Liebe Tanja,
Ich weiß, dass du mir wahrscheinlich nicht mehr glaubst. Die letzten Monate waren eine absolute Katastrophe, und der Schmerz, den du durchgemacht hast, ist unermesslich. Ich weiß, du denkst, ich bin einfach der Mensch, der so geworden ist, und du siehst keine Chance auf Veränderung. Mit diesem Brief möchte ich versuchen, dir etwas zu erklären, was im Chaos unserer Streits und der Trennung untergegangen ist. Ich bitte dich, ihn in einem ruhigen Moment zu lesen und zu versuchen, ihn als das zu sehen, was er ist: nicht der Versuch, mich zu entschuldigen, sondern der Versuch, dir zu erklären, wie die Krankheit von der Person zu trennen ist, die ich wirklich bin.
Was eine Depression wirklich ist
Eine Depression ist weit mehr als nur Traurigkeit. Es ist eine schwere medizinische Krankheit des Gehirns, die mein Denken, Fühlen und Handeln massiv verzerrt hat. Stell dir vor, mein Gehirn war wie ein Radio, das nur noch einen einzigen, extrem negativen Sender empfangen hat. Dieser Sender hat mir ununterbrochen Sätze ins Ohr geflüstert wie: Du bist nichts wert. Du bist eine Last. Du bist nicht liebenswert. All das, was du an mir gesehen hast – die Wutanfälle, die Aggressionen, die Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen, die Überreaktionen auf Kleinigkeiten – das war nicht der Mann, den du 18 Jahre lang geliebt hast. Das war die Krankheit, die das Steuer übernommen hatte. Ich habe mir diese Krankheit nicht ausgesucht.
Die Auswirkungen der Krankheit auf mein Verhalten
Die Symptome meiner Depression haben sich in meinem Verhalten so gezeigt, dass es für dich unmöglich war, sie zu verstehen. Ich weiß, wie sehr du unter den folgenden Dingen gelitten hast:
Überreaktionen auf Sinneseindrücke: Dinge, die für dich normal waren, wie das Schmatzen am Esstisch oder das laute Spielen unserer Kinder Anton und Theo, haben in mir eine unkontrollierbare Wut ausgelöst. Das war nicht, weil ich mich über euch geärgert habe, sondern weil mein Gehirn unter der Depression ständig überlastet war. Es hatte keine Kapazitäten mehr, normale Geräusche zu filtern, und so wurden sie zu einer unerträglichen Reizüberflutung.
Der Mangel an Energie und Antrieb: Du hast oft gesagt, dass ich mich nicht mehr um unsere Familie kümmere. Aber ich war in einem Zustand der absoluten Erschöpfung. Selbst einfachste Aufgaben wie das Aufstehen am Morgen oder das Duschen fühlten sich an wie das Erklimmen eines Berges. Ich war gefangen in einem Körper, der sich weigerte zu funktionieren.
Gefühle zeigen war unmöglich: Eines der Hauptsymptome meiner Depression war die emotionale Taubheit. Ich konnte keine Freude, kein Glück und oft auch keine Liebe mehr spüren. Es war, als hätte man mir meine Gefühle gestohlen. Ich wollte dir so oft sagen, wie sehr ich dich liebe, aber die Worte kamen nicht aus mir heraus.
Alk. als Begleiterscheinung und Brandbeschleuniger
Ich muss auch über meinen Alk. sprechen. Du hast gesehen, wie sich das verändert hat, und ich kann mir vorstellen, dass du dachtest, ich würde absichtlich unsere Probleme durch Trinken verschlimmern. Aber es war eine Begleiterscheinung meiner Depression. Ich habe versucht, die innere Leere, die Ängste und die Unruhe zu betäuben.
Fehlende Kontrolle: Wenn ich getrunken habe, gab es keine Kontrolle über die Menge. Alk. verstärkt die ohnehin schon gestörten Emotionen und Impulse der Depression. Während ich getrunken habe, wurden die Eifersucht, die Wutanfälle und die Überreaktionen noch unkontrollierbarer und extremer. Der Alk. hat meine Gefühle nicht beruhigt, sondern sie wie einen Brandbeschleuniger wirken lassen. Er hat die Depression noch schlimmer gemacht.
