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Alles nur ein Traum

H
Bei's happy end wird immer abgeblend sagte mein Vater über das schöne Ende von Filmen mit körperlicher Zuwendung: Wilde Küsse, leidenschaftliche Blicke und alles weitere ist dann der Fantasie überlassen. ...und wenn sie nicht gestorben sind gehört zu den Märchen und macht dem Leser glauben, dass das Liebespaar nach mühevoller Findung bis zum Ende des Lebens glücklich zusammenbleiben. Mit dem Teufel geht es zu, sollte es nicht so sein. Wie würde so ein Teufel aussehen? Würde er sagen ich habe keine Gefühle mehr für dich? Oder hat ein Teufel das Herz der Prinzessin erobert, die ihren Prinzen daraufhin verlässt - während sie im Teufel den neuen Prinzen sieht? So gibts im richtigen Leben halt nicht nur ein happy end und danach ist alles Friede, Freude, Eierkuchen. Nein, es gibt bekanntermaßen Höhen und Tiefen im Leben.

Man ist ganz schön arm dran, wenn man das nicht kapiert: Ich habe es lange nicht akzeptiert, habe lange an große Liebe geglaubt. Ich wollte auch mal glücklich sein, mal wissen wie sich das anfühlt. Ein Krümelchen des Glücks erhielt auch ich, als ich mich über eine Weile mit einer bezaubernden, jungen Frau getroffen habe (einige Beiträge im Tagebuch gehen um sie). Allein, dass ich von dieser Frau nicht sofort abgelehnt wurde, war für mich schon ein Glück: Dass ich sie erleben durfte, Einblicke in ihre Welt bekam, dass sie sich fröhlich mit mir unterhielt und ausging. Ein happy end stand irgendwann in meinem Herzen schon geschrieben. Doch mit meiner Vorgeschichte traute ich mich nie wirklich die Hand auszustrecken. Ein gebranntes Kind oder damals junger Mann scheut eben das Feuer - obwohl auf sie eigentlich die Charakterisierung eines kompletten Infernos passt. Naja, und auch von ihrer Seite gab es dann kein happy end mit mir als sie sich für einen anderen entschieden hatte. Freundschaft damit auch ade.

Doch wie es mit uns als Paar weitergegangen wäre? Ich weiß es nicht. Nein, wirklich nicht. Die Vorstellungswelt reichte bis zum Erobern. Was nach diesem happy end kommt - tagtägliches Zusammensein, miteinander schlafen, aufstehen, frühstücken, Wohnung sauber machen und die ganzen kleinen Dinge des Alltags - davon hatte ich keinen blassen Schimmer. Für mich war das miteinander schlafen schon eine große Sache. Doch jemanden länger an meiner Seite haben, es gab keine Vorstellung davon. Ist das nicht irre: Die bezauberndste Frau vor der Nase und der Kerl weiß nicht, wie er mit ihr zusammenleben kann. Irre, einfach irre.

Sonderlich verwunderlich ist das auch nicht. Die meiste Zeit trieb ich mich allein rum, suchte Kontakt und fand ihn ab und zu auch mal. Distanz ist ein Zustand, der mir vertraut ist. Bei Nähe und Zuwendung kriege ich Probleme. Und für ne Beziehung ist einfach zu wenig, dass ich einfach nur da bin. In den Discos - ich war einfach nur da, habe getanzt, getrunken, gelächelt und oft heimlich sehnsüchtig das eine oder andere junge Mädchen angeschaut. In einem Leben voller Distanz, wie soll sich das mal eben in Nähe verwandeln? Ich gab mir ja Mühe, auf die ein oder andere zuzugehen. Doch meistens war das so versteckt und auch so gleichgültig, reserviert und konzenrtiert, dass jedes Mädchen das Interesse verlieren musste. Mir gefällt diese Denkweise lieber als die andere - dass ich beim Mädel schon auf den ersten Blick gewonnen hatte; dass sie nur wegen ein paar gerader Sätze von mir ihn Ohnmacht fällt (wie blöd müssen die anderen dann wirklich sein?)

Im Grunde kenne ich also mittlerweile meine Schwächen. Doch mit ihnen umzugehen verstehe ich trotzdem noch nicht. Es gibt immer mal wieder einen kleinen Schritt nach vorn, wenn ich eine Schwäche bewusst angehe. Meistens lasse ich sie links liegen. Doch selbst diese kleine Schritte stimmen mich zuversichtlich, dass auch bei mir einmal nach dem ersten großen happy end viele weitere kleine folgen werden.

18.08.2016 15:07 • x 2 #31


H
Nur ein bisschen Sehnsucht nach Zuneigung und Frieden

Frühmorgens, es ist schon hell und der Wecker bimmelt. Grummeln. Es ist schon wieder soweit. Bevor der Wecker mich noch ganz wach quält, stehe ich lieber auf und bringe ihn zum Schweigen. Langsam schlurfe ich ins Bad. Und da lacht auch schon die Sonne mild herein. Das ist viel zu hell, viel zu schön - ich will doch eigentlich schlafen. Naja, zumindest stört mich keiner. Meine Eltern sind längst aus dem Haus. Jeden morgen bekomme ich das hektische Treiben im Halbschlaf mit. Dann rammelt irgendwann die Haustür zweimal und es ist wieder Ruhe. So gehe ich nun leise durch den Flur und futtere mein Frühstück. Meine Mutter hat mir wieder dicken Haferflockenbrei gemacht - mit viel Zucker. Hmmmm. Dass ich allein bin und mich das nicht im geringsten stört, merke ich nicht so richtig. Es ist immer noch besser als das, was gleich kommt: Schule.

Nun beginnt wieder die Zeit der Angst und für unerfüllte Träume. Wie werde ich mich wieder durch diesen Schultag durchschlängeln? Wie kann ich mich vor den gemeinen Attacken meiner gleichaltrigen, hormondurchgeknallten Mitschüler verstecken? Wie bleibe ich möglichst unauffällig? Wie errege ich nicht ihre Aufmerksamkeit? Doch sie und der Jungs der Parallelklasse hatten mich in unserer Pubertät längst als potenzielles Dauerziel auserkoren. Sie nannten mich Türke. In der Tat habe ich ein südländisches Aussehen. Doch bis zur Pubertät war das nie ein Thema. Als Kinder spielten wir viele Nachmittage und Abende zusammen. Wir kannten uns schon aus dem Kindergarten. Doch das war gestern. Heute gab es Beschimpfungen, Androhungen und Gewalt. Naja, im Blickfeld der Lehrer bleiben und im Unterricht bloß nicht zuviel melden war meine Strategie. Wer am faulsten war, die dümmsten oder frechsten Antworten gab, wurde hoch respektiert. Diese Jacke wollte ich mir auch anziehen, doch so blöd stellen wie die anderen wirklich waren konnte ich nicht. Daher also lieber soviel schweigen wie möglich.

Doch dann meldeten sich erstmal wieder bei mir die Hormone und verdrängten das düstere Szenario. Längst war auch mir nicht entgangen, dass die Mädels schon wundervolle Rundungen am Oberkörper bekommen hatten. Die Beine sahen plötzlich so knackig und fest aus. Auch die festen Hintern bei der ein oder anderen fesselten meine Blicke - und offenbar auch Fantasien. Und darin ging es zu wie in einem Lustgarten, eine war aufregender als die andere. So schwelgte ich also schon beim Frühstück in Träumen. Was sollte ich auch anderes tun? In der Schule ließen sie mich deutlich verstehen, dass auch sie nichts mit mir zu tun haben wollten. Sie erinnerten mich manchmal an eine Elefantenherde, die dem ungebetenen Gast zusammen ihre Hintern zudrehten. Aber nun war es Zeit, ich musste los.

Draußen war es noch kalt. Doch selbst von der Kälte ließen sich meine Mitschüler nicht davon abhalten, mir schon an den Fahrradständern die zu erwartende Begrüßung zu geben na, du Türke. Und schon ging der Spießrutenlauf los.

Im Klassenzimmer setzte ich mich ganz hinten hin, damit ich meine Mitschüler im Auge haben und reagieren konnte. Ganz kurz ging mein Blick zu den aufregenden Mädels. In der Pause brachte ich doch einige nette Worte zu einer von ihnen - die am wenigstens gemeine - zusammen. Sie sagte nur einen schnippischen Kommentar und drehte sich ab. Mit den aufregendsten sprach ich nie, denn sie waren zugleich zu mir auch am gemeinsten.
In der Musikstunde lachte eine plötzlich los. Ich sah rüber. Sie zeigte auf die Wölbung in meiner Hose und animierte die anderen, auch hinzusehen. Wo hatte die denn ihren Blick? Bei mir? Und dann auch noch auf meiner Hose? Natürlich war mir das jetzt peinlich. Irrwitzigerweise hatte ich zuvor an kein Mädchen oder ein Abenteuer gedacht. Meine Hose war halt eng, so dass sich jede Wölbung in ungünstiger Sitzhaltung sofort abzeichnete. Und so setzte ich mich wieder aufrecht und versuchte das Blut doch nochmal umzusteuern. Zu den üblichen Gemeinheiten kam nun auch noch ne Peinlichkeit vor der gesamten Klasse hinzu. Dabei hätte ich mir so sehr nur ein bisschen Zuneigung oder zumindest Frieden von ihr und den anderen Mädels gewünscht. Dann käme ich mir nicht wie ein Aussetziger vor.

