Zitat von Winza: Aha. Ein ganzer Katalog von Diagnosen ist für dich Schwachsinn.
Ich glaube, Du jast nicht ganz verstanden, worum es mir hier geht. Nämlich darum, dass man (wer immer das ist) jeden Zustand, jedes Verhalten, jede individuelle Auffälligkeit oder Abweichung von einer jeweils festgesetzten Norm mit irgendeiner Aufschrift versehen kann, die wiederum irgendeine Krankheit oder Störung beurkunden soll. Anders gesagt: Was nicht der (willkürlich festgesetzten) psychologischen DIN entspricht, wird mit einem Etikett versehen und katalogisiert.
Nun lässt es sich nicht ernsthaft bestreiten, dass diese Norm immer enger und der Katalog immer dicker geworden ist.
Früher, um ein krasseres Beispiel anzuführen, gab es etwa die Diagnose (was ja nichts anderes heißt als durch Erkenntnis oder durch Urteil) Hexe. Heute gibt es diese Erkenntnis nicht mehr, zumindest nicht in unserer Kultur.
Dafür hat sich allerhand anderes angesammelt im immer dicker gewordenen Handbuch für ausgewählte Friedenspsychorichter - und das wird vom allgemeinen Publikum auch noch munter, teilweise sogar triumphierend weiterposaunt wie in einem lustigen, wenn auch stumpfsinnigen Rausch.
Zu meiner Zeit gab es etwa weder ADHS noch Borderline noch narzisstische, histronische, emotional instabile, antisoziale usw. Persönlichkeitsstörungen. Und wenn jemand nach einem schweren Verlust mehr als drei Tage getrauert hat und in jedem Sinne in Schwarz herumgegangen ist, wurde eine Depression nicht einmal vermutet, sondern wäre es nicht so gewesen, hätte man, wenn auch nicht fachlich katalogisiert, eher einen miesen Charakter vermutet.
Es gab auch keine Red Flags, kein Ghosting, kein Gaslighting, keine Red-, Blue- oder Schweinchenrosa-Piller usw. und somit auch keine Erkenntnis-Piller und Psychodramatiker. Und ob Du es glaubst oder nicht - die Menschen haben dennoch gelebt, und das wesentlich besser als heute.
Es ist durchaus erlaubt, zumindest noch, mal darüber nachzudenken, warum wir denken, wie wir denken. Mal nachzudenken darüber, warum wir urteilen, wie wir urteilen, aus dem schwer beschränkenden Gefängnis der Definitionen heraus, die eben Definitionen sind und nicht etwa der Weisheit vorletzte Schlüsse. (Es gibt zu diesem Thema übrigens ein erhellendes Video auf Youtube, das ungefähr Michel Foucault in 60 Minuten heißt.)
Und ja, abschließend gesagt, für mich sind diese Kataloge des unrechtmäßigen Seins Schwachsinn, genau aus diesen angeführten Gründen. Es sind sprachliche Filzläuse, die sich in das Denken und Reden (und damit letztlich auch Empfinden) gemütlich eingenistet haben.
Der Mensch ist Vielfalt (oder Diversität, wie man heute sagt), und warum man diese Vielfalt durch diesen ja selber kranken, irrsinnsgekeimten Psychologismus immer noch weiter dezimieren will, wahrscheinlich bis zum punktuellen Hohlkopfurtierchen mit eineinhalb Gehirnwindungen, das leuchtet mir zwar ein, aber bleibt dennoch - für mich - etwas, das mit allen Mitteln zurückgewiesen und bekämpft werden muss. Denn etwas Gutes wird das nicht bewirken und das gedeihliche Zusammenleben der Menschen, auch mit jenen der ausgefalleneren, seltenen Arten, noch mehr ruinieren. Und vielleicht landen wir dann gewissermaßen in einer Kehrschleife ja wieder bei den Hexen und Hexern, die die Psychoreligion auf den allgemein akzeptierten Scheiterhaufen verheizt unter dem Jubel der konditionierten Masse, die dabei vielleicht alle ihre Redflags belustigt schwenkt.