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Alles nur ein Traum

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Ein Becher Kaffee: Zufrieden auf dem Weihnachtsmarkt

Es ist ein Ritual: Auf dem Heimweg vom Sport steige ich am Wochenende gern an der langen Bushaltestelle aus. Doch hier führt mich der Weg nicht gleich weiter zum Bahnhof. So eilig habe ich es nicht. Statt dessen gehe ich in die Gegenrichtung und hole mir noch einen schönen, warmen Kaffee ... mit MIlch und einem Löffelchen drin. Die Damen am Stand lächeln schon, wenn sie mich sehen und lenken schon halb ihre Schritte zur Kaffeemaschiene. Und wieder freue ich mich drüber. Doch an diesem Wochenende lenke ich meine Schritt nun auch nicht mit Kaffee zum Bahnhof. Hinter der Bude stehen viele kleine Stände eines Weihnachtsmarktes. Und die Leute stehen oder schieben sich langsam vorwärts.

Hm, ich war dies Jahr noch nicht auf dem Weihnachtsmarkt, warum also nicht heute? Die Luft ist mild und klar. auf dem Markt gibt es kein Geschrei oder jaulende Fahrattraktionen. Es wirkt alles friedlich. Weihnachtliches Grün mit kleinen Lichterketten schmücken viele Stände. Ja, hier mache ich gern ein paar Schritte lang. Und diesmal für meine Verhältnisse wirklich langsam - und entspannt. Heute muss ich keinen überholen. Nicht mal schnell wohin und an jemand vorbei. Schon erstaunlich, was so alles zu sehen ist mit ein paar langsamen Schritten. Der Kaffee wärmt unterdessen meine Hände und schwankt geduldig mit.

Am Quarkkeulchen-Stand steht sich die Flitzpiepe hinter dem Tresen gerade die Füße platt. Alle Leute strömen eher zu den Steaks und Bratwürstchen daneben. Bald dringt ein lecker, lecker, lecker an mein Ohr. Ah, mal wieder so ein Kastanien-Verkäufer. Können die nicht mal ein bisschen kreativer sein? Überall blöken sie dasselbe. Und mir kommt mal wieder so ein Claim in den Kopf Lecker, lecker, lecker - ich bin der Kastanien-Checker. Ein Glück, dass gerade niemand in meinen Kopf schauen kann. Aber da sieht es wenigsten lustig aus. Und schon muss ich Schmunzeln. na worüber auch sonst? Vor mir läuft mal wieder eine orientierungslose Tratschtruppe mit übelster Berliner Schnauze. Einer läuft voran, bleibt aber dauernd stehen und wendet sich mit völlig blödsinnigen Fragen zur Gruppe um. Die grunzt irgendwas ratlos zurück, bleiben halb stehen oder laufen seitwärts. Ich registriere das kurz und schon bin ich vorbei geschlichen. Puh, ein Glück, an denen vorbeizukommen dürfte sonst nur noch schwieriger werden.

Hm, sind eigentlich hübsche Frauen hier? Kurzer Blick, kopfschütteln, abhaken. Na, was solln sie auch hier? Außerdem lenken die mich nur vom Kaffee ab. Es ist eine gemütliche Gesellschaft. Hier gehts mal nicht um gutes Aussehen, sondern einfach die Zeit entspannt genießen; quatschen wie einem das Maul gewachsen ist. Gott sei Dank. Hier fühle ich mich wohl und trabe gemütlich weiter. Die große Kirche steht ebenfalls nur schweigend da. Oft dachte ich früher an die wilden Knutschereien im Schatten des Krichturmes. Doch das spielt heute keine Rolle mehr.

Auf dem Rückweg komme ich nochmal an all den typischen Gesichtern vorbei, die ich schon auf dem Hinweg gesehen habe. Auch die Frauen mit dickem Kopf, breiter Nase und Hintern sind wieder mit dabei. Und sie schieben sich fröhlich einen der Kandisäpfel mit Vanilleüberzug in die Futterluke. Hach, ist das schön, dass sie sich keine Gedanken um die Figur machen. Komischerweise habe ich heute nicht mal Lust auf ein paar Quarkkeulchen. Die Eindrücke geben mir schon genug. Mit Begleitung würde ich solche Vorgänge nicht wahrnehmen. Doch mit Begleitung gibt es gemeinsame Erlebnisse. Doch wie üblich dränge ich diese Erkenntnis an die Seite, noch bevor sie wirklich in mein Hirn kommt. Und im Moment will ich das Geschehen vor meinen Augen einfach nur ungestört aufsaugen. Denn kaum verlasse ich den Weihnachtsmarkt gibt es das nicht mehr. Ab jetzt gilt wieder bei grün zügig über die Straße und den lahmen Enten ausweichen. Zufrieden und gemütlich auf dem Weihnachtsmarkt war eben, nun gehts gradlinig zum Bahnhof, Zug und nachhause.

13.12.2016 21:45 • x 2 #91


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Nichts mehr zu sagen

Irgendwann ist der User abcdef hier aufgetaucht. Ein Frischling. Oder ich habe ihn nur nicht bemerkt. Jedenfalls bringt er derzeit frischen Wind hier rein mit seinen Themen. Zumindest sind sie für mich ansprechend - auch wenn das Ansprechende Stirnrunzeln verursacht. Mit ihnen verknüpft sich bei der einen Thematik Weihnachten als Single überleben Achselzucken und Gleichgültigkeit, bietet gleichzeitig jedoch die Gelegenheit mal wieder etwas zum Besten zu geben. Wie gut ich mich doch in das Singleleben eingekuschelt habe.

Eine Thematik später geht es um die Gedanken in der Nacht und das Nicht einschlafen können. Auch hier wollte ich etwas zum Besten geben. Auch hier wollte ich drauf hinweisen, dass ich doch gut einschlafen kann. Aber dann begann ich nachzudenken. Viele Worte, versuchte Anfäge, Umschreibungen und Absätze später merke ich, dass ich sehr schnell auf allen Ebenen an meine Grenzen komme. So locker und entspannt wie ich mein Leben gern beschreiben möchte lebe ich nicht. Ich nehme es nur zu wenig wahr. Das nicht Einschlafen können tue ich als Lappalie ab geht doch anderen auch so. Nach dem Grund schaue ich gar nicht. Und so kommen manchmal viele Gedanken wann schlafe ich denn endlich ein? Dann kommen noch Alltagsgeschichten durch den Kopf - Arbeit, Sport, Ziele, Gespräche, Kontakte, was nicht so toll gelaufen ist oder was mich ratlos gemacht hat. Das Thema Frau taucht allerdings nicht mehr auf.