Als der Schultag mal wieder rum war hieß es Trickfilme schauen, Hausarbeiten machen und dann rüber zum Kumpel. Spielen war angesagt. Angeln, Fussball, Buddelkasten - irgendwas würde uns schon einfallen. Hier durfte ich wieder ein bisschen Junge sein, musste mich nicht verstecken. Doch die Furcht war nun auch vor ihm da. Würde er sich auch so verändern wie all die andern? Nein, er nicht. Hier hatte ich etwas Ruhe.

Als ich abends nach hause ging, sah ich mein Elternhaus. Das breite Ding mit dem schiefen, schwarzen Dach stand eigentlich ganz ruhig da, wie eh und je. Doch ich zitterte innerlich Der Schein trügt! Was kommt wohl heute? Mein Vater konnte ein ganz schöner Wüterich sein. Auch da hieß es für mich oft Luft anhalten und erstmal hören, ob die Luft rein ist. Mir war es lieber von meinem Vater, komplett ignoriert zu werden. Ach, ignorierte ihn meistens auch. Meine Mutter wehrte sich erst spät gegen ihn. Doch Handgreiflichkeiten waren ihre dümmste Idee. Sie war ein Fliegengewicht und er ein kräftiger Mann. Ein Schlag von ihn hätte gereicht, um meine Mutter ins Land der Träume zu schicken. Und sie staunte oft, dass sich mein Vater auch wehrte, als sie ihn angriff. Sie will am liebsten nur austeilen und verschanzt sich hinter den Konventionen, dass man Frauen nicht schlägt und Müttern nicht widerspricht. Trotzdem versuchte sie immer, dass Zusammenleben so harmonisch wie möglich zu machen bzw. kaschierte sie gern das problematische Familienleben - vor allem wegen unserer Außendarstellung was sollen die Nachbarn denken. Was die Nachbar denken interessierte mich eigentlich nicht. Doch der Leitlinie meiner Mutter wollte ich natürlich folgen. Sie bescherte nicht mir die Ruhe, sondern wichtiger waren ihr die Nachbarn. Zuneigung bestand für sie immer in der Übererfüllung ihrer mütterlichen Pflichten. Ich weiß nicht, wieviel davon gefühlte Zuneigung war.

Und so bin ich heute zufrieden, wenn ich Ruhe habe, ab und zu ein bisschen Glück und ein bisschen Frieden.

19.08.2016 10:16 • x 1 #32


A


Alles nur ein Traum

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G
Zitat:
Und dann dachte ich noch an diese unglückliche Geschichte mit der schönen, jungen Frau. Manchmal kamen sogar die Tränen. Viele Male dachte ich daran warum musste mir das passieren? Warum kann ich nicht einmal Glück haben? Warum werden die kleinen schönen Momente gefolgt von einem kurzen, heftigen, bitteren Ende?


Das alles konnte unmöglich real sein. Sie stand wie gebannt. Unfähig, sich zu bewegen. Ihre Lippen zitterten, aber sie hatte keine Angst. Er trat nah zu ihr heran und küsste sie auf die Stirn, strich ihr Haar zurück. Sein Blick war tief und endlos. Hab keine Angst, sagte er mit seinen Gedanken. Er sah so unschuldig aus. Sie trieb davon, in eine längst vergangene Welt. Sie öffnete die Augen, und er war fort.
Du bist es, hörte sie seine Stimme im Dunkeln flüstern. Wenn die Zeit kommt. Wir werden uns wiedersehen.

Wann würden sie sich wiedersehen? Doch die Nacht blieb stumm im milden Wind der großen Stadt.

Endlich löste sie sich aus diesem seltsamen Traum und setzte ihren Weg fort.

21.08.2016 00:24 • x 2 #33


H
Beim tanzen lernst du nette Mädels kennen. Du musst tanzen gehen. Das ging schon immer so. Das sagten mir die einen Stimmen. Die anderen sagten In Clubs findest du doch keine Freundin. Zwischen diesen Aussagen war schon viel Zeit ins Land gegangen - und so einige Erlebnisse. Die zweite schien sich für meine Geschichte als die zutreffende zu erweisen. Nur so konnte es sein. Dass ich mich selbst schon verrückt gemacht habe, bevor irgendwas passiert ist - lasse ich ja ganz gern mal auch vor mir selbst unter den Tisch fallen.

Wie sah so ein typischer Disco-Besuch also aus. Klar, das fand immer nur einmal am Wochenende statt. Braucht ja ein paar Penunzen. Kaum brach der Abend an, ging das Kopfkino los. Heute passiert es - vielleicht. Mal sehen, welche hübschen Mädels heute so da sind. Mal sehen, welche sich für mich interessiert. ... Ob sie mich überhaupt registieren? Wie machen das bloß alle anderen? Sie lachen, qautschen - worüber eigentlich? ... und am Ende gehen sie zusammen nach haus und schlafen miteinander. Warum klappt das bei mir nicht? Nicht ein einziges Mail habe ich diese Vorstellungswelt auf ihren Realitätsgehalt überprüft. Muss halt so sein.

Und mit diesem Kopfkino ging es dann - oft auch alleine - los: In die Dorfdisco oder Clubs der Großstadt. Erst habe ich mich mal umgesehen, wie der Club so aufgebaut ist. Allein hier musste meine völlig Ratlosigkeit deutlich geworden sein - und auch meine Einsamkeit. Aber ich verdrängte gern den Gedanken Es ist Wochenende und auch ich will was unternehmen, will in Clubs und am Nachtleben teilnehmen. Egal, was die anderen denken. Besser diese halbe Wahrheit als die ganze, die mich am Ende zu völliger Unternehmungsfaulheit verdonnert hätte.

Nachdem ich meinen ersten Streifzeug beendet hatte ging es an die Bar. Ein B. - nach dem anderen - oder auch mal Rotwein bildeten mein Standard-Programm. Es sollte wohl sowas sympbolisieren he, schaut mal, ich trinke auch. Und es gab mir das Gefühl zu dieser Feiergesellschaft zu gehören, zu der ich eigentlich nie gehörte. Zu fremd war mir das ganze Prozedere. Spaß war hierbei ein Fremdwort für mich. Ich habe es nie verstanden, warum sich die Leute hier vollaufen lassen; warum Alk. dringend sein muss. Er mag im ersten Moment ja lockerer machen - mich eingeschlossen. Doch zuviel trübt das Entscheidungsvermgen dermaßen, dass ich mich mit Mädels eingelassen habe, die ich bei Tageslicht und allen Sinnen nie angesprochen hätte. So bin ich viele Male neben jemandem aufgewacht und habe ich gefragt was hab ich nur getan? Ist doch ein Unterschied wie Tag und Nacht, zu dem was ich eigentlich will. Das positive daran: Irgendwann trank ich nur noch soviel B., dass ich noch genau wahrnehmen konnte, wer mir wirklich gefiel und wer nicht. Jedenfalls hielt ich mich dennoch an den Biergläsern oder -flaschen auf eine Art auch fest.

So stand ich die meiste Zeit an irgendeinem Tresen rum oder an ner Säule und schaute durch den Raum, auf die Tanzfläche, machmal auch zur hübschen Bedienung oder den GoGo-Girls. Von letzteren konnte ich oft leicht den Blick abwenden. Zu wenig attraktiv, zu billig und auch nicht antörnend. Und o sah ich dann wie die hübschen, jungen Frauen sich durch den Saal schlängelten (wohin wolln se denn - ich bin doch hier?), tanzten, lächelten und überall Gespräche mit den jungen Männern begannen. Manchmal blieben die Mädelsrudel auch für sich. Ob sie mich überhaupt registierten, weiß ich nicht. Naja, vielleicht als die Salzsäule am Tresen mit dem B. in der Hand. Ich war also zur schlimmsten Version meiner selbst geworden, der Mann, der ich nie sein wollte. Ich wollte mich doch immer von genau diesem Typ Mann unterscheiden. Naja, der einzige Unterscheid war wohl der Rotwein, den ich, aber sonst niemand trank.

Und so vergingen die Stunden. Bald leerten sich die Clubs wieder. Wer noch niemanden für die Nacht gefunden hatte, blieb da. Die hübschen Mädels verschwanden in der Regel am schnellsten. Ja ja, ich weiß Hach, wie subjektiv. Naja, dass mich kaum eine ansah oder anlächelte, wertete ich logischerweise als komplettes Desinteresse an meiner Person. Ich war für sie ganz offensichtlich Luft. Und irgendwann fehlte mir dann auch die Kraft weiter rumzustehen, ab und zu mal - allein - zu tanzen. Es fühlte sich immer komisch an, allein zu tanzen. Aber auch dieses Gefühl musste ich halt unterdrücken, vor allem wenn mal meine Lieblingsmusik gespielt wurde. Und so ging oder fuhr ich nach haus - ganz oft allein, ohne auch nur ein Wort mit jemandem gewechselt zu haben. Und diese Heimfahrten waren mit die biitersten Momente. Hier wurde erst nochmal so richtig deutlich wie allein ich war. Die Züge schienen mir leerer als leer zu sein. Auch wenn die Wagen geheizt waren und auch meine Jacke Wärme spendete, fühlte sich in mir alles bitterkalt an.

