Zitat von Cinderella01:meiner hat durch mich, sein Glück mit seiner EF wieder gefunden.
Da wäre ich mehr als skeptisch. Das bildet er sich vielleicht im Moment ein. Aber solange er sich nicht mit den Gründen dafür auseinandergesetzt hat, warum er in eine Affäre geflüchtet ist, glaube ich nicht daran. Warte mal ein paar Wochen ab.
Ob die Affärenführer glücklich sind? Ich glaube es nicht. Ich kann da allerdings nur über meinen sprechen. Und ich habe beschlossen, mal ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern. Vielleicht bringt es ja irgendwem irgendwas.
Dieser Mensch ist völlig anders aufgewachsen als ich. Er kommt aus kleinstädtischen, eher schon Dorfstrukturen, hat denselben Beruf wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater und ist dort tiefverwurzelt. War auch nie eine längere oder nennenswerte Zeit da draußen. Sein Leben lang im selben Umfeld. Und aus diesem Umfeld hat er eine Frau geheiratet. Das ist jetzt fast dreißig Jahre her.
Damit kann man sicherlich glücklich werden. Sein Pech ist aber, dass er zu den Menschen gehört, denen das aus irgendeinem Grund nicht wirklich genügt. Da war schon immer eine dunkle Sehnsucht, aus all dieser Enge auszubrechen. Etwas anderes zu machen. Sich aufzulehnen. Und teilweise hat er das auch gemacht.
Was macht man, wenn man aus solchen Strukturen kommt und eigentlich aber gleichzeitig einen Widerwillen gegen all die Spießer und ihre katholische Doppelmoral hegt?
Genau! Man tritt aus der Kirche aus, pinnt sich ein paar Tattoos auf die Haut, schmeißt sich in schwarze Lederklamotten, hört Metal und kauft sich ein Motorrad, auf dem man sich dann wild und frei fühlen kann.
Und ich meine das jetzt durchaus nicht so verächtlich, wie es klingen mag.
Ich selbst bin auf Pferden durch die Wälder geprescht. Ebenfalls um mich wild und frei zu fühlen und um dem ganzen Sch.eiß (bei mir ist es anderer Sch.eiß) zu entkommen.
Ich verstehe es absolut. Man ist an Ketten gebunden, die sich manche Menschen nicht einmal vorstellen können und hat eine lebenslange Sehnsucht nach etwas anderem.
Man hat auch andere Gedanken als alle anderen im eigenen Umfeld. Damit kann man aber kaum irgendwo hin. Niemand würde es verstehen. Man interessiert sich für Kunst und LIteratur und andere schöngeistige Dinge. Man hat ein viel sensibleres Herz, als man in diesen Kreisen sollte.
Andererseits macht man alles genau so, wie alle anderen es machen. Man heiratet eine Frau aus dem Dorf, man kriegt Kinder, man kauft irgendwann ein Häuschen, das aussieht, wie alle anderen Häuschen. Es kriegt halt einen etwas ausgeflippteren Anstrich außen.
Man steht jeden Morgen auf und übt in vierter Generation denselben Beruf aus. Man geht - wenn man gerade nicht auf dem Motorrad sitzt - auf dieselben Dorffeste wie alle anderen. Man führt dasselbe geregelte Leben.
Und die Sehnsucht nach etwas anderem nagt im Untergrund.
Irgendwann gehen die Kinder aus dem Haus. Man ist in der Mitte des Lebens. Man sieht, dass man so weiterleben und eines Tages sterben wird und nichts hat sich verändert. Man sieht die Zeit davonlaufen. Es wird immer schwerer, sich mit einem Später zu vertrösten.
Und dann trifft man eine Frau, die augenscheinlich das Andere verkörpert. Diese andere Welt. Eine Frau aus der Großstadt, von weit her, die ganz anders denkt und handelt als die Leute aus dem Dorf. Mit der man - trotz aller augenscheinlichen Unterschiede - vieles gemein hat, was im Dorf keiner so recht versteht. Mit der man Gedanken und Vorstellungen und Interessen teilen kann. Und die man auch attraktiv und anziehend findet.
Und die Sehnsucht treibt einen hin, obwohl man anfänglich ein schrecklich schlechtes Gewissen hat. Das wird aber weniger, denn es ist doch so schön.
Und gleichzeitig ist da all das Althergebrachte. Die Verantwortung. Die Verwurzelung. Die Sicherheit dessen, was man kennt und schon immer kannte.
Das ist nicht nur eine Entscheidung zwischen zwei Frauen. Das ist eine Entscheidung zwischen zwei Lebensmodellen, von denen man eines kennt und das andere nicht - wenngleich man vielleicht schon seit Jahrzehnten eine dumpfe Sehnsucht danach verspürt hat.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwer es ist, eine solche Entscheidung zu treffen. Das ist keine Entscheidung zwischen dem Guten und dem Schlechten. Keine Entscheidung zwischen einer langweiligen Ehefrau und einer aufregenden neuen Frau.
Es ist eine Entscheidung zwischen zwei Modellen, die beide gut sind und beide schlecht. Das eine ist eine Struktur, die unglaublich viel Sicherheit und soziales Netzwerk und Halt bietet. Und es ist zudem das, was tief verwurzelt ist.
Und das andere bietet viel mehr Freiheit und Aufregung und vielleicht die Erfüllung uralter verwegener Träume.
