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Der lange Weg des Scheiterns - Lernen durch Schmerz

ElGatoRojo
Kindheit im sozialen Milieu von Handwerksmeistern (Vater und Onkel von Mutterseite). Unausgesprochen schon als Kind die Erwartung, den Shop zu übernehmen. Selbstwert durch Funktionieren. Auch, wenn die Athmosphare eigentlich liebevoll und freundlich war, war doch schon Erwartungshaltung da. Deutlich. Ein eigentlich umfassendes Beurteilungssystem - wie macht er sich? In dieser Beurteilungsschleife nicht nur das Kind, sondern auch, wie die Eltern es mit ihm hin bekamen. Und das wechselseitig. Mutter hatte 4 Geschwister aus diesem Milieu. Vaterfamilie dagegen mehr gemischt und lockerer, ein paar uneheliche Geburten, eine ältere Cousine als Nachtclubsängerin. Ein Cousin des Vaters mit tollem Schrebergarten. Das war ein gewisser emotionaler Ausgleich, dort konnte man sich von Anforderungen erholen. Verlustangst war da eigentlich nicht - eher Respekt

Dessen ungeachtet kann man sich über die Kindheit nicht beklagen. Ein gewisser Stolz auf eigene Leistungen kann ja durchaus zum Selbstwert beitragen, auch wenn man zu ihnen aufgefordert wird. Es kommt dann irgendwann der Punkt, an dem man sich von den Erwartungen lösen muss. Hätte ich einen Elektriker- oder Klempnerbetrieb übernehmen müssen, hätte ich es wohl getan, aber das väterliche Handwerk lag mir nicht. Ich weiß, ich habe ihn enttäuscht. Er hat mir nie nach außen gegrollt, da war er fair und er hat meine Berufswahl akzeptiert. In den Momenten, wo man andere enttäuscht oder weh tun muss, um selbst klar zu kommen, merkt man dass sich nie alles konfliktfrei lösen läßt. Selbstwert duch Behauptung ergänzt dann den Selbstwert durch Funktionieren. Das letztere bleibt aber weiterhin, wenn man das einmal verinnerlicht hat.

Es gibt dieses bürgerliche Milieu, wo der höchste Wert Verläßlichkeit ist und wo Abweichungen davon gut begründet sein sollten. Prägt letztlich auch später das Denken in emotionalen Liebesbeziehungen - und kann zu Vernachlässigung der Kommunikation führen, weil man glaubt, das läuft schon so.

Ich war froh, eine Frau gefunden zu haben mit einer gewissen Unbekümmertheit. Hat Vorteile. Die Konzentration auf das Konkrete erspart viel emotionale Herumeierei. Das Leben kann einfacher sein und die Gefühle durchschaubarer und deutlicher. Als Mann eine Erleichterung. Die Kommunikation ist direkter (allerdings auch manchmal rauher). Vieles ist liberaler, beliebiger, manchmal chaotischer und man kann sich leichter einigen, weil vieles als nicht so wichtig angesehen wird.

Auch ein paar Nachteile: Den verinnerlichten Selbstwert ihres Partners durch Funktionieren nahm sie als Beifang gern mit und nutzte das gern aus. Weil sie hübsch war (und es in gewissem Sinne immer noch ist) ist sie sich ihres Wertes bewußt und hat Erwartungen, die nicht gern diskutiert werden. Das hat nichts mit Prinzessin zu tun, sondern dem eigenen Selbstwertgefühl, das auf einer ganz anderen Basis beruht. Junge hübsche Frauen wissen, dass sie begehrte Objekte sind und verinnerlichen das als Selbstwert offenbar ganz anders als Männer,

09.08.2021 23:28 • x 3 #796


I
Guten morgen ihr Lieben,

ich danke euch herzlich für eure Geschichten! Einiges kommt mir bekannt vor und lässt mich sehr nachdenklich zurück.

Zitat von ElGatoRojo:
Die 10 peinlichsten Momente des Lebens - auch später wird man darüber nie innerlich lachen können. Gut, fast alle haben keine praktische Bedeutung mehr und andere Leute mögen sie längst vergessen haben oder diese Menschen kennt man nicht mehr. Aber sie nagen am Rande des Bewußtseins immer am Selbstwert.


Auf 10 erinnernswerte Vorfälle bringe ich es wohl noch nicht. Es sind tatsächlich auch nie Vorfälle gewesen, die besonders bedeutsam waren und die anderen Beteiligten erinnern sich bestimmt nicht daran. Aber wenn ich mich an diese Momente erinnere, dann spüre ich die damaligen Empfindungen, wie tiefe Scham, kurz sehr intensiv und muss die Gedanken bewusst wegdrängen. Vielleicht würde es tatsächlich helfen, diese Vorfälle und Gefühle mal bewusst zu sezieren, um meinen weiteren Isno-Anteilen auf die Spur zu kommen.

Zitat von Ampelmännchen:
Einfach leben und das Leben im Fluss sein lassen? Stehe ich mir nicht selbst im Weg und raube mir Zeit wenn ich mich seziere?

Im Fluss habe ich sehr lange gelebt jetzt - aber eben immer nur so lange wie keine offensichtlichen Störungen dieses Flusses absehbar waren. Irgendwann bricht dann weiter hinten ein kunstvoll gebauter Staudamm, oder das Boot bekommt einfach zu viele Löcher und dann fällt das Ignorieren schwer.

Sich selbst nicht zu hinterfragen birgt in meinen Augen die Gefahr, die Verantwortung für negative Ereignisse komplett auf die Umwelt abzuwälzen und dadurch zu verbittern. Weil ALLE böse oder schuld sind und man irgendwann nur noch ein verbittertes Opfer ist.


Zitat von Ampelmännchen:
Generell behaupte ich über mich, dass mein Selbstwert nicht so klein ist, ich mich anderen gegenüber behaupten und meine Meinung vertreten und auch durchsetzen kann wenn´s mir wichtig ist. Nur wenn mir weibliche Personen emotional sehr viel bedeuten funktioniert das weniger gut.

Zitat von Ampelmännchen:
Zeige dich gefällig damit Mama dich lieb hat.