Aus heutiger Sicht hätte ich gern mal erfahren, mit welchen Erwartungen die Mädels in die Clubs gegangen sind. Wie viel von meinen eingebildeten Erwartungen stimmt mit der Realität überein?

21.08.2016 23:40 • #34


H
Es ist schon eigenartig wie sich der Charakter von Orten verändern kann, wie aus tiefer Abneigung oder gar Hass sowas wie Liebe werden kann.

An den Flüssen der Großstadt stehen zwischen den Wasergrundstücken zahlreiche Bootshauser. Einige kenne ich seit meiner Kindheit. Doch die Erinnerungen an diese liegen nicht nur in der Vergangenheit,sondern auch schon im Vergessen. Und natürlich gibts dafür Gründe. Auch wenn ich schon mal den Schlüssel in der Hand vergesse, reicht nur ein Blick auf diese Häuser, dass sich in mir ein zwiespältiges Gefühl breit macht.
Das eine große, alte Fachwerkhaus am Fluss kurz hinter der Ausfahrt vom großen See erinnert mich an die letzten Meter der ausgedehnten Bootsfahrt mit einer Schülergruppe, zu denen auch ich gehörte. Doch sie kamen von einer anderren Schule als ich, aus dem Sportkurs meines Vaters.

Allein das zusammensein mit ihm bereitete mir keinen Spaß. Er war sehr eigenbrödlerisch und auch störrisch. Auch wenn er gern auf Reisen ging, war die Organisation mitunter eine Katastrophe. Dass er überhaupt eine Schülergruppe bekam und die Eltern ihre Kinder auch noch zu ihm ließen, erscheint mir heute als ein großes Rätsel. Naja, wahrscheinlich Endlich sind die Gören mal weg und sie kannten meinen Vater nicht so wie ich. Aus dieser Situation heraus formierte sich unter den Schülern der AG eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl aus der Situation das Beste machen: Und so waren auch sie für mich fremd. Ich musste mit, weil mein Vater das so angeordnet hatte und auch meine Mutter ihm grünes Licht gab mich mitzunehmen. Widerspruch? Zwecklos!

Und so war ich dann über mehrere Tage lang auf der Bootsfahrt allein unter Fremden, inklusive meines Vaters. Ich versuchte mich zwar anzufreunden, aber die Sportgruppe hielt zusammen wie ein Rudel. Naja und mein Vater ging halt so seiner Wege. Ich hasste ihn, ich mochte die Sportgruppe nicht und wollte meist nur noch nach hause. Am Ende der Fahrt hingen auch noch dunkle Wolken über dem letzten See. Ein kalter Wind trieb die Wellen vor sich her. Der Regen prasselte unaufhörlich auf uns ein. Die Regentropfen fühlten sich bald wie Nadelstiche auf der Haut an. Niemand sprach jetzt noch. Alle konzentrierten sich, wollten nicht kentern - und zudem auch nur noch nach hause. Als wir vom See runter fuhren, erkannte ich die Kneipe wieder, wo ich mal eine Brause getrunken und auf den See geblickt hatte. Doch heute war alles dunkel, leer und verlassen. Dabei wollte ich so gern ins Warme. Dann kam das große, schöne Bootshaus, wo ich gern anlegen und aus dem Boot rauswollte. Aber nein, wir fuhren weiter, da unser Boot ja von einem anderen Verein ausgeliehen war. Stumm ging es weiter. Irgendwie legten wir plötzlich an einem Steg an. Ich war völlig durchnässt, mir war kalt und wollte nur noch raus. Erfreulicherweise gab es dann doch eine warme Dusche und in der Kantine sogar warme Bouletten mit Senf und pappigem Toastbrot. Das war der Lichtstrahl an diesem Tag und der ganzen Fahrt. Nie wieder schwor ich mir, würde ich sowas nochmal machen.

Jahre später komme ich wieder. Die Sport AG hat sich vor vielen Jahren aufgelöst und mein Vater den Sport aufgegeben. Und ich habe mit genau dem Sport wieder begonnen, den ich damals so verabscheut habe. Vielleicht weil die Gesellschaft besser geworden ist? Mit meinen Vereinskameraden pflege ich ein herzliches Verhältnis und freue mich, wenn auch andere Vereine mich auf Fahrten bereitwillig mitnehmen. Mit meinen Sportkameraden steuere ich nun das alte, schöne Fachwerk-Bootshaus an. Hier wollte ich ja früher gern anlegen. Um uns herum herrscht reges Treiben auf dem Wasser - kleine Sportboote und zwischendurch auch mal große Yachten fahren auf und ab. Langsam dringt Musik an unsere Ohren. Vor dem Haus bietet sich am Ufer ein unglaublicher Anblick. Überall stehen die Sportler in ihren Trainingsanzügen in Vereinsfarben dicht an dicht. Ein unglaubliches Farbenmeer. Auch wenn die Vereinskameraden beisammen stehen, lächeln und futtern, qusselt hier scheinbar jeder mit jedem. Keiner wird argwöhnisch beäugt, weil er von einem anderen Verein ist, sondern locker aufgenommen, weil sie alle den selben Sport betreiben. Ja, so muss es sein, denke ich mir. Auch in den langen Schlangen am Grill und dem Getränkestand gibt es einen regen Austausch. Das ganze Bild komplettieren die bunten Mädchen an der Hausfassade. Allein dieser Anblick lässt mein Herz höher schlagen, der Puls ist ja schon oben

Dieses Erlebnis sollte sich noch viele Male wiederholen. Manchmal ist es eben doch gut, sich von unschönen Erlebnissen in der Kindheit nicht zu negativ beeinflussen zu lassen und alles mit etwas Abstand aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sonst sich könnten auch wunderbare Momente nie ergeben, würden immer versperrt bleiben.

22.08.2016 12:46 • #35


H
Auf dem Rückweg vom Sport sitze ich in der S-Bahn und blicke ungeduldig auf die Uhr. Hoffentlich macht Die Bahn heute mal das, was sie die ganzen Jahre zuvor prima geschafft hat und mein Regionalzug kommt mit Verspätung. Beim Blick aus dem einen Fenster sehe ich jedoch nur leere Schienen bis an den Horizont. Und im Bahnhof steht auch kein Zug mehr. Oh oh, wenn der Zug nicht gerade sehr viel Verspätung hat, habe ich gleich sehr viel Zeit - und sitze erstmal ne Stunde rum. Die S-Bahn rollt langsam in den Bahnhof ein, die Türen gehen auf und ich springe raus und sprinte los. Doch ein Blick auf den anderen Bahnsteig sagt schon: Keine Fahrtgäste mehr da, mein Zug muss also schon durch sein. Und so laufe ich wieder langsamer, vergewissere mich noch mal mit leichter Resignation, dass der nächste Zug wirklich erst in ner Stunde kommt - als wenn ich es nicht genau wüßte.

Und was nu? Auf eine Bank setzen und vor mich hin dösen? Ne, das sit zu langweilig. Hey, ich könnte ja noch mal zum Türken gehen und mir einen kleinen Kaffee holen. Gesagt, getan. Ich sehe ihn schon auf Entfernung wie er auf einem kleinen Hocker sitzt und mit seinen Imbissgästen quasselt. Maurer, olle Muttchens und die Dorfjugend tummeln sich hier oft. Er ist ein sympathischer Zeitgenosse und macht auch keine überflüssigen Worte, wenn es nicht sein muss. So ist es auch heute. Als er mich sieht, erhebt er sich leicht behäbig, lächelt und fragt kurz, ob ich nen Kaffee will. Dabei hält er die Kaffeekanne schon längst in der Hand und gießt ein. Ich grüße und kurz und nicke nur noch.

Doch ich will jetzt nicht die ganze Zeit rumhocken. Ein Spaziergang wäre das richtige, ist auch gar nicht weit zu mir nach hause. Die paar Kilometer sind nicht das Ding. Außerdem führt mein Weg ja durch ein kleines Wäldchen mit vielen Pappeln, wo das Sonnenlicht ganz leicht durchkommt. So gehe ich los und laufe durch das neue Parkhaus. Schon nach wenigen Schritten werde ich langsamer, bleibe stehen und sehr mich zweifelnd um. Wie schnell sich doch alles verändert hat. Vor meinem inneren Auge verändert sich alles. Das Parkhaus verschwindet und Parkplatz mit schwarzem Asphalt erscheint. Knallerbsensträucher und magere Pappeln grenzen ihn von der Hauptstraße und Bürgersteig ab. Noch weiter zurück verschwindet der Asphalt. Überall ist hier nur Sand. Bei Regen entstehen riesige Pfützen. Auch in diesen werden Autos humorlos abgestellt.

Zweimal im Jahr standen hier aber keine Autos, sondern die Rummelwagen. In der Schule sah ich und auch ein paar Mitschüler sie schon am Fenster vorbeifahren. Das Getuschel ging los. Kurze Zeit später war klar, wo wir am Nachmittag sein würde. Hausaufgaben? Mal sehen....

