Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört.
So ist es mit dem Verstände. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint.
(von Kleist)
Du hast weinend zu mir gesagt, dass das doch nicht sein kann, dass du mich verletzt, nur weil Dir etwas eingeredet wurde, was überhaupt eigentlich gar nicht deine Meinung ist.
Und ganz verzweifelt hast du hintendran gefügt, dass das ja überhaupt das Problem sei!
Das Problem sei nicht, dass du deine eigene Meinung nicht sagen könntest, das Problem sei, dass du überhaupt erst gar keine hättest!
Weißt du noch, was meine Freundin Dir gesagt hat, als du sie gefragt hast, wie man mich verstehen kann?
Sie hat Dir gesagt: Kannst du nicht. Wirst du nicht. Weil sie ganz sicher drei Schritte weiter denkt als du.
Ich wusste schon immer, dass das eines unserer hauptsächlichen Probleme sein würde.
Weißt du, was schlimm ist?
Ich WUSSTE, dass du mich fürchterlich verletzen wirst.
Man kann auf dich nicht bauen.
Dein Anliegen ist es, niemanden zu verletzen, auf möglichst kleinen Sohlen zu gehen, aber überall, wo das kollidiert, wirst du zum Spielball und irgendjemanden verletzt du so immer.
Sie hat dich gefragt, was ich denn mit alledem zu tun hätte und ich finde diese Frage allein so ungerecht.
Zutiefst.
Weil offensichtlich genau diese Leute NIE das Gefühl hatten, irgendwas damit zu tun zu haben.
Aber das hat man.
In dem Moment, wo man in jemandes Leben tritt.
Immer.
Es kann gar nicht anders sein.
Du hast dazu gesagt, dass du vorher doch nie gelebt hättest.
Du hättest nicht gewusst, dass einfachste Dinge Spaß machen können, dass man dabei lachen kann und sich freuen.
Dass alles für dich bisher nur Pflichterfüllung war.
Mir hast du gesagt, dass ich dich besser kennen würde, viel mehr von dir wissen, als jeder andere, dass du das Gefühl hattest, mir Dinge sagen zu können, ohne dass ich dich verurteilen würde.
Aber du knickst ein, bei einem Krach.
Du knickst weg. Du hältst es nicht aus.
Weil du kein Fundament hättest, auf dem du stehen könntest.
Es gibt keines, irgendwie bist du zerrissen, der Grund und Boden, auf dem du stehst, wackelt.
Du hast mir heute geschrieben, dass du jedes Mal weinen musst, wenn du nur diesen Gedanken hast, dass, wenn du alles anders gemacht hättest, wir jetzt glücklich wären. Dass du das alles nicht akzeptieren kannst.
Und ich sage dir was: Das kann ich auch nicht.
Ich kann es nicht, es geht nicht.
Ich habe es versucht, aber alles daran fühlt sich falsch an, alles ist nicht richtig so.
Du hast gesagt, dass das vielleicht daran liegt, weil das so groß war, was wir hatten, dass wir vielleicht alles damit verbinden.
Das ist süß. Aber so ist es nicht.
Ich weiß auch, dass es nicht so ist.
Du wirst mich noch hundert Mal verletzen.
Du wirst jedes Mal wieder ein Ding bringen, von dem mir Leute sagen, dass das gar nicht geht.
Und heute habe ich lange darüber nachgedacht.
Auch, was meine Freundin mir gestern gesagt hat.
Die andere.
Die Böse.
Dass ich ja leider halt dieses Problem hätte, den Leuten noch immer in die Augen gucken können zu wollen.
Ich weiß gar nicht, warum sie das tun.
Ich weiß es ehrlich nicht, denn ich bekleckere mich nicht mit Ruhm.
Ich raste aus, wenn ich ausraste, ich bin verletzt, wenn ich verletzt bin, ich kann fies und gemein sein.
Aber irgendwann habe ich gedacht, dass ich eines nie bin: Oberflächlich.
Ich kann solche Beziehungen nicht, auch Freundschaften nicht und ich habe nie verstanden, wie man so leben kann.
Zehn Jahre so aneinander vorbei leben.
So ohne Bezug zueinander .
Ohne den ehrlichen Wunsch an einer Teilhabe am Leben des anderen.
Nichts fragen, nichts sagen, es sei denn, es betrifft noch die kleine Ebene, die man zusammen hat.
Über so viele Jahre.
Eine Trennung stand nicht zur Debatte, das war in meinem Kopf gar nicht angelegt, dass man das könnte, oder dürfte, das war einfach gar kein Gedanke in meinem Kopf, das kannst du nicht verstehen, das KANN man auch nicht verstehen.
Sowas sagst du dann.
Ich kann es nicht verstehen.
