Liebe Mama,
jetzt hast Du also am 16.01.2016 gegen 17.00 Uhr in der vom Sturm leicht aufgewühlten Nordsee Deine letzte Ruhe gefunden. Wie Du ja selbst gesehen hast, ist es allen nicht leicht gefallen, wirklich los zu lassen. Du hast eine Lücke hinterlassen, die schwer zu füllen ist und Du fehlst so vielen an so vielen Stellen.
Ich möchte Dir sagen, dass es trotz der Last und Schwere letztlich schön war, Dich selbst mit zu nehmen. Noch einmal die Strecke mit Dir zurückzulegen, die wir so oft gemeinsam gefahren sind. Es war stiller, schwerer und anders die 260 km ohne Dein Lachen, ohne ein Wort von Dir und ohne mit Dir scherzen zu können zurückzulegen, aber es war ok. Es war gut, dass wir uns vorher alle bei mir getroffen haben und gemeinsam losgefahren sind. Dieser kleine Konvoi hinter mir hat mich abgelenkt und dafür gesorgt, dass ich die nötige Konzentration für die Fahrt aufbringen konnte. Du hast über uns gewacht und wir sind, wie Du ja weißt, sehr gut durchgekommen und waren ca. eine Stunde früher an Ort und Stelle. Wir haben, wie Du ja auch weißt, alle noch in dem kleinen Café eine Kleinigkeit gegessen und etwas getrunken. Mit ca. 20 Minuten Verspätung gings dann los, weil Dein letztes Schiff noch in der Schleuse fest hing.
Es tat gut, als wir ablegten, am Oberdeck neben Dir zu sitzen. Es war kalt, ja, aber die äußerliche Kälte war leicht zu ertragen, was mir mehr zu schaffen machte, war die innerliche Leere und Kälte, die sich in mir breit gemacht hat auf unserer allerletzten gemeinsamen Fahrt Mama. Als der Kapitän dann fragte, ob wir weit genug rausgefahren wären oder noch weiter wollten, da habe ich, wie Du ja weißt, geschaut, wo wir uns befinden und als ich entdeckte, dass Du von unserer Position aus genau auf den Strand schauen kannst, an dem wir so viele Stunden spazieren gegangen sind, mit den Hunden gespielt haben, geredet haben, gelacht haben, da habe ich gesagt, er könne die Maschinen abstellen, die Stelle ist perfekt.
Als der Kapitän das Tau an Deiner Urne befestigte, bzw. eher das Tau durch die beiden Schlaufen an Deiner Urne gezogen hat, meiner Schwester und mir je ein Ende in die Hand gab und sagte, dass Deine Übergabe an das Meer und Deine Rückführung zu allem Ursprung des Lebens jetzt beginnen kann, Mama, da tat mir alles weh, so wie jetzt auch. Ich konnte kaum atmen, konnte kaum noch stehen, ich hörte die Stimmen an Bord aus weiter ferne, ich konnte nur auf Dein Behältnis blicken...meine Tränen nicht zurückhalten, wozu auch....
Langsam haben wir Dich über die Reling gehoben.....einmal kurz eingetaucht, ein zweites Mal kurz eingetaucht, ein drittes Mal....dann war es soweit Mama, dann musste einer von uns beiden sein Ende des Taus endgültig loslassen und Dich auf Deine allerletzte Reise schicken.....ganz alleine....ich habe mein Tauende so fest umklammert....ich wollte Dich nicht gehen lassen, diese kurze Zeit, die ich Dich noch hielt kam mir vor wie eine Ewigkeit....alle Momente, die wir gemeinsam erlebt haben sind in diesen paar Sekunden an mir vorbeigeschossen......und dann, es tut mir leid Mama, dann habe ich meine Hand geöffnet.....gespürt, wie das Tau an dem Du befestigt warst langsam durch meine Finger glitt...gespürt, wie Du mir aus den Fingern gleitest.....ich träume Nachts davon Mama, ich träume davon, wie dieses verdammte Tau wieder und wieder über meine Hand durch meine Finger läuft und ich greife danach im Traum Mama....kann es aber nicht fassen.....ich greife ins Leere.....ich werde wach davon und spüre dieses Tau.....habe dieses dumpfe aufschlagen Deiner Urne auf dem Wasser im Ohr....und sehe Dich treiben, langsam von uns weg.....
Ich habe nur entfernt wahrgenommen, dass jeder an Bord Dir Blüten oder Blumen hinterhergeschickt hat, in dieses eiskalte Wasser....Deine Urne schwamm voran, gefolgt von einem Blütenmeer.....die Sonne schien durch die Wolken und Du hast Dich stetig weiter entfernt von mir....langsam füllte sich die Urne mit Wasser, es war gut zu sehen, wie sie auf und ab getrieben wurde und mit jeder Welle etwas mehr Wasser aufnahm und mehr Tiefgang bekam......
Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, dann war es soweit Mama......Du bist auf den Meeresgrund gesunken....und ich? Ich stand da, fassungslos, von Tränen übermannt, kaum noch in der Lage zu stehen...ich habe Dich gerufen, Dir nachgesehen....kein Blick mehr, kein Wort mehr....keine Antworten mehr von Dir....Leere, Dunkelheit, Stille.....
Mama, mein Herz fühlt sich so an, als hätte sich das Tau um selbiges gelegt und zieht es immer tiefer hinunter zu Dir....Du fehlst mir unendlich sehr Mama...Was mache ich jetzt ohne Dich? Ohne die Frau, die mich immer geliebt hat, egal was ich auch angestellt habe, egal, welche Fehler ich gemacht habe?
Ich hoffe Mama, dass alles so war, wie Du es Dir gewünscht hast. Und ich hoffe sehr, dass alle Lieben, die vor Dir schon gegangen sind, auf Dich gewartet haben, Dich empfangen haben. Als wir die Stelle umkreist haben, an der Du auf den Grund gesunken bist Mama, da habe ich Dir etwas zugeflüstert, Du wirst es sicher gehört haben, trotz dem Maschinenlärm. Mama, das was ich Dir sagte, das kam aus tiefstem Herzen und das wird sich nie ändern, das wird immer bleiben Mama, ohne Dich wäre ich nicht, ich bin und bleibe unter Deiner Flagge.....
Mama ich liebe Dich, gute Reise und hab eine gute Zeit, wir sehen uns wieder, ganz sicher und dann kann uns nichts mehr trennen. Gib mir nur ein bisschen Zeit, es kommt der Tag, der uns wieder vereinen wird. Ich behalte Dich im Herzen, Dich und Dein unbeschreiblich liebevolles Wesen....alles was Du mir beigebracht hast behalte ich in mir und versuche mein Leben so weiterzuleben, wie Du es gewollt hättest, ich bemühe mich, Dich stolz zu machen Mama....schwimm nicht so weit raus Mama....es wird kälter da draußen......vergiss mich nicht....ich liebe Dich!
20.01.2016 10:39 •
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