Ist doch eigentlich genau der wünschenswerte Zustand, den ich vor ein paar Jahren als Ziel erreichen wollte. Nie mehr Schmerzen wegen irgendeiner. Und so bin ich hier wegen Schmerzen, die weit in der Vergangenheit liegen. Ergo kann ich auch nicht soviel mitreden bei Menschen mit aktuellen Trennungsschmerzen. Die einen haben also relativ frische Wunden und ich bin nur wegen meiner Narben hier.

Doch während ich im Thread von abcdef über die Schicksale der einzelnen User lese, bringt das auch meine Gedanken auf die Sprünge. Im selben Zuge erwacht die Angst vor dem, was ich längst in die Vergessenheit geschoben habe. Je mehr ich nachdenke, desto mehr Gedanken kommen hoch. Mein Magen verkrampft sich unweigerlich und die Kehle schnürt sich mir zu - schon allein, wenn vieles noch um Unklaren liegt. Ich weiß genau, dass meine Vergangenheit sehr traurig gewesen ist. Doch ich will es gar nicht mehr so klar sehen. Ich will nicht wieder in die traurige Erinnerung abrutschen. Erschreckend stimmt mich dabei, wieviel bei mir im Untergrund immer noch gärt - wieviel ich in den Bereich außerhalb meiner Wahrnehmung gedrängt habe - wieviel ich nicht sagen, vor allem aber gar nicht schwarz auf weiß lesen möchte. Ich begnüge mich meinem friedlichen, aber auch leeren und unnahbaren Leben. Das tut mir nicht weiter weh.

Mit diesen Gefühlen und Gedanken lösche ich meine sämtlichen Schreibversuche im abcdef-Thread. Sollen doch andere schreiben, was ihnen gerade auf der Seele brennt. Bei mir ist es einfach zuviel und zu lange her. Und doch gibt es eine Frage, die nach und nach alle meine Lebensbereiche erfasst: Will ich so leben? Doch so wie ich mich hier scheue, über alles zu schreiben, scheue ich mit dieser Frage alle meine Lebensbereiche zu durchleuchten. Zumindest ein Gefühl gibt es schon: Ne, so will ich nicht leben. Ich will mehr vom Leben.

07.01.2017 16:28 • x 2 #92


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Alles nur ein Traum

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Gesichter vom Breitscheidtplatz

Vor dem Waldorf Astoria gibt es eine Stelle, wo viele Kerzen brennen. Sie brennen still vor sich hin. Blumen und Tannengrün liegen auch noch rum. Sie erinnern an die Opfer kurz vor Weihnachten vom Breitscheidtplatz. Er liegt nur ein paar Schitte entfernt hinter der Ampel. Dort laufen die Leute wieder rum als wenn nichts geschehen wäre. Ob sie wohl auch noch an das Geschehen denken?

Der Platz gehört zu den Orten, die nicht zum Verweilen einladen. Im Zentrum steht der zerbrochene Glockenturm der Gedächtsniskirche als Mahnmal an den Krieg. Drumherum begraben glänzende Granitplatten dicht an dich jedes Stückchen Erde. Ausnahmsweise bekommen zwei Bäume etwas Platz, um ihre Wurzeln in den Boden zu schlagen. Neben der Gedächtniskirche steht das heutige Gotteshaus, in dem die Pfarrer über das Gott und das Leben sprechen. Die Touristen tummeln sich hier trotzdem ganz gern: Sehen sich die Kunststücke von Skatebordfahrern an, saufen sich die Birne selbst bei überflüssigen Festen zu oder wanken über den Weihnachtsmarkt. Die Menschen und die Stände geben dem Breitscheidtplatz aber immerhin einen angenehmeren Charakter, den er ohne sie nicht hat. Die Opfer kurz vor Weihnachten gehören zur kalten Seite und Geschichte des Platzes.

Nun überwiegt für mich sein negatives Gesicht. Ich laufe drüber, eigentlich renne ich eher und ignoriere das Treiben dort bereitwillig. Gleichgültigkeit und Desinteresse habe ich dafür übrig. Mir sind die Menschen hier egal. Doch ... mit dem Blick an das Schnellrestaurant an der Ecke weckt Erinnerungen, gute, warme und erfreuliche. Und damit meine ich sicher nicht das dort verkaufte, minderwertige Essen. Ja ja, die Marketingleute sehen das natürlich ganz anders. Aber die spielen in meiner Erinnerung keine Rolle. Die freundliche Seite vom Breitscheidtplatz erscheint am Eingang des Restaurants. Noch immer sehe ich sie und ihren Bruder dort auf mich warten. Beide tragen orange Straßenreinigerklamotten. Als sie mich endteckt leuchten ihre Augen auf und schickt mir ein kleines Schmunzeln. Eine schöne Blondine in Straßenfeger-outfit - hab ich auch noch nicht gesehen. Ich hatte nicht mal geahnt, dass sie das drauf hat. Naja, was wußte ich schon von der Welt? Jedenfalls mischten wir uns dann unter die anderen bunten Vögel der Loveparade.

Merkwürdig wie eng Licht und Schatten, Freude und Leid auf einem Platz nebeneinander liegen können.

09.01.2017 01:03 • #93


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Ach, weißt du...

Im Prinzip begann alles mit deinem schönen Namen und der roten Farbe. Rot steht ja für die Liebe. Und so schrieb ich dir irgendwas und freute mich, dass du mir zurückschriebst. Mit dir konnte ich dann kleine Frechheiten austauschen, mit Fanatsien spielen, aber auch mal über das Leben quasseln. Und das alles in einer sehr vertraulichen Mischung. Ohne Verbissenheit. Es gefiel mir alles, dass ich gar nicht mehr an diesen ganzen Singlekram dachte, dass ich ja auch auf der Suche nach einer Freundin war. Obwohl, da du meine Freundschaftsanfrage bestätigt hast, warst du ja schon meine Freundin. Für mich war das ein erhebendes Gefühl. Ich kann nicht behaupten, dass es in der Realität Frende gab oder solche, die meine Freunde werden wollten. Sie blieben auf Distanz zu mir und ich zu ihnen. Vielleicht habe ich auch nur die anderen Signale übersehen. Wie dem auch sei, freute ich mich über die virtuelle Freundschaft zu dir.

