Ach Armin,
mich iammert das so, in welchem engen Gefängnis Du da gerade sitzt und von den eigenen Gefühlen gebeutelt wirst.
Hätte ich nen Zauberstab, würde ich Dir 2 Wochen Bootcamp bei einem Vulkanier (Star Trek) herbeizaubern.
Was mich eben beeindruckt hat, ist wie viele Details Du aus der letzten Therapiestunde mitgenommen hast. Das klingt alles sehr schlüssig.
Aber zwischen etwas kapieren und wollen und etwas können liegt halt die Stufe der Fähigkeit. Und Du kannst vieles sicherlich sehr gut und manches besser als andere. Aber dass Du die Fähigkeit zur Selbstregulation / zum Selbsttrösten und zur Emotionskontrolle / dem Aushalten negativer Gefühle hättest, wird wohl keiner behaupten..Und auf diesem Manko fußt imho die ganze Misere.
Ob Du schon seit Geburt da eine neurodiverse Gehirnverdrahtung hast, die Dir die Impulskontrolle so schwer macht. Oder ob Du als kleiner Fratz in Deinem Elternhaus so dermaßen in Nöte gebracht wurdest, dass die vorhandenen zarten Synapsen durchgeschmort sind, ist im Grunde egal. Es wirkt von außen so, als könntest Du ab einem bestimmten Punkt vor lauter emotionaler Not nicht zwei und zwei zusammen zählen. Und ich glaube nicht, dass das bei Dir böser Wille ist, sondern eben eine Art emotionale Farbenblindheit. Mit diesem Hinkebein musst Du Dich jetzt im Leben zurecht finden.
Und es macht den Eindruck, als habest Du in Deinem Leben bislang vor allem den Weg der Betäubung und des Verdrängens gewählt, um mit dem Hinkebein zurecht zu kommen. Und das geht jetzt langsam nicht mehr.
Stellen, an denen 2 und 2 bei Dir 5 3/4 ergeben:
Zitat von Armin86: Und alles in ihrem Tempo
sagst Du und hast Du verstanden und möchtest sie trotzdem am 1.7. mit einem Vorschlag wieder bewegen.
Zitat von Armin86: Und dann wäre ein Gespräch der Anfang um ihr klar zu machen das es nicht wie x mal zuvor ist
Dabei weißt Du ganz genau, dass Worte bei ihr nichts mehr zählen, nur Taten. Und dennoch soll es jetzt wieder ein Gespräch richten.
Zitat von Armin86: Ich möchte den Kippschalter wieder umschalten auf On
Und dabei weißt Du doch ganz genau, dass Du noch an Dir arbeiten musst, es noch ein langer Prozess wird, bis es Dir wieder gut geht. Und glaubst dennoch an einen Kippschalter. Und weißt im Grunde, wie widersinnig das ist, wenn Du genau drüber nachdenkst.
Aber Du KANNST halt nicht anders, weil Deine innere Not so groß ist.
Ich sehe da den gleichen Mechanismus wie bei einem Jun*ie. Als Ex-Raucher weiß ich, wie beknackt es ist, wenn das, was einen umbringt, einem wie die einzige Rettung vorkommt. Weil das Gehirn auf den Such*stoff umprogrammiert wurde.
Und Dein Gehirn scheint darauf programmiert zu sein, dass da große Trauer und Verzweiflung und Frust und Müdigkeit in Dir anschwellen, derer Du nicht Herr werden kannst. Die einzige Möglichkeit, das zu überleben, ist die Co-Regulation durch eine Frau. Diese Frau. Verwehrt sie Dir den Zugang und die Zuwendung, brechen sich die großen Gefühle als Wut ihre Bahn. Oder Du musst sie ertränken. Für eine Weile lassen sie sich auch durch erschöpfende Arbeit und die Hoffnung auf eine Belohnung in Schach halten. Aber das ist ein Pulverfass, das jederzeit hochgehen kann. Insbesondere, wenn das seit 18 Jahren verfügbare Medikament Tanja Dir droht, ihre Zuwendung zu entziehen. Das triggert alle Alarmglocken und Abwehrstoffen in Dir und Du brauchst sie umso mehr und musst sie sofort haben. Dass Du auf einem Stuhl sitzen und diese Gefühle einfach aushalten könntest, ohne auszurasten, ohne zu sterben, ohne zu Deinem Medikament Tanja zu fliehen, und dass die Gefühle dann auch wieder gehen, ist nach wie vor für Dich ein undenkbares Konzept. Über 90% der Menschen bekommen es aber genauso auf diese Art hin. Und hinterlassen dann nicht wöchentlich verbrannte Erde.
Deine Therapeutin wird mit Dir bestimmt auch daran arbeiten. Aber wenn Du auf Deiner Bude zockst und Dich ohnmächtig fühlst, kannst Du jederzeit etwas dafür tun, diesen bei Dir nicht vorhandenen Aushaltemuskel zu trainieren. Die Kontrolle über Deine Gefühle langsam zu entwickeln. Und Dir damit selbst ein Halteseil zu basteln, das Dich vor dem Abgrund rettet.
