Also, ich weiß nicht. Persönlich würde ich denken, daß Beziehungen schon immer Wandel unterzogen sind. In der spezifischen Einzelpaarbeziehung, durch die verschiedenen Lebensstationen, Entwicklungen sowie persönlichem Glück und Unglück, genauso auch im allgemeinen, eine Ehe im 15. Jahrhundert irgendwo in Sachsen war eine andere als eine Ehe im 19. Jahrhundert irgendwo in der Normandie und ist eben eine andere als eine Ehe im 21. Jahrhundert in Berlin.
Da reden wir noch gar nicht vom Konzept romantischer Liebe, welches bspw. Im 12 Jahrhundert in Gestalt der Minne, nun mal gar nichts in einer Ehe zu suchen hatte.
So spannend es auch ab und zu sein mag, über Konzepte wie Augenhöhe, Anziehung, Instinkt, Libido und andere Machtgefälle zu reden, alles beginnt mit Selbstreflexion und Eigenverantwortung.
Hab neulich ein Email gelesen, in dem es um Fragen der Einstellungspolitik einer Organisation ging. Der erste Punkt, welcher thematisiert wurde, war das Problem, daß die Organisation nicht über den Bekanntheitsgrad bzw Ruf verfügt und sich deshalb young talents (alles im schönsten English) nicht so angezogen fühlen. Wenn man also hingeht und den Wert des Unternehmensnamens (nicht des Unternehmens selbst steigert, dann erhöht man dessen Attraktivität und in Folge, bewerben sich mehr Leute, die man dann einstellen kann.
Meine Antwort darauf war always hire task based, do not hire brand based Menschen, die sich aufgrund des Images eines Unternehmens für eben jenes interessieren, haben zwangsläufig eine Vorstellung, die sie mit dem Unternehmen verbinden, somit eine Erwartungshaltung. Die geht mal ganz schnell den Bach runter, wenn die Aufgaben, die so ein Arbeitnehmer dann Tag für Tag zu erledigen hat, nicht mit dem übereinstimmen, wie er sich vorgestellt hat, wie es sein würde für xy zu arbeiten.
Wenn man allerdings vorher sehr genau analysiert für welche Aufgaben man jemanden sucht, diese versucht so genau wie möglich zu beschreiben, kreiert man nicht nur eine Meßbarkeit (neuer Arbeitnehmer erfüllt aufgaben 1-3 super, 4 und 5 passabel, bei 6 braucht er Training und 7 geht gar nicht) sondern man schafft sogleich bestimmte Erwartungshaltungen aus der Welt.
In Vorstellungsgesprächen passiert aber eigentlich zumeist das genaue Gegenteil, das Unternehmen präsentiert sich von der Schokoladenseite, der Eingeladene ebenfalls, über konkrete Aufgaben wird wenig bis gar nicht gesprochen und man wurschtelt statt dessen mit formalen Kriterien herum (sei es bestimmte Abschlüsse oder Ergebnisse aus irgendwelchen pseudo-Assessment- Tests), eingestellt wird dann aber fröhlich doch nach vermeintlicher Sympathie und Bauchgefühl. Kann gut gehen, aber auch ziemlich schief.
Und im Grunde rennt es bei Beziehungen völlig ähnlich. Die wenigsten von uns hire task-based sondern brand-based. Der neue Typ, die neue Lady soll uns halt ein schönes Gefühl vermitteln, eins von Liebe, Zusammengehörigkeit und Partnerschaft. Wir wollen glücklich gemacht werden und glücklich machen, ohne auch nur im Ansatz mal wirklich vorab die Frage zu stellen, was uns denn eigentlich glücklich macht. Nein, nein, das kommt ja von ganz allein, wenn es der/die Richtige ist. Aha, warum genau?