An den nächsten Schritt dachte ich gar nicht mehr ... bis du mich fragtest, ob ich ein Bild von dir sehen wolle. Ich bekam Stirnrunzeln. Warum sollte mich denn ein Bild interessieren? Das Schreiben ist doch so ganz schön. Ich dachte mir, dass du eine von diesen verlorenen Mädels bist, die sich in die virtuelle Welt flüchten, um Freunde und nette Kontakte zu haben, weil sie nicht gut aussehen. Doch das war ein stückweit Wurscht. Das Schreiben mit dir war ja schön und warum sollte dein Aussehen was dran ändern? Dann kam der Schockmoment, der meine Welt auf den Kopf stellte. Ich stimmte also zu, dass du mir ruhig ein Bild von dir zeigen konntest ... und erblickte ... einen ... Engel. Ich blickte dein Bild fassungslos an, es verschlug mir die Sprache. Ich weiß nicht mehr, ob ich auch den Atmen angehalten habe. Und die ganze Situation überforderte mich. Irgendwann bemerkte ich, dass du mir weiter geschrieben hast, stellst Fragen ... und wartest auf Antworten. Ich riss mich aus meiner Starre und antwortete wieder - so freundlich und gefasst wie ich es in meiner Verfassung tun konnte.

Vielleicht verstehst du das nicht. Ich komme vom Dorf. Es gibt hübsche Mädchen, auch heiße und eben die süßen, in die man sich verlieben kann. Doch elegant kommt keine daher. Sie schreiben und reden nicht wirklich herzlich, sondern sind nett und quasseln wie ihnen der Schnabel gewachsen ist - und der ist schon recht oft ziemlich platt. Aus ihrem Typ machen sie nichts. Soweit denken sie nicht - und ich auch nicht. Und den Unterschied konnte ich dann doch auf einen Blick erkennen, dass du was von deinem Typ Frau wusstest und du hast ihn entfaltet. Du konntest mit deiner ganzen Art, deinem strahlenden Lächeln Augen ein Licht in meinem Herzen anmachen. Mit ein paar kleinen frechen Worten hast du meiner demonstrativen Sauerheit keine Chance gelassen und sie in ein Lächeln verwandelt. Hat keine andere geschafft.

Mit diesen Augen habe ich dich dann auch bei unserem Kennenlernen betrachtet. Und du hast all das, was schon virtuell rüberkam in der Realität noch einmal bestätigt und sogar getoppt. Dein Anblick, deine Ausstrahlung, dein Gang - einfach bezaubernd. Immer wieder. Egal in welchen Kleidern. Und das machte es für mich auch so schwer, dir einen Platz in meinem Leben zu geben. Du bist die Traumfrau, die sich jeder wünscht. Du bist die Traumfrau, von der ich nicht mal in meinen kühnsten Träumen geträumt habe. Und du bist damit auch die Seifenblase, vor der ich Angst habe, dass sie zerplatzt, sobald ich sie berühre. Schon beim Gedanken daran, zuckt meine Hand zurück. Dann lieber den Traum anschauen solange er anzuschauen ist.

Keine Frage wollte ich immer mehr. Doch eigentlich wußte ich nicht wie dieses mehr denn aussehen sollte. Theroetisch ist alles klar: Umarmen, küssen, Liebe ... und dann auch noch mit dir Schlafen. Aber mit einem Engel schlafen, wie sollte das denn gehen? Egal, für dich würde ich auch diese Angst überwinden.

Doch wenn ich ehrlich bin, konnte ich mir keine Alltag mit dir vorstellen. Es gab nur den Himmel voller Geigen so blöd ich diesen Spruch auch finde.

Und so kämpfte ich jeden Tag mit den Gedanken über dich. Über dich dachte ich nach. Die Mädels in meinem Alltag kamen nie in meine Gedanken, außer vielleicht in die heißen. Aber für Liebe waren sie kein Thema. Und so traf es mich dann auch ganz hart als du mir von deinem neue Freund erzähltest. Ich sagte zwar, dass ich mich für dich freute, doch es brach mir das Herz. Es ging mir monatelang schlecht. Nach außer habe ich mich wie immer gegeben. Niemand hat deinen Namen oder von deiner Existenz erfahren, erst Jahre später ließ ich es durchsickern.

Da ich dich letztendlich doch als feste Freundin haben wollte, in dich verliebt war, machte diese ganze Freundschafts-Geschichte keinen Sinn mehr. Ich gaukelte mir vor, dass es wieder wo werden würde wie zuvor, wenn die Verliebtheitsphase mit deinem neuen Freund vorbei ist. Mit 3 Monaten kalkulierte ich. Doch es wurde nicht so wie erhofft. Ich machte mir selbst was vor. Um dir wenigstens auch ne Schramme zu verpassen - du solltest noch an allen Seiten glücklich sein, der neue Freund reicht doch - beendete ich unsere Freunschaft per SMS aus dem Ausland. Es war die schwerste und bitterste SMS, die ich je gefasst und abgesendet habe. Ich wußte mir in dieser Situation nicht anders zu helfen und versuchte damit auch etwas Stolz zu retten. Ich habe die ganze Zeit gewusst, gespürt, dass ich so eine Frau wie dich nie wieder treffen könnte. Und ich sollte recht behalten.

Den Spruch Schrecken ohne Ende kannst du getrost auf den Müll schmeißen. Ich habe zwar noch viele nach dir getroffen und kennengelernt, es waren auch keine Schrecken, sogar einige hübsche dabei, doch sie haben mich auf den ersten Blick eben nicht umgehauen oder auch mit ihren Worten. Und wenn du mich fragst - zu dir sind es Weltenunterschiede.

Das Irre an der Geschichte: Die Mädels haben auch mich manchmal erkannt. Und dann begann bei denen so ein Zittern, wie ich es bei dir hatte. Doch ich hatte nicht plötzlich eine neue Freundin. Sie ließen schneller ab von mir. Vielleicht hätte mir das gut getan, wenn wir nicht so lange in Kontakt gestanden hätten. Dann gibt es nicht soviel Erinnerungen, die mich begleiten und immer wieder mal neue Gedanken aufwerfen.

Fakt ist eins: Als ich sagte, du hast ein Licht in mir angeknipst, dann ist es der entscheidende Unterschied zu allen anderen Bekanntschaften nach dir. Und so lebe ich heute mein Singleleben still dahin. Bei allen, die mich genauer unter die Lupe nehmen kennenlernen wollen als unbedingt nötig, streue ich kleine Ablenkungsmanöver ein. Die meisten tun mir den Gefallen und interessieren sich dann nicht weiter für mich. Für mich steht fest, wenn ich mich überhaupt noch einmal aus meiner Komfortzone rausbewegen sollte, dann nur für eine Frau wie dich - die allein mit ihrer Ausstrahlung durch mich hindurch geht, die mich mit ihren Worten berührt, schon mal frech, aber nie verletztend ist, kurzum bezaubernd ist.