Auch das ist mir bekannt. Ich schätze mich mittlerweile doch schon auch als relativ offen und selbstbewusst ein. Doch wenn es um Liebe geht, dann bin ich sofort wieder dabei mich selbst aufzugeben, ohne es zu merken.
Ich erkenne es zwar, relativiere aber viele meiner vorherigen Standpunkte zum Leben. Ich ertappe mich sogar dabei zu denken wenn ich jetzt nur wüsste, was ich am besten sagen oder tun sollte, damit er mich mag. Dann wäre es viel einfacher.
Es geht mir gar nicht draum, mich bewusst zu verstellen oder so. Es fühlt sich an, als wäre es für mich völlig okay. Als wären alle Anteile in mir und könnten ausgelebt werden und ich warte nur auf die bewusste Eingabe was gerade gewünscht ist...

Wirklich erschreckend. Sobald jemand liebevoll meine Hand nimmt, mich küsst, bin ich im Grunde schon so verzaubert und high, dass ich mein vorheriges Leben vergessen habe und für alles offen bin, hauptsache ich kann den Zustand aufrechterhalten.

Auch was @ElGatoRojo schreibt, hat mir viel zu denken gegeben. Ich hoffe, ich kann mein Leben einmal ähnlich gelassen überblicken. Ohne Schmerz, aber vor allem ohne Reue.
Was mir hier bewusst wird ist, dass ich als Kind zwar immer daran gescheitert bin, den Anforderungen -vor allem meiner Großeltern- gerecht zu werden, es aber auch nie versucht habe.
Ich galt als träge und faul, weil ich mich gar nicht erst bemühte. Erst jetzt wird mir klar, dass ich das auch deswegen getan habe, weil mir keine wirklichen Parameter vorgegeben wurden.
Es gab keine Ziele, keine konkrete Erwartung an mich. Nur die Tatsache, dass ich SO wie ich war, nicht richtig war und irgendwie besser sein müsste...
Selbst Dinge, auf die ich wirklich stolz sein kann - nie und nimmer wäre ich auf den Gedanken gekommen, dafür in meiner Familie Anerkennung einzufordern. Ich habe meine eigenen Erfolge relativiert. Weil ja immer klar war, es wäre noch besser gegangen.

Erst so langsam beginne ich, meine eigenen Paramter festzulegen. Das führt auch dazu, dass mir schnippische Kommentare wie na, das machst du ja eh wieder nicht weil du Sonntag lieber ausschläfst ect. seitens meiner Großmutter eher ein lachendes ja, stimmt entlocken; statt die tiefe Verweiflung wieder mal nicht richtig zu funktionieren.

Ich habe so lange in einem Umfeld der Missbilligung gelebt, mir sogar einen langjährigen Partner gesucht der mich -weitab von der Familie- das gleiche Grundrauschen hat empfinden lassen.
Es ist wirklich gut, dass das jetzt ein Ende hat.

Zitat von Blümle72:
Ich hätte auch gerne diese Unbekümmertheit, komisches Wort, Zufriedenheit trifft es besser.

Naja, Zufriedenheit kann man erlangen, trotz des Wissens über sich selbst und der Arbeit, die man in sich steckt. Unbekümmertheit - frohes in die Welt gehen ohne nachzudenken, empfinde ich irgendwie als etwas anderes und beschreibt damit für mich auch etwas vollkommen anderes. Um unbekümmert zu sein, muss man eine gewisse Art von Charakter haben, das gelingt nich jedem. Zufriedenheit sollte aber ein für alle erreichbarer Zustand sein, denke ich.
Zufriedenheit dank/trotz Reflektion wäre doch ein gutes Ziel

10.08.2021 07:59 • x 4 #797


A


Der lange Weg des Scheiterns - Lernen durch Schmerz

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ElGatoRojo
Zitat von Isnogud:
Vielleicht würde es tatsächlich helfen, diese Vorfälle und Gefühle mal bewusst zu sezieren, um meinen weiteren Isno-Anteilen auf die Spur zu kommen.

Diese peinlichen Momente zu analysieren, bringt mich immer auf den Punkt, dass man in manchen Situationen schlicht unvorbereitet und überfordert ist. Danach ist man schlauer - bringt aber nichts mehr. Ist ja selten, dass so eine Situation sich wiederholt und man das Erkannte dann positiv anwenden könnte. Vermutlich muss man einfach damit leben ohne sich viel darum zu kümmern. Damit sind wir wieder bei den Unbekümmerten, die einfach darüber hinweg gehen. Beneidenswerte Menschen. Ich kann das nicht. Äergere mich beispielsweise noch heute über eine katastrophal verlaufende Gehaltsverhandlung im Jahre 1964.
Zitat von Isnogud:
Weil ja immer klar war, es wäre noch besser gegangen.

Es gibt Menschen, die Perfektion anstreben. Sicher, viele Ergebnisse unserer Zivilisation waren nur möglich, weil Menschen diesem Drang nach Perfektion nachgegangen sind. Aber da erfahrungsgemäß die letzten 5 % der Perfektion deutlich mehr Mühe und Arbeit kosten als die ersten 95 %, mit denen man durchaus zufriedenstellede Ergebnisse erreicht, ist der Verzicht auf die letzten Grade der Perfektion eine Frage der Aufwandsökonomie. Der normale Mensch wird sich die letzten 5 % Perfektionsgrad (außerhalb von bezahlter Arbeit) nur in Ausnahmefällen antun.

So kann man auch den Druck von sich nehmen. Heißt denn aber auch, einen Selbstwert soweit zu haben, dass man ein gewisser laisser-faire für sich zuläßt und notfalls Kritik daran an sich abperlen lassen kann.(Triviales Beispiel: Ein Auto zu fahren unterhalb der realen Gehaltsklasse). Man muss nicht alle Anforderungen anderer an sich erfüllen. Das zu vertreten bei erlerntem Funktionieren für die Menschen der Umgebung bedingt irgendwann eben auch Momente des Widerstandes gegen diese Anforderungen. Dann in Liebe, Frieden und Freundschaft mit anderen Menschen zu leben ist manchmal ein schmaler Grat. Verlustangst und Selbstwert stehen ja in dynamischer Wechselwirkung. Lernen durch Schmerz ist dann die eben bittere Erfahrung und Scheitern in gewissen Situationen das zu akzeptierende Ergebnis.
Zitat von Isnogud:
Um unbekümmert zu sein, muss man eine gewisse Art von Charakter haben, das gelingt nich jedem.