Mit den Rädern gings dann los. Kurz hinter dem Wäldchen sahen wir schon die Pappeln, den Sandplatz und dann die Wagen, die im Halbrund standen. Dort gab es Schiessen mit dem Luftgewehr, ein Tombola-Wagen, Ringe werfen, beim nächsten bekamen wir Zuckerwatte und der letzte war der Spielautomaten-Wagen. In der Mitte die stand ein Kraussel - für die Kleinkinder. Natürlich war ich als 12-jähriger ja schon groß und fuhr nicht mehr mit sowas. Wir schissen die Räder dann an irgendeinen Wagen, Zaun, Baum oder Strauch, vielleicht noch ne Kette dran und los gings. Zuerst nahmen wir Kurs auf den Schiessbuden-Wagen. Ich habe die Pyramiden aus kleine Bleitönnchen nie so richtig abräumen können. Meistens schoß ich mir dann lieber ne Papierblume an einem Draht in einem Röllchen. Dann hatte ich wenigstens etwas. Den Tombola-Wagen nahmen wir nur mit, weil wir alles mal machen wollte. Es war aufregend für 2 Mark die kleinen Röllchen aus der Losschale zu nehmen und schon zu ahnen, was da gleich drin stehen würde Niete. Wir lachten meist darüber. Ich weiß nicht, ob da jemals einer was von uns gewonnen hatte. Nach der Aufregung folgte erstmal ne Zuckerwatte. Ich knautschte den Watteballon gern zu einer Zuckerstange. Machte zwar klebrige Finger, aber wozu hat man schon ne Zunge? Na ein bisschen Finger lutschen versuchte sich wenigstens einer noch am Ringe werfen. Doch auch die große Sektflasche haben wir nie gewonnen. Statt dessen gings zum Spielautomaten-Wagen. Hier verballerten wir wirklich unser letztes Geld. Mit 10 oder 20 Pfennig setzte sich an einem Automaten eine Kugel in Bewegung. MIt einem Drehknauf führten wir eine Figur, die die fallende Kugel auffangen und in ein Loch bugsieren sollte. Wer das schafte bekam einen kleinen Gewinn. Dann gabs noch die einarmigen Banditen. In dem kleinen Wagen war es so eng, dass wir uns immer irgendwie durch die großen Männer durchschlängeln mussten. Das letzte Geld ging meistens bei einem Flipper mit Holzeinfassung drauf: Ein blaues Spielfeld, weiße, klingelnde Prellböcke mit roten oder gelben Leuchten oben drauf. Ganz einfach - so wie wir.

Tja, das alles ist nun schon 20 Jahre her. Das Parkhaus verrät nichts mehr darüber, nichts mehr über diese einfache Welt. Das Parkhaus hat keinen Sinn für Sentimentalitäten. Seine geraden Betonwände, dunkle Nischen, weite Parkflächen sagen nur: Hier parken, sonst nichts. Schade für die Jugend.

23.08.2016 14:12 • #36


H
Die Schule geht wieder los. Die Schule des Lebens? Ne, nicht so pathetisch, ist ja noch früh am Morgen. Nur für die Kinder gehts los. Doch entweder sind sie weniger geworden oder ich bin halt zu anderen Zeiten unterwegs, so dass ich den großen Tross der Schüler auf ihren Rädern nicht sehen kann.

Der Tross begann auch in meiner Schulzeit ganz klein. Morgens aufs Fahrrad und erstmal rüber zum Kumpel, klingen und warten. Dann ging irgendwann die Gardine zur Seite, sein Kopf erschien und er blickte mich fassungslos an jetzt schon?. Von mir kam darauf nur ein verschlafener, ratloser Blick. Wenig später ging die Tür auf und auch er bekam die kühle Morgenluft ins Gesicht. Dann fuhren wir mit unseren beiden Rädern los. In unserer Straße passierte nix. Die meisten Leute waren wohl schon auf Arbeit.

Nach dem Durchqueren eines kleinen Parks, wo wir die Wurzeln der Bäume als Sprungschanze nutzten, kamen wir an den Bahnhof und die Schranken. Am Kiosk hielten wir an und schauten nach den neuesten Comics. Da die Schranken oft lange unten blieben sammelten sich mehr und mehr Räder mit den Schülern der verschiedenen Klassen. Auch ein paar hübsche Mädels waren darunter. Bei einer platzte mal der Reifen und alle blickten sie an - tiefrotes Gesicht. Der große Tross war also komplett. Gingen die Schranken dann hoch fühlte es sich an wie vor dem Start eines Marathon-Laufs. Jeder wollte die beste Startposition, um bloß nicht in der Menge hängenzubleiben. Aber das ist Geschichte. Die Schranken sind weg und mittlerweile gibt es eine Unterführung. ICE sei Dank. Wer hätte gedacht, dass mein kleiner Ort mal so ein Bauwerk bekommt, um die Bahn zu umgehen?

Natürlich ist mir bekannt, dass die Schulen umstruktiert worden sind; dass es weniger Kinder gibt und sie anders auf die Schulen verteilt worden sind. Trotzdem fühlt es sich eigenartig an, dass es den großen Tross der Schüler mit ihren Fahrrädern nicht mehr gibt; dass sie nicht mehr an den Schranken warten; dass ich nicht mehr Teil desselben bin. Ne, ich denke nur mal über solche Sachen nach, während ich zum Zug eile. Ja, eilen. Ich muss mich erst noch an den Zeitvorteil durch die Unterführung gewöhnen, dass ich manchmal zu spät losgehe. Nun sind es also nicht mehr die Schranken, die mich aufhalten, sondern die eigene Bequemlichkeit. Und dem Tross begegne ich dann im Zug wieder, mit so manchem altbekanntem Gesicht.

24.08.2016 08:22 • x 1 #37


H
Ferienprogramm - Captain Future

Die letzten Tage vor den großen Sommerferien waren fast immer mit gemischten Gefühlen besetzt. Klar, erstmal drohte die Zeugnisvergabe. Die Aufregung stieg im selben Maß wie die Hoffnung auf Überraschungen - zu eigenen Gunst selbstverständlich. Als wenn nicht jeder wüßte, welche Zensuren er auf dem Giftblatt zu erwarten hatte, wurden trotzdem heimlich Stoßgebete gemacht. Nein, nicht zu Gott. Unsere Schicksalsfiguren waren viel irdischer: Das Klassen- und Zensurenbuch und nicht zuletzt unsere Lehrer. Vielleicht würden sie ja doch mit Rücksicht auf die armen Eltern die Noten etwas besser ausfallen lassen, als die eigene Schlafmützigkeit es eigentlich erlaubte. Naja, aber die großen Wunder blieben aus. Bei den Mädels gab es viele strahlende Gesichter. Bei den Jungs gabs öfter rote Köpfe und verlegene Grinsen.

Das andere Gefühl war Vorfreude auf das, was nach der Zeugnisvergabe folgte: Sommerferien. Das bedeutete lange ausschlafen, frei nach Schnauze angeln gehen, Fussball spielen oder einfach nur rumblödeln - und natürlich das Ferienprogramm im Fernsehen. Doch eigentlich hätte es auch Captain Future heißen können. Auf nichts anderes warteten wir so sehnlichst, wie auf die Ausstrahlung des neuesten Zeichentrick-Abenteuers vom mutigsten, intelligentesten Helden des Weltraums - Captain Future - und seiner Crew. Und jedes Mal wenn diese gut Titelmelodie losging, nahm er uns mit auf die abenteuerliche Reise.

Das Ausmaß der Aufregung nahm zumindest bei mir schon lächerliche Formen an. Damals gab es noch kein durchgehendes Fernsehprogramm. Ein oder zwei Nachmittagsstunden lang gab es ein Testbild, dann folgten Nachrichten und das Ferienprogramm. Und ich tat genau das, was zu erwarten war. Ich sah mir freiwillig 10 Minuten das Testbild an und dann auch noch die Nachrichten. Davon bekam ich nicht viel mit außer die abschließenden Worte des Nachrichtensprechers und jetzt viel Spaß beim Ferienprogramm. Dann kam die Titelmelodie des Programm und die Moderatoren. Sie machten ein paar Worte das. Aber die bekam ich auch nicht mit (ja, ja, ja, weiter, weiter), sondern auch hier nur die Worte ...Captain Future.

Gibt es eigentlich heute noch so eine Serie, auf die sich Kinder mit einer vergleichbaren Vorfreude, Spannung und Aufregung freuen? Werden Bedürfnisse zu leicht befriedigt? So gesehen bin ich zufrieden, dass meine Bedürfnisse nicht so leicht befriedigt wurden; dass ich warten musste. Ich denke, dass mir das sehr intensive Erlebnisse und unvergessliche Momente beschert hat. So halte ich es heute so, dass ich eben nicht jedem Trend hinterherlaufe, nicht jedes Bedürfnis sofort befriedige, sondern mir erst mehr Geschmack hole.

24.08.2016 21:15 • #38


H
Der Verzweiflung nahe? Ne, ich war mittendrin. Verliebtheit, Liebe, das erste Mal - bei mir selbst blieb es in der Schulzeit und Pubertät ein sehnlicher, aber vor allem heimlicher Wunsch, Ich bemerkte die Veränderungen an den Mädchen. Die körperlichen Rundungen nahmen zu und auch die Zuwendung zu den Jungs. Kichern, verführerisches Lächeln und süße Provokationen gehörten dazu. Das machte so manchen Jungen verrückt. Mich auch. Nur galten die Blicke nicht mir. Ich war die heiße Luft. Dafür bekam ich kalte Schultern und Gemeinheiten - völlig gratis.