Gute Nacht, du Engel mit Herz

11.01.2017 02:38 • x 3 #94


H
Räder in der kühlen Morgenluft

Die Betonplatten liegen noch immer an der schmalen Hauptstraße. Der ausgefahrene Asphalt mit vielen geflickten Stellen verrät sein Alter auf einen Blick. Und ich? Kein Spiegel in Sicht, niemand sagt was über graue Haare etc. Langsam fahre ich mit dem Rad weiter. Doch die schweigenden Betonplatten vom Radweg blicken mich sehr vertraut an und errinnern mich an die vielen Male, die ich hier lang gefahren bin: Mit dem kleinen Kombi-Rad, mit dem großen Rad, mit Schulranzen und Turnbeutel, mit Freude auf meine Schulkamerade und den Sport, mit Furcht vor Deutsch, Mathe, Klassenarbeiten oder der Frage hatten wir nicht Hausaufgaben auf? Das alles liegt schon lange zurück - soweit, dass ich mich frage, ob das alles real war.

Die Platten interessiert das nicht. Sie liegen seinfach nur rum, Die Leute fahren jeden Tag drüber hinweg. Die alte Sporthalle steht auch immer noch rum, wurde zwischendurch mal modernisiert. Das Schulgebäude steht auch noch rum. Eine neue Eingangstreppe wurde gebaut. Kaum zu fassen, dass ich dort auf dem Schulhof stand und morgens auf das Klingeln zum Einlass wartete. Doch die Klingel wurde abgebaut. Das grelle Bimmeln hat ja sowieso auch den letzten Tiefschläfer aus dem Schlaf geholt.

Das grelle Bimmeln erinnert auch an einen geregelten Schulablauf. Lehrerausfälle gab es keine, oder kaum. Selbst Schüler waren nur selten krank, bemühten sich immer den Lernstoff aufzuholen, ließen sich vom Kumpel die Hausaufgaben bringen. Hinter der Glocke und den Eingangstüren wartete das schwarze Brett, das auch schon mal Tests und Klassenarbeiten ankündigte. Dahinter kam die aufregendste Tür des Hauses: Die Zimmertür zum Büro des Direktors verströmte besonders in den ersten Jahren immer etwas furchteinflößendes. Sie strahlte Macht aus, die Entscheidungshoheit über Zensuren und Zeugnisse. Hier werden sie ja geschrieben. Moment, hier sind sie geschrieben worden. Heute sitzt dort eine Schulungsfirma.

Trotz des Reglement, der Sinn für Weihnachten ließ die Direktion zu. Immer stand ein kleiner Weihnachtsbaum im Foyer, der die Vorfreude auf das Fest zuließ. Manchmal spielten wir hier auch Schach. Doch die Schachfiguren existieren nur noch in meiner Erinnerung. Die heimlichen Lichter des Baumes, die grünen Nadelzweige und uns Kinder sehe ich nur noch als schemenhafte Umrisse in der Vergangenheit.

Der große Block mit der Oberstufe: Als Schüler der Unterstufe konnten es die Kleinen kaum erwarten zu den Großen zu gehören, in die Oberstufe zu gelangen. Heute steht die Frage im Raum, warum die Kleinen nur so verrückt darauf waren älter zu werden - alt zu werden. Die Jahre vergingen damals sehr zäh, aus heutiger Sicht jedoch wie im Flug. Die ersten, heimlichen Liebschaften, eine Freundin haben wirkte damals wie das große Abenteuer, das große Ziel eine Liebespaar zu sein und damit erwachsen. Und was bleibt nachdem, das große Abenteuer sich ein paar mal eingestellt hat? Vielleicht gibt es nur das Abenteuer, wenn man nicht alles hinterfragt.

In der Oberstufe blieben die Abläufe ähnlich. Doch nun warteten Leistungsverweigerung, Kraftprotzerei, Coolness, Rauchen und natürlich triebgestörte Köpfe bei Jungen UND Mädchen. Es war alles ein bisschen rottig, arrogant, keine Herzlichkeit. In den Fahrradständern der Oberstufe stellte ich auch mein großes Rad rein. Manchmal schon morgens mit einem Platten, manchmal nachmittags mit einem Platten. Entweder hatte ich nicht gut repariert oder die Luft wurde von meinen Mitschülern rausgelassen. Mittags gingen wir auch nicht mehr in die Kantine, sondern hingen irgendwo im Schulgebäude oder auf dem Hof herum. Zumindest ich hatte Hunger. Aber allein gehen? Ne. Und waren für morgens noch halbwegs gemeinsam eingetroffen, verließ ich nachmittags nahezu allein das Gelände. Ich weiß nicht mehr, wie und wann die anderen nachhause gefahren sind. Und so löste ich das Schloss von meinem Vorderrad und Radständer, hing das Schloss über den Lenker und zog mein Rad heraus. Viele Male schwang ich mich auf den Drahtesel und fuhr zum Tor hinaus, irgendwann zum letzten Mal. Nur die Betonplatten liegen noch so das wie bei meiner letzten Abfahrt vom Schulgelände.

17.01.2017 00:55 • x 1 #95


H
Was kann ich dir über das Leben sagen,
nachdem sich unsere Wege trennen,
Schock und Starre stellen viele Fragen,
und ich lerne die Einsamkeit richtig kennen.

Lange bleibe ich liegen,
zum Aufstehen muss ich mich verbiegen,
setzte dann ein Schritt vor den anderen,
und beginne von Tür zu Tür zu wandern.

Die Klingel drückt jedoch kein ganzer Mann,
nur sein Abbild, ein Hologramm,
manch eine sieht, wonach ich mich verzehre,
doch auch unübersehbar meine Leere.

Sympathie, Lächeln und ab in die Betten,
mit den Schönen oder auch nur Netten,
so oft man es auch treibt,
es ist nicht das Glück, das bleibt.

Was ich brauche für mein Glück?
Gib mir mein Herz zurück!
Setz es zusammen und machs wie neu,
quäl dich, nur keine Scheu.

Du konntest es ja auch brechen,
lässt mir keine Chance zu rächen,
und in freundlicher Starre vergingen die Jahre,
das war mein Leben, das wahre.

31.01.2017 01:40 • x 3 #96


H
Der Bachelor, Bätscheller: Ich?

