenheit zu finden. Im Gegenteil. Ich bin durch die Welt gelaufen mit dem verborgenen Gedanken: Ich bin oft Opfer der Umstände geworden, also habe ich es per sé verdient. Und dabei habe ich mich selbst Prost.. Für ein Funken Zuwendung und Geborgenheit habe ich mich angepasst, habe mich ausnutzen lassen, habe verziehen, wo es nichts zu verzeihen gab. Und dachte dabei noch, wie böse doch alle Welt zu mir ist, während ich so lieb und verständnisvoll bin. Ich hatte mich getäuscht: Das, was ich da wählte, war der einfache Weg - nicht der selbstbestimmte, verantwortungsvolle, freie Weg. Ich bin durch die Welt gelaufen, als sei sie mir etwas schuldig. Aber das Gegenteil ist der Fall: ICH bin mir selbst etwas schuldig.
Und genau das war die Erkenntnis, für die ich meinem Narzissten sehr dankbar bin. Nicht er hat mich verletzt, sondern ich habe mich selbst verletzt. Und aus meinem Fehlverhalten mir selbst gegenüber kann ich nicht mit dem Finger auf ihn zeigen. Natürlich ist es nicht in Ordnung, sich verletztend anderen gegenüber zu verhalten und auch die Verletzungen, die er mir beibrachte, sind nicht in Ordnung und schmerzen. Aber: es liegt in seiner Verantwortung, sich so oder anders zu verhalten. Und in meiner Verantwortung liegt es, mich davor zu schützen und acht zu geben, es nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Als ich das erkannte blieb von allem Schock, allem Groll und aller Wut gegen ihn lediglich Mitgefühl übrig - für ihn und für mich. Mitgefühl für ihn, weil er nicht anders handeln konnte, als es sein Narzissmus vielleicht zulässt, Mitgefühl mit mir, weil ich ihm nicht helfen konnte und mir nicht geholfen habe.
Und ich erkannte noch etwas, nämlich was es mit all dieser Verwirrung und dem brüllenden Schmerz in mir auf sich hat, da ich wusste, dass einige dieser Gefühle defintiv nicht aus mir entsprangen, sondern - so fühlte es sich an - Gefühle seinerseits waren, die er mir regelrecht implantierte. Ich beschreibe es mal in einem Bild, denn anders kann ich es nicht beschreiben:
Das Innen- Leben eines Narzissten gleicht einem leeren Kinosaal. Vor einer riesigen Leinwand steht ein Sessel. Es läuft ein grauenhafter Film, mit Szenen voller Angst, Horror und Schmerz, der einen mit dem Gefühl, man stürbe jeden Moment unter der Last der Bilder und der Einsamkeit alleinlässt. Während andere Menschen die Möglichkeit haben, jederzeit das Kino verlassen zu können, bleibt ein Narzisst in dem Saal ein Leben lang gefangen - und dieser Film endet nie. Der Narzisst hat nur eine Möglichkeit, diesen Bildern zu entkommen: Er muss einen Menschen finden, der sich auf den Sessel setzt. Dann bindet er ihn rasch dort fest, so dass er nicht mehr fliehen kann, fixiert seinen Blick auf die Leinwand, so dass er nicht wegsehen kann. Und hat er dies geschafft, dann macht sich unendliche Erleichterung breit. Der Narzisst grinst dann und sagt: Du wolltest es doch nicht anders. Und während du jetzt hier sitzt, kann ich endlich gehen. Und er geht. Zurück bleibt der am Stuhl gefesselte Mensch - verdammt, den Film zu schauen, in Endlosschleife. All das Grauen, der Kälte ausgeliefert, verlassen und allein im Kinosaal. Der Mensch merkt: Hey, das ist nicht richtig von ihm, mich zu zwingen, diesen Film zu sehen, mich festzusetzen und dann alleinzulassen - ausgeliefert dem Schmerz dieser Bilder. Und er wird wütend. Doch es dämmert ihm, dass der Film, den er dort sieht, das Leben dieses Narzissten zeigt. Seine innere Welt. Und ihm wird klar, wenn er sich nun losreißt und aus dem Saal flieht, dann wird der Narzisst gezwungen sein, zurückzukehren in den Kinosaal seines Lebens, verdammt dazu, Platz zu nehmen, den Film zu sehen. Und er fürchtet sich davor, weil er weiß, dass er dann beschuldigt wird: Wie konntest du mir sowas antun? Wenn du mich je geliebt hättest, hättest du mich niemals allein gelassen, egal was ich getan habe, Wenn du jetzt gehst, dann ist klar, was für ein Mensch du wirklich bist: gestört, unaufrichtig, beziehungsunfähig - du bist es nicht wert, geliebt zu werden - es gibt andere Frauen, die tausendmal loyaler sind, als du.
Und dann dämmert in diesem Moment ein zweites Gefühl: Reiße ich mich jetzt los, dann tue ich ihm das Gleiche an, wie das, was ihm einst angetan wurde: Er wurde weggesperrt, dazu verdammt, sich diesen Film anzusehen. Er wurde benutzt und in diesen Saal geschlossen, in dem er immer hoffte, es würde jemand kommen und ihn erlösen - aber es kam niemand. Während er auf Liebe hoffte, wurde ihm Aufmerksamkeit nur zu Teil, wenn er sich einspannen ließ. So lernte er, dass Liebe Benutzen heißt, dass Geborgenheit Ausgeliefertsein bedeutet, dass Zuwendung nichts anderes als Manipulation ist und dass ein freundliches Lächeln der Weg in den Kinosaal ist. Ein Mensch, der ihm seine Hand entgegenstreckt, ist der gleiche Mensch, der hinter ihm zuschließen wird.
Und uns dämmert, dass unsere Liebe begrenzt ist, und dass Liebe manchmal auch heißt, Täter zu sein.
Und so wie wir alle hofft er, dass es eines Tages einen Menschen geben wird, der ihn davon erlöst. Aber das wird niemals passieren. Denn was er nicht weiß: Der Schlüssel liegt in seiner Hand.
Mit unserem Gefühlschaos, das wir nach einer solchen Beziehung erleben, bekommen wir einen kleinen Einblick in die innere Welt eines Narzissten. Wir können ihn nicht retten, wir MÜSSEN weitergehen. Wir können unseren Film beenden. Ein Narzisst kann dies nicht.
18.10.2014 21:19 •
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