Nun gut, wenn nicht hier dann vielleicht in der Disco. Aber aus dem Schulalltag geprägt kam da schon nichts mehr von mir. Nur meine Blicke schweiften umher. Viele schöne Mädels habe ich gesehen. Und keiner einzigen habe ich das auf die Nase gebunden. Zu sehr verbarg ich mich und meinen Blick. Dabei könnte ich schon allein aufgrund meiner Größe unübersehbar sein. Doch wenn in der Schule und zuhause die Hauptaufgabe Verstecken ist, dann verschwindet man irgendwann wirklich in der öffentlichen Wahrnehmung. Da gibts dann nur noch ein kurzes Getuschel ey, schau mal, der da. Steht rum wie ne Salzsäule. Aber ich habe nie erfahren, wie die Mädels mich in der Disco wahrgenommen haben. Die Prädikate ungewöhnlich und arrogant wurden mir wohl meistens angehaftet.

Was gab es noch für Möglichkeiten, Mädels kennenzulernen. Vielleicht ja in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit? Um mal einen Überblick zu haben, ob die ein oder andere attraktive im Zug sitzt stieg ich kurz vor Abfahrt ein und lief dann durch den Wagen, dann den nächsten und nächsten. Selten eine attraktive dabei. Und wenn, waren die Sitze um sie herum bereits besetzt. Manchmal hatte ich aber Glück und ich konnte mich gegenüber setzen. Ich erfreute mich dann heimlich an ihrem schönen Anblick, wendete ab und zu meinen Kopf und ließ meine Augen durch ihre wandern. Das Resultat war bekannt und zu erwarten. Meistens registrierten sie mich nicht, wollten mich absichtlich nicht ansehen und blickten steif aus dem Fenster. Die selten Momente, wo mich mal eine ansah, bekam ich dann nicht mit. Die enttäuschenden Erfahrungen nagten natürlich an mir. Und so schaltete ich mehr und mehr ab. Eines morgens als ich mal wieder durch die Wagen ging, dachte ich mir nur, was für einentraurigen Anblick ich abgeben musste. Suchte verzweifelt nach einem Lächeln und fand es nicht. Irgendwann begnügte ich mich dann mit nem Lächeln von Frauen, die mir gar nicht gefielen. Was konnte ich schon noch mehr erwarten? Ja, ich ließ mich auch noch mit diesen Frauen ein. Und ich verstand es dann überhaupt nicht, dass nicht mal die mich wollten. Eine Studienfreundin öffnete mir die Augen über mein falsches Selbstbild Bei dir hat man immer Angst, dich nicht halten zu können? Bei der nächsten Blondine bist du weg Von wem redete sie da? Hatte sie nicht mitbekommen, dass ich keine Freundin hatte und ich auch sonst nur mit ihr in so engem Kontakt stand? Ich war doch mit ihr zufrieden. Mehr wollte ich nicht.

Dass ich ein so dermaßen gutaussehender Mann bin, auf die Idee war ich nun wirklich überhaupt ncht gekommen. Dass gutaussehende Menschen wegen ihres Aussehens von weniger attraktiven abgelehnt werden, weil letztere Komplexe und Selbstzweifel bekommen könnten - an sowas hatte ich gar nicht gedacht. Und dass ich ne gutaussehende Frau suchen muss war für mich natürlich der Horror schlechthin. Bei denen bekomme ich ja Komplexe und Ablehnungsberfürchtungen. Wenn ich so drüber nachdenke, haben sich andere Mädels ähnlich mir gegenüber verhalten: Waren mit ein wenig Zuneigung von mir schon hochzufrieden, dachten das wärs und gaben mir den Laufpass. Dann noch dieses blöde Gefasel ich hätte eine Aura. Höchstens eine ängstliche Aura. Aber das sah komischerweise keine von ihnen. Das hat mich alles zielich mitgenommen. Aber naja, vielleicht hat diese harte Schule ja auch was gutes: Die Erkenntnis, dass ich mich besser kennenleren sollte, mein Selbstbild und Selbstwert aufbessern und darauf achten, dass ne Frau viele Gemeinsamkeiten zu mir aufweist. Also die schönen, ängstlichen Frauen sind was für mich. Und wenn die sich genauso gute in der Öffentlichkeit verstecken können wie ich wirds eben die berühmte Suche nach das Stecknadel im Heuhafen - ohne Verzweiflung.

25.08.2016 13:42 • #39


H
Sonntagmorgen weckte mich das Tageslicht. Wie üblich zwitscherten ein paar Vögel. Kein Auto war zu hören, nur das leise Brummen in der Ferne von der Autobahn. Die Einfamilienhäuser standen wie die Kiefern am Wald so rum wie immer als wäre nichts geschehen. Ich lag auf der Seite, bewegte mich nicht. Nur die Augen öffnete ich und blickte an die weiße Wand. Mein Herz fühlte sich leer an und wie im Würgegriff einer gewaltigen Eisenklammer. Zudem blieben mir von der Nacht ein dicker Brummschädel und Mattheit. Das Portemonnaie lag still auf dem Fensterbrett rum. Doch ich wußte wie leer es auch darin heute wieder aussah. Wie nach jedem Samstag im Nachtleben.

Mir kam es vor, als wenn es mich auslachte: Und wofür das Ganze? Hast dich schick gemacht. Bist guter Dinge losgefahren - oder hast dir zumindest gute Laune vorgegeben. Hast dich gefreut, auch was zu unternehmen und wie andere auszugehen. Und dann hast du dich wieder Peinlichkeiten preis gegeben. Allein an der Security vorbei, allein an der Garderobe die Jacke abgegeben, allein am Tresen ein B. bestellt - eins nach dem anderen, rumgstanden, getanzt, und herumgeschaut. Mal wieder waren nicht wirklich schöne Frauen dabei. Statt dessen hast du dich wieder an die weniger tollen besser als nix rangeschmissen. Und es endete wie es enden musste. Nix passierte. Irgendwann hast du dann wieder deine Jacke geholt und bist allein nach hause gefahren.

Diese Vorhaltungen gingen mir öfters durch den Kopf: Einsamkeit, fürs Ausgehen gute Laune aufzwingen, Peinlichkeiten und dann wieder Einsamkeit. Was stimmte nicht an dieser Gleichung? Ohne Ausgehen kann ich doch niemanden finden. Es dauerte lange bis mir ein Licht aufging. Und das Licht drehte sich um ein Wort Spaß. Natürlich kannte ich es, wußte wie es richtig geschrieben wird. Aber ein Lebensgefühl verband ich damit nicht. Das fiel mir erst auf als ich mich vor die Frage stellte: Macht mir das Nachtleben und das einsame haus fahrne Spaß? Über eine Weile hatte ich diese Frage unbeantwortet gelassen, weil ich die Antwort im Prinzip schon kannte. Dann bin ich vor der Antwort mit fadenscheinigen Gründen ausgewichen. Und schließlich gab es keinen Ausweg mehr, zu genervt war ich von dem ganzen Treiben: Ich habe keinen Spaß daran in Clubs zu gehen und dann auch noch den halben anschließenden Tag zu verschenken - für nichts.

Ab dem Moment krempelte ich alles um. Das Nachtleben strich ich komplett. Was gaben mir denn die oft rottigen Gestalten der Nacht? Ja, manche Mädels sahen schon ziemlich attraktiv aus. Und das Auge isst ja bekanntlich auch mit. Doch das war es nicht wert, weiter dieses unsinnige Treiben mitzumachen, an dem ich keinen Spaß hatte. Wenn, dann nur noch mit Freunden und ohne den Fokus auf irgendwelche weiblichen Bekanntschaften. Doch woran hatte ich eigentlich Spaß?

Ich erinnerte mich ... langsam wurden die Erlebnismomente deutlich: Wie schön war doch ein friedlicher Sonntagmorgen; wie schön vom Tageslicht und Sonne geweckt zu werden; wie schön der Blick in diese Morgenwelt. Und dieses Erleben für die Nacht und Ausschlafen verschenken? Kommt nicht (mehr) in die Tüte! Und natürlich wollte ich dieses Erleben gern mit anderen teilen. Nur, wo geht das? Wer steht freiwillig Sonntag früh auf, um den Morgen zu erleben? Diesmal sollte ich Glück haben. Ich fand zum Wassersport. Die Sportler trainieren oft in der Frühe, da es später auf dem Wasser oft zu voll wird.

Anfangs tat ich mich mit dem frühen Aufstehen noch schwer. Es steht mir ja frei, am Training teilzunehmen oder nicht. So drehte ich mich manchmal lieber noch mal um. Doch das hörte nach einer Weile auf. Zu schön war es diese Morgenwelt für mich zu haben oder mit meinen Sportskameraden zu teilen. Oft lächelte mich die Sonne bei der ganzen Anfahrt an. In der Umkleide gings nach der herzlichen Grüßen mit den ersten platten Sprüchen los. Auch eine Art Erwärmung. Wenig später traten wir vors Bootshaus. Das Sonnenlicht ließ die ganze Gegend in frischen Farben strahlen - leuchtende Häuserfassaden und Boote, das Glitzern auf der Seeoberfläche oder auch die Bäume mit ihrem tiefgrünen Blätterkleid. Zudem lag auch noch ein würziger Duft in der Luft. Diese Erlebnismomente begleiteten mich auch auf den Trainingsfahrten. Auch wenn ich schnell schwitzte, ließ ich mir diesen Anblick nicht entgehen. Alle Eindrücke saugte in mich auf. Sie machten Appetit auf mehr - viel mehr.