Wenn nicht angeboren, so wohl in der frühen Kindheit erworben? Als junger Mann habe ich verwundert festgestellt, mit welcher Unbekümmertheit und ausgetrahlter Sicherheit junge hübsche Frauen agierten. Langhaarige blonde Engel wie aus einer anderen Welt. Nicht dass sie arrogant oder unnahbar gewesen wären - aber eben wie etwas Schwebendes. Später hat man dann festgestellt, dass auch diese Wesen einfach nur Frauen waren.

Selbstwert junger Männer gegenüber Frauen ist ein eigenes Kapitel - zu dem es ja unzählige Literatur als Gedicht, Roman und sonst etwas gibt. Dieser Prozeß hat aber vermutlich erhebliche Auswirkungen noch Jahrzehnte für das Verhältnis eines Mannes zu Frauen - vermutlich ebenso viel oder sogar mehr als irgendwelche emotionale Festlegungen in der Kindheit.

10.08.2021 10:02 • x 3 #798


Ampelmännchen
Zitat von Isnogud:
wenn ich jetzt nur wüsste, was ich am besten sagen oder tun sollte, damit er mich mag. Dann wäre es viel einfacher.

Genau dieses Muster habe ich an mir immer und wieder mal festgestellt. Getrieben von Verlustangst, Angst vor Ablehnung und Konfliktscheue habe ich mich immer sehr bedacht ausgedrückt. Worte gewählt oder Erklärungen von mir gegeben, die immer ein wenig Interpretationsspielraum ließen oder mir die Möglichkeit gaben, meine Aussagen relativieren zu können. Das ist furchtbar anstrengend und baut Druck in einem auf.
Interessanterweise fiel mir auf, dass ich dieses Verhalten nur Frauen gegenüber an den Tag legte, die zumindest nach außen dominanter schienen. Verbale und geistige Überlegenheit war sicher nicht das Problem. Es ist eher mit Hunden zu vergleichen. Der Schnuffwuff mit kleiner Schnute stellt den großen Rüden mit der Schnauze im Garagentorformat durch sein Wesen an die Wand und macht ihn unterwürfig.
Es scheint also tatsächlich so zu sein, dass diese Frauen Wesenmerkmale zeigen, die meiner Mutter ähneln und mich meine Verhaltenmuster abrufen lassen.
Zitat von Isnogud:
Es geht mir gar nicht draum, mich bewusst zu verstellen oder so. Es fühlt sich an, als wäre es für mich völlig okay.

Und da es sich mittlerweile um antrainierte und von Erfolg gekrönte Muster handelt, fühlt es sich vermutlich genau deshalb in diesen Momenten okay an. Bis zu dem Moment, in dem sich die emotionale Nähe zu dieser Person auflöst und man bereit ist, in der Reflektion sein Tun aus der Dritten Person zu begutachten.
Und genau da nimmt das Chaos dann seinen Lauf. Vielleicht nicht bewusst, aber man erkennt, dass man in genau diesen Momenten nicht der Erwachsene gewesen ist sondern sich wie ein kleines Kind verhalten hat und dadurch eine große Schuld mit daran trägt auf Augenhöhe abgerutscht zu sein. In diesen Momenten greifen dann erneut alte Muster der Selbsterniedrigung. Als kleiner Junge habe ich schon dazu geneigt, alles das was ich konnte oder gut machte, herunterzuspielen. Das ist ja nichts besonderes. In den Momenten, in denen ich traurig, verzweifelt, bitterlich am weinen war weil es daheim Streit gab und meine Mutter zornig mit mir gewesen ist, zerstörte ich Zeichnungen von mir. Riss sie durch um mich zusätzlich meiner Fehler wegen zu bestrafen und zum Anderen der Ungerechtigkeit wegen.
Zitat von Jetti:
Meine bisherige Therapie war eine Verhaltenstherapie, sinnvoll zwar, aber setzt eben nur an den Symptomen an.
Gründe bzw. Ursachen zu betrachten, war eher wenig gefragt.

Das ist vermutlich genau das Problem. Ich kann mein Verhalten zwar erkennen aber ich kann ja nicht richtig etwas daran ändern wenn ich den Grund dahinter nicht verstehe und nicht erkennen kann.
Heute noch spielt Harmonie, Gerechtigkeit, sich entschuldigen können eine sehr große Rolle für mich weil diese Themen mich von klein auf negativ begleitet haben. Lange sah ich nicht, dass es mir schwer fiel mich zu entzuschuldigen. Dachte nie darüber nach ob ich unfair anderen gegenüber wäre. In den letzten Jahren hat sich das geändert je mehr ich über mich und meine Vergangenheit nachgedacht habe. Die Fragen was ist mir widerfahren und möchte ich das so weiterleben?.
Heute achte ich darauf möglichst gerecht zu sein und mich zu entschuldigen. Manchmal vielleicht auch zu sehr. Der Wunsch nach Harmonie aus eben meiner Bedürftigkeit heraus ist nun der nächste Baustein.
Zitat von Jetti:
Nur das ich sogar versuche, möglichst Streit oder Unstimmigkeiten zu vermeiden. Inzwischen klappt es etwas besser, oft ärgern mich allgemeine Vorurteile oder Bewertungen. Da gehe ich die Konfrontation dann auch ein.
Unsere persönliche Ebene ist aber nach wie vor schwierig zu besprechen.

Ich zwinge mich fast schon dazu genau dieses eben nicht mehr zu machen. Natürlich möchte ich aus Mücken keine Elefanten machen aber wenn ich merke, dass mich etwas stört, dass ich verletzt bin dann nehme ich meinen Mut zusammen, denke mir, dass ich eben nicht mehr das kleine Kind bin sondern als Erwachsener meine Rechte habe und es mir zusteht meine Meinung zu vertreten und gehe in den Konflikt. Aber anders als meine Mutter mich das mit Beschimpfungen und laut werden lehrte.
Sachlich. Ruhig. Es funktioniert zuweilen ganz gut. Bis auf die Angst die es noch abzuschalten gilt. Das Gespräch mit meiner Mutter zu führen und ihr meine Erinnerungen mitgeteilt zu haben war ein guter Schritt.
Er war auch mutig weil es nicht das erste sondern bereits das zweite Mal gewesen ist, mit ihr darüber zu sprechen.
Zitat von Jetti:
Wie hat Deine Mutter darauf reagiert? Du erwähntest mal, dass Dein Vater Dir sehr nahestand. Wie präsent war er in Deiner Kindheit?