Dabei vernachlässigen wir die offensichtliche und weniger offensichtliche Eigenverantwortung. Offensichtliche Eigenverantwortung immer dann, wenn klar ist, daß einem selbst etwas wirklich nicht am anderen passt. Es gibt einen unabänderlichen Dreisatz, der da heißt: wahrnehmen, ansprechen, selbst die Konsequenz ziehen (aka Akzeptanz lernen, meinetwegen aushalten, oder gehen). Wenn ich auf Teufel komm raus, als einziges Urlaubsziel für mich selbst das Meer sehe, dann is ein Bergsteiger, dem das Meer nicht gefällt, ein Problem. Entweder ich lerne in diesem Moment Umgang damit oder ich gebe in Zukunft halt nur noch Kontaktanzeigen im St.PeterOrding-Käseblatt auf. Die meisten von uns (mich durchaus mit eingeschlossen) verbringen erst einmal Zeit damit (das kann Jahre so gehen), das Meer anzupreisen, sich einzureden Berge toll zu finden, am Bergsteiger herumzubasteln und sich die Frage zu stellen, ob man das Meer denn wirklich so toll finden darf. Darf man natürlich machen, wäre aber vielleicht gescheiter in offensichtlicher Eigenverantwortung sich einzugestehen, daß man nun Mal einen Meer-Fan will und keinen Bergsteiger. Geht aber nicht, weil wegen Schmerzvermeidung und so.
Die weniger offensichtliche Eigenverantwortung beginnt früher. Wir suchen Partner, bei denen es funkt. Wo es halt passt. Mit denen wir Glück verspüren. Und das soll dann bitte ein Leben lang halten. Mal abgesehen davon, daß dank geplanter Obsoleszenz nicht mal mehr Autos ein Leben lang halten (und Häuser auch nicht) und wir ganz sicher nicht hingehen und nach ner Waschmaschine suchen, bei der es funkt. Was soll womöglich ein Lebenslang halten? Lebensversicherungen.
Ähm, da suchen wir also nach einer Lebensversicherung, bei der es funkt, wo es halt passt und wir Glück verspüren? Ich habe keine, ich kann das nicht beurteilen. Ein paar Versicherungen hab ich aber schon und keine davon habe ich nach Maßgabe dieser Kriterien abgeschlossen.
Wir suchen instant gratification, die Lebenslang hält. Wenn es nicht unmittelbar funkt, isses nicht der Richtige und wenn es das zwar tut, aber dann nicht Lebenslang hält, dann war es nicht der Richtige. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, schwurbeln wir hinterher über Romantik, die Guten, Anziehungskraft und Augenhöhe. Früher war alles, nein nicht einfach nur anders, sondern besser (hallo Geschichtsrevisionismus). Und außerdem sind ja Machtverhältnisse, die Pille und Instagram schuld. Wir pathologisieren den Gegenüber (klar, wenn er oder sie die Nase voll hat, dann ist er bindungsgestört oder Narzisst und sie jedenfalls Bordberlinerin; schon mal aufgefallen, daß es auch ein Gendern bei mentalen Erkrankungen gibt) oder verlieren uns in vermeintlich logischer Argumentation, die dann völlig ad absurdum geführt wird durch die Erwähnung von Gefühle sind nicht verhandelbar und ja eh, meine Libido und so Beides stimmt, nur leider eben nicht die Prämisse: Libido und Lebensversicherung teilen leider nur den Anfangsbuchstaben.
Und warum? Weil wir brand-based agieren und nicht task-based. Wer gerne nach der Arbeit bei einem oder vier Glas Rotwein entspannt, darf natürlich den super-aktivenTeetotal toll finden, nur mag das zum eigenen Lebensentwurf nicht so total passen. Wer auf Minne des 13 Jahrhundert steht, der wird halt nicht geheiratet. Dafür müßten wir allerdings mal die eigenen Hausaufgaben machen. Was macht einen selbst glücklich? Nicht nur, wie glauben, wir, daß wir sein wollen. Welche Ziele haben wir, sondern, was macht einen selbst wirklich happy. Und da war sie wieder unsere Eigenverantwortung.
Warum wir aber trotzdem lieber 10 Jahre vergeuden, die Waschmaschine zu reparieren ohne Mechanikerkenntnisse? Tja, ne die große Frage. Ich tippe auf Schmerzvermeidung und ich tippe auf Angst. Also würde ich an der Stelle gerne mal nicht mehr über Anziehungskraft, Augenhöhe, Machtverhältnisse und sonstiges Phänotypen reden, sondern, was macht dem Kerl innere Kneipe nur so viel Angst, daß er zwar in seine Hopfenkaltschale jammert, aber keine Konsequenzen zieht.
22.11.2017 20:02 •
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