Zitat von thegirlnextdoor: Ich sehe da keinesfalls zwingend einen Widerspruch. Schließlich hat sich unser Intellekt auf der Basis unserer Grundnatur wie du es nennst entwickelt und kann nicht vollständig losgekoppelt davon betrachtet werden.
Ich möchte einmal versuchen, verständlich zu machen, was ich meine.
Ja, ich gehe davon aus, dass S. und Lusterfüllung den Kern einer Beziehung ausmachen. Das behagt vielleicht nicht allen, vielleicht empfinden sie S. (nach wie vor) als etwas Entwürdigendes, keine Ahnung. Jedenfalls fehlt mir hier schon einmal die Offenheit. (Wann gilt denn, beispielsweise, ein Date als gelungen? (Wobei es natürlich erst einmal auch einige Dates nacheinander sein können.))
Und es ist nun einmal so, dass sowohl Männer als auch Frauen gewisse Vorstellungen, Vorlieben, anatomische Voraussetzungen (wussten etwa die Inder schon sehr früh und differenziert) und Vorschwebungen usw. haben. Wenn nun etwa eine Frau die Neigung zu dieser erzitternden Hingabe hat wie ein erlegtes Reh und dann steht so ein Männlein mit Zauderschwänzlein vor ihr, dann wird das halt nichts werden, in hundert Jahren und nach tausend Liebesschwüren nicht. (Und wenn ein Mann lediglich die Durchschnittsgröße zu bieten hat, die man angebenen findet, so würde ich gleich einmal abraten davon, eine (Liebes-)Beziehung auch nur zu versuchen, will er nicht von vorne bis hinten gerädert werden.)
Das macht alles ja noch nichts. Was mich aber bisweilen noch leicht aufregen kann, ist, dass die Dinge eben nicht deutlich ausgesprochen werden, nicht bald einmal etwas gesagt wird wie: Tut mir leid, aber du bringst es nicht für mich, sondern das hier etwas ganz anderes, im Endeffekt wirklich Nervtötendes zu laufen beginnt.
Man lernt sich also kennen, verliebt sich womöglich ineinander, gibt sich allerlei Illusionen hin, hat den Kern, den ich meine, entweder noch gar nicht ausreichend erprobt oder, weil man eben gefühlsmäßig schon ausgeufert ist, ignoriert die Dinge, verschiebt sie auf später, hofft auf Besserung im Lauf der Zeit, denkt sich vielleicht gar, S. sei (angesichts dieser Gefühle) ja doch nicht so wichtig usw.
Und dann hat man also eine Beziehung, und der Kern dieser Beziehung ist faul, oft von Anfang an. Und was geschieht dann? Springt man doch noch rechtzeitig ab? Manchmal vielleicht, aber sehr oft eben nicht. Sondern man bleibt, obwohl die wesentlichen Grundlagen eben gar nicht gegeben sind, zusammen. Und dann setzt das ein, was mir ein gewisses Ärgernis ist. Die Kernfäule dieses Liebesapfels wächst gewissermaßen immer weiter nach außen in die Peripherie, in die Nebensächlichkeiten, und dann passt dieses nicht und jenes nicht, es wird zu spät oder zu früh gegessen, der Lampenschirm ist nicht sauber genug, der Besen steht nicht ordnungsgemäß in der Besenkammer, er oder sie hat plötzlich einen unmöglichen Schlurfgang, niest nicht in den Ellenbogen, sondern in die Hand, ist überhaupt mehr oder weniger deppert, mehr oder weniger lebensunfähig, bringt nichts zustande, einfach zu dumm zu allem usw. Und manche schaffen es ja sogar, sich dieses Desaster auch noch das ganze Leben lang zu geben bis hin zur endgültigen Verbitterung.
Darum geht es doch! Dass ein ignorierter Fehlgriff, ignoriert vielleicht auch noch aus Verliebtheitsgründen, das gesamte Leben ruinieren kann. Oder zumindest schwer an einem rütteln kann. Mittlerweile hat sich da vielerorts ja schon ein richtiges Spezialistentum entwickelt, das dann den irgendwann einmal vielleicht wirklich Geliebten in alle Bestandteile zerlegt. Und das alles nur, weil man nicht gleich reichlich zu Beginn zur Kenntnis genommen oder es einfach verschwiegen hat, dass es trieb-, lust-, befriedigungsmäßig halt leider mehr oder weniger vollkommen schiefläuft und auch gar nicht anders als schieflaufen konnte. Da nagt man sich gegenseitig im Lauf der Zeit alles Fleisch von den Knochen, reißt die Seele in Fetzen, taumelt dahin auf einem wahren Vernichts- und Selbstvernichtungstrip, schießt seine Theorieleuchtrakten in alle nur möglichen Himmelsrichtungen, ruiniert sich das Leben gründlich - nur weil man sich zu schade ist in seiner Hochzivilisiertheit oder aus sonst einem hehren Grund einfach rechtzeitig zu sagen: Du bist ein wunderbarer Mensch, aber du bringst meine G...heit nicht zum Erglühen.
