@ Carmelita
Sorry, aber solche Texte verursachen bei mir echt nen enormen Hals. An bestimmten Passagen kann man bereits erkennen, dass Theorie manchmal auch nur ein Konzept ist, das zu kurz greift und an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht.
U.a. hier:
Zitat: Im darauf folgenden Stadium gegenseitiger Schuldzuweisungen bleibt den Betroffenen der entscheidende Erkenntnisschritt in aller Regel verwehrt: Den aktuellen Konflikt in Bezug zu setzen mit den anfänglichen, jeweils beziehungsstiftenden Bedürftigkeiten.
Sicher, irgendwo haben wir alle mit unseren N nach Schloss-Schlüssel-Prinzip funktioniert. ABER: Haben wir nicht alle auch noch WÄHREND der Beziehung stets und wiederkehrend genau Letzteres versucht? Ich wette JEDE von uns hat versucht, diese Form von Beziehungsarbeit zu leisten, indem sie ihren N mal sanft, mal verzweifelt, mal laut, mal kleinlaut, mal dramatisch auf diese Bedürftigkeiten hinzuweisen versucht hat, ihm zu spiegeln, welche Bedürftigkeit seinerseits bei ihr ankam, welche Bedürftigkeit ihrerseits besteht, welche Relevanz das in Bezug auf die Beziehung aus höherer Warte aus betrachtet hat. JEDE von uns hat sich noch während der Beziehung mit sich selbst auseinandergesetzt, gezweifelt, hinterfragt, in Frage gestellt und überprüft - GERADE in Hinblick auf die beziehungsstiftende Bedürftigkeit. Das Problem an der Geschichte ist: Der Beginn der Beziehung war absolut glaubhaft, kongruent, real - unsere beziehungsstiftende Bedürftigkeit schien von unserem Partner nicht nur akzeptiert, sondern angenommen, toleriert und als Eigenheit gewertschätzt worden zu sein. Aber es war Manipulation. Und die merkt man nun mal leider erst im Stadium der Lähmung, lange nach Beziehungsbeginn, und dann ist es für eine klare, distanzierte Sicht auf die beziehungsstiftende Bedürftigkeit zunächst ZU SPÄT. Hätten wir zu diesem Zeitpunkt nicht schon knietief und unbemerkt dringehangen, wären wir die ersten gewesen, die aus einer solchen distanzierten Reflexion heraus, die der Artikel verlangt, die Reißleine gezogen hätten.
NICHT die Schuldzuweisungen verwehren uns den nächsten Erkenntnisschritt, sondern die Lähmung durch die permanenten double-bind-Situationen. Nicht umsonst gilt der gezielte Einsatz von double-bind-Strategien als psychische Foltermethode und Technik seelischer Gewaltanwendung zur Zersetzung autonomer Willensbestrebungen. DASS der Wille gebrochen wurde, haben wir meist erst gemerkt, als er es schon war.
Ja, vielleicht sind wir alle in einem ungesunden Maß anpassungsbereiter als Andere - ABER das ist nicht gleich Grund, per sé von Komplementärnarzissmus zu sprechen und sämtlichen Partnerinnen von Narzissten zu unterstellen, sie würden die ganze Beziehungszeit über nix anderes tun, als die Schuld bei ihm oder bei sich zu suchen. Die meiste Zeit über - bitte korrigiert mich, wenn ihr das anders seht - waren wir damit beschäftigt EINE LÖSUNG für die Konflikte in der Beziehung zu finden. Und DAS ist nun mal zunächst ein völlig normales Vorgehen und menschliches Ideal, das die meisten Menschen zu verwirklichen suchen, nämlich nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen und ne Schuldfrage zu klären (das kommt erst danach ), sondern um eine gemeinsame Beziehungsbasis zu ringen, diese zu definieren und zu vereinbaren. (Und ja, NATÜRLICH sind wir nicht von vornherein davon ausgegangen, nen Psychopathen vor uns zu haben!)