Und diese mehr bekam ich bei den Fahrten in fremden Gewässern. Ob es die Elbe, Weser, Rhein oder die Donau ist, die Müritz oder der Bodensee - vom Wasser aus zeigen sich die Landschaften drumherum mit einer ungeahnten Schönheit. Auf der Weser geht es vom malerischen Weserbergland bis hinunter zur gigantischen Wesermündung. Das Bergland mit seinen waldgrünen Hängen wirkt idyllisch. Kleinstädte mit Fachwerkhäusern haben sympathische, kleine Ortskerne, wo sich Hinz und Kunz guten Tag und gute Nacht sagen. Manche Frauen nutzen das in Höxter - mit UNESCO-Weltkulturerbe Corvey - zum Sehen und Gesehen werden, sie flanieren wie auf einem Laufsteg. In Bremerhaven komme ich mir auf den großen Wellenbergen und wuchtigen Fährschiffen ganz klein vor. Der massive U-Boot-Bunker Valentin macht sein übriges. Warum sollte ich diese Erlebnisse für das platte Nachtleben eintauschen?

26.08.2016 09:10 • #40


H
My way - ich hätte nie gedacht, dass ich mal Frank Sinatra hören und sogar gut finden würde. Jazz war für mich lange Zeit irgend etwas undefinierbares in der Musik, das niemand braucht. Niemand, der bei Trost ist. Halt etwas für die Übergeschnappten. Es gab für mich nur Rockmusik.

Dann kam so ein Abend. Da begann ich wieder zu grübeln. Ich saß zuhause in meinem Wohn-/ Arbeitszimmer und fragte mich, wer dieser Mann da ist, der da auf dem Stuhl am Schreibtisch sitzt. Die Stehlampe sendet ihr gedämpftes Licht durch den ganzen Raum. Der Rechner läuft, der Monitor leuchtet und doch passiert nichts darin - der Zeiger steht still, der Cusor blinkt auf einer Stelle. Die um mich herumstehenden Möbel schweigen, aber es fühlt sich an als ob sie mich alle beobachten. Als wenn sie kopfschüttelnd fragen Was macht der Kerl da? Was ist falsch in diesem Bild? Warum gibt es hier keine zweite Person? Ich merke das noch nicht so richtig. Vielleicht will ich es auch nicht merken - was schon längst irgendwo durch mein Bewusstsein schleicht. Und so sehe ich mich ein bisschen im Moment und blicke zurück auf das, was war - die Erlebnisse, mein Leben und meinen Weg bis zu diesem Moment.

Mein Weg - kenne ich doch. Gab es da nicht so einen Song von Frank Sinatra? Ich suchte und fand ihn in den Weiten des Internets. Die Stimmung ergriff mich sofort. Meine bescheidenden Englischkenntnisse, Sinatras Stimme und die Konzertmusik erzeugten ein Bild für meinen Lebensweg. Das lächerliche daran: Regrets I had a few. Ich hatte eher ein paar mehr Zurückweisungen, wollte aber lieber glauben, dass ich nach Sinatras Zeile nur ein paar erlebt hätte. Klingt doch sympathischer. Doch auf welche Enttäuschungen sollte ich als reduziertes Maß zulassen und welche guten Erlebnisse hatte ich vorzuweisen, die ich gegenüberstellen konnte? Nachdem meine graue Zellen auf Hochtouren kam der ganze Prozess nach kurzer Zeit zum erliegen. Es besteht nun mal ein großes Missverhältnis in den Erfahrungen. Welche Gleichung ich auch immer aufstellen würde, ich würde immer wissen, dass ich mir was vormachte.

Und damit beendete ich die Grübelei, die zu nichts führte. Statt dessen gab ich mich ganz Franks Stimme und my way hin. Manchmal kamen die Tränen. Kopfschmerzen machten sich bemerkbar. Die Dauerschleife endete plötzlich als ich mich umsah. Frank tönte aus den Boxen. Doch diese standen genauso stumm rum wie die Möbel um mich herum. Das einzige Lebewesen hier war ich. Also Schluss mit der ganzen Melancholie. Musik aus, Rechner aus, auch das Licht und ab in die Federn - der Morgen ist sowieso klüger als der Abend.

Doch dieser Abend hatte mir bei aller Trübsal auch einen neuen Weg geöffnet, einen anderen Blickwinkel auf den Jazz und später auch auch auf andere Musikformen. Es gibt soviele Stücke, die ich nicht kenne und mich trotzdem erreichen. Voreingenommenheit versperrt nur diesen Zugang. Ich bin sicher immer noch hier und da voreingenommen, nicht so offen, wie es andere sind. Allerdings schmeiße ich die Voreingenommenheit doch schon mal über Bord, wenn mich jemand erreicht - früher oder später. Und das ist doch mal ne gute Eigenschaft auf meinem Lebensweg - My way.

28.08.2016 22:46 • #41


H
Gerade habe ich den Ausschnitt aus einer Beziehungsgeschichte gelesen von einem getrennten Paar. Die Trennung ist relativ frisch. In der Nacht will der Mann noch ein paar Sachen zurückbringen. Mit Kummer über zerstörte Hoffnungen und die gemeinsam Zukunft geht es zu ihrem Haus. Dort hört er wie es seine Ex laut mit einem anderen Mann treibt. Man kann nur ahnen wie er sich gefühlt hat. Wie würde ich mich fühlen? Ach ja, da war ja was.

Als das mit den Mädels losging mischte gleich meine Fantasie ordentlich mit. Da verwandelte ich Märchen schon mal in die eigene Liebesgeschichte. Natürlich war ich der große Held, der sich allen Aufgaben und Gefahren tapfer stellt. Klar, dass sich meine Angebetete in so einen Jungen einfach verlieben musste. Und natürlich war sie dann auch glücklich. Bald tauchten aber auch Geschichten mit einem anderen Ausgang, mit Befürchtungen auf. Was ist, wenn ich als der strahlende Held komme und sie längst einen Romeo hat? Wenn ich kein Lächeln erhalte, sondern nur vor verschlossenen Türen stehe? Wenn ich nur durchs Fenster blicken und meine Prinzessin in herzlicher Atmosphäre in den Armen eines anderen sehen? Da wollte ich immer sterben. Aber es ist doch nur Fantasie! Wirklich? Diese Angst hat mich eigentlich mein ganzes Leben lang begleitet.

In einem Traum kann ich fliegen. Zwei, drei, kräftige, schnelle Schritte, Absprung und schon bin ich hoch in der Luft und fliege über die Bäume hinweg. Ich denke mir hey, ich könnte ja mal zu der einen Freudin hinfliegen. Mal sehen was sie so treibt. Vielleicht sehen ich sie sogar *beep*. Über mehrere Kilometer geht es also zu ihrem Elternhaus. Davor verläuft eine mächtige Stromleitung. Als ich diese erreiche spüre ich einen gewaltigen elektromagnetischen Druck. Er zwingt mich zu Boden. Ich kann nicht mal in ihre Richtung kriechen und kehre um. Bei einem späteren Flug komme ich doch bis vor ihr Elternhaus. Es ist völlig dunkel. Prima, jetzt kann ich sie endlich sehen. Doch die Freude wird zerfetzt. Ich sehe sie in ihrem Zimmer - mit diesem Vollidioten aus meinem Sportkurs. Oh ist das bitter. Nicht nur hat sie sich gegen mich entschieden, sondern auch noch für den! Damit bricht dieser Traum ab. Wenn ich so überlege, gab es nur in meinen Tagträumen ein glückliches, momentanes Ende. Denn da konnte ich ja alles kontrollieren, was passiert. Naja, fast alles.

Tatsächlich habe ich aber auch in der realen Welt nie ein gutes Ende bzw. überhaupt einen guten Start in eine Beziehung erlebt. Viele Male stieg der Druck und die Angst in den Kopf sie will mich nicht, sie hat einen Freund. Wie oft lag ich nach einem Discobesuch, Schultag, Uni, Sportkurs oder Ausflug in meinem Bett. In der Dunkelheit machte ich den Heizlüfter an und blickte auf das rote Licht des Schalters. Es war das Licht in der Dunkelheit. Über mein Gesicht liefen die Tränen - Tränen, die nie jemand gesehen hat. Nie hat jemand gesehen, wie tief mich die immer während Inoranz oder Ablehnung getroffen hat. Ich galt halt immer nur als der ruhige, schweigsame oder arrogante. Ich hatte auch noch Probleme mit dem Sprechen. Was hilft ein gutes Aussehen, wenn die Angst vor Ablehnung alles durchdringt? Was ich jedenfalls so erlebt habe ließ mich den Spruch Stich ins Herz etwas abwandeln: Stich mit einem rostigen Messer ins Herz.

Das hatte ich schon längst vergessen. Die Geschichte mit der verlogenen Ex-Freundin und dem Nachbarn hat mich wieder daran erinnert. Innerlich hat sich mein Herz dabei zu einem Stein verfestigt. Ich habe heute schon Angst, dass es mir auch mal so ergehen könnte; dass zu meiner Kategorie Enttäuschungen, von denen man nicht glaubt, dass es sie gibt oder mich treffen eine neue Enttäuschung hinzukommt.

