Liebe GW42, jetzt habe ich die Muße, Dir angemessen zu antworten. Vielleicht hätte ich mir in den vergangenen Tagen mal ein Notizbuch nehmen sollen, um so einige Gedankenströme, die durch meinen Kopf geflossen sind, aufzuschreiben, denn viele davon wären über eine Antwort hinaus interessante Ansatzpunkte für diesen Thread gewesen. Hier nun also absatzweise meine Gedanken zu den Themen, die Du in Deinem letzten Beitrag besprochen hast:
Für diese eine Liebe sterben, das hätte ich zwar nie so formuliert, aber anscheinend war ich dazu so lange bereit, denn ich habe mich seelisch und körperlich selbstzerstörerisch verhalten, bis ich für mich nicht mehr zu übersehen körperlich abgebaut hatte und mein Überlebenswille eingesetzt hat. Bisher habe ich den Begriff der Seelenverwandtschaft nicht benutzt, und ich bin viel zu viel Atheist und Naturwissenschaftler als dass ich überhaupt an die Existenz einer nicht-organischen Seele glauben würde, aber egal, ob es sie gibt oder nicht, das spielt keine Rolle, mit diesem Modell kann ich gut arbeiten, deshalb spreche ich hier von meinem Herzen und meiner Seele, und daher kann ich mich, besser uns, nach dem Erlebten auch mit dem Modell der Seelenverwandtschaft identifizieren. Nein, wegen ihrer Gefährlichkeit würde ich ihre Existenz nicht verneinen, aber ich muss mich doch fragen, ob ich das überhaupt noch mal will, wenn das der Preis ist. Und ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass ich mit meinem Seelenschmerzmann wohl nur ein Stadium vor Einsetzten meines Selbsterhaltungstriebes erreicht habe, bei dem ich eine Ahnung davon bekommen habe, in was für eine Hölle ich da geraten bin, ich war nur im Vorzimmer, bevor sich die Pforten hinter mir hätten schließen können – im Vergleich zu dem, was andere hier und in ähnlichen Foren erlebt haben.
Ich bin selbst nicht zufrieden mit dem Begriff Narzisst, instabile Persönlichkeit und / oder passive Aggressivität. Bereits in meinem Eingangspost habe ich ja geschrieben, dass ich ihn nicht pathologisieren will, aber eben starke Merkmale insbesondere des Narzissten bei ihm gefunden habe, aber eben auch solche, die atypisch sind. Letztendlich ist es auch egal, was ein Psychiater zu ihm sagen würde, da steckt vor allem mein Hilfeschrei dahinter, das irgendwie verstehen zu können, wie sich ein Mensch so liebevoll und so schrecklich, eben so dermaßen ambivalent verhalten kann. Dass es mich gebraucht hat, um diese zerstörenden Dynamiken freizusetzen, ist mir durchaus bewusst, und darin sehe ich auch die Gefahr für mich, wieder in solch einen Strudel geraten zu können, daher auch meine Frage an mich selbst, ob ich mir denn einen Seelenverwandten in dem Sinne überhaupt noch mal vorstellen kann – aus Selbstschutz! Was ich aus dem Wenigen, was ich Nützliches, Klärendes von ihm erfahren habe, hier aber auch nur aufgrund von geschicktem Nachfragen, hat es mich gebraucht, um das Innige, das sich Vereinende, das Zärtliche, das Bedürfnis nach Schmusen und Seelennähe in ihm zu wecken. Das kannte er vor mir nicht, aber seine früheren Freundinnen haben wohl in voller Ausprägung die geballte Negativität abbekommen, wobei er auch sagte, dass er in seiner schlechten Laune, Genervtheit, oder wie auch immer er das so harmlos benennt, mir gegenüber nicht ansatzweise so laut, aggressiv, wütend und dominant war wie sonst (das schließt auch sein Verhalten gegenüber Arbeitskollegen, Bekannten und Familienmitgliedern ein). Diese Aussagen kann ich nur so hinnehmen, dabei war ich nicht, vorstellen kann ich es mir schon. Mein Anteil lag, eben wie bei Dir, darin, diesem Verhalten rechtzeitig einen Riegel vorgeschoben zu haben und ihm damit eine Steilvorlage zu bieten. Und das hätte, rückblickend betrachtet, bereits in der zweiten / dritten Woche sein müssen, als die erste Entgleisung kam, die auch noch ein ziemlicher Hammer war. Ich denke mich manchmal in diese Stunden zurück, die so schön, so zärtlich und voller Liebe waren, und wie er dann seinen Mund aufmachte, um das Grauen ins Zimmer zu lassen, unumkehrbar, denn vergessen habe ich es nie, nur versucht zu verdrängen, erfolglos. Die einzig angemessene Reaktion damals wäre gewesen, zu sagen, das kannst Du gerne mit anderen machen, wenn Du das brauchst, in meinem Leben (!) hat das keinen Platz, und dann zu gehen ohne zu zögern, ohne mich umzusehen. Aber vielleicht hatte ich da schon mein eigenes Leben vergessen. Nun kommt diese Reaktion mit einer neunmonatigen Verzögerung und ziemlich schleppend, ich zögere und sehe mich ständig um. Für mich gab es eigentlich keinen Widerspruch zwischen der gespürten und in der Realität, im Alltag gelebten Seelenverwandtschaft. Er hat zwar davon geredet, dass er das auch will, nicht anderes, aber er war es, der es durchbrochen, zerstört hat. Hierfür hatte er die bereits von mir genannten Erklärungen, dass es doch normal sei, dass nicht immer die Sonne scheine. Zwischen nicht scheinender Sonne, also einem trüben Tag, einem Regenschauer oder eben einem alles vernichtenden Zyklon kann ich allerdings unterscheiden – er nicht.
