Zitat von Jetti:@ Wobei mir das auch noch nicht so richtig klar ist, was Epigenetik bedeutet. Einen Einfluss des Erlebten auf das Erbmaterial eines Menschen?
Epigenetik: Gene haben ein Gedächtnis
Eine menschliche Zelle könnte 20 000 Gene aktivieren, doch den Großteil schaltet sie ab. Wie funktioniert das? Was sind die Folgen?
20. Oktober 2021
Die DNA ist ein sehr stabiles Molekül: Es kann die Erbinformation tausende Jahre lang speichern und verlässlich von einer Generation an die nächste weitergeben. Dennoch ist die DNA nicht unveränderlich. Enzyme führen ständig kleinere Veränderungen durch und beeinflussen, ob und wie eine Zelle auf ihr Erbgut zugreifen kann. Diese Prozesse schaffen eine neue Informationsebene auf dem Genom – das Epigenom (epi: griech. auf).
Es gibt viele Möglichkeiten, epigenetische Veränderungen einzuführen. Zu den wichtigsten gehören:
Kleine Moleküle werden an die Buchstaben des Erbguts angehängt oder entfernt
Proteine falten den DNA-Strang zusammen und entwirren ihn wieder
RNA-Moleküle binden an die DNA und verdecken die Erbinformation
Das Epigenom bestimmt die Identität der Zelle
Die Epigenetik beantwortet eine wichtige Frage: Wie ist es möglich, dass unterschiedliche Zellen oder Lebewesen aus der identischen Erbinformationen hervorgehen? Aus einer menschlichen Stammzelle entstehen mehr als 200 Gewebe2, eine Bienenlarve wird entweder Arbeiterin oder Königin: In beiden Fällen ist es das Epigenom, das die Identität festlegt. Es ist eine Art Gedächtnis für Gene und zeigt an, welche verwendet und welche abgeschaltet werden.
Eine Muskelzelle verwendet daher nur die Gene, die für ihre Arbeit wichtig sind. Eine Hautzelle wiederum aktiviert einen anderen Satz von Genen. Und das gleiche gilt für die Zellen von Herz, Niere, Hirn und allen anderen Organen. So sind alle 20 000 menschlichen Gene ständig im Gebrauch – aber niemals in einer einzelnen Zelle.
Wie wird die Information im Epigenom gespeichert? Ein Mechanismus ist die DNA-Methylierung. Dabei werden kleine Moleküle an die DNA-Basen angehängt, ohne dass die Abfolge der Basen – den Buchstaben des Genoms – verändert wird. Gene können so markiert und abgeschaltet werden. Diese Art der Markierung ist chemisch sehr stabil, kann aber durch Enzyme wieder entfernt werden. Das Epigenom bleibt flexibel und kann jederzeit auf Veränderungen reagieren.
DNA-Methylierungen werden von einer Zell-Generation auf die nächste übertragen. In der Leber etwa können daher immer nur Leberzellen entstehen – das Organ bleibt stabil und erfüllt verlässlich seine Aufgaben.
Wechselspiel von Genom und Umwelt
Epigenetische Prozesse spielen eine entscheidende Rolle, wenn sich Lebewesen entwickeln oder Zellen in einem komplexen Organismus zusammenarbeiten. In beiden Fällen reicht es nicht, den grundlegenden Bauplan – das Genom – blind umzusetzen. Erforderlich ist stattdessen ein ständiges Wechselspiel von Genom und Umwelt. So wie sich die Körperzelle in ihr Gewebe eingliedert, muss sich auch der Organismus auf seinen Lebensraum einstellen.
Das Epigenom kann jedoch auch die Entstehung von Krankheiten steuern. Und so hofft die Medizin, von den Erkenntnissen der Epigenetik zu profitieren. Viele Krankheiten – vermutlich sogar die meisten – entwickeln sich in einem Wechselspiel von Genom und Umwelt1.
Epigenetische Veränderungen finden sich auch in fast allen Tumoren, und Studien deuten an, dass sie sogar an deren Entstehung beteiligt sind. Medikamente, die am Epigenom der Krebszellen angreifen, werden seit einigen Jahren bei manchen Blutkrebs-Arten eingesetzt4.
Das Genom codiert alle Möglichkeiten, die einer Zelle offen stehen. Doch die Analyse der DNA-Sequenz allein kann nicht alle Fragen beantworten – das Verständnis der Epigenetik wird entscheidend sein. Denn erst das Epigenom lässt die Möglichkeiten zur Wirklichkeit werden.
https://www.wissensschau.de/genom/epige...igenom.phpEpigenetik und Umwelt: Was wird vererbt?
Vererben wir unseren Kindern nur die Gene – oder auch Informationen über die Umwelt? Die Epigenetik bringt die Lehrmeinung ins Wanken.
17. April 2021
Merkmale vererben, ohne das Erbgut zu verändern – geht das? Bei Pflanzen und Wirbellosen ist die Antwort klar: Die Umwelt hat hier einen nachweisbaren Einfluss auf die Erbinformation. Sogenannte epigenetische Mechanismen ermöglichen eine Form der Vererbung, die mit der klassischen Genetik nicht zu erklären ist. Bei Säugetieren – und damit beim Menschen – bleibt die Frage jedoch weiterhin offen.
Der holländische Hungerwinter
Kinder, die im holländischen Hungerwinter von 1944/45 geboren sind, neigen als Erwachsene zum Übergewicht1. Einwohner eines nordschwedischen Dorfes lebten länger, wenn ihre Großväter in der Jugend wenig zu Essen hatten2. Eine logische Schlussfolgerung: Die Umwelt der Großväter und Eltern beeinflusst die Gesundheit der Kinder und Enkel.
Wie erklärt man das? Sicher nicht durch das klassische Gen-Modell: Gene werden schrittweise durch die Evolution geformt und brauchen daher mehr als ein oder zwei Generationen, um auf eine Änderung der Umwelt zu reagieren.
Trotzdem können Umwelt-Reize sofort in das Erbgut eingreifen – durch die chemische Veränderung von DNA oder von Proteinen, die an der DNA haften. Die Abfolge der DNA-Bausteine wird dabei nicht verändert, der Bauplan für Proteine und Enzyme bleibt der Gleiche3.
Mehr als reine Vererbung
Stattdessen ändert sich die Aktivität der Gene: Sie wird erhöht oder erniedrigt, und in manchen Fällen werden die Gene sogar komplett an- oder abgeschaltet. Mit diesen Prozessen – die unabhängig von der klassischen Genetik ablaufen – beschäftigt sich die Epigenetik (epi, gr. auf, über).
Diese chemischen Änderungen am Erbgut – epigenetische Marker genannt – schaffen eine neue Informationsebene: Die Zellen des Körpers erhalten eine Anleitung, welche Gene sie wann und wo anzuschalten haben. Nerven-, Muskel- und Blutzellen tragen zwar das gleiche Genom, doch die epigenetischen Marker sind unterschiedlich – die Zellen entwickeln sich anders und erfüllen