Und ja, dazu gehört auch die menschliche Eigenschaft, auch mal zurückzustecken oder nicht aufzubegehren, weil man merkt, es würde den Konflikt nur verschärfen. Und dazu gehört auch, dem Anderen Zeit zu geben, wenn er sagt, dass er diese brauche. Nem Manipulierten vorzuwerfen, dass er doch da schon hätte merken müssen, dass er manipuliert wurde, erscheint mir etwas hanebüchen. Hinterher waren wir alle schlauer.
Sicher müssen wir uns die Frage gefallen lassen, weswegen unsere Grenzen manchmal so weit gesteckt waren, dass unsere Leidensfähigkeit arg überschritten wurde.
Aber ich störe mich extrem dran, dass solche Texte grad bei uns, die wir völlig verunsichert und verwirrt aus so ner Beziehung herausgehen, dazu führen können, dass wir noch mehr Schuldgefühle und Unsicherheiten aufgebrummt bekommen, indem wir uns selbst auseinandernehmen wie ne Weihnachtsgans und uns die Fragen stellen, die du @Jordis in deinem Posting u.a. darlegst. Ich weiß, was du und wie du es meinst und ähnliche Fragen habe ich mir auch gestellt, aber mal von ner höheren Warte aus betrachtet:
Stellen wir uns damit nicht schon wieder die Frage, wie wir für einen Partner zu sein haben, damit ja die Beziehung funktioniert?! Bloß keine Verlustangst haben! Um Gottes Willen nie die emotionale Kontrolle verlieren, es ja nieee zu einem emotionalen Kontrollverlust kommen lassen! Denn dann wird der andere ja unsicher und das wiederum führt zu unschönen Interaktionen und Agieren.
Ganz ehrlich: Eine gesunde Beziehung (wie ich in meinem Umfeld beobachten kann), beinhaltet auch solche Situationen und kann diese auch aushalten - Voraussetzung ist dafür aber auch, dass es eine BEIDER-seitige Bereitschaft gibt, den Anderen, der nen schwachen Moment hat, abzuholen und ihn nicht noch dafür abzustrafen, die Voraussetzung, verzeihen zu können und v.a. die Voraussetzung von Empathie beider Partner. Bedürftigkeit, und sei sie ungesund groß, hat in einer gesunden Beziehung Platz - indem sie offen thematisiert, an- und ausgesprochen werden kann. In ner gesunden Beziehung signalisieren sich Partner offen, wenn sie mit dieser Bedürftigkeit überfordert sind oder dieser nicht begegnen können.
Man muss kein Komplementärnarzisst sein, sondern lediglich ein sozial-orientierter Mensch, um zunächst mal völlig be- und getroffen zu sein, wenn der liebe N unsere Bedürftigkeit als aggressiven Akt gegen seine Person wertet und uns dafür abstraft. Denn wir registrieren in diesem Moment zunächst erstmal nur: oh, ich scheine seine Grenzen verletzt zu haben - und das wollte ich nicht. Und so, wie in jeder gesunden Beziehung auch, bemühen wir uns zunächst erstmal, die Grenzen des Anderen zu respektieren und das Ausmaß unserer Bedürftigkeit kritisch zu hinterfragen und daran womöglich auch Abstriche zu machen.
Was ich damit sagen will:
Unser aller Verwirrung entsteht m.E., weil wir zunächst mit einer sehr gesunden Beziehungsauffassung an einen gestörten Partner herantreten. Und sicher bietet unser (völlig menschlicher und normaler ) Wunsch nach Beziehungserhalt und -aufbau den Nährboden für weitere Manipulation. Ja, wahrscheinlich müssen und sollten wir vielleicht die Frage stellen, wie es um unsere Grenzen bestellt ist und unsere Leidensfähigkeit, aber ich halte es für ungut und eher zusätzlich verunsichernd, (meist in solchen Fachtexten) lediglich defizitorientiert auf unsere (mitunter völlig normalen, menschlichen) Schwächen fokussiert zu werden, die als Hauptursache für eine Veropferung durch einen N ausgemacht werden.
Wahrscheinlich habe ich mich jetzt selbst in jedem dritten Satz widersprochen und krieg meine Gedanken einfach nich formuliert, sorry, aber ich bin irgendwie grad angepiekt von dem Artikel.