Auch wir hatten eine parallele Fluchtwelt. Und das waren nicht nur die Momenten größter Nähe, sondern auch eine von uns erschaffene und ansonsten geheimgehaltene Phantasiewelt, wie Eltern sie oft für ihre Kindern entwickeln, aus der wir uns gegenseitig liebevolle Geschichten erzählten von zwei imaginären Wesen, die uns dargestellt haben. Auch wenn er die Entwicklung dieser Welt ebenso vorangetrieben hat wie ich, war ich meist die Erzählerin und Zeichnerin, er hat sich an mich gekuschelt und mich um eine Geschichte oder eine Zeichnung gebeten. Auch hier hat sich wohl unsere kindliche Sehnsucht nach Nähe, Geborgenheit und bedingungsloser, nicht einer Willkür unterliegender, nicht endender Lieber wiedergespiegelt. Ich habe im Gegensatz zu ihm all das zu Hause erfahren, genau wie die Ambivalenz von Illoyalität, willkürlichem Liebesentzug, Ablehnung, Abwertung, alleine gelassen Werden – meine Beziehung zu meinem Seelenschmerzmann ist also die Wiederholung dessen, und ich habe gehofft, das Steuer umlegen zu können, um meinen Urschmerz endlich zu heilen. Und er hat versucht seinen Urschmerz an mir zu heilen, in dem er all das bekommt, was er nie hatte, genau wie er durch das Ausleben seiner Aggressionen das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit seiner Kindheit endlich loswerden wollte. Aber ich bin nicht – und auch das hast Du bereits sehr richtig angesprochen – seine Mutter, weder als Liebesspender noch Bestrafungsobjekt.
Du schreibst, dass ihr beide für einander „Engel“ und „Teufel“ gewesen seid, da möchte ich gerne noch mal nachfragen, wie Du das meinst, so ganz klar ist mir das nämlich nicht, wie bei Dir die Rolle des „Teufels“ ausgesehen hat, oder meinst Du damit, dass auch die malignen Strukturen nur bei Dir zutage getreten sind?. Ich, und nur ich, nach seinen immer wiederkehrenden Beteuerungen, konnte den „Engel“ in ihm wecken, die andere Seite. Der „Teufel“ ist für ihn Normalität (und das ist wohl auch die Erklärung, warum er das alles gar nicht so schlimm findet), den musste ich nicht triggern. Umgekehrt hat es ihn nicht gebraucht, meine Fähigkeit zu lieben zu wecken und dies auch in allen Details des Lebens und des Alltag auszudrücken, habe ich bereits mitgebracht in diese Beziehung. Und selbst in den widerlichsten Situationen hat er keinen „Teufel“ aus mir herauskitzeln könnten. Ich denke, dass er genau das manchmal auch provozieren wollte, aber ich habe auf seine Angriffe weder mit Gegenaggression noch mit ähnlich stumpfen Tiefschlägen reagiert, sondern mit Verletzung, Trauer, Verzweiflung und irgendwann Flucht. All diese Reaktionen hat er weder in seinem Elternhaus erlernt noch anscheinend in seinen früheren Beziehungen (dort war die Partnerin entweder verzweifelt-aggressiv und hat mit Tellern geworfen oder war vollkommen passiv, wohl weil sie es selbst normal fand).
Dein Mängelexemplar ist wohl wesentlich reflektierter als mein Seelenschmerzmann, er gibt es zwar alle Mühe, aber diesen Grad an Klärung, den ihr miteinander habt besprechen können, den wird es bei uns mangels Einsicht seinerseits, nicht geben.
Unbeholfen hast Du Dich nicht im Geringsten ausgedrückt, Deine Sprache ist schön, analytisch, bedient sich Metaphern, zeugt von einem hohen Bildungsgrad und Intelligent, Empathie sowieso. Danke. Ich verstehe das, was Du sagst sofort, als ob Du mir der korrelierenden Frequenz meine Saiten zum Schwingen bringst.
Mein Dank für Deine nicht selbstverständliche Mühe ist Dir sicher. Ich freue mich von Dir zu lesen, egal was. Wenn es zu anstrengend ist, schreib mir doch nur, dass Du es gelesen hast. Und mein Dankbarkeit richtet sich auch an alle anderen, die sich die Zeit genommen haben, das zu lesen.
Ich werde später oder morgen noch etwas zur aktuellen Situation schreiben.