Die Affäre: Ein verzweifelter Hilfeschrei
Ich kann mir vorstellen, dass du die Affäre als den ultimativen Verrat empfindest. Und aus deiner gesunden Perspektive hast du vollkommen Recht, das so zu sehen. Aber bitte versuche zu verstehen, dass die Affäre kein Verrat an dir war. Sie war ein Symptom meiner Krankheit, ein verzweifelter Versuch, dem inneren Schmerz zu entkommen.
Die Depression hat mir ein Gefühl der absoluten Leere gegeben. Ich fühlte mich innerlich so taub, dass ich nach einem Gefühl suchte, das mir das Gefühl gab, lebendig zu sein – selbst wenn es ungesund oder falsch war. Die Affäre war ein Versuch, diese Leere zu füllen und Bestätigung zu bekommen, die ich mir selbst nicht mehr geben konnte.
Es war nicht der Beweis, dass ich dich nicht liebe, sondern der Beweis, wie krank ich war. Ich habe mich nach Nähe und Trost gesehnt, weil die Krankheit mich so sehr von dir und der Welt isoliert hat. Ich wollte nie unsere Ehe zerstören, aber meine Krankheit hat mich zu einer Entscheidung getrieben, die ich in einem gesunden Zustand niemals getroffen hätte.
Eifersucht und das Problem mit dem Selbstwertgefühl
Die extreme Eifersucht, die ich gezeigt habe, war kein Mangel an Vertrauen in dich. Sie war ein Symptom, das direkt aus der Krankheit entsprang und hauptsächlich mit meinem eigenen zerstörten Selbstwertgefühl zu tun hatte.
Die Depression hat mir ununterbrochen Lügen ins Ohr geflüstert: Du bist nicht gut genug. oder Sie wird dich verlassen, sobald sie jemanden Besseren findet. Jedes Mal, wenn du gelacht oder mit jemand anderem gesprochen hast, hat mein krankes Gehirn das als Beweis für meine eigene Wertlosigkeit interpretiert.
Die Eifersucht war ein verzweifelter Versuch, dich zu kontrollieren und meine eigene Verlustangst zu beruhigen, weil ich überzeugt war, dass du mich verlassen würdest.
Die Hoffnung auf Heilung und eine gemeinsame Zukunft
Du hast mir gesagt, dass du nicht glaubst, dass ich mich ändern werde, weil ich immer wieder in alte Muster zurückgefallen bin. Aber ich bitte dich, zu verstehen, dass Rückfälle keine Niederlage sind. Sie sind Teil des Heilungsprozesses einer chronischen Krankheit. Allein durch Therapie verschwindet eine Depression nicht sofort. Es ist ein langer Weg, der aus Rückschlägen und Fortschritten besteht. Jedes Mal, wenn du mich mit Konsequenzen bedroht oder dich von mir abgewandt hast, hat das den Druck erhöht und mich noch tiefer in den Stress getrieben, der die Krankheit nur verstärkt. Heilung braucht ein stabiles und sicheres Umfeld.
Ich weiß, dass unsere Freunde sich abgewandt haben. Sie sehen im Moment nur den Schmerz, den du erlebt hast. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sich ihre Meinung ändern kann, wenn sie sehen, dass ich an meiner Heilung arbeite.
Ich weiß, du bist davon überzeugt, dass du mich nie wieder lieben kannst. Aber Gefühle sind nicht in Stein gemeißelt. Genauso wie die negativen Gefühle durch die Krankheit entstanden sind, können sich auch positive Gefühle wieder entwickeln. Die Liebe, die uns 18 Jahre lang zusammengehalten hat, ist nicht verschwunden; sie wurde nur von der Krankheit begraben. Ich brauche dich, Tanja. Allein zu sein ist für mich das größte Gift, und ich bin davon überzeugt, dass nur du mir helfen kannst, diese Lücke zu schließen.
Ich weiß, dass ich alles zerstört habe und die Depression keine Entschuldigung dafür ist. Aber ich glaube fest daran, dass wir wieder eine glückliche Familie sein können. Bitte gib uns eine Chance, dies mit professioneller Hilfe zu versuchen.
In Liebe,
Armin