Hallo Schnauzevoll,
Ich verstehe dich, weil ich mich in einer ähnlichen Situation befinde. Mein Mann hat zwar keine diagnostizierte psychische Störung, er ist aber in seinem Verhalten sehr speziell.
Als wir uns kennen lernten waren wir beide noch sehr jung und füreinander die ersten richtigen Partner. Unsere Anfangszeit war sehr schön aber schon recht schnell stellten sich die ersten Schwierigkeiten ein, die sich stetig steigern sollten. Mein Mann ist sehr kontaktscheu. Man könnte auch sagen, soziopathisch. Damals nannte man das nur nicht so und nicht jedes auffällige Verhalten wurde psychologisch diagnostiziert und eingeordnet. Dennoch war unser gemeinsames Leben sehr bald sehr belastet. Mein Mann mag keine Sozialkontakte außerhalb seiner Familie. Er hatte eine schwierige Kindheit, wie man so schön sagt. Er lebte in den Nachkriegsjahren mit seinen Eltern, seinen Großeltern und 5 Geschwistern auf sehr engem Raum. Die Ehe seiner Eltern war nicht gut und der Vater sehr aufbrausend und wohl auch gewalttätig. Er war als Flüchtlingskind schwer traumatisiert und nicht in der Lage, seinen Kindern ein guter Vater zu sein. Das Oberhaupt der Familie war die Oma, die die Fäden zusammenhielt, sehr zu Leidwesen der Mutter meines Mannes, meiner Schwiegermutter. Die Oma regierte mit harter Hand. Sie war preussisch erzogen, hatte schwerste Greueltaten erlebt und war selbst mehrfach vergewaltigt und verprügelt worden. Als Kriegerwitwe war sie Freiwild für die deutschen Besatzer. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, was diese Frauen durchgemacht haben. Aber um es klar zu sagen, diese Generation war auch im Sinne des 3. Reiches erzogen worden. So schwer ihre eigenen Schmerzen auch waren, gegenüber anderen war sie unerbittlich. Auch gegenüber ihrem eigenen Sohn, der in ihren Augen immer ein Schwächling war. Das war das Umfeld, in dem mein Mann groß wurde. Die Folgen waren verhehrend.
Das alles führte dazu, dass die Kinder, also nicht nur mein Mann einige Marotten entwickelten, die man heutzutage wohl als behandlungswürdig einstufen würde. Fast alle Kinder haben sprachliche Probleme und stottern, zum Teil bis heute. Sie leben alle sehr zurück gezogen, hatten Schwierigkeiten außerhalb der Familie Freundschaften zu finden und zu pflegen und dies schlug sich auch auf die Ehen nieder. So wie auch auf unsere. Wir leben seit Jahren sehr zurück gezogen. Unsere Kinder sind schon früh ausgezogen und haben zum Glück nur wenige, wenn auch spürbare Schäden davon getragen. Ich habe nach Kräften versucht, sie von unseren Schwierigkeiten fern zu halten aber so ganz ist mir das wohl nicht gelungen. Unser Sohn schlägt doch sehr nach seinem Vater und wird damit ein Leben lang zu kämpfen haben.
Ich aber habe unter unserer Ehe zumindest die letzten 15 Jahre zunehmend gelitten. Und ich muss gestehen, ich habe mir davon auch eine kleine Auszeit gegönnt, wenn du verstehst was ich meine. Damals wäre ich bereit und stark genug gewesen, diese unglückliche Ehe hinter mir zu lassen, doch es kam anders. Ich bin also in dieser Ehe geblieben, weil sich mir schlicht keine andere Möglichkeiten boten. Auch war es natürlich ganz bequem, das Nest nicht zu verlassen. Egal wie ungemütlich es auch mit den Jahren wurde. Immerhin haben wir gemeinsame Kinder, ein Haus und ein geregeltes Einkommen.
Dafür habe ich aber einen hohen Preis gezahlt. Wir haben keine Freunde mehr. Den Kontakt zu meiner Familie habe ich weitgehend verloren, bzw. selbst abgebrochen, weil man dort meinen Mann nie akzeptieren konnte oder wollte, was ich natürlich gut nachvollziehen kann. Damit weiter zu leben hätte für mich aber bedeutet, ständig zwischen die Fronten zu geraten, was ich irgendwann nicht mehr aushielt.
