Hallo KaterCarlo,
ich versuche mal, deine Situation anders zu entschlüsseln, als das bisher getan wurde. Als jemand, der es gewohnt ist, wissenschaftlich zu arbeiten und zu denken, ist dir vielleicht schon der Begriff des „Konstruktivismus“ begegnet. Es ist eine Philosophie, die sich mit den „Realitäten“ oder auch „Wahrheiten“ beschäftigt. Was mich daran so fasziniert ist, dass – wenn man dieser Philosophie folgt - jeder Mensch seine eigene Wahrheit hat und in seiner eigenen Realität lebt. Der „radikale Konstruktivismus“ geht sogar so weit, dass es gar keine objektive Realität gibt. Es kann ganz spannend sein, sich da mal reinzulesen.
Vor diesem Hintergrund ist also die Situation, in der du dich befindest und die du geradezu bedrückend schilderst, deine eigene Realität. Alles ist genau so, wie du es schilderst, es macht keinen Sinn, das in Frage zu stellen oder aus einer anderen Sicht betrachten zu wollen. Denn du bist nun mal mitten drin in dieser Realität. Sie ist REAL, anfassbar und bedrückend. Viele der Vorschläge und Gedanken, die hier aufgeschrieben sind, könnten von dir also so verstanden werden, dass du etwas falsch siehst. Denn in Wahrheit – also aus der Sicht einer „objektiven Realität“ – geht es dir und euch ja hervorragend. Millionen würden es sich so wünschen, wie ihr lebt und wenn du das einsiehst, verändert sich ja vielleicht schon etwas….
Diese Betrachtungsweise bringt dich leider nicht weiter, sondern könnte sogar dazu führen, dass du bedauerst, hier geschrieben zu haben. Wenn man sich mehrfach erklärt und rechtfertigt, bringt einen das ja nicht zu einer anderen Sichtweise, sondern man beginnt zu resignieren und bewegt sich rückwärts auf eine Wand zu, die man irgendwann erreicht hat. Das erzeugt Fluchttendenzen. Und das wäre deprimierend. Das brauchst du nicht, denn deprimiert bist du schon. Vielleicht ist es sogar eine beginnende Depression, aber das müsste ein Arzt diagnostizieren.
Meine These, die auf dem Konstruktivismus beruht, hat zunächst den Sinn, dich da abzuholen, wo du bist. Du bist mitten in einer tatsächlich bestehenden REALITÄT, es ist real, dass deine Frau überlastet ist mit der älteren Tochter. Es ist real, dass es kaum noch Freunde gibt, die euch einladen. es ist auch real, dass du durch dein Hüftleiden kaum noch Sport machen kannst und dass dich das zusätzlich auch körperlich „lähmt“. Und vieles mehr. Es wäre Unsinn, das in Frage zu stellen.
Jetzt aber wird es interessant. Denn diese Realität wurde ja nicht von Gott geschaffen, sondern sie wurde von dir „erschaffen“, unter maßgeblicher Mitwirkung deiner Frau zwar, aber letztlich in der ganz subjektiven Realität, hast du sie selber erschaffen. Du bist und warst Schöpfer deiner Wahrheit, deiner Realität und deines Status Quo. Das impliziert keine Schuldzuweisung oder Ähnliches, aber das auferlegt dir letztlich selber die VERANTWORTUNG für den Status Quo. Du selber hast erschaffen und zugelassen. Und dabei bist du vielleicht auch manchmal einen leichteren Weg gegangen, weil der schwerere Weg einfach nicht so naheliegend war. Und das hat zum Status Quo geführt, zur aktuellen Realität.
Wenn du die aber selber erschaffen hast, dann kann es nur einen einzigen Menschen geben, der die Möglichkeiten hat, etwas daran zu verändern, etwas anderes zu erschaffen, etwas was für dich und deine Familie besser ist, was sich leichter ertragen lässt. Etwas, in dem du dich immer mal wieder an kleinen Glücksmomenten festhalten und erfreuen kannst. Denn „Glück als Dauerzustand ist von der Schöpfung nicht vorgesehen“, soll Herr Freud mal gesagt haben. Wenn du es aber schaffst, kleine Glücksinseln für dich und bestenfalls auch für deine Frau zu finden oder zu „erschaffen“, dann verändert sich genau in diesem Moment auch deine subjektive Realität. Sie ist nicht festgeschrieben, sie ist wandelbar. Ein und derselbe Zustand kann aus dem Blickwinkel einer neu gefundenen Realität besser aussehen und sich besser anfühlen. Kannst du mir insoweit folgen? err Freud mal gesgat haben
Dann wäre meine nächste Frage, wo genau du solche Glücksmomente suchst oder gesucht hast. Oder hattest du schon ganz damit aufgehört sie zu suchen? Es kann also lohnen, sich auf den Weg nach solchen Momenten zu machen, die können manchmal nur Sekunden oder bestenfalls Minuten dauern. Aber wenn du es dir zur Angewohnheit machen könntest, abends mit deiner Frau zusammen solche „Sekunden“ wieder sichtbar und fühlbar zu machen; wenn ihr euch fragen könntet: „Wann hast du, wann habe ich, wann haben wir, heute etwas wirklich Schönes erlebt“, dann werden aus den Sekunden plötzlich gemeinsame Minuten, in denen ihr etwas Schönes in eure Realitäten hinein holen könnt, dass die ganze Realität verändert, wenn auch nur etwas.
Es scheint spärlich, was ich da schildere. Nun ja, es wird nicht gleich einen Bergrutsch geben. Aber wenn man erst einmal einzusehen beginnt, dass man Schöpfer seiner eigenen Realität ist und auch eine andere erschaffen kann, dann geht es genau um diese kleinen überschaubaren Schritte, die aus dem Hamsterrad heraus führen können. Welche das genau sein könnten, das weißt du besser als jeder Schreiber hier, mich eingenommen.
Zum Schluss sei kurz erwähnt, dass auch ich mich etwa in deinem Alter in einer vergleichbaren Situation befunden habe. Sie schien unlösbar. Aber Genaueres dazu nur auf der Privaten Ebene.
Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig helfen. Viele Grüße
16.11.2025 14:18 •
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