Ich kann es nicht nachfühlen.
Aber ich kann es nachvollziehen.
Und dann hast du drei Jahre versucht, dich irgendwie raus zu wursteln.
Immer drum herum.
Immer allein, nie ganz ehrlich zu irgendwem.
Zu niemandem.
Das ist ja eigentlich die Sache.
Zur eigenen Familie nicht.
Zu Freunden nicht.
Einfach zu keinem.
Irgendwie wie sie.
Meine nette Freundin.
Fassungslos habe ich manchmal da gesessen, wenn sie mir dazu nur sagte, dass sie ja nie mit jemandem reden konnte, der alles weiß, alles immer nur bruchstückhaft, immer nur alles gelogen, irgendwie.
Fragmente erzählt, anderes weg gelassen.
Ich frage mich immer, wie man das aushalten kann.
Ohne jemanden, der den gesamten Zusammenhang überblickt und ohne jemanden, dem man sein Gefühlsleben erzählen kann.
Das kann ich nicht verstehen.
Und das hast du auch nicht verdient.
Du verdienst einfach nicht, in was du dich selbst da einsperrst.
Ich weiß, es ist genau das Dilemma, was du selbst letztens so ausgesprochen hast:
Das traurigste ist, ich könnte alles kaufen.
Ich könnte dir morgen ein neues Auto hinstellen und dir einen Garten holen und all das.
Aber du würdest nicht einen Fuß da hinein setzen.
Und willst gar nicht sehen, dass ich das FÜR UNS mache.
Und nicht für dich oder für mich.
Und damit hast du Recht.
Und ich habe auch Recht.
Wir beide haben Recht.
Du auf grün und ich auf irgendeiner anderen Farbe.
Und beides ist die Wahrheit.
Du kannst nicht damit umgehen, es mit dir selbst aushalten zu müssen.
Für DICH selbst etwas zu überlegen, was DIR Spaß macht. Was DIR hilft.
Was DU willst.
Du brauchst jemanden, auf den du das projizieren kannst.
Und ich bin ein denkbar schlechtes Objekt.
Egal, was du drauf wirfst, es kommt in einer anderen Farbe zurück.
Ich weiß.
Ich weiß es, weil ich es ja provoziere.
Es ist anstrengend.
Schon in Kleinigkeiten.
Aber anstrengend ist ok.
Es wäre ok.
Wenn es nur die Kleinigkeiten wären.
Aber so ist es nicht.
Dein ganzes Leben ist so aufgebaut.
Als ich mal mies zu Dir war, da hast du mich gefragt, was du denn dann für mich warst.
Es wäre einfach gewesen.
Ich hätte es dir sagen können.
Du warst der, der mich nicht in sein Leben integrieren wollte.
Du warst der, der alle Leute nur anlügt.
Du warst der, dem ich eigentlich ganz egal bin.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Du bist auch der, der mich, egal wie viel Streit wir hatten, niemals abgewiesen hat, wenn ich ihn in den Arm nehmen wollte.
Das ist nichts Entscheidendes.
Ich weiß.
Aber du hast das kein einziges Mal gemacht, du hast mich immer, einfach immer in den Arm nehmen WOLLEN.
Du warst auch der, bei dem ich immer eine Gänsehaut bekommen habe, wenn er mich angefasst hat.
Der, bei dem ich dachte, ich hab was am Ohr, wenn er mir das Gesicht gestreichelt hat, weil einfach ein Rauschen da war, in meinem Ohr. Das hatte ich noch nie.
Du warst auch der, den ich selbst jetzt anrufen könnte mit einem Problem und der eine Lösung finden würde über zwanzig Ecken und über Bekannte, die dir einen Gefallen schuldig sind.
Du warst der, der immerhin versucht hat, über seinen Schatten zu springen.
Der an irgendeinem Punkt mal versucht hat, alles ins Reine zu bringen und der es dann gelassen hat.
Du bist beides.
Du bist nicht nur grün und es wäre schade, wenn du das niemals sehen könntest.
Am Ende....
Ach je, das Ende.....
Ich glaube, du bist so ein Mensch, an dem ich mich aufreiben muss.
Abreiben.
Bis ich (fast) dran kaputt gehe.
Glaub mir, ich weiß das.
Ich sehe das ganz genau und ich denke hundert mal am Tag an dieses Gedicht, dessen Ende ist:
Und wenn ich mich gemartert von dir wende, spielt um die Lippen dir ein müder Zug.
Der lächelt stumm: ich kenn ja auch das Ende.
Wies immer kommt: mit Ekel und Betrug.
Aber wir kennen doch auch das Ende....
Wir alle beide kennen es.
Aber du siehst es in grün.
Und ich in irgendeiner anderen Farbe.