Aber man weiß nicht, ob es nur Träume sind. Man weiß nicht, ob sie standhalten.
Und dann steht einem noch die katholische Erziehung im Weg, die all das für eine große Sünde hält. Klar, aus der Kirche ist man schon lange ausgetreten und hat sich dafür eine Menge Unverständnis und Zorn und Verachtung der Dorfgemeinschaft zugezogen. Aber wie heißt es: Du kriegst das Kind aus der Gosse aber die Gosse nur schwer aus dem Kind.
So eine katholische Erziehung und die Angst vor dem Teufel sitzen tief. Da kann man noch so oft aus der Kirche austreten. So etwas wirkt im Unterbewusstsein munter weiter.
Vielleicht versteht ihr jetzt, warum ich in den Kanon der eierlosen Feiglinge nie eingestimmt habe. Ich sehe es einfach nicht so. Ich glaube kaum, dass es so eine Art Stockholm-Syndrom ist, das mich zwingt, für alles Verständnis zu haben.
Ich habe es tatsächlich, dieses Verständnis.
Ich wünschte nur, ich hätte nicht so unglaublich darunter leiden müssen. Aber die Ambivalenz, die Zerrissenheit, die verstehe ich wirklich. Ich halte es nicht für feige, wenn man an so einer Entscheidung verzweifelt. Ich halte es auch nicht für wahnsinnig unreflektiert, wenn man nicht in der Lage ist, all das - auch die Konsequenzen für Dritte - genau zu durchdenken, bevor man so eine Affäre startet.
Eine Affäre, die letztlich nur ein Katalysator all der unerfüllten Träume ist, die man schon so lange träumt.
Nein. Ich glaube nicht, dass er jetzt glücklich ist. Ich glaube, er ist es weniger denn je. Denn er hat ja jetzt ein bisschen Morgenluft geschnuppert. Da waren Dinge in greifbarer Nähe, die er sich so sehr gewünscht hat. Und ich glaube auch, dass er ein bisschen erstaunt und ungläubig war, dass so eine Frau wie ich sich tatsächlich und ganz im Ernst für ihn interessiert hat. Und mehr als das. So richtig glaubt er wohl immer noch nicht daran. Wahrscheinlich sitzt tief in ihm eine Stimme, nahe bei den katholischen Dämonen, die ihm einflüstert, dass diese Frau ihn sowieso wieder verlassen würde, wenn sie einmal sieht, wie er wirklich ist. Seiner Meinung nach. Denn seine eigene Meinung von sich selbst ist nicht besonders hoch. Ungeachtet dessen, was er nach außen versucht zu zeigen.
Und ganz besonders tief saß seine eigene Verletzung, nachdem ich ihn verlassen und die Affäre beendet hatte. Da hat er erst so richtig begriffen, dass ihm eine Chance entgangen ist, die vielleicht in dieser Form nicht wiederkommt. Da hat er begriffen, was er verloren hat. Und gleichzeitig hat es ihn - auch wenn es paradox klingt - in dem Glaubenssatz bestätigt, dass er es eigenlich sowieso nicht wert ist. Denn es ist sehr schwer, im eigenen Unglück das Unglück anderer klar zu erkennen. Zu erkennen, wie sehr auch ich leide, dass ich nicht gegangen bin, weil er mir zu wenig, sondern im Gegenteil, weil er mir zu viel bedeutet, damit ist er wohl überfordert.
Deshalb wehre ich mich so sehr gegen den Aufruf, die eigene Bedürftigkeit zu erkennen. Natürlich hat er in mir tief schlummernde Bedürnisse geweckt. Aber ich in ihm auch. Ganz genauso. Und schwer ist es - so wie ich es überschaue - für uns beide.
Nur mit dem Unterschied, dass ich absolut nichts ändern kann. Alles, was ich je gelernt habe, ist Kampf. Hätte er mich angegriffen, hätte ich in seinem Handeln je eine böse Absicht erkannt, dann hätte ich gewusst, was zu tun ist. Dann hätte er sich warm anziehen können.
Kampf kann ich. Seit frühester Kindheit. Kampf habe ich gelernt. Ich bin quasi ein Straßenkind, ein Ghettokind, das sich mit einer unglaublichen Zähigkeit und Ausdauer in andere Gesellschaftsschichten hochgearbeitet hat. Die Leute aus dem Ghetto erkennen mich noch immer als ihresgleichen an, wenn ich das will. Die merken genau, dass ich kein Fake bin. Die Leute aus den Gesellschaftsschichten, in denen ich mich jetzt bewege, die merken das hingegen nicht. Die merken nur manchmal ein gewisses Unbehagen, wenn meine kämpferische Seite hervorkommt. Den Kampf, den sie nicht kennen, weil man ihn echt nur im Ghetto lernt.
Auch er hätte mir in dieser Hinsicht nie das Wasser reichen können. Trotz all seiner Muskeln und seiner Kampfkunst nicht.
Aber hier gibt es nichts zu kämpfen. Hier gibt es keinen Bösen, keinen Unhold, keinen Feind. Hier versagt alles, was ich je gelernt habe. Krieg kann ich. Liebe nicht. Das ist mir völlig neu und das ist mein voller Ernst.
Und das ist das große Drama. Es gibt nur Leid. Es gibt nur Verlierer. Es gibt nur unerfüllte Träume. Für mich ist es deshalb so schwer, da wieder rauszukommen.