Das erste Mal Jahre zuvor war es sehr emotional und nach anfänglicher Verständnis ihrerseits folgten Tage später ein Herunterspielen und Vorwürfe. Letztes Jahr war ich sehr ruhig. Nutzte keine Aggressionen. Ich machte ihr keine Vorwürfe und teilte ihr mit, dass ich ihr deswegen nicht böse sei weil sie selbst eine sehr junge, teilweise überforderte Mutter fernab ihrer Heimat gewesen ist und aus einem Haushalt kam, in dem es laut zuging und die Hand auch mal ausrutschte.
Ich wollte keine Entschuldigungen von ihr weil ich mir diese selber ja schon gesucht hatte. Ich wollte nur ihr Ohr um es an der richtigen Stelle loszuwerden. Sie gestand mir gegenüber tatsächlich ein, vielleicht Fehler gemacht zu haben. Fehler, die einem selber nicht bewusst waren. Fehler, die man beging weil man seine eigene Erfahrung aus der Kindheit mit sich nimmt.
Ich wechselte im Anschluss das Thema auf etwas Lustiges und wir sprachen nie wieder darüber. Das tat gut. Es war, als fiele mir etwas vom Herzen was schon Jahrzehnte da drauf drückte.
Vielleicht lag ihre sanfte Reaktion an der neuen Tatsache Witwe gewesen zu sein und sie ebenfalls deshalb aus Angst vor dem Alleinsein harmoniebestrebt war. Ich weiß es nicht. Für mich selber möchte ich mir das auch nicht kaputtdenken.

Durch die typische Rollenverteilung in den Siebzigern/Achtzigern war mein Vater nie so präsent unter der Woche. Er las meiner Schwester und mir noch aus Büchern vor während wir im Bett lagen. Unternahm Dinge mit uns am Wochenende. Schwimmbad, Radfahren und so weiter. Meine Mutter war oftmals nicht dabei. Bei manchen kann ich mich auch nicht mehr erinnern ob sie zugegen war. Ihr Gesicht sehe ich in meinen Erinnerungen fast nie. Ist eher mit einem Grauschleier belegt.
Wenn es zuhause tagsüber Senge und Motze gab, wurde man anschließend in sein Zimmer abkommandiert mit der Androhung warte ab bis dein Vater nach Hause kommt, dann kannst du nochmal was erleben!. Klar saß man mit Angst in seinem Zimmer und wartete auf sein Unheil. Das trat aber nie ein weil mein Vater, selbst übel verprügelt in seiner Kindheit, dies seinen Kindern nie antun wollte und es auch nicht tat.
Auch wenn es mir gerade echt schwer fällt darüber zu schreiben, würde ich trotzdem gerne ein wenig ausholen. Vielleicht passt es hier rein. Vielleicht tut es gerade auch einfach nur gut, dass loszuwerden auch wenn da gerade die Tränen rollen.
Zwischen meinen Eltern und mir gab es einst einen großen Knacks während ich mich in meiner längsten Beziehung befand. Wir distanzierten uns sehr von einander. Ganz unschuldig war ich daran nicht. Ich zog von heute auf morgen aus und bei meiner Ex ein und begab mich von einer Abhängigkeit in die nächste.
Mein Vater erlitt Jahre später ein Aneurysma im Kopf, wurde berufsunfähig, rappelte sich zum Glück auf, blieb aber körperlich und geistig ein klein wenig gehandicapt. Das Geld wurde knapp und das EFH umgebaut um das OG vermieten zu können. Er tat dies alles alleine. Mich bat er selten um Hilfe und wenn er es tat, verweigerte ich diese mit teilweise dummen Ausreden.
Als es zur Trennung nach 13 Jahren kam, standen meine Eltern mir zur Seite. Ich kaufte mir ein Reihenhaus, baute über zwei Jahre mit der täglichen Unterstützung meines Vaters um während ich bei ihnen im Keller unterkam. Beiden bin ich heute dafür sehr dankbar. Er und ich aber kamen uns dadurch wieder sehr nahe. Mein Vater war Handwerker und half mir in den folgenden Jahren immer wieder bei Umbauten. Für ihn war es selbstverständlich. Auf mich hielt er immer große Stücke seit diesen Tagen weil ich mich in seinen Augen sehr zum positiven verändert hätte, ihm nun auch bereitwillig und sehr gerne half und sehr viel von ihm gelernt hätte. Ich tat diese Worte immer ab. So sehr stand ich nicht hinter mir und hielt mich immer nur für seinen Handlanger.
Das letzte Mal sahen wir uns an einem Samstag und ich bin glücklich, dass wir nicht wie die Wochen zuvor nur gemeinsam in meinem Garten gearbeitet haben, sondern im Garten saßen und gemeinsam Eis aßen und uns unterhielten. Ich nahm ihn in den Arm und bedankte mich für alles. Brachte ihn nach Hause. Montag morgen ging er fort.
In den Monaten danach brachte ich die Beerdigung trocken hinter mich, tröstete alle anderen aus seiner großen Familie, stand meiner Mutter zur Seite ohne jemals eine Träne vor ihr zu verlieren, setzte mich der Trauer alleine zuhause aus, brachte Arbeiten isoliert zuhause alleine zu Ende und versuchte mich handwerklich an Neuem und sah, dass er mit vielem Recht hatte über mich. Ich kann stark sein und habe viel gelernt. Ich bedaure es heute noch, seine Worte immer abgetan zu haben weil ich weiß, dass es ihn immer ein wenig verletzt hat und fühle mich heute noch schuldig ihm nach seiner Krankheit nie so geholfen zu haben wie er mir immer selbstverständlicherweise half.
Wie manch andere Dinge auch in meinem Leben konnte ich etwas nicht wieder gut machen. So ist meine Denke.
Zitat von Isnogud:
Auf 10 erinnernswerte Vorfälle bringe ich es wohl noch nicht. Es sind tatsächlich auch nie Vorfälle gewesen, die besonders bedeutsam waren und die anderen Beteiligten erinnern sich bestimmt nicht daran.

