Nicht suchen, finden lassen
Der Alltag hat wie der Name schon vermuten lässt auch ein Alltagsgesicht: Aufstehen, Frühstücken, ab zur Arbeit, die üblichen Aufgaben des Tages erledigen, dabei auch kleinteilige Kämpfe kämpfen, abends dann die PCs runterfahren und wieder nach haus. Dort warten Küche, Herd und Abendessen. Kurz geht der Fernseher an. Nachrichten, im Videotext interessante News lesen und vielleicht noch nen schönen Film suchen. Hm, wieder keine dabei. Also ran an den Schreibtisch, Laptop an und ins Internet. Dort geht der Blick kurz in die Mailbox - leer, spam oder ab und zu auch Nachrichten von Freunden, Verein oder Newsletter. Abgehakt! Ich könnte ausmachen, doch dann fehlt komplett jede Unterhaltung. Also bleibe ich weiter drin im Netz, schaue nach Filmen meiner Kindheit oder logge mich bei Trennungsschmerzen ein. Manchmal gehe ich antriebslos in den Chat und finde über die Zeit Spaß daran. An anderen Tage schreibe ich über Beziehungen und Beobachtungen aus meinem Leben - weil ich sie einfach erzählen will und nicht runterschlucken. Es ist also ein Leben ohne Höhepunkte und auch zu weiten Teilen allein.
Mir fällt das schon noch auf, wenn ich am Schreibtisch sitze. Ein schiefer Blick in das leere Zimmer um mich herum genügt. Zu genau will ich mich nicht umschauen - nicht genau sehen, was ich ohnehin weiß. Ab und zu versuche ich, das zu ändern und melde mich in ner Singlebörse an.
Das beginnt mit den besten Absichten. Natürlich will ich mich so präsentieren, dass mich interessierte Frauen als Mann, Mensch und Person leicht erfassen können. Dazu schaue ich mir erstmal die Struktur der Börse genauer an. Oh Gott, oh Gott, oh Gott - soviele Felder. Und die soll ich alle ausfüllen? Is ja Horror. Liest das überhaupt einer? Naja ich entschließe mich dazu, einfach die Eckdaten anzugeben, ein paar Bildchen von mir rein (muss genügen) und ein bisschen was über mich sagen. Was persönliches! Immerhin soll es doch persönlich werden? Und so grübel ich hin und her, bis mir was halb gescheites einfällt. Halb genervt stelle ich fest, dass das irgendwie nur Auszüge aus meinem Leben sind, Gewohnheiten. Aber sie beschreiben nur mein Alleinsein, nicht meinen Beziehungswunsch; nicht, dass ich mir eine Partner wünsche und brauche. Ich will ja auch nicht bedürftig erscheinen. Doch irgendwie habe ich den Eindruck, dass ich den Damen eher die Botschaft gebe da ist die Tür, wenn du nicht willst, ich komm auch gut allein klar. Am Ende lasse ich einen Text stehen, der wenigstens halbwegs sympathisch wirken könnte. Bloß nicht weiter drüber nachdenken, sonst schreibe ich ihn gleich nochmal um.
Nachdem nun mein Profil zu meiner halben Zufriedenheit steht, fange ich mal mit der Suche an. Erst mal schaue ich mir ganz undifferenziert die Profile von Frauen an, die gerade online sind: Also, wo ist denn jetzt mal ne hübsche. Der erste Blick über die verschiedenen Miniaturbilder lässt in mir in flaues Gefühl aufsteigen. Die meisten Frauen sind kein Thema. Hm, vielleicht die da? Einen Click später kommt das nächste Entsetzen. Sie sieht nicht wirklich attraktiv aus. Hm, vielleicht ist sie wenigstens so sympathisch? Doch sie schreibt nichts über sich . Ein Fake? Bei anderen sind es Zitate berühmter Persönlichkeiten - von Menschen, die seit langer Zeit tot sind. Insgeheim hadere ich Leute, warum benutzt ihr nicht eure eigene Birne? Die Zitate kenne ich alle und die dazugehörigen Personen auch. Aber zum Teufel nochmal will ich nicht tote Leute kennenlernen! Dann gibts noch Profile mit Bemerkungen, dass die jeweiligen Frauen nicht an Affären oder ONS interessiert sind. Dabei frage ich mich nicht, wie sie überhaupt auf die Idee kommen? Ich würde sie nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Hinzukommt, dass sie außer dieser Absage an Affären sonst nichts über sich als Mensch, Frau und Persönlichkeit sagen. Was soll ich denn damit anfangen? Dann gibts noch die Frauen, die stolz betonen, dass sie mit beiden Beinen im Leben stehen. Prima, du hast gelernt, geradeaus zu laufen denke ich. Schon der Verzweiflung nahe habe ich mir ein paar Damen rausgesucht, die wenigstens ansatzweise interessant sind. Ich würde sie noch anschreiben, wenn ich in der richtigen Stimmung bin. Doch insgeheim weiß ich schon jetzt, dass ich sie eigentlich nicht wirklich kennenlernen will. Es ist mehr die Hoffnung, dass ich mich irre; dass sie beim realen Kennenlernen meine Befürchtungen zerstreuen und sie besser zu mir passen als ich dachte.
Das Spielchen geht noch viele Male so weiter. Nur aus Verlegenheit schreibe ich die ein oder andere an bevor ich gar nichts mache. Es ist absurd: Ich schreibe jemanden, obwohl ich im Prinzip aus ihrem Profil kaum was über sie erschließen kann und sie aus diesem Grund auch gar nicht kennenlernen will. Es gibt doch keinen Grund!
Dieses Erleben lässt die Bitterkeit über mein Liebesleben oft nach oben kommen. Ich kann hier nur zwischen unattraktiven Frauen wählen oder auf den glücklichen Zufall hoffen. Sie verstärken den Schmerz über den Verlust der Sönheiten, ja sogar dem einen Engel in meinem Leben. Ich habe sie kennengelernt. Ich habe sie bewundert und von ihnen geträumt - heiß, wässrig und herzlich. Ich habe ihnen ansatzweise meine Gefühle gezeigt. Aber ich habe einfach nicht den Mut gehabt, ihnen Auge in Auge meine Gefühle zu sagen. Ich sie lieber in Schreiben versteckt. Die ein oder andere hat es verstanden. Doch es war zu wenig.
Und so suche ich nach dem Weg, wie und wo mich die Richtige finden kann, und nicht ausgerechnet die Falschen wieder mich mit zielsicherem Blick aus der Masse herausfiltern. Und warum bin ich dann in einer Singlebörse angemeldet, wo offensichtlich nur die Falschen sind? Gewissensberuhigung und Alibi ich mach ja was, um Frauen kennenzulernen. Doch auch wenn ich diese Wahrheit kenne, bleibe ich lieber bei den Falschen, als vor den Augen der Richtigen aufzutauchen.