@ysabell
Ich bin heute zwar schon reichlich ermüdet, aber ich will dennoch noch einmal versuchen, etwas vertiefter zu erklären, was ich meine.
Es gibt natürlich viele verschiedene Arten von Liebe und Zuneigung, sowohl vom Wesen als auch von der Intensität der Gefühle her. Man kann die Kinder lieben, die Eltern, die Geschwister, Freunde, Haustiere oder überhaupt Tiere, den Wald, Gemälde, Gedichte, bestimmte Sänger, Maler, Autoren (die auch auch schon lange tot sein können).
Zudem gibt es eine seelische, eine geistige, eine körperliche Liebe (und Angezogenheit).
Das alles stelle ich keineswegs in Abrede. Allerdings habe ich mich bei dem, was ich geschrieben habe, stets auf die Paarliebe bezogen, wenn man es einmal so nennen will, also auf das, was Menschen zu einem festen Paar werden läßt. (Auch dafür gibt es natürlich wiederum unterschiedliche Motive; die Haustierchen des Herrn Lugner etwa werden weder in geistiger noch in seelischer, noch in körperlicher Liebe zu ihm entflammt sein, unterstelle ich nun einmal.)
Im Idealfall sind sowohl eine seelische als auch körperliche als auch geistige Anziehung und Liebe vorhanden, mögen sie auch unterschiedlich gewichtet sein. Ich behaupte aber, ohne geistige oder seelische Anziehung würde man noch auskommen, nicht aber ohne körperliche (ich rede vom Anfang der Beziehung). Ist keine körperliche Anziehung vorhanden, so kann man natürlich andere Arten von Beziehungen führen, aber es wird keine Paarbeziehung zustande kommen in der Art, wie sie allgemein verstanden und auch gelebt wird.
Nun gehöre ich allerdings zu jenen, die sich gerne auch widerlegen lassen. Kein Problem. Aber nur durch tatsächliche Erfahrungen und nicht durch bloße Vorstellungen. Es kann in diesem Fall ja auch jeder und insbesondere jede entsprechende erhellende Feldversuche unternehmen. Also sich ein Kerlchen bzw. ein Weibchen anlächeln, sich annähern, zarte Bande knüpfen, eine Beziehung eingehen und dann aber jede säksuelle Aktivität oberhalb der Kußgrenze verweigern. Und das nicht nur bei den ersten Dates, sondern meinetwegen ein Jahr lang. Und dann würde ich gerne wissen, wie die Beziehung sich gestaltet hat. Sollte das jemand machen und ein Jahr erfolgreich so durchziehen, so bitte ich um Rückmeldung und ein abendlich-nächtliches Symposion dazu.
Auch in der negativen Ausführung läßt sich recht leicht zeigen, welche Rolle der S. für eine Beziehung bzw. schon für das Zustandekommen einer Beziehung spielt.
Eifersucht entsteht nicht (außer im völlig kindischen Fall), wenn der Partner mit anderen spricht, weggeht, Tennis spielt, tanzt, ja nicht einmal, wenn daneben eine tiefere geistige oder seelische Freundschaft besteht (überhaupt, wenn diese schon bestanden hat und damit keine Gefahr gewittert wird). Sondern die schlägt nur dann mit aller Vehemenz zu, sobald es um S. (mit jemand anderem) geht.
Desgleichen bei einer Trennung: Was sind die schlimmsten Schreckensvisionen, die einen nach einer Trennung heimsuchen und unter Umständen, kommt man nicht davon los, regelrecht vernichten können? Es ist nicht, daß der oder die Ex mit jemand anderem Golfspielen gehen oder in den Brunnen fallen könnte.
Es gäbe noch vieles, das in aller Deutlichkeit auf die zentrale Bedeutung von S. hinweist. Aber ich möchte es einmal bei diesen Beispielen belassen.
Es ist ja nicht so, daß ich (Paar-)Liebe etwa nur für einen Bluff halten würde, und ich weiß auch, daß sich diese Paarliebe aus den verschiedensten Komponenten zusammensetzt, aus so vielen, daß es gar nicht möglich wäre, daraus die sozusagen reine Liebe herauszudestillieren. Nähe, Vertrautheit, Geborgenheit, Gemeinsamkeiten, ähnliche Ziele, Zusammengehörigkeitsgefühl und und und. Aber was eben immer und unfehlbar dabei ist, ist eben S., zumindest am Anfang (und geht er später flöten, geht meistens auch die Beziehung flöten oder die Leutchen frustriert es bis zum Dauerschüttelfrost). Wobei es natürlich sein kann, daß dieser dem einen wichtiger ist als dem anderen, ja es kann sogar sein, überhaupt im späteren Verlauf, daß man sich auf S. dem anderen zuliebe einläßt (nach dem Dazugehör-Motto).