Auf zehn Dinge komme ich wohl auch nicht aber eins dieser Dinge ist das eben Geschriebene. Ich bin hart und unfair mir selbst gegenüber und hab Schwierigkeiten mir mein Verhalten ihm gegenüber zu verzeihen.
Zitat von Isnogud:
Sich selbst nicht zu hinterfragen birgt in meinen Augen die Gefahr, die Verantwortung für negative Ereignisse komplett auf die Umwelt abzuwälzen und dadurch zu verbittern. Weil ALLE böse oder schuld sind und man irgendwann nur noch ein verbittertes Opfer ist.

Da hast du recht. Andererseits bin ich ein Mensch der dadurch verbittern kann weil er sich selber viel zu viel die Schuhe anzieht und zu sehr hart mit sich ins Gericht geht. Ich plediere hier immer dafür, die anderen mögen milde mit sich selbst sein. Wenn ich mir aber an die eigene Nase fassen möchte scheinen die Arme oftmals zu kurz zu sein. Wobei ich auf einem guten Weg, das weiß ich für mich schon und es tut gut und darum möchte ich auch an deiner Aussage für mich selber feshalten:
Zitat von Isnogud:
Zufriedenheit dank/trotz Reflektion wäre doch ein gutes Ziel

Jedem guten Freund würde man ja auch raten, denke über dich nach, sei milde und verständnisvoll zu dir und mit jedem Reflektieren wird eine Isno mit einem tollen weiteren Upgrade was sie zufriedener machen wird entstehen.
Zitat von Jetti:
Mit mir als Jetti, die mit 13 Jahren aufhörte zu essen, schaffe ich das noch nicht. Kann mir nicht mehr erklären, was damals mit mir los war, finde keinen Zugang.

Das stelle ich mir auch schwierig vor. Mit 13 gerät die Welt ja so schon völlig aus den Fugen und man versteht sich selbst ja kaum. Man rebelliert und sucht gleichzeitig Anerkennung. Will Erwachsen und gleichzeitig Kind sein. Wenn dir dann das Urvertrauen zu deinen Eltern gefehlt haben sollte, äußert sich Protest vielleicht durch die Verweigerung der Nahrungsaufnahme. Das Aufzulösen ist sicher nicht leicht.

10.08.2021 10:48 • x 2 #799


Jetti
@ElGatoRojo
Zitat von ElGatoRojo:
bedingt irgendwann eben auch Momente des Widerstandes gegen diese Anforderungen. Dann in Liebe, Frieden und Freundschaft mit anderen Menschen zu leben ist manchmal ein schmaler Grat.

Das ist wunderbar auf den Punkt gebracht.
Im Prinzip weiß man ja, dass man all die Anforderungen der Anderen gar nicht erfüllen müsste. Aber man tut es trotzdem bis zu einem gewissen Grad, auch um gemocht zu werden, dazuzugehören...Oder weil man sich nicht stark genug fühlt, dem entgegenzutreten. Ich finde es für mich immer wieder schwer, eine Grenze zu ziehen.
Auf der anderen Seite versuche ich von mir aus, keine Anforderungen an andere zu stellen. Keine übermässigen Erwartungen zu haben. Wenn ich etwas für jemanden getan habe, und das im besten Falle auch noch gern, dann erwarte ich nicht, dass der Andere mir zu Dankbarkeit verpflichtet ist. Klar ist es schön, wenn etwas zurückkommt, aber ich darf und sollte mich nicht beklagen, wenn es ausbleibt.
Ich möchte eben nicht Dinge, die ich im zwischenmenschlichen für mich schwierig finde, gegenüber anderen nicht selbst ins Spiel bringen. Ist aber auch gar nicht immer einfach, sich von Erwartungen zu lösen.

Zitat von ElGatoRojo:
Aber da erfahrungsgemäß die letzten 5 % der Perfektion deutlich mehr Mühe und Arbeit kosten als die ersten 95 %, m

Hier musste ich schmunzeln. Tatsächlich wollte ich ganz oft die 100% erreichen ( auch abseits bezahlter Arbeit), aber bin regelmäßig daran gescheitert. Diese Prozent/Zeit- Rechnung ist mir auch schon mal irgendwo begegnet, und der Gedanke daran lässt mich inzwischen (oh Wunder!) wirklich etwas von der 100 abrücken.

10.08.2021 16:09 • x 1 #800


Jetti
@Isnogud
Zitat von Isnogud:
Als wären alle Anteile in mir und könnten ausgelebt werden und ich warte nur auf die bewusste Eingabe was gerade gewünscht ist...

Ich denke, ich verstehe das, und verstehe es doch nicht.
Sicher, man hat viel mehr in sich, als man oft von sich glaubt. Und die Liebe kann das zum Vorschein bringen.
Aber trotzdem ist man ja auch das noch, was man vorher war. Und noch viel mehr dazu. Kann man denn dauerhaft dem entsprechen, was gewünscht wäre?
Vielleicht muss ich darüber noch ein wenig nachdenken....

Zitat von Isnogud:
Ich hoffe, ich kann mein Leben einmal ähnlich gelassen überblicken. Ohne Schmerz, aber vor allem ohne Reue.

Oh ja, Gelassenheit, dieser Wunsch steht bei mir auch ganz weit oben.
Bereuen tue ich ja jetzt schon einiges, da werde ich also ohne Reue nicht mehr davonkommen. Aber vielleicht gelingt es mir, dass ich mir das Falsche irgendwann selbst verzeihe. Und damit zu leben.

10.08.2021 16:24 • #801


I
Zitat von Jetti:
Sicher, man hat viel mehr in sich, als man oft von sich glaubt. Und die Liebe kann das zum Vorschein bringen.
Aber trotzdem ist man ja auch das noch, was man vorher war. Und noch viel mehr dazu. Kann man denn dauerhaft dem entsprechen, was gewünscht wäre?

Ich weiß selbst noch nicht so genau wie ich meine Aussage am besten auf den Punkt bringe.
Es ist nicht so, dass ich mich bewusst verstellen muss, eher dass ich dann teilweise sehr flexibel bin, viele Facetten in mir habe... mhm... die dann aktiviert werden.
Z.B. hatte der letzte Typ jetzt Philosophie studiert und ich begann damit Podcasts zu hören und habe mir heute 2 Bücher bestellt.
Ohne ihn wäre ich da jetzt so nicht drauf gekommen. Es interessiert mich, aber ich hätte damit jetzt nicht aus alleinigem Antrieb begonnen...
Ich passe mich da schnell meinem Umfeld an - wenn ich etwas finde was ich grundsätzlich interessant finde.
Ich gehe alleine nie wandern, hätte ich jetzt einen Partner, wäre ich sofort dabei.
Es geht jetzt nicht so weit dass ich komplett gegen meine Natur handeln würde und z.B. eine techno-party besuche oder so...