Und ja, das ist für mich irre. Vollkommen irre. Vielleicht auch vollkommen zivilisiert und weit fortentwickelt von allem Tierischen, aber nichtsdestotrotz schwerwiegend irre. Als würde der eine zum Irrlicht des anderen und beide stürmten sie verrückt durch alle Sümpfe.
Und diesen ganzen Wahnsinn könnte man sich sehr einfach ersparen, indem man zuerst einmal zumindest sich selber nicht ins Fäustchen lügt.
(Ich würde Leutchen, die daten, vorschlagen: Erst ins Bett, hinterher der Kennlernkaffee. Das sagte mehr, das sagte alles.)
Wundert es tatsächlich, dass es Affären gib? Mich würde es im Gegenteil schwer wundern, gäbe es plötzlich keine mehr. Das wäre mir ein deutliches Zeichen, dass es dem Menschen endgültig gelungen ist, seiner Menschlichkeit zu entkommen (sofern das je möglich sein sollte, raten würde ich es ihm nicht).
Aber nun noch zu dem Angekündigten:
Ich leugne ja nicht, dass im Menschen auch noch anderes zugange ist. Etwa, zumindest in manchen, diese oft enorme Sehnsucht, mit einem anderen sozusagen zu verschmelzen in einem geistig-seelischen Sinn (wobei mir selber das ein gar zu starkes Wort ist; tiefe Innigkeit wäre schön genug). Mit ihm gleichsam eine chymische Hochzeit zu erleben.
Nur scheint mir das nicht so richtig klappen zu wollen, und schon die ersten Stolpersteinchen bringen den Altar zum Einsturz.
Und zu diesem Thema habe ich kürzlich etwas gelesen (Elisabeth Haich, Einweihung, autobiografisch), von dem ich gerne ein paar Sätze zitieren möchte. (Kurze Vorgeschichte: Jene Frau hatte bereits ein offenbar nicht unglückliches Liebesleben hinter sich, kam aber dann schließlich dahinter, dass ihr all das keine echte Erfüllung bringe könne, sondern die Erfüllung sei, dass ihr Ich mit einem anderen Ich verschmelze.)
Aber ich wollte nicht
das, was mir die körperliche Vereinigung brachte. Die körperliche Vereinigung ist die verzweifelte Anstrengung, eins zu werden - man setzt all seine Kraft ein -, und im Augenblick, wo beide die Erfüllung zu erreichen glauben, fällt man auseinander ... und hat die Einheit
gänzlich verfehlt!
In der Liebe verspürt jeder Liebende den Drang in sich, mit dem anderen eins zu werden. Er möchte das aber
körperlich erleben ... Demnach hindert den Liebenden gerade der Widerstand des Körpers am vollkommenen Einswerden.
Es wurde mir klar, das S. der größte Betrug ist. Die Natur verspricht uns etwas Wundervolles, etwas Großartiges, sie verspricht uns das höchste Glück, die Erfüllung selbst, sie nimmt uns aber selbst die Kraft dazu, und im Augenblick, in dem wir schon an der Grenze der Erfüllung stehen, fallen wir plötzlich noch tiefer, als wir vorher waren. ... Das lateinische Sprichwort sagt auch, dass nach einer körperlichen Vereinigung Tiere und Menschen traurig sind ...
Was hat man von den größten S. Freuden am anderen Morgen? ... Und soll sich das immer wiederholen?
Ich sah ein: Ich suchte nicht
das.
Aber wenn ich das nicht suchte, wenn mich die S. betrogen hatte, so machte ich nicht mehr mit! Ich wollte mich nicht mehr betrügen lassen! Die S. konnte nur den Körper befriedigen, nie aber die Seele, das
Ich! Ich sehnte mich aber nach der Einheit, die ich in meinem
Ich erlebte; diesen Wunsch konnte keine S. Befriedigung erfüllen!
Ja, vielleicht sollte man erst einmal selber wissen, wonach man eigentlich sucht.
Sonst wird das Finden ja unmöglich.
Schönen Tag!