Mama?
Puh, ja, ich weiß, es ist lange her, dass ich mich melde, tut mir leid. Vorweg liebe Mama, Nik geht es besser. Die Inkontinenz ist quasi nicht mehr vorhanden. Es lag wohl doch am Verlust den er durch Dein Fortgehen erlitten hat. Passt jetzt vielleicht nicht, aber ehrlich? Ich bin froh, dass er inkontinent geworden ist durch den Verlust und ich nur viel weinen musste und muss, so gesehen hab ich also durch Deinen Verlust das kleinere Übel erwischt was die Folgen angeht.
Gut, soviel also dazu. Jetzt zu dem, was Du nicht sehen kannst Mama. Weißt Du, seit Du weg bist ist es Winter ohne Eis und Schnee, nur in mir, niemand sonst kann es sehen. Alle Visionen meines Lebens liegen in Scherben auf dem Boden und verrotten dort wie ein Leichnam....ich habe aber für mich einen Weg gefunden, aufzustehen und meinem Schicksal entgegen zu gehen Mama. Es wird Dich freuen, dass die Fremdenlegion keine Option mehr ist für mich, aber das weißt Du ja schon, dazu bin ich schon zu alt, die nehmen nur Leute die beim Eintritt höchsten 39 1/2 Jahre alt sind. Insofern kann ich Dich also beruhigen.
Sei mir nicht böse, dass ich trotzdem alles zurücklasse, alles und jeden, ausgenommen Nik. Meinen Arbeitsplatz habe ich, wie Du ja weißt, bereits gekündigt. Ich werde den Verkauf von allem vorantreiben und dann, sei mir nicht böse, das letzte Bisschen in meinen alten Seesack packen und schauen, dass ich anheuer und in nordische Gefilde übersetze. Dort versuche ich dann auf einen Eisbrecher zu kommen und kann vielleicht so mein neues Leben finden. Nik nehme ich selbstverständlich mit. Ich meine hey, er ist ein Schlittenhund und es wird Zeit, dass er Schnee lieben lernt oder? Wann ich mich dazu entschlossen habe? Als ich zuletzt an der Nordsee war.....
Ach Mama, es gibt hier nichts mehr was mich an diesem Ort hält und weißt Du, die angebliche Zuneigung unter unserer Spezies ist doch nur geheuchelt. Letztlich ist doch jeder nur bestrebt sich seinen Platz herzurichten, ein Häuschen zu haben, ein schöneres Auto als der Nachbar usw. Das brauche ich alles nicht Mama, das wesentliche haben wir verlernt zu erkennen und zu sehen fürchte ich. Da möchte ich nicht mehr mit machen. Ich nehme mich raus aus der Gleichung und erkenne jeden Tag, dass ich um glücklich zu sein nichts brauche. Die Erfahrungen die ich machen durfte bisher mit unserer Spezies Mama haben mich gelehrt, dass der Einzige, auf den ich mich 100% verlassen kann, jetzt, nachdem Du weg bist, nur noch ich bin. Es reduziert sich auf das Wesentliche und das Gute ist, das Wesentliche, was wirklich wichtig ist, passt in einen Seesack und in mein gefrorenes Herz. Vermissen kann ich Dich egal wo ich bin und mit Dir reden kann ich egal an welchem Ort Mama. Das was mir wichtig ist, ist nicht an einen Ort gebunden.
Bevor ich aufbreche Mama, melde ich mich sicher nochmal. Jetzt muss ich sehen, dass ich alles materielle was mich zurzeit noch bindet loswerde. Dafür habe ich noch 6 Monate Zeit, weil ja dann erst meine Kündigung greift, also krempel ich die Ärmel hoch und pack es an. Ich denke an Dich und ich erinner mich an Dich, in Liebe
Dein Sohn....und mach Dir keine Sorgen Mama, alles wird gut!