Zweiter Teil:
Und jetzt noch mal genauer hinschauen @blueeye und die, die schon auch ein bißchen zustimmen:
Die Generalisierung des Themas ist zurecht mehrfach und auch abschließend hervorgehoben wurden. Niemand wird gezwungen bei FB oder den hübsch von @blubalu betitelten Drive-In Beziehungen mitzumachen. Natürlich kann man sich nach dem gefühlten 128sten Mal, wie kein Facebook?, oder der vierten oder fünften kurzlebigen Beziehungsschlappe, auch mal fragen, ob es da einen Zusammenhang gibt und man darf das auch blöd finden und sich ne Runde mies fühlen.
Das kann ich verstehen. Die individuelle Situation ruft individuellen und manchmal eben auch deutlichen Schmerz hervor. Und ich für meinen Teil habe mich auch schon ab und zu mal gefragt, ob ich für diese heutige Zeit gemacht bin, insbesondere in Teenager-Zeiten. Daran dürfte sich ja nun auch nichts geändert haben, es ist nun wirklich egal, ob „alle“ Bravo-hits 1 oder 625 hören, wenn man selbst halt lieber auf Jazz, Swing oder Klassik abfährt.
Aber es ist schon auch ein bißchen zu kurz gedacht, liebe(r) BlueEye. Schau mal, wenn der Partner mit einem per hand- und vielleicht auch ein- geschriebenem Brief das Ende der Beziehung erklärt, dann ist das genauso mies und trotzdem nicht die Post oder der Briefträger schuld.
Das Gefühl, was Du da beschreibst, hat für mich viel weniger mit der Kritik an der „heutigen Zeit zu tun, als einem Auseinanderfallen in ein gefühltes „ich“ und „die (anderen)“. Ich glaube auch, daß das ganz viele Menschen kennen, ich tue das jedenfalls.
Manchmal ist das Gefühl recht diffus und dann schon ganz gut mit dem Anflug von „Weltschmerz“ (bei Wiki gut nachzulesen… Wer hat denn eigentlich noch einen Brockhaus zu Hause, den er -Achtung- tatsächlich benutzt?) zu tun.
Manchmal ist das Gefühl ganz konkret, weil der Partner sich nach 20 Jahren ein manchmal neueres zumeist nur anderes Modell zugelegt hat, welches er eben erst mittels Handy kultivierte. Oder weil man eine Pechsträhne hat und das vierte Date aus der Single-Börse sich mal wieder als die gleiche Art der Pappnase erwiesen hat und man diesmal schon irgendwie gehofft hatte, es würde anders ausgehen. Weil man zum 28sten Mal jemanden angeschrieben hat und wieder die Antwort ausblieb. Dann sind die Gefühle konkret und auch dann fällt es erst einmal leichter, die Schuld etwas Konkretem geben zu können.
Das ist nun mal viel leichter als sich sagen zu müssen, dass es halt so und nicht anders hätte sein sollen und dass man das jetzt gerade echt richtig zum K***en findet. Es ist halt doof, wenn niemand schuld ist.
Der Ehemann, der einsehen muß, daß die noch-Angetraute eben nur die Hälfte der Zeit mit Candy-Crush beschäftigt war und die andere Hälfte der Zeit, mit dem Nebenbuhler plauderte, wird natürlich denken, daß es ohne Smartphone keine Affäre gegeben hätte. Der Unbekannte aus der Online-Plattform, dem man über drei Monate hinweg jeden Tag Emails und Nachrichten schreibt, wird zum Vertrauten und wenn der sich dann plötzlich für Option zwei oder drei, von der man vielleicht gar nicht gewusst hat, daß sie existieren, entscheidet, dann ist da eben auch schneller das böse Internet schuld.
Und dennoch bleibt es ein „einfaches“ Auseinanderfallen von Vorstellungen, die man sich gemacht hat. Und das Festhalten daran.
Schau, es gibt unzählige Mittelalterfans heutzutage, die nähen sich Kostüme, bauen Badezuber und trinken Met (aus aus China importierten „Horn“-Gefäßen). Klar, träumen die davon, in dieser Zeit zu leben. Kräuter sammeln, Land bestellen etc… Ich befürchte allerdings, daß die wenigstens von denen, ein echtes Plebejer-Leben führen wollen würden und jedenfalls mal nicht im 30jährigen Krieg.