Unsere Kinder besuchen uns selten. Für sie ist die Spannung zwischen meinem Mann und mir wohl spürbar und deshalb unerträglich. Man könnte sich fragen, warum ich dennoch nicht gehe. Nun die Antwort ist einfach und klar, es liegt am Geld und sicher auch an meiner eigenen Bequemlichkeit. Als 65 jährige Frau hatte ich nie ein nennenswertes eigenes Einkommen. Ich bin auf die Rente meines Mannes, die glücklicherweise recht gut ist, angewiesen. Auch möchte ich unser Haus, in dem wir seit 30 Jahren leben nicht verlassen. Dazu fehlt mir die Kraft. Und schließlich und endlich habe ich Angst, allein leben zu müssen. Das habe ich noch nie in meinem Leben getan und heute hätte ich nicht mehr die Energie, es auf meine alten Tage noch zu lernen.
Wir sind nun in einem Alter, in dem ich nicht mehr auf einen Neuanfang hoffen mag. Unser Leben ist so verlaufen, wie es nunmal ist. Ich bin traurig darüber, ja vielleicht auch verbittert. Aber mein Leben ist letztlich so, wie ich es mir eingerichtet und es entschieden habe. Ich nehme mir nach wie vor kleine Freiheiten. Ich gehe so oft es geht aus dem Haus, bummel durch die Straßen, sitze alleine im Cafe und beobachte die Passanten. Ich surfe im Internet,was mir großes Vergügen bereitet und ich lese sehr gerne. Dadurch schaffe ich mir eine Gedankenwelt, zu der mein Mann keinen Zugang hat. Und ja, manchmal träume ich von meinem Liebhaber, den ich eine Zeit lang hatte und der mir immerhin zeigte, das es auch anders hätte sein können.
Mein Mann dagegen wir immer trauriger, zieht sich mehr zurück, auch von mir und hat doch große Angst, alleine zu sein. Er ist ein Opfer seiner Umstände, in die er sich selbst manövriert hat, indem er sich nie helfen ließ. Es rührt mich, seine zunehmende Einsamkeit zu sehen und zu wissen, dass es ihm nie gelingen wird, sich daraus zu befreien. Es ist sein schwarzes Loch, das seinen Ursprung in seiner Kindheit nahm, unsere Ehe vergiftete und somit sich selbst am Leben hielt. Eines Tages wird er ganz darin versinken.
Bis dahin gilt es für mich, mir meinen Freiraum zu bewahren, mir mein Leben so schön wie nur möglich zu machen und mich selbst zu lieben, so gut es eben geht. Ihn zu lieben gelingt mir immer weniger. Deshalb liebe ich nun eben wenigstens mich selbst und gönne mir meine kleinen Fluchten zumindest in Gedanken.
Wäre ich jung und stark, hätte ich mich heute sicher anders entschieden. Heute würde ich gehen, so wie es junge Frauen mit eigenem Einkommen selbstverständlich tun. Ich aber komme noch aus einer anderen Generation und dafür zahle ich meinen Preis. Ich hoffe, ich bin die letzte Frau, die sich selbst zu solch einem Leben zwingt. Ich mache niemanden dafür verantwortlich. In diesem Leben zu verharren war und ist meine Entscheidung und ich alleine trage die Konsequenzen. Meine Kinder habe ich versucht, so gut es geht zu schützen, auch wenn es mir nicht komplett gelungen ist. Meine Hoffnung ist, dass sie ein besseres Leben haben werden. Ich hoffe, dass sie groß, frei und stark leben werden. Unbeeinträchtig von unseren Grenzen und Schwächen. Frei von unserem Erbe, das wir von unseren Eltern aufgebürdet bekamen, weil diese ihre Kriegstraumata nie bearbeitet haben. Mit uns sollen diese dunklen Zeiten endgültig vorüber gehen. Ein für alle mal. Das ist der einzige Wunsch und das einzige Ziel, das ich in meinem Leben noch habe. Dafür bin ich bereit, alles zu ertragen. Bis zum Schluss!
29.11.2021 10:20 •
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