Ob nun Future Faking, traditionelles A-loch-Verhalten, gelebter Egoismus oder romantisierte Unfähigkeit.
Für den Partner kommt es doch aufs Gleiche raus, wenn die Worte einer Person kein Gewicht haben.
Aus meiner Sicht gibt es nur eine Grundsatzentscheidung:
Mache ich mich in einer Situation verletzlich oder schütze ich mich wirksam.
Wirksamer Schutz ist der stete Blick auf die Ausgeglichenheit der Beziehung, Beibehalten der Unabhängigkeit und niemals in Vorleistung zu treten oder etwas preiszugeben, auf das man nicht mühelos verzichten kann.
Nachteil dieses Schutzes: Man kann sich nicht fallen lassen, sich so zeigen, wie man ist, entspannen, mit anderen zusammen arbeiten, Synergieeffekte nutzen und nie ein gemeinsames Heim, Kinder oder Träume haben. Heiraten geht auch nur mit sehr langem Individualvertrag. Das sich zu einander Bekennen gilt dann nur für den Moment. Auch der Vorteil, dass man in unterschiedlichen Themen und unterschiedlichen Phasen unterschiedlich stark oder schwach ist und sich gegenseitig ausgleichen und aushelfen kann, fällt weg.
Immer dann, wenn zwei sich wirklich vertrauensvoll für das Gleiche einsetzen, entsteht etwas, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Und man wächst über sich hinaus und ist im wahrsten Wortsinn nicht einsam.
All das ist nicht möglich, wenn man sich konsequent selbstschützend verhält.
Mit Selbstschutz kann einem natürlich nichts genommen werden, das für den eigenen Kern wesentlich ist und man steht am Ende nicht als Verlierer da.
Die Listen, Red Flags, Faustregeln und das vorsichtige Annähern sehe ich nur als Mischform zwischen Selbstschutz und Verletzlichkeit. Für Menschen, die wirklich auf Kosten von anderen leben wollen oder müssen und wenig bis nichts zu geben haben, bleibt zwischen den aufgestellten Regeln immer noch genug Lücke, bei einem Opfer (aka sich der Verletzlichkeit preisgebendem Menschen) anzudocken.
Daher bin ich kein Freund vom Chose better - selbst schuld - hättest Du mal Argument. Denn das Vertrauen ausnutzen ist für mich immer ein Makel, der beim Ausnutzer verbleibt. Jemanden dafür zu verurteilen, von einem anständigen Charakter beim Gegenüber ausgegangen zu sein, finde ich unnötig bis gesellschaftsschädigend. Wir bleiben alle im Stau stehen, wenn niemand mehr darauf vertraut, dass der andere, der mich gesehen hat, meine Vorfahrt achtet. Ich würde jederzeit den Dieb auf die Anklagebank setzen und nicht den Geschädigten, nur weil das Portemonnaie in der Hosentasche steckte oder auf dem Tisch lag oder dem Dieb mit einem klaren Auftrag übergeben wurde, und das ausgenutzt wurde.
Ich bin jetzt alt und erfahren genug und habe alle Lebensbereiche, für die man traditionell einen Mann braucht, abgearbeitet, dass ich mir heute den vollständigen Schutz leisten kann und möchte. Ich habe mich umgeschaut und keine Beziehung im Umfeld oder der Familie gesehen, die mir in der Rolle, die ich ausfüllen kann, erstrebenswert erscheint.
In jungen Jahren war ich mutig/arrogant/traumtänzerisch genug, um zu glauben, dass man es mit ernsthaftem Bemühen, klarer Kommunikation und einem Mann, der dieselben Werte hat und Ziele verfolgt, schaffen kann, es besser zu machen. In der Theorie müsste das auch tatsächlich gehen. Aber es gibt eben Gesellschaftsstrukturen, die in einer schwachen Minute den Diebstahl so einfach machen und belohnen, dass ich es meinen Männern gar nicht mehr ernsthaft verübeln kann, dass sie diesen Weg gegangen sind.
Es gibt für eine ganze Reihe von A-loch- Verhaltensweisen eben keine gesellschaftlichen Sanktionen (mehr). Bei Freib. für alle oder Diebstahl für alle vom einzelnen zu verlangen, dass er sich nicht in einem schwachen Moment in die Schlange stellt, ist halt illusorisch.
Aber ich bin auch nicht (mehr) sauer auf mich, dass ich beim einen oder anderen Mann mein Portemonnaie nicht im Schließfach der Bank sondern nur in einer frei zugänglichen Schublade zu Hause hatte. Ich hätte ja auch Glück haben können und auf jemanden treffen, der aus Prinzip nicht an andere Geldbörsen geht. Oder auf jemanden, der trotz dunkler Charakteranteile ein so erfolgreiches Leben hat, dass er sich nicht bei anderen bedienen muss. Das Portemonnaie steht hier für alle Formen von Ressourcen, auch und besonders immaterielle, die man eigentlich gerne mit dem Partner teilen möchte, aber bei zu lang anhaltender Einseitigkeit oder gezielter Boshaftigkeit durch diese Offenheit und Freigiebigkeit ausblutet.
Mit einem Mann zusammen sein und dabei ständig bilanzieren und auf meine Grenzen pochen möchte ich jedenfalls nicht und wollte das nie. Das verstehe ich nicht unter Liebe. In einer Beziehung sollte imho auch Platz für Lernkurven, Verzeihen und Wiedergutmachen sein. Das verhindere ich ja auch, wenn meine Ressourcen auf der Bank bleiben und nicht der Beziehung zur Verfügung gestellt werden.
Daher bin ich auch kein Opfer, sondern habe (manchmal auch) die negativen Konsequenzen meines Wertekostüms kassiert.
Wie gut, dass sich die Frage, ob ich es heute anders machen würde, aufgrund linearen Lebensalters gar nicht stellt.
28.06.2025 12:53 •
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