Setz oder leg Dich bequem hin. Schließ die Augen und versuche, an nichts zu denken. Wenn das noch nicht geht, atme drei Mal ganz tief und langsam durch und Versuch es mit offenen Augen, auf dem Rücken liegend, indem Du die Deckenlampe anschaust und die Zentimeter für Zentimeter mit den Augen abwanderst. Dann kannst Du sie in Gedanken beschreiben. Z.B. die Fassung ist rund und glänzt messingfarben. Die rechten zwei Drittel liegen im Schatten etc. pp. Versuch das 3 oder 5 Minuten hinzubekommen. Aber erst nach der Übung auf die Uhr schauen und Dich nicht ärgern, wenn es nur 90 Sekunden waren, die Dir wie ne Ewigkeit vorkamen.
Wenn das gut klappt, kannst Du als nächsten Schritt die Lampe anschauen und sie bewusst nicht(!) mit den Augen abwandern, sondern versuchen, durch sie hindurch zu schauen. Die Gedanken an Form, Farbe etc. der Lampe versuchst Du dann weiterzuschicken. Also: Gedanke, dass die Farbe Messing ist, kommt in Deinen Kopf. Du nimmst ihn als Gedanken wahr und schickst ihn wie eine Wolke, die Du wegpustest, weiter. Dabei kannst Du auch ruhig tief einatmen und den Gedanken auch mit langem Ausatmen wegpusten. Dann wartest Du, das beim Hindurchschauen durch die Lampe der nächste Gedanke kommt. Du lässt ihn kurz in Deinem Kopf stehen und schickst ihn dann weiter.
Zwischendurch kommen auch Gedanken an z.B. ein Zwicken in der Wade oder an das Werkzeug, das Du noch vom Auto in den Schuppen bringen wolltest. Bei Übung 1 verdrängst Du diese Gedanken, indem Du noch intensiver die Lampe abwanderst und beschreibst. Bei Übung 2 nimmst Du diesen Gedanken kurz wahr, hirnst aber nicht darüber nach, sondern schickst ihn mit einem Pusten weiter. Keine Sorge, solche Gedanken sind immer noch da, wenn Du die Übung beendet hast. Du musst den Gedanken also nicht festhalten.
Und auf diese Weise trainierst Du Deinen Gedankenkontrollmuskel wie einen Bauchmuskel. Am besten jeden Morgen und jeden Abend für ein paar Minuten. Wirst sehen, dass das wie beim Sport von Mal zu Mal immer besser geht. Wenn es Dir gut geht, klappt es besser. Wenn Du innerlich aufgewühlt bist, wird's an dem Tag schwieriger. Aber wenn es Dir dann doch ein bisschen gelingt, ist das Training an solchen Tagen umso wertvoller.
Und wenn Du richtig gut darin bist, die Gedanken kommen und gehen zu lassen wie ein Dirigent, dann kannst Du Dich daran machen, auch blöde Gedanken zuzulassen. Z.B. eine Situation, die Dir ein bisschen peinlich war. Z.B. ein offener Hosenstall in der 8. Klasse. Konzentration auf die Lampe (oder alternativ Augen zu und Kopf leer machen) und dann diesen Gedanken wie eine Trainingshantel hochholen. Es aushalten, dass Dein Körper mit uralten Schamgefühlen geflutet wird. Doch darüber wundern, dass so eine Nichtigkeit vor so langer Zeit noch so viel Macht über Dich hat. Und dann diesen Gedanken bewusst wegschicken und merken, dass Du die Kontrolle über Deine Gedanken und damit auch Deine Gefühle hast. Und dass Dir Gedanken und Gefühle im Grunde nichts antun können und keinesfalls stärker sind als Du. Weil Du sie ab jetzt mit den neuen Muskeln dirigierst und hin- und herschickst wie der Wind die Wolken.
Dann kannst Du einzelne Gefühle, die Dir zu schaffen machen, in einer ruhigen Minute hervorholen und an ihnen trainieren und sie beherrschen lernen. Und kommt dann ein Trigger von außen in Deinem Alltag, kennst Du das Anfluten des Gefühls nicht nur als Anfang eines dunklen Tunnels, sondern eben auch aus Deinen Trainingssessions als völlig ungefährliche Biochemie des Körpers, der Du Dich hingeben kannst oder sie eben auf gesunde Weise wegschicken kannst, ohne ihnen ausgeliefert zu sein.
Dann bist Du frei und nicht mehr auf Tanja oder andere Hilfsmittel und Ausweichhandlungen angewiesen. Dann steht Dir die ganze Energie, die Du täglich im Wildwasser Deiner Gefühle mit Rudern kurz vorm Abgrund vergeuden musst, als produktive Energie für Dich selber wieder zur Verfügung.
Ich wünsch mir diesen Zustand der Herrschaft über Dich selbst sehr für Dich.
Vielleicht probierst Du ja heute Abend vorm Schlafengehen mal das Abwandern und Beschreiben Deiner Deckenlampe. Schaden kann es imho nicht.