Jedes Jahr kommt diese Sendung Der Bachelor. Ein Schönling wird von unzähligen Hühnern, pardon, Frauen umworben. So jedenfalls habe ich das Konzept verstanden. Der Schönling soll dabei dem schnieken Schönheits- und Eroberungsideal von Fernseheulen entsprechen. Die Hühner sollen ein paar mal mit den Tit. und dem Hintern wackeln, mal ein paar Federn fallen lassen und eine soll schließlich mit dem Schönling zum Höhepunkt kommen. Liebe? Beziehung? Hm, ja, wahrscheinlich irgendwas vorgaukeln, damit die liebe Fernsehbevölkerung in ihren moralischen Vorstellungen von Eroberung und Liebe befriedigt wird. So wie sich das ja gehört. Für mich ist das alles eine schaurige Vorstellung.

Und was, wenn ich der Bachelor wäre? Ein Alptraum. Ich in einem Haufen von Hühnern. Sicher, ein paar von denen sind rattenscharf. Aber verlieben? Nein, sie sind der Inbegriff von glatten Frauen, wo jede Wärme fehlt. Was will mich mit einer Frau mit einer wundervollen Figur, schöne Brüste, schlanke Beine, aber einem fahlen Augenausdruck? Ein paar Tage befriedigt sie mich. Und dann? Ist es wie immer. Sie beginnt mich zu langweilen. Darum ist es für mich so interessant wie eine Frau nach mehreren Tagen und Wochen auf mich wirkt.

Aber bei einem Haufen von Hühnern hätte ich gar keinen Nerv, mir jede einzelne genau auf mich wirken zu lassen - auch mal ihren anderen Gesichter herauszufordern, die üblen - die Macken, die man nicht auf den ersten Blick sieht.

Faierweise muss ich zugestehen, dass ich für den Haufen Hühner auch das undankbarste Hähnchen bin, mit dem sie es zu tun bekommen könnten. Mein übles Gesicht kommt auch erst so nach und nach zum Vorschein. Wenn mir ihre Eigenarten komplett gegen den Strich gehen und ich keine gute Miene mehr zum bösen Spiel machen kann. So serviere ich ihnen also über längere Zeit nur Teile von mir. Ich bin mir relativ sicher, dass diese Hühner die Puzzleteile nicht zusammensetzen können. Und sollte doch eine dabei sein, die das kann, nehme ich selbst die blödeste Ausrede zur Flucht. Ne, Zuneigung von zuvielen Mädchen auf einmal hat mich schon immer hoffnungslos überfordert. Besser ein Querulant sein. Dann brauch ich mich nicht schick machen, gut aussehen und all der Quatsch. Mir liegt das immer noch übel im Magen wie völlig unbekannte Frau hinter mir hinterherschauen, wenn ich mal im Anzug durch die Gegend renne. Die sehen nicht mich, sondern nur den Anzug am Mann. Würg.

Ich bin mir ziemlich sicher: Mit mir in der Hauptrolle würde keiner mehr zuschauen, die Serie abgesetzt und mir würde genau die Aufmerksamkeit entzogen, um die ich mich meistens erfolgreich herumdrücke.

06.02.2017 23:34 • #97


H
Ausweichmanöver - Der Kuss auf die Wange

Hallo,

wie geht es dir? Mir geht es so lala. Das Liebesleben bei mir ist so langweilig wie eh und je. Bei dir geriet ich wenigstens noch in Versuchung. Aber heute? Ne, die sind alle irgendwie nicht mehr süß und schon gar nicht tauberhaft. Sie sind gestandene Frauen, stehen mit beiden Beinen im Leben, einige erfolgreich, andere unglücklich.

Dieses Süße und Zauberhafte sah ich damals in dir. Schon auf den ersten Blick. Bei jedem Training hielt ich Ausschau nach dir. Mein Herz pochte erwartungsvoll vor Aufregung. Es schlug schneller, wenn ich dich dann erblickte. Ich freute mich über deinen Anblick und verfolgte fast jeden Schritt. Sollte ja für niemanden offenbar werden, was mir wirklich im Kopf herum ging. Deswegen schlenderte ich anscheinend gelangweilt herum, schaute in Vitrinen, wie in eine ausgeschaltete Fernsehröhre. Du kannst wetten, dass in dieser Zeit begonnen habe zu schielen. Ein Auge ging immer in deine Richtung. Du hattest eine zierliche, aber doch kräftige Figur. Deine Lippen sahen zart und weich aus. Beim Sprechen zeigten sich deine süßen, kleinen Zähnchen. Deine säuselnde Stiimme klang wie Honig. Überhaupt waren deine Gesichtskonturen weich wie bei einer babyhaften Venus. Deine blonden Haare kräuselten sich um deine Stirn und liefen nach hinten lang und weich zum Hals aus. Mit deinen blauen Augen schautest du manchmal durch die Gegend, auf den Boden und auch mal zu mir. Sie sagten schon, dass ich dir nicht unangenehm war, vielleicht sogar gefalle. Aber naja, da ich bis dahin für Mädchen nur jemand war, von dem man Abstand nimmt, machte ich mir bei dir auch keine Hoffnungen. Und freute mich einfach darüber, dass du dich mit mir unterhalten hast und sogar ein bisschen geflirtet.

Der Sport geriet darüber fast zur Nebensache. Natürlich gab ich noch immer mein Bestes. Und jedem war ich ein guter Gegner. Doch bei dir wurde ich immer schwach und gab acht, dass ich nicht zuviel Kraft einsetzte. Ich wollte lieber deinen Anblick genießen als dir ein Sportpartner sein. Das ist ganz schön schwer, beides zur gleichen Zeit zu machen. Eigentlich wollte ich dch schon nach unserer zweiten Trainingsstunde küssen. Doch wie gesagt fürchtete ich, dass du mich ablehnen würdest - wie alle anderen Mädchen auch. Eine Mischung aus ich will ja furchtbar gern, kann aber nicht.

Und dieses Spielchen zog sich dann ewig hin.hin. So fuhren wir einmal mit den Fahrrädern bei schönem Sonnenschein mittags durch den Wald. Ich fhlte mich magisch zu dir hingezogen. Deine Worte hörte ich gar nicht mehr so richtig. Als wir dann bei mir zuhause ankamen, wollte ich ich gern reinbitten - und zugleich wollte ich auch nicht. Es gab einen Grund, warum ich nicht dich und auch sonst kein Mädchen bei mir zuhause reinlassen wollte: Meine Eltern. Meine Mutter hat die Eigenart, ihre Nase zu tief in Sachen reinzuhängen, die sie nichts angehen. Auch vor meinem Liebesleben machte sie keinen halt. Und sie behandelte alle Mädchen wie Kleinkinder oder wie Feindinnen. Das könnte ich ja noch tolerieren. Aber ich wollte dich und auch alle anderen Mächen, die mir je etwas bedeutet haben, vor jemandem beschützen: Meinem Vater. Er war ein Stroch, ein Beobachter. Ich musste befürchten, dass er dich heimlich beobachtet - mit seinem Feldstecher. Vielleicht würde er sich sogar an dir vergreifen, wenn er Druck in der Hose hat. Ich weiß nicht wozu er wirklich fähig war, aber ich wollte es nicht drauf ankommen lassen.