29.08.2016 19:29 • x 1 #42


H
Es ist ein kühler Morgen. Die Sonne scheint und hat mich auch schon geweckt. Doch wirklich hinaus will ich nicht. Hinaus ... in die Kühle. Dabei habe ich doch gerade dort - draußen und bei Kühle - auch schöne Erlebnisse gehabt. Paradoxerweise mit meinem Vater. Wir sind viele Male zusammen durch die Gegend gefahren, nebeneinander wie zwei Fremde.

An einem Freitag im Sommer, draußen war eine Bullenhitze, kam mein Vater von der Arbeit. Er fragte mich, ob ich Lust habe wieder zum Baden und Zelten an den See zu fahren. Damit meinte er einen versteckten See in Mecklenburg zwischen dichten Erlen- und Kiefernwäldern. Es gab nur zwei Badestellen mit weißem Sand. Das unglaublich klare Wasser erlaubte bis in 4 oder 5 m Tiefe noch den Grund zu sehen. Wie mein Vater den See gefunden hatte, weiß ich bis heute nicht. Naja, es gibt wohl kein Schleichweg, keine Panzerstraße, die er nicht ausgekundschaftet hätte. Oft genug gingen deswegen auch die Autos zu Bruch. Jedenfalls stimmte ich seinem Vorschlag zu, packte meine sieben Sachen und los gings.

Wir kurbelten die Fensterscheiben runter. Die Ellenbogen hingen raus, um die Kühle des Fahrtwinds auf den Körper umzulenken. Im Feierabendverkehr der Großstadt stand die Hitze wie eine Wand. Bloß raus. Als wir der Stadt dann wenig später den Rücken kehrten änderte sich das Landschaftsbild. Alleebäume tauchten auf, strahlende Weizenfelder, Dörfer mit Bauerngehöften. Auch der Verkehr dünnte sich merklich aus. Hier war nicht mehr der Lärm anderer Autos zu hören, sondern das Zirpen der Grillen und das Rascheln der Blätter. Ja, hier fühlte ich mich wieder wohl. Doch während dessen sprachen wir nicht, oder zumindest sehr wenig. Ich beschäftigte mich nur damit die Eindrücke der Landschaft aufzusaugen und nicht die Ablehnung gegenüber meinem Vater zu sehr hochkommen zu lassen. Alsbald kamen wir in die vertraute Einöde, wo uns nicht mal andere Autos auf der Landstraße begegneten. In einem Waldstück trafen wir auf den alten Natur-Tierpark. Wenige Besucher waren da. Auf der anderen Seite war die Forellenzucht, wo ich gern meine Angel reingehalten hätte. Forellen hatte ich noch nie gefangen. Von der Zucht führte auch ein kleiner Wanderpfad in den Buchenwald hinein. Am Ende wartete warhscheinlich noch immer die Flussquelle. Nur ein paar Kilometer später verlangsamte mein Vater die Geschwindigkeit und bog in einen kleinen Waldweg ab. Bald waren wir da.

Und dann sah ich ihn wieder, den schönen See. Das dichte Ast- und Blätterwerk der Bäume dünnte sich aus. Zwischendurch erreichte das Glitzern der Seeoberfläche meine Augen. Dann hielten wir, Badehose an und rin ins Wasser. Und wieder schaute ich begeistert und erstaunt, wie tief ich auf den Grund blicken konnte. Dort sah ich auch zwei große Barsche schwimmen. Naja und irgendwann schliefen wir in unseren Zelten und gönnten den Mücken fette Beute. Am nächsten Morgen weckte mich die Frische und das Sonnenlicht. Verschlafen krabbelte ich raus. Mein Vater hatte bereits seinen ollen Gaskocher angemacht. Manche kommen da auf die Idee krebserregend, doch für mich war es nur das Signal oh, gleich gibts Futter, was warmes Mit einem groben Messer schnitten wir uns krumme Brotscheiben vom mitgebrachten Brot ab. Auf den Holztellern machten wir unsere Stullen. und futterten aus Alu-Schalen den warmen Gulasch. Wir hörten keine anderen Stimmen, keine Töne der Zivilisation, sondern nur die Rufe der vorüberfliegenden Vögel.

Mit meinem Vater habe viele solcher schönen Momente erlebt: Das Restaurant im Wald, wo ein Bach durchfließt, der große Fischschwarm unter dem breiten Blätterdach eines Astes am flachen Seeufer oder die gemeinsamen Kneipengänge - er B. und ich Cola. Das hat mich wohl nachhaltig beeinflusst, dass ich schöne Momente in der Natur erkennen kann, wenn ich sie vor Augen habe. Das Verhältnis mit meinem Vater war ich übles, doch für diese Erlebnisse bin ich ihm dann doch dankbar.

30.08.2016 08:50 • #43


H
Chatliebe: Sie will mich, sie will mich nicht. Weil sie mich nicht will, will ich sie nicht.

Eines abends besuchte ich meinen Kumpel. Ich stieg die Treppe hinauf, ging in sein Zimmer und schaute mich um. So oft war ich ja noch nicht da gewesen. Nach dem ersten Hallo starteten wir den üblichen Smalltalk. Er erzählte mir, was er so gemacht hatte. Und ich gab ihm auch ein paar Einblicke in meinen Alltag. Dabei fiel mein Blick auf seinen Computerbildschirm. In einem schwarzen Feld tauchten immer wieder bunte Wörter auf. Unten war ein weißer Balken, rechts vom Feld einige blaue Balken. Was war denn das? Er bemerkte meinen fragenden Blick und begann zu strahlen: In dem Chat sind viele gut Mädels drin. Schau mal, mit welchen ich so schreibe Und er zeigte mir Bilder von einigen aufregenden Mädchen. Mit einer schrieb er dann ein paar Zeilen - damit ich sah, dass die wirklich lebten. Doch diese ganze Sprache mit dem *g*, *sfg*, *lol* war für mich ein einziges Rätsel. Was soll das? Das ist doch keine normale Sprache, dachte ich. Aber ihm schien das Spaß zu machen. Mit einer hatte er sich wohl getroffen. Bald darauf verabschiedeten wir uns.

Auf den Heimweg gingen mir die Mädels nicht mehr aus dem Kopf. Junge, sehen die heiß aus. Vielleicht finde ich da ja auch eine in meinem Alter. Und damit stand der Entschluss so gut wie fest. Noch am selben Abend legte ich mein Chatprofil an - und scheiterte fast an dem Wirrwar von Funktionen und E-Mailverkehr: Was wollen die von mir? Was soill ich tun? Naja, mal sehen, ob das geht? Hab ich nun schon ein Profil? Hey ich bin ja drin. Das klingt ziemlich peinlich nach ner alten Werbung für alle, die wie ich das ganze mit dem Internet nicht wirklich kapierten und dort orientierungslos wir in einem leeren Supermarkt rumlaufen. Aber genau so war es.

Dann tastete ich mich langsam in den Chat hinein. Erst mal in einen Raum gehen, schauen was alles anderen so schreiben und dann auch selbst was schreiben - ich hatte keinen *beep* Schimmer was. Doch wie die Suche in dem Chat ging, kapierte ich doch relativ fix. Ich schaute mir alle Profile mit weiblichen Pseudo an. Da waren richtig heiße Frauen dabei, aber auch die uninteressanten. Doch ob heiß oder uninteressant - bei beiden hatte ich keine Ahnung wie ein Anschreiben aussehen könnte. Ich dachte ja noch immer in Briefen. Kann ich die einfach so anschreiben? ich ließ davon erstmal ab und mühte mich im Chatraum mitzuschreiben. Es dauerte mehrere Besuche bis ich wirklich zum Schreiben kam und auch mal zum Pinnen und schließlich Nachrichten schreiben über ging. Und wenn keine Reaktion kam, dann war ich natürlich unattraktiv, ich hatte irgendwas blödes geschrieben, sie fanden mich langweilig oder alle anderen Männern waren schöner als ich. Es war also mal wieder Fütterungszeit für meine Komplexe und Einbildungen.

Und dann begann es doch, ich kam in Kontakt mit einer schönen Frau: Das lustige Lächeln gefiel mir und auch sonst hatte sie eine sympathische Art zu schreiben. Bald ging es los mit Neckereien, Zuneigungsbekundungen und natürlich auch Kopfkino. Die Liebes-Fantasien blühten auf. Dann kam die Sprache auf unseren Wohnorte. Huch, sie wohnte am anderen Ende der Republik. Doch das ließ ich sie nicht spüren, ich wollte sie sehen, ich glühte für sie - zumindest meine Vorstellung. Kurz darauf verabredeten wir uns auf ein Wochenende bei ihr. Ein Traum ging für mich in Erfüllung. Ohne groß zu überlegen holte ich Fahrkarten und freute mich auf die Reise.