Das bin ja alles irgendwie ich... Aber ohne Partner lebe ich vieles nicht so aus.

Aber jetzt bin ich erst mal im Biergarten, den Altweibersommer genießen.
Habt einen schönen Abend!

10.08.2021 16:42 • x 2 #802


Jetti
@Ampelmännchen
Deine Texte über die Beziehung zu Deinen Eltern finde ich sehr berührend, auch weil ich einiges davon wiedererkenne, was bei mir ähnlich ist.

Noch habe ich beide Elternteile. Sie sind in einer schwierigen Situation, und trotzdem kann ich ihnen nur begrenzt helfen. Möglicherweise werde ich mir das eines Tages zum Vorwurf machen, eben nicht mehr getan zu haben.
Aber das was man tut oder nicht tut, erfolgt ja nicht mit dem Vorsatz, die Eltern enttäuschen zu wollen, sie zu verletzen, oder sie im Stich zu lassen. Es ist schlichtweg der eigenen Lebenssituation geschuldet.

Aus Deinem Text habe ich viele Zitate gespeichert, aber vielleicht erzähle ich stattdessen mal ein wenig von meiner Geschichte. Auch um zu zeigen, dass Du mit dem Erlebten nicht allein bist, dass es normal ist, Versäumtes zu bereuen, und mehr noch, dass selbst die Möglichkeit etwas zu tun, bewusst ungenutzt bleiben kann.

Mein Vater erlitt vor 21 Jahren eine Hirnblutung, konnte nicht mehr arbeiten und war fortan auf Hilfe angewiesen. Zuerst schien es bergauf zu gehen, verschlechterte sich aber wieder, und gerade in den letzten Jahren ging es rapide bergab. Heute ist er ein schwerer Pflegefall. Zuerst war meine Mutter noch berufstätig, aber seit 10 Jahre pflegt sie ihn rund um die Uhr.
Wir Kinder helfen zwar, wenn es notwendig ist, aber im Grunde stemmt meine Mutter die Pflege allein. Sie geht inzwischen über ihre physischen und psychischen Grenzen weit hinaus.
Wenn ich dort bin, unterstütze ich sie eher beim erforderlichen Schreibkram, beim Einkaufen, praktischen Fragen....... solche Dinge eben, die mit der Pflege nicht unmittelbar zu tun haben.

So sehr würde ich gern mit meiner Mutter über meine Sorgen, unsere ungelösten Konflikte sprechen, aber denke dann, sie nicht belasten zu dürfen.
Mit meinem Vater sind Gespräche über persönliches nicht möglich. Das war es noch nie. Er hat niemals Gefühle gezeigt, und tut es auch jetzt nicht.
Und an dieser Stelle sehe auch ich, dass er ja ein Kind seiner Eltern war, und eben dieser Zeit damals, als es nach dem Krieg um ganz andere Dinge als um Gefühle ging.
Ähnliches schreibst Du ja von Deiner Mutter. Sie hat ihre unverarbeitete Geschichte, und dies leider für sich selbst weitergeführt.....

Die Situation meiner Eltern belastet mich sehr, und doch merke ich, wie ich von dort oft regelrecht fliehe.
Irgendwann werde ich meinen Vater verlieren. Und mir dann sicher auch vorwerfen, nicht genug Zeit mit ihm verbracht zu haben, nicht noch ein paar Kreuzwort- oder Wissensrätsel gemeinsam gelöst zu haben, mit ihm über unsere Familieneschichte gesprochen zu haben. Das ist es nämlich, was wir gern zusammen machen und dabei auch zueinander finden.

Krass ist zudem, dass meine Mutter in meinem jetzigen Alter war, als mein Vater erkrankte. Unvorstellbar, müsste ich jetzt eine solche Last tragen.
Aber ich habe eben andere, für mich schwierige Sorgen. Mögen sie im Vergleich von außen weniger lebensverändernd sein, aber für mich muss ich sie trotzdem lösen.
Bin ich an dieser Stelle egoistisch?

Was ich mit all dem sagen möchte. Wir können gar nicht alle bewussten und unbewussten Erwartungen unserer Eltern erfüllen. Ich glaube zumindest, nur den Wenigsten gelingt das.

Und wenn Du schreibst, dass Dein Vater seit einem bestimmten Zeitpunkt, als Ihr zusammen handwerklich gearbeitet habt, große Stücke auf Dich hielt, mag das so sein. Aber geliebt hat er Dich vorher mit Sicherheit auch schon.
Es ist schön, wie gut Du Euer letztes Zusammensein in Erinnerung hast, und Ihr da noch einmal miteinander gesprochen habt.

Zum Schluss nun doch ein Zitat von Dir....
Zitat von Ampelmännchen:
Ich plediere hier immer dafür, die anderen mögen milde mit sich selbst sein.

Genau das ist es, was mir auch nicht gelingt. Zu mir selbst zu sprechen, wie mit einer guten Freundin. Und das vorallem auch zu glauben und anzunehmen. Milde mit uns selbst sein. Trotz allem!

Warum nur machen wir es uns soooo schwer in unserer begrenzten Lebenszeit?

10.08.2021 17:50 • x 2 #803


Jetti
@Isnogud

Zitat von Isnogud:
Aber jetzt bin ich erst mal im Biergarten, den Altweibersommer genießen.
Habt einen schönen Abend!

Danke. Genieße den Abend!
So kann das Leben (auch) sein!

10.08.2021 17:54 • x 1 #804


Snipes
Zitat von Jetti:
Warum nur machen wir es uns soooo schwer in unserer begrenzten Lebenszeit?


Das ist ein wichtige und gute Frage, nur finden die meisten keine Antwort und darauf und die, die eine finden, finden sie meist zu spät.