Naja, und wegen dieser blöden Situation zuhause ist es mir unglaublich schwer gefallen meinen Gefühlen nachzugeben bzw. war es mir unmöglich zu zeigen, was ich wirklich für dich empfand. Du glaubst gar nicht wie oft ich mit deinem Bild vor den Augen eingschlafen bin. Auf meinem Weg zur Schule hat es mich begleitet. Ich habe mich gefragt, wie du wohl deinen Tag beginnst, was du so in deinem Tag so erlebst, wieviele Jungs so um dich herumschwirren. Dass du an mich denkst, habe ich mir gar nicht vorgestellt. Bei Lovesong schloss ich meine Augen und träumte von vielen Wegen und Erlebnissen wie wir zueinander finden würden.

Es war für mich eine große Überwindung, dich anzurufen. Ich freute mich dann aber, wenn ich deine Stimme hörte und wir lange miteinander redeten. Und jedesmal verabschiedeten wir uns. Nie schlug ich ein Treffen vor, keine gemeinsame UNternehmung. Auf die Idee kam ich einfach nicht.

Als wir mit unserem Sport aufhörten, entfernten wir uns noch weiter. Ich wollte das aber nicht. Ich wollte dich wenigstens ein klein wenig immer in meinem Umfeld wissen, damit eines Tages, möglicherweise.... Und so standen wir eines abends vor dem alten Bahnhofsgebäude, nachdem wir eine Weile nebeneinander spazieren gingen. Noch immer hätte ich dich bei jedem einzelnen Schritt küssen können. So standen wir schließlich vor dem Haus, voreinander. Die Abensonne ging gerade unter und spendete die letzte Wärme des Tages. Ich schaute dich an, zog dich an mich und neigte meinen Kopf zu deinem. Du hast deine Augen geschlossen und ich meine. Unsere Lippen näherten sich. Plötzlich wurde mir heiß-kalt und ich gab dir einen Wangenkuss. Was für ein Feigling. Dann lächelte ich und wir verabschiedeten uns. Ich weiß nicht, ob draußen gerade ein kalter Luftzug ging oder der nur durch mein Inneres wehte. Ich fühlte mich so schlecht, dass ich dich ohne echten Kuss gehen ließ.

Naja und das Ende vom Lied war dann das, was zu erwarten war. Irgendwann warst du dann vergeben. Merklich distanziert, gleichwohl freundlich hast du mit mir gesprochen. Trotzdem traf es mich wie ein Blitz. Es ging mir viele Wochen schlecht. Die Tränen liefen - aber typisch für mich nicht außen, sondern innen. In dieser Zeit wirkten selbst die schönsten Mädchen wie hohle Puppen. Selbst das schönste Lächeln kam mir vor, als wenn die Lippen wie beim Zahnarzt auseinandergezogen sind, damit ich mich von der Weißheit der Zähne überzeugen kann. Es spielte alles keine Rolle. Aufmunterung war nicht möglich. Ich hatte nie jemandem was von dir verraten, schon gar nicht meine Gefühle für dich. Erst Jahre später ließ ich mal ein bisschen was davon durchblicken.

Tja, das war die Seite unserer Geschichte, die du wahrscheinlich nicht mal ansatzweise geahnt hast. Aber naja, über solche Dinge reden konnte ich noch nie besonders gut. Ungeachtet dessen war für mich ein schönes Gefühl, dass mich zumindest ein Mensch außerhalb meiner Familie sehr mochte.

09.02.2017 01:01 • #98


Kontra
Ist dein Thread hier eher zum loswerden gedacht oder auch zum austauschen?

09.02.2017 01:22 • #99


H
Seifenblase Liebe

Es liegt nun schon viele Jahre zurück, eine banale Situation in einem fremden Ort. Eines nachmittags fuhr mein Großvater mit mir ins Niemandsland. Das lag irgendwo im Süden, wo die mir bekannten Ortsnamen längst verschwunden waren. Ich sah wie die Häuser immer weniger wurden, die Kiefernwälder immer dichter und nur ab und zu ein paar freie Wiesenstreifen auftauchten. Es fühlte sich an wie fernab der Zivilisation. Inmitten des großen Kiefernwalds dünnten sich die Bäume plötzlich stark aus. Eine breite Kiesfläche zog sich durch den Wald. Am Rand standen viele kleine Holzhäuschen. Diese verdichteten sich zur Ferienanlage einer polnischen Gewerkschaft.

Mein Großvater traf dort irgendeinen Bekannten, Verwandten oder Kumpel - was weiß ich. Jedenfalls ließ er mich am Spielplatz stehen ich komme bald zurück. Verständnislos blickte ich hinterher. Und was nun? Um eine Tischtennisplatte scharte sich eine Gruppe Kinder. Ich wollte gern zu ihnen gehen, vielleicht ließen sie mich mitspielen. Aber ich schrak innerlich schon beim Gedanken daran zurück: Das sind doch Polen und wenn sie nur polnisch sprechen, was ich nicht kann, kann ich doch gar nicht klar machen, dass ich mitspielen will. So schaute ich ihnen eine Weile stumm zu ... und näherte mich ganz langsam. Ich wollte ja wenigstens zuschauen. Der Abend brach langsam herein. Und mit der Dämmerung kam auch die Kälte und ich fror schon ein wenig.

Ausgerechnet jetzt fiel mir auch noch ein schönes Mädchen auf. Das machte alles noch schwieriger. Angesichts der Gruppe fühlte ich mich sehr allein, mit der Kälte auch noch einsam. Ich wollte mich dem Mädchen nähern, wußte aber nicht wie. Versteht sie deutsch? Kann sie auch nur polnisch? Ich wollte sie umarmen - nein, küssen. Von allem etwas glaube ich. Es zog mich alles zu ihr hin, wie mich auch alles von ihr fernhielt. Wahrscheinlich wollte ich nur etwas Wärme haben. Doch letztendlich brachte ich kein einziges Wort heraus. Die Gruppe löste sich bald auf und das Mädchen ging mit den anderen tief in Feriensiedlung hinein. Nun war ich ganz allein.