Weißt du, als ich anfing „zu daten“, damals hieß das sich für einen Jungen interessieren oder schlicht sich zu verlieben, da gab es schon die Anfänge von Internet und auch die Email war schon erfunden, vermutlich gab es sogar schon die ersten Anfänge von Chatrooms , aber für jedermann absolut zugänglich waren die noch nicht. Also als ich anfing, den einen oder anderen Jungen toll zu finden, da hatte noch nicht jeder ein Handy und fand ich das damals leichter? Nö. Auf die Antwort von seinem zweitbesten Freund, der mit seinem erstbesten Freund der wiederum mit der Freundin meiner besten Freundin…. Und ich weiß gar nicht genau, ob den „send-button“ zu drücken so viel besser oder schlechter is, als den Mut aufzubringen dem Schwarm einen Zettel in die Hand zu drücken…
Was zudem neben der Frage von Henne und Ei bleibt, ist die der Graubereiche. Es wird allgemein angenommen, daß die Hohe Anzahl von Schusswaffenopfern in den USA direkt proportional zu deren laxen Waffengesetzen steht. Ob es deswegen tatsächlich weniger absolute Tötungsdelikte geben wurde, weiß niemand. Weil es hypothetisch bleibt. Ja, man nimmt an, daß, wenn ein Polizist nicht die ganze Zeit damit rechnen muß, daß sein gegenüber eine Waffe trägt, er weniger Grund (oder Ausreden wie jüngst wieder gesehen) hat, zu schießen. Man nimmt auch an, daß der Zugang zu Schusswaffen, man denke an Erfurt, was ja bekanntlich in den USA liegt, eine Rolle spielt. Die Wahrheit aber ist, es ist schwer bis gar nicht zu bestimmen, ob das tatsächlich Einfluß auf absolute Anzahl an Opfern oder nur die Todesart hat.
Will sagen, womöglich hätte die Ehefrau statt mit Candy-Crush mit ihrem Mann gespielt, womöglich aber eben auch nur auf das nächste Dorffest gewartet.
Wir wissen es nicht, aber es ist einfach leichter an ersteres zu glauben.
Und jetzt liebe(r) Blueeye kommen wir auch langsam zum Abschluss: Bei allem Weltschmerz, bei aller konkreten Enttäuschung, schlägst Du tatsächlich Definitionen im Brockhaus oder DTV-Lexikon nach? Sendest Du für jede SMS, die Du schreibst auch eine Postkarte zum Ausgleich? Entwickelst Du Deine analogen Filme selbst? Bezahlst Du in einem echten Laden für jeden Song, den Du hörst? Kennst Du Radios, bei denen man erst UKW einstellen mußte und dann per Hand den Sender sucht? Hast Du gewusst, daß §175 StGB erst 1994 (!) abgeschafft wurde? (und nein jetzt nicht einfach mal googlen, ne ) oder auch daß Malta erst 2011 (!) Scheidungen offiziell erlaubt hat. Egal wer wen betrogen, verprügelt oder welche Fehler auch immer gemacht hat?
Weißt Du, statt bei amazon, Deine Bücher („wie sogenannt früher“) im Buchladen nebenan zu kaufen, ist lobenswert, funktioniert aber auch nur durch Buchpreisbindung. Nur ein „Handy“ zu haben, aber Smartphones doof zu finden, ist schon ein bissl kurzsichtig. Arrogant dazusitzen und zu behaupten, also ich kauf nur Vinyl, Spontify ist doch blöd, wegen der Musikqualität und so, wirkt einfach nicht einladend. Und zu glauben, daß Marmelade einzukochen, wie damals einfach der richtige Weg ist, der vernachlässigt den unterschied zwischen Notwendigkeit und freier Wahl.
Zu bedauern, daß es Erdbeeren oder Kirschen (zweifelhafter Qualität) das ganze Jahr über zu kaufen gibt, gilt irgendwie auch nur, wenn man weiß, wie Erdbeeren denn „früher geschmeckt haben.
Ich kaufe mir nach wie vor, um wirklich viel Geld einmal pro Winter Erdbeeren. Weil ich es kann! Und ja die schmecken nach Wasser, NATÜRLICH schmecken die nach Wasser. Und ja, manchmal bin ich wütend und traurig, weil mich die Liebe wütend und traurig gemacht hat und manchmal leide ich an Weltschmerz.
Aber weißt Du all das ist völlig ok, nur wenn ich dieses großartige romantische Konzept von Weltschmerz so generalisiere und vereinfache, daß nur Selbstmitleid übrig bleibt, dann ist das zum einen Dir selbst und den Leuten gegenüber unfair, die gestern gelebt oder morgen leben werden und zum anderen wird es dem Leben nicht gerecht.
Und weißt Du warum, weil die Unbeständigkeit, die Du eigentlich mittels der von Dir gewählten Schnelllebigkeit kritisiert, auch machen könnte, daß Du morgen der Liebe Deines Lebens begegnest und ihr dann für den Rest der Tage in den Sonnenuntergang reitet.
Ein so großes Glück, daß eigentlich nur ganz wenigen Menschen zu Teil wird und nach dem wir doch alle irgendwie suchen. Und stell Dir mal vor, Du verpasst das weil Du gerade in der Leihbücherei hockst und „Weltschmerz“ nachschaust. Ich versteh schon, in der Leihbücherei der großen Liebe zu begegnen, wäre so viel cooler.
Find ich auch.
Aber für beides muß man einfach mal machen.
In diesem Sinne, wann hast Du denn das letzte mal ein Buch ausgeliehen?
Das Leben bleibt anders, vertrau drauf.