Oft denke ich mir, dass alles so leicht sein könnte, aber das nützt solange nichts, wie zu viele anders denken. Sich dem Leid hin- aber nicht zu ergeben ist unter anderem ein guter Weg, den man aber trotzdem aus wirklicher Überzeugung gehen muss.

10.08.2021 18:00 • x 3 #805


Jetti
Zitat von Snipes:
Sich dem Leid hin- aber nicht zu ergeben ist unter anderem ein guter Weg,

Manchmal möchte ich am liebsten aufgeben. Alles.
Weil es nur ein einziger Kampf ist. Wieder einmal.
Als im letzten Jahr dieser Mann auf mich zukam, dachte ich:
Endlich meint es das Leben mal gut mit mir. (Ich glaube ich wiederhole mich auch gerade.) Für ein paar Monate war ich im Höhenflug, und genauso lange leide ich jetzt schon, nachdem ich auf dem Boden der Tatsachen aufprallen musste.

Ich weiß, dass ich es bin, die es gut mit mir meinen muss. Aber woher nur die Kraft dafür nehmen?
Tut mir leid, aber heute ist kein guter Tag für mich.

10.08.2021 19:05 • x 2 #806


Snipes
Zitat von Jetti:
Manchmal möchte ich am liebsten aufgeben. Alles.

Genau das ist kein guter Weg, aber ich verstehe deine Gedanken. Aufgeben darf aber keine wirkliche Option sein, auch wenn es sich manchmal leichter als sich der Realität zu stellen anfühlt. Mittlerweile sehe ich das alles sehr pragmatisch und bin mir sehr sicher, dass manchmal Menschen in unser Leben treten, die uns zum umdenken und zur Veränderung zwingen. Ist ein echt übles Gefühl, denn es schwingt immer das gekränkte Ego mit, was uns vermittelt, dass wir irgendwie und irgendwo nicht gut genug sind. Das ist aber nicht so, denn wir waren und sind schon immer mehr als gut und beweisen genau das dadurch, dass wir den Mut zum Wachstum durch Veränderung haben, während der andere immer nur auf der Stelle tritt. Leben ist Bewegung, Stillstand ist der Tod. Das wir hier schreiben zeigt schon, dass wir uns bewegen und das ist sehr gut.

10.08.2021 19:16 • x 3 #807


Jetti
@Snipes
Danke.

Zitat von Snipes:
dass manchmal Menschen in unser Leben treten, die uns zum umdenken und zur Veränderung zwingen.

Ich weiß, dass diese Erfahrung viel bewirkt hat. Für mich, meine Sicht auf das Leben, meinen Weg.....
Aber trotzdem fehlt ER mir so sehr, und ich bin unendlich traurig.

10.08.2021 19:26 • x 3 #808


Jetti
Guten Morgen!
Heute früh geht es mir wieder deutlich besser als gestern Abend. Sonst ist das immer umgekehrt.
Es war nicht mein Tag. Schon auf der Arbeit kamen mir mal wieder die Tränen, aber ich hab es einigermaßen hinbekommen. Am Nachmittag zu Hause hatte ich hier ja noch geschrieben, und mir dann das Fahrrad geschnappt. Irgendwo unterwegs an einer schönen Stelle legte ich dann eine Pause ein. Saß dort im Abendsonnenschein und habe nur noch geheult. Alle Schleusen offen. Traurigkeit, Selbstmitleid, Anklage, Scham, Trostlosigkeit, das volle Programm. Der ganze Weltschmerz eben.
Später konnte ich mich dann wenigstens in den Schlaf weinen.
Alles was man in der letzten Zeit aufgebaut, die Schritte die man gemacht hat, scheinen plötzlich ganz, ganz weit weg. Aber das sind sie zum Glück nicht.
Auch Dank Euch geht es immer weiter.

So jetzt mache ich mich mal an die Arbeit, sonst gibt es hier bald einen großen Knall. Weinen will ich heute nicht. Ausserdem dürfte der gesamte Tränenvorrat für die nächsten Tage aufgebracht sein....

11.08.2021 06:29 • x 4 #809


Ampelmännchen
Zitat von Jetti:
Manchmal möchte ich am liebsten aufgeben. Alles.

Ach @Jetti das und einiges andere was du schreibst, kommt mir so unglaublich bekannt vor. Zur Zeit bemerke ich mal wieder, dass ich nach einer relativ langen Hochphase voller Aktivitäten, Kreativität und positivem Denken über mich und die Welt ins Gegenteil abdrifte und im Gesamten nur noch Sinnlosigkeit sehe und ebenfalls aufgeben mag.

Seit ein paar Tage stelle ich mir die Frage Warum oder Woher kommt´s? Was ist passiert?
Meine schlichte Antwort darauf die ich für mich gefunden habe: Sommerurlaub.
In meinem Umfeld düsen fast alle in den Urlaub oder sind mit ihren Familien zuhause und verbringen dort mit Tagesausflügen ihre Zeit. Oft wurde ich in letzter Zeit gefragt wann hast du denn Urlaub?. Achselzuckend antwortete ich keine Ahnung und bemerkte jedesmal, dass mir die Antwort zusetzte.
Ich streube mich davor Urlaub zu nehmen weil ich mich frage, wozu? Alleine Urlaub verbringen? Tat ich noch nie in meinem Leben. Fällt mir nicht die Decke auf den Kopf?
Bei diesen Gedanken wird mir dann bewusst, dass ich nicht nur alleine bin sondern mich dann sogar einsam fühle. Wenn ich diesem Gefühl und weiteren Gedanken nachgehe, merke ich wie ich innerlich teilweise vollkommen zerrissen bin und ich glaube, dass liegt zum Teil sehr viel an dem eigenem Bild was ich über mich habe.
Zitat von Jetti:
Sicher, man hat viel mehr in sich, als man oft von sich glaubt. Und die Liebe kann das zum Vorschein bringen.