Eine Viertelstunde lief ich planlos auf dem Spielplatz auf und ab, ging zum Sandkasten und an die Tischtennisplatte. Dann kehrte mein Großvater zurück und wir fuhren - raus aus diesem fremden Ort im Niemandsland, zurück nach hause.

10.03.2017 00:41 • x 1 #100


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Vergänglichkeit

Ich gestehe: Mir genügte die Welt mit langsamen Zügen und ungepflegten Bahnhöfen. Letztere verschwinden so langsam. An deren Stelle treten selbst in Dörfer neue Bahnsteige mit behindertengerechtem Warnstreifen. Teilweise über 60 Jahre alte Bahnhofsgebäude schlucken die Bagger. Kleine Wartehäuschen nehmen nun den Platz ein. Sie verwischen auch die Spuren meiner Vergangenheit.

Vor vielen Jahren fuhr mein Vater im Winter an jedem Freitag zur Schwimmhalle. Mich nahm er mit, ob ich wollte oder nicht. Ich wollte meistens nicht, denn es war eine unheimliche Atmosphäre. Als die Dunkelheit hereinbrach, schnappte ich meine Badetasche und lief allein zum Bahnhof, bei Regen, Kälte oder auch Schneeregen. Ich kam mir immer doof vor und wäre am liebsten zuhause geblieben. Aber die Termine machte ich ja nicht. Am Bahnhof wartete dann mein Vater schon auf mich, der gerade von der Arbeit kam. Beim blassen Licht der Bahnhofslaternen stand er breitbeinig unter einer schiefen, gewellten Dachplatte und rauchte wie üblich. Mit angeberischer Pose saugte er am Glimmstengel. Er brummelte immer was in meine Richtung, was mir aber egal war.

Naja, dann kam unser Zug und wir fuhren schweigend in die Dunkelheit und in Richtung Stadt. Ich wollte nicht mit meinem Vater reden. Der hatte immer so blöde Themen drauf. Zudem stank sein Atem nach Zig., das mir schlecht wurde. Wir stiegen dann um in die S-Bahn. Im Stand liefen die Heizkörper unter den Holzbänken nicht und es war recht kühl. Als dann die roten Lampen aufheulten und sich die Türen mit einem kurzem Knall schlossen setzte sich die Bahn mit einem Aufheulen in Bewegung. Im selben Moment begannen auch die Heizkörper zu surren und es wurde warm. Doch auch jetzt sah ich meinen Vater nicht an und blickte aus dem Fenster: Ich sah viele kleine Lichter in den Hochhauswonungen, grelles Licht in menschenleeren Wartehallen auf den Bahnhöfen, den Fluss unzähliger Autoscheinwerfer auf der Schnellstraße. Als unsere Bahn schließlich die Brücke über dem Kanal passierte wußte ich, dass ich gleich aussteigen musste. WIr erreichten die Station, die im hellen recht freundlich wirkt, jetzt im Dunkeln mit nur ein, zwei Hanseln eine gespenstische, düstere Atmosphäre verbreitete. Ich hätte mich gern an meinen Vater geklammert, wenn mir der nicht auch noch so unheimlich vorkam. So lief ich schweigend neben ihm her. Eigentlich rannte er und ich hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten. Also großes Schaufenster anschauen gabs nicht. Trotzdem freute ich mich jedesmal in einem Fenster über die Eisenbahnlampe und das rot-weiße Licht , die früher am letzten Wagon bammelte.

Dann gings über die große Kreuzung. Hier beeilte ich mich jedesmal ein bisschen mehr, da ich mich vor den vielen, wartenden Autos fürchtete. Geschafft freute ich mich heimlich, wenn ich drüben war. Doch nun zeigte sich schon das nächste Ungeheuer. Die Schwimmhalle auf einem kleinen Hügel. Ich stieg die Kieselstein-Treppe mühseelig empor. Oben schnaufte ich durch. Wenig später in der Herrenumkleide war ich anscheinend der einzigste Junge. Ansonsten tappelten da nur olle, grauhaarige Männer mit breiten Hintern und dicken Bäuchen herum. Spätestens hier wollte ich auf der Stelle wieder nach haus. Aber es half nix, allein komm ich ja nicht nach haus. Also Augen zu und durch.

Der schlimmste Moment kam aber noch, als ich die Tür zur Halle öffnete. Jedesmall schlug mir ein unangenehmer Chlorgestank ins Gesicht. Im fahlen Licht sah ich dann wie ein Haufen oller Leute mit Badekappen ihre Bahnen im großen Becken zogen. Mein Vater wollte, dass ich da auch noch schwimmen gehe - zwischen diesen fetten, ollen Bomben durch. Würg. Und das Wasser war auch noch eiskalt. Einige Male habe ich mich überwunden und bin mitgeschwommen. Ansonsten bin ich aber gern ins Nichtschwimmerbecken gegangen. Da wars immer etwas wärmer.

Mit Erleichterung nahm ich jedesmal den Moment wahr, wo mein Vater aus dem großen Becken stieg und zu den Duschen ging. Ich gleich hinterher. Das Martyrium war mal wieder beendet. Jetzt ging es wieder nach hause. Die paar Schritte zum Bahnhof gingen leicht. Manchmal spendierte mir mein Vater noch ne Bockwurscht mit Senf und Brötchen. Ich stopfte das in mich rein, dass ich wie ein Goldhamster mit dicken Backentaschen ausgesehen haben musste. Jetzt musste ich nur noch die S-Bahn-Fahrt über mich ergehen lassen, in den Regionalzug mit seiner kleinen Diesellok rein und dann bin ich ja schon fast da.

In der Schwimmhalle bin ich nun schon seit fast 30 Jahren nicht mehr gewesen. Ich habe sie weiß Gott nicht vermisst. Doch ich möchte gern wissen, ob es sie noch gibt; ob da immer noch die ollen Leute hingehen; oder ob sie endliche freundlich geworden ist für Kinder.

18.03.2017 01:11 • x 1 #101


H
Wissen über die Liebe

Die Gedanken sind frei. Na und die Träume, da schießte die Fantasie erst recht munter ins Kraut. Das schönste Mädchen lässt sich leicht in eine Prinzessin verwandeln. Die blöden Schulkameraden übernehmen die Rolle von gut Fieslingen. Und man selbst - hier, Ich - ist natürlich der Held, der am Ende das schöne Mädchen gewinnt. Sie fliegt dann geradezu auf mich, mit ihrem ganzen Körper, ihrem ganzen Verlangen, mit langen, zärtlich-innigen Küssen und allen möglichen Stellungen.