Am Tag der Fahrt erlblickte ich aufgeregt meinen Zug, sah die Lok, Wagen und Türen Du bringst mich als zu meiner schönen Freundin? Ich stieg ein und setzte mich auf meinen Platz am Fenster. Über mir lag meine Reisetasche mit einer Flasche Wein und ein Blumenstrauß - das macht man ja so. Kurz darauf holte ich ein Buch aus meiner Tasche, wollte lesen und legte es wenig später wieder aus der Hand. Ich wollte doch nicht den Anblick der Landschaften verpassen. Doch Bewusst bekam ich den sowieso nicht mit. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um meine Verabredung. Und je mehr Kilometer der Zug zurücklegte, je näher ich meinem Ziel kam, desto aufgeregter wurden die Gedanken: Wie begrüße ich sie? Einen Kuss, umarmen oder nur Hand geben? Und was ist, wenn sie mit mir schlafen will? Oh Gott, dann muss ich ja noch Verhütungsmittel besorgen. Aber beim ersten Mal gleich miteinander schlafen? Wenn wir uns lieben, haben wir ja auch beim nächsten Treffen Zeit dafür. Eins stand nun glasklar fest: Ich hatte keine Ahnung.

Als mein Zug dann am Zielbahnhof einfuhr stand ich schon an der Tür. Ich schaute durchs Fenster und suchte den ganzen Bahnhof ab, wo sie stand. Der Zug hielt und ich stieg aus. Auf dem Bahnsteig stehend sah ich sie endlich. Sie lächelte mich mit genau dem süßen, jetzt auch leicht verlegenen Lächeln an. Ich sie auch. Ich ging auf sie zu, umarmte sie. Mein Kopf war völlig durcheinander und irgendwie ging es gleich los mit dem Küssen. Damit waren sämtliche Überlegungen ums Küssen schon über den Haufen geworfen. Wir gingen erstmal zu ihr. Während unseres Smalltalks sah ich wie schön und aufregend sie in Wirklichkeit war. Sie toppte ihr Bild aus dem Chat locker. Sprich: Auf so eine Schönheit war ich gar nicht gefasst. Und das ist für mieh eine ungewöhnliche Situation, habe ich doch sonst nichts mit Mädels zu tun oder nur mit den netten.

In ihrer Wohnung angekommen machte sie mir gleich was zu essen: Drei große Spiegeleier ohne was dazu. Ich zuckte innerlich zusammen. Wenn Frau einem Mann nur Eier vorsetz soll das die Potenz erhöhen hatte ich in einem Bericht vor zwei Wochen erfahren. Oh Gott, weiß sie davon auch? Will sie mit mir schlafen? Soll es heut schon passieren? Leichte Panik machte sich in meinem Kopf breit - ich habe heute keine Ahnung mehr wieso. Es passte doch alles. Sie fuhr mit mir Abends noch auf einen Hügel an einem See. Aus der Ferne kam ein Lichtstrahl zu uns herüber. Am Seeufer unter uns leuchteten viele Fenster der Villen. Ein milde Herbstluft hüllte uns ein. Am liebsten hätte ich sie hier vernascht. Aber ich konnte nicht, und dabei sah sie so zum Anbeißen aus.

Wieder bei ihr zuhause lagen wir bald bei ihr küssend im Bett. Sie öffnete ihren BH, gab mir Öl und bat mich sie zu massieren. Das tat ich auch. Dabei schaute ich natürlich auf ihre schönen Brüste. Als ich fertig war, sagte ich ihr, dass ich nun schlafen wolle - die Zugreise wäre lang und anstrengend gewesen. Das war eine komplette Lüge. Ich war topfit. Sie drehte sie mit einem verhalten Lächeln ab und löschte das Licht. Ich glaube, sie war enttäuscht. Zum Schlafen kuschelte mich an ihren Rücken und legte meine Arme um sie. Und wieder - was für einen aufregenden Köper sie hatte. Selbst jetzt noch hätte ich sie vernaschen wollen - doch die Unterdrücken meines Triebs war stärker.

Asl wäre nichts geschehen frühstückten wir am nächsten Morgen zusammen. Sie musste noch mal für ein paar Stunden auf die Arbeit. Ich wollte mir in der Zeit die Stadt - Kirchen, Architektur, Fußgängerzonen - ansehen und freute mich die ganze Zeit auf ihre Rückkehr, dachte nur an sie. Doch diese Freude endete ziemlich abrupt. Als sie von der Arbeit zurückkehrte war sie merklich reserviert. Ohne große Umschweife sagte sie mir dann, dass aus uns nichts würde. Eine Schock der Verzweiflung traf mich. Warum? Warum denn bloß? Ich holte tief Luft und sagte okay. Wie versteinert stand ich in ihrem Schlafzimmer, wollte weinen, aber unterdrückte die Tränen. Sie sollte nicht sehen, dass es mich so sehr getroffen hatte. Und jetzt haderte ich umso mehr mit mir. Ich hätte alles von ihr haben können, ich hätte eine wunderbare Nacht mit einem happy end mit ihr haben können. Statt dessen redete ich mir diesen Quatsch miteinander schlafen geht ja auch noch beim nächsten Mal ein. Sie fuhr dann mit ihrer Freundin auf eine Party und ließ mich allein in ihrer Wohnung zurück. Ich legte mich ins Bett und ein paar Tränen kullerten hinunter. Am nächsten Tag verabschiedete ich mich mit scherzhaften Gefühlen von ihr.

Im Nachhinein haderte ich viele Male über mich und über sie. Warum sie denn nicht deutlich gesagt hat, dass sie nur mit mir schlafen willen? Warum ich es nicht einfach mit ihr getrieben habe? Warum dieser Schmus och nächstes Mal können wir ja immer noch miteinander schlafen überhaupt in meinen Kopf kam. Sie war eine, junge heiße Frau. Mein Gott habe ich das denn gar nicht kapiert, dass sie ganz natürlich Bedürfnisse hat. Ne, alles muss irgendwelchen Regeln und Vorstellungen unterworfen werden. Und jetzt kommts: Einfach mal die Gefühle sprechen lassen und auf sie hören kann ich anscheinend nicht. Und klar ist nun auch, mit einem Unentschieden ich will sie und ich will sie (noch) nicht passiert gar nichts. Nur das Aus kommt.

31.08.2016 15:17 • #44


H
Die Schmerzen der anderen

Wenn ich mal wieder auf Ablehnung von einer schönen Frau gestoßen bin, habe ich drunter gelitten. Wochen-, monate- und sogar jahrelang. Als ich dann auch noch von nicht so hübschen Frauen ignoriert wurde, verstand ich gar nichts mehr und stempelte mich mit viel Augen zudrücken als bestenfalls durchschnittlich attraktiv ab. Gesprochen habe ich darüber in der Regel nie, sch on gar nicht zeitnah; nicht mit Freunden, Familie oder Verwandten. Warum sollten sie mir auch zuhören? Was sollten sie schon großartig sagen? Vielleicht würden sie mich mitleidige oder gar ironische Kommentare zu werfen och hab dich nicht so mit deinem bisschen Herzschmerz, es ist doch gar nichts passiert, du warst doch gar nicht mit ihr zusammen! Anderen gehts viel schlechter und die kommen damit klar. Weil ich mir das nicht anhören wollte, schwieg ich eben viel in mich rein. Einem Freund hatte ich meine Geschichte mal ansatzweise erzählt. Er war völlig schockiert, dass es mich so hart getroffen hatte. Das hätte er nie bemerkt. Er dachte immer ich sei so cool.

Und was dachte ich bei den traurigen Liebesgeschichten anderer Menschen? Da war es dann irgendein Typ, irgendein Frau . Da wollte sich der eine vom anderen trennen. Manche stritten sich regelmäßig, anderswo waren sogar Handgreiflichkeiten im Spiel und natürlich gab es auch Seitensprünge, Affären oder Selbstverliebtheiten. Na und, was geht das mich an? Das waren alles die Geschichten der anderen. Selbst Schuld, wenn man sich den falschen Partner auswählt, dann auch noch stur an dem festhält, nicht sieht, was der Partner für ein Idiot ist. Und da die Leute auch noch blöd aussahen, konnten die froh sein überhaupt jemanden gefunden zu haben.

Na klar, ich muss mir die Probleme anderer Menschen nicht annehmen. Doch wenn sie nun mal an mich herangetragen werden, nehme ich sie mir an auf meinem Single-Thron. Ich verachte sie wegen der vermeintlich kleinen Probleme, kritisiere sie wegen dem nicht vorschriftsmäßigen Kennenlernen braucht euch nicht zu wundern, dass ihr den falschen gefunden habt und gebe den Oberlehrer. Doch wie lächerlich sehe ich da auf meinem Thron aus. Ich gebe Ratschläge und war seit langer Zeit nicht mehr so mutig wie die Menschen, die sich in eine Partnerschaft begeben haben; die für Glück und Liebe offen waren, aber auch Rückschläge in Kauf nahmen und an der Beziehung arbeiteten. Erst heute verstehe ich zum Teil, was eine Freundin meinte als sie mir sagte Hinter jeder schönen Beziehung steckt auch viel harte Arbeit.Ich kenne diese Innenansichten einer Beziehung nicht.

Andere haben Schmerzen, ja. Doch sie wissen auch wie es ist sich glücklich zu fühlen. Ich lebe in der Schmerzlosigkeit, ein Flüchtling vor den Schmerzen der Vergangenheit und im gleichem Atemzug auch vor neuem Glück. Ich sollte endlich meinen Thron von der Klippe stürzen. Mehr als heiße Luft kommt von da oben nicht.

01.09.2016 15:28 • #45


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