Das ist sicherlich richtig. Allerdings glaube ich oder bin vielmehr überzeugt, dass es dafür keinen anderen Menschen benötigt wenn man sich selber ausreichend genug liebt und ich vermute, dass hier der Hase im Pfeffer liegt.
Ich könnte mich z.B. einer Reisegruppe anschließen - aber zur Zeit mag ich einfach keine neuen Menschen kennenlernen und fremden Menschen gegenüber tue ich mich eh anfangs immer schwer. Würde ich mich aber mehr lieben und akzeptieren wäre dem ganz sicher nicht so.
Wie du Jetti, vermisse ich regelmäßig meine Ex. Ich bin zerrissen weil ich nicht verstehe warum das so ist. Sind das trotz nach alldem womit sie mich verletzt hat immer noch Gefühle oder mache ich mir etwas vor weil nicht sie mir fehlt sondern weil irgendwer mir fehlt? Eine Person von der ich glaube, sie würde mich vollständig machen? Das Gute aus mir rausholen? Seiten in mir aufwecken?
Es geht vermutlich um nichts anderes als um Achtsamkeit. Achtsam um sich selbst.
Zitat von Jetti:
Kann man denn dauerhaft dem entsprechen, was gewünscht wäre?

Nein und genau das soll man ja auch nicht sein. Man sollte so sein wie man ist und sich selbst durch Akzeptanz selbst lieben. Wenn mir etwas an mir nicht passt, dann bin durch die Selbstliebe milde zu mir und kann versuchen etwas zu ändern. Gelingt mir dieses nicht, bin ich gütig zu mir und verzeihe mir weil ich mich selbst liebe.
Kommen andere Menschen in Partnerschaft, Beruf, Familie nicht mit mir klar, kann und darf ich die Fehler nicht nur bei mir suchen. Ich muss mich auch dem stellen, dass wir nicht mit jedem gut klar kommen können und es um unser selbst Willen kein Mensch wert ist uns zu ändern oder anders zu verhalten wenn es nicht unserem eigentlichen Wesen entspricht.
Durch meine Trennungsverarbeitung in den letzten zehn Monaten habe ich erneut erfahren was ich für tolle Freunde habe. Die sich Sorgen machten, immer ein Ohr für mich hatten und mir oft sagten, was ich für ein toller Mensch in ihren Augen bin. In manchen Momenten weiß ich regelrecht, dass sie mit ihren Komplimenten über mich recht haben. In vielen anderen Momenten setzt mir dieses Wissen, was sie von mir halten allerdings zu weil ich nicht verstehen kann, warum andere mich so sehen und ich es selber nicht durchweg sehen kann. Zerissenheit. Und diese Zerissenheit kann nur bekämpft werden wenn man täglich auf´s neue für sich einsteht und sich selber bewusst macht, dass man ein toller Mensch ist der es Wert ist von sich selbst geliebt zu werden.
Zitat von Isnogud:
Das bin ja alles irgendwie ich... Aber ohne Partner lebe ich vieles nicht so aus.

In uns schlummert so viel mehr. Neugier, Interesse, Leidenschaft, Kreativität, Intelligenz, Humor etc...dass alles kann auch ohne Partner gelebt werden wenn wir uns alleine für wichtig genug halten.
Auf einem Spaziergang führte ich mal ein Gespräch mit mir selbst und fragte mich bin ich witziger, kreativer, netter, interessanter für andere Menschen wenn ich einen Partner habe? Nein. Ich bin gut so wie ich bin.
Hier komme ich wieder auf mein kleines Kind: ich muss mich heute nicht bemühen, mich lieb und nett verhalten damit Mama mich gerne hat. Ich muss nicht aufessen um ein artiges Kind zu sein. Ich muss mein Zimmer nicht aufräumen um ein liebes Kind zu sein.
Ich muss nur ich selbst sein und ein großes Selbstbewusstsein würde das aushalten wenn sich Menschen von mir abwenden weil sie damit nicht klarkämen.
Das soll uns, mich nicht zu einem großen Egoisten machen. Das ist auch verkehrt. Ich meine gesunden Selbstwert der immer auch schaut was gesund für einen selbst ist ohne über Leichen zu gehen und mit einem gesunden Maß an Moral im Zwischenmenschlichen lebt.
Zitat von Jetti:
Aber ich habe eben andere, für mich schwierige Sorgen. Mögen sie im Vergleich von außen weniger lebensverändernd sein, aber für mich muss ich sie trotzdem lösen.
Bin ich an dieser Stelle egoistisch?

Nein, du bist nicht egoistisch. Du bist dir wichtig und kannst und darfst deine Sorgen anderer wegen nicht runterspielen. Dein Kummer ist genauso wichtig wie all der andere Kummer auf dieser Welt. Du darfst in ihm nur nicht untergehen.
Es tut mir wirklich sehr leid um deine Eltern. Meinen ist dies insofern zum Glück erspart geblieben. Du machst schon eine ganze Menge für deine Eltern und ich bin mir sicher, dass sie dir dankbar dafür sind. Wir können die Last dieser Welt nicht auf unsere Schultern hiefen und wenn Dinge oder noch mehr Dinge von dir, mir, uns erwartet werden ist dies nicht weniger egoistisch.
Sich selbst lieben, sich annehmen, sich verzeihen, dankbar sein für das was man hat und wie man ist, ist für mich die schwerste Aufgabe die einem das Leben stellen kann. Das erfordert sehr viel Disziplin und jedes einschneidende Erlebnis wirft einen immer wieder sehr weit zurück.
Zitat von Isnogud:
Ich passe mich da schnell meinem Umfeld an - wenn ich etwas finde was ich grundsätzlich interessant finde.

Anpassungsfähigkeit wurde mir seitens meiner Ex sehr negativ ausgelegt. Allerdings finde ich, dass es sich um eine sehr gute Eigenschaft handelt weil es dich zu einem offenen, aufgeschlossenen und interessierten Menschen macht. Da du nicht gänzlich wider deiner Natur handelst (Techno-Disse) kannst du dich deshalb nicht verbiegen. Formen vielleicht um ein vollkommenerer, besserer Mensch werden zu können. Durch andere Menschen Impulse zu bekommen, wenn man selber nicht auf Ideen kommen kann weil die Neugier vielleicht blockiert ist, ist doch das beste was einem passieren kann um die Welt besser kennenlernen und verstehen zu können.

Ich bin glaub ich durch mit meinen Gedanken obwohl ich mir sicher bin, nicht alle wesentlichen Dinge geschrieben zu haben, die mir beim ersten Lesen eurer Texte durch den Kopf gingen. Zu komplex und zu viele Gedanken für meinen Kopf.
Habt einen schönen Mittwoch und schön Jetti, dass es dir heute etwas besser geht.

11.08.2021 09:22 • x 2 #810


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