Aber ich kann ehrlichen Herzens sagen, daß mir noch keine einzige Paarbeziehung untergekommen ist, in der es nie S. gegeben hätte und das auch gar nie Thema war.
Und gerade für Männer scheint mir dieses Triebmotiv schon gar nicht das unwesentlichste zu sein (und Frauen werden das auch wissen). Ein Heimbuff ist eben die weitaus bequemste Lösung. In diesem Fall wird das sogar von der Bibel bestätigt, an jener Stelle, wo erläutert wird, warum es die Ehe zwischen Mann und Frau geben soll.
Allerdings verstehe ich voll und ganz, was Du meinst. Und ich kann sogar sagen, ich war zu früheren Zeiten sehr romantisch und liebesidealistisch, durch und durch, beseelt von Liebesträumen und -sehnsüchten, wie sie zur Zeit der Minne vorgekommen sind.
Nur wird man ja im Lauf des Lebens unweigerliche mit der Realtität der Dinge konfrontiert, mit dem Kern dieser Angelegenheit (und ich rede hier durchaus nicht von mir allein, sondern ich habe darüber mit vielen Leuten beiderlei Geschlechts Gespräche geführt, mit Frauen bei weitem mehr als mit Männern, nebenbei gesagt). Obwohl ja auch bei mir fallweise noch anderes, Früheres aufgeflammt ist. Zu meiner Ex etwa habe ich in der Kennlernphase gesagt, ich würde sie auch lieben, wenn wir nie S. haben könnten, und das war mein voller Ernst.
Ich kann mich z. B. noch sehr gut an ein Gespräch erinnern, daß ich noch zu idealistischen Zeiten mit einer Frau geführt habe. Dabei ging es genau um dieses Thema, und ich habe damals, sehr vehement sogar, einen ganz ähnlichen Standpunkt wie Du vertreten. Damals war ich Mitte 20, die Frau ein paar Jahre älter als ich. Sie war eine Biologin, die aufgrund dieser Wissenschaft viel in der Welt herumgereist ist und oft wochen-, fallsweise auch monatelang von zu Hause weg war. (Kennengelernt haben wir uns allerdings über die Astronomie; ich hatte sie einmal für ein paar Tage eingeladen.) Im Verlauf eines unserer Gespräche ging es zunächst darum, wie das denn zu verbinden sei: viel durch Welt zu reisen und eine Partnerschaft zu haben (sie hatte einen Lebensgefährten). Sie meinte sinngemäß, es sei nicht immer so einfach, aber es bliebe andererseits die Spannung erhalten, und immer, wenn sie nach Hause komme, fielen sie gleich, gewissermaßen noch im Flur, übereinander her. Was mich zu der Frage veranlaßte, ob es denn auch eine Liebe darüberhinaus gäbe (also jenseits des Säksuellen), wovon ich ja überzeugt war damals. An die weiteren Einzelheiten kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, aber jedenfalls kam es über diese Frage dann in weiterer (brieflicher) Folge zum totalen Zerwürfnis. Weil sie eben meinte, ohne Säks stelle sich eine Liebesfrage ja gar nicht, ich aber darauf beharrte, daß es doch auch jenseits dieses Triebhaften eine viel tiefere und bedeutsamere Liebe geben müsse.
Wenn Du nun sagst, es gebe in der Geschichte ja auch Menschen, die auch für gleichgeschlechtliche Freunde Heldentaten vollbrachten: Ja, natürlich gab und gibt es das! Auch bei ganz fremden Menschen kommt das vor, wenn sie etwa in schwerer Not sind. Oder auch einem Haustier gegenüber. Aber hier steckt ja doch etwas anderes dahinter als Liebe. Einen völlig Fremden, der ins Wasser gefallen ist, rettet man ja nicht deshalb, weil man ihn liebt. Das hat mit Zugehörigkeit zu tun, persönliche Zugehörigkeit, Gruppenzugehörigkeit, in solchen Notsituationen die Zugehörigkeit als Mensch (oder bei Tieren auch als Lebewesen). Jedenfalls muß man dazu nicht notwendig lieben.
Aber etwas ganz anderes dazu noch, in Zusammenhang mit den gleichgeschlechtlichen Heldentaten. Die alten Griechen haben das ja sogar - durchaus auch aus militärischen Gründen - richtiggehend kultiviert. Die Knabenliebe, für die es ganze Schulen gab, stand auch in einem viel höheren Ansehen als die Liebe zwischen Mann und Frau, die praktisch, von der Mythologie abgesehen, kaum eine Bedeutung hatte und in keinem guten Ruf stand. Hier wurde also diese Liebe sehr zweckmäßig noch gefördert, auf daß der Zusammenhalt auf Leben und Tod gestärkt werde.
So, und ehe es mir die Birne komplett verdreht, mache ich besser einmal ein bißchen Urlaub!
Eine gesegnete Woche!
08.10.2018 04:01 •
x 5 #651