Diesen Träumen, auch Romantik kann man mit Wissen ziemlich schnell den garaus machen. Beispielsweise das Küssen: Warum küssen wir eigentlich? Eine Theorie besagt, dass das Küssen noch ein Überbleibsel aus der Zeit der Affenmenschen ist. Die haben Futter von Mund zu Mund weitergegeben. Das Küssen war also damals ein Akt des Fütterns. Und wenn man sich das heute beim Küssen in Erinnerung ruft, fühlt sich alles ziemlich komisch an. Ich meine, wer hat schon mal beim Küssen daran gedacht, dass er eigentlich den Partner füttert. Das klingt dann doch nicht mehr so aufregend., eher abregend. Oder?

10.04.2017 21:39 • x 1 #102


H
Braune Knopfaugen

Es ist ziemlich bizarr: An fünf Wochentagen sträubt sich bei mir mogens alles gegen die Fahrt in die fremde Umgebung. Doch mit jedem Meter wandelt sich dieses Sträuben in Tagträume und Hoffnungen. Schließlich kommt auch das schönste Mädel dorthin. MIt ihrer sportlich-femininen Figur, den einfachen Klamotten, den zarten Gesichtskonturen und Haut, dem halblangen, braunen Haar, den schönen, braunen Knopfaugen, dem frechen Lachen und den lockeren Kommentaren jat sie schon längst allen Jungs den Kopf verdreht - auch mir. Und so hoffe ich, dass ich sie auf ihrem Weg schon weit vor unserem gemeinsamen Ziel antreffe; um nett hi zu sagen und neben ihr herzulaufen, ihr zuzuhören und vielleicht auch selbst was erzählen.

Doch diese Hoffnung erledigt sich mit dem Winken einer anderen Schulkameradin an der Ausfahrt des kleinen Weges. Ich find sich ja nett, aber doch nicht jetzt. Sie wartet auch, weniger auf mich als alle, die gerade so eintrudeln. Na was solls, denn quassel ich halt mit ihr. Kurz darauf trifft auch noch mein Traummädel ein. Na prima, jetzt gibts also wieder Mädelsquasseln. Wie soll denn mein Traummädel so ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken? Verflixt ... na egal. Ich würde sowieso nicht viel reden. Denn kann ich sie ja heimlich anhimmeln. Allein das versüßt mir die letzten Meter des Weges.

Und den Rest des Tages habe ich nur sie angehimmelt ... Papperlapapp. Wenn sie ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf andere Jungs verschwendet, schau ich halt auch anderen Mädels nach. Es gibt ja auch noch andere Schönheiten. Naja, aber eben nicht von der Sorte Traum.

In den Stunden drehten sich meine Gedanken auch meist nur um sie. Das führte dann schon mal zu peinlichen Momenten, wenn ich nicht wußte, was ich gerade gefragt worden bin oder worum es überhaupt gerade ging. Schlafmütze ... wurde ich zwar nicht genannt, aber etwas begriffsstutzig. Wenn die gewusst hätten, was der eigentliche Grund für meine geistige Abwesenheit gewesen war.

Und in den Pausen? Naja, was sollte ich da schon tun: Frische Luft schnappen, ein Kaffee nach dem anderen trinken, zur Meute stellen und irgendwelche Kommentare beitragen. Alles Ablenkungsmanöver. Statt dessen bewegte ich mich immer in einem bestimmten Radius um mein Trummädel. Hauptsache ihren schönen Anblick aufsaugen, auch ein bisschen von ihrer freundlichen Art mitnehmen. Zuhause wartete ja nur mein Zimmer und eine isolierte Atmosphäre in einer kleinbürgerlichen Welt mit meiner Familie. Ich wollte am liebsten andauernd bei meinem Traummädel sein, doch die Welt dahim hatte mich fest umklammert. Vielleicht gehört auch zur Wahrheit, dass ich mich aus dieser Umklammerung nicht lösen konnte.

Und so endeten die Tage meistens auch folgerichtig: Wie am Morgen lief ich neben ihr ein paar Meter auf dem Fußgängerweg an der Hauptstraße mit, bevor sich unsere Wege trennten. Sie lief weiter zum Bus. Ich schwang mich auf mein Rad und verschwand in dem schmalen Radweg zwischen den Einfamilienhäusern.

11.04.2017 21:53 • #103


Regibär
Hallo Hologramm77,

es ist fast unheimlich, aber wenn ich deinen Thread hier lese, dann sind das fast exakt meine eigenen Kindheitserinnerungen. Du hast eine ganz tolle Fähigkeit zu beschreiben. Meine Kindheit hat zwar 11 Jahre früher stattgefunden und viel weiter westlich, aber trotzdem kenne ich genau diese Erfahrungen und Empfindungen. Beim Lesen taucht dann vor meinem geistigen Auge die lange versunkene Welt meiner eigenen Kindheit und Jugend wieder auf und die Mädchen meiner Jugendträume stehen wieder vor mir. Ich spüre die Wärme oder Kälte, habe die alten Gerüche in der Nase und ganz intensiv spüre ich die Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte, Hilflosigkeit und Schmerzen. Wahrscheinlich geht es vielen Lesern so, aber es passiert mir jedenfalls nur bei deinen Texten so vollkommen.

Ganz lieben Dank dafür von Regibär

13.04.2017 10:41 • #104


H
Zitat von Regibär:
es ist fast unheimlich, aber wenn ich deinen Thread hier lese, dann sind das fast exakt meine eigenen Kindheitserinnerungen. ... Ich spüre die Wärme oder Kälte, habe die alten Gerüche in der Nase und ganz intensiv spüre ich die Ängste, Hoffnungen, Sehnsüchte, Hilflosigkeit und Schmerzen. Wahrscheinlich geht es vielen Lesern so, aber es passiert mir jedenfalls nur bei deinen Texten so vollkommen.


Hallo Regibär,

es freut mich immer, dass meine Zeilen einigen Lesern etwas geben. Natürlich habe ich dabei nicht im Sinn, bei den Lesern auch alte Wunden aufzureißen. Das Schreiben an sich macht mir Spaß. Auch will ich gern Dinge rausschreiben, die raus müssen oder sich sonst weiter in mein Inneres reinfressen und dann auch noch in Vergessenheit geraten.

Dass sich der ein oder andere Leser in meinen Zeilen wiederfinden, überrascht mich nicht sonderlich. Solche Geschichten, familiären Hintergründe wie meine haben sicher viele. Nur in Nuancen weichen sie voneinander ab.

Im Übrigen finde ich, dass du auch einen guten Schreibstil hast - verwendest viele Substantive und Tätigkeitsverben und vermeidest zuviele Füllwörter.

13.04.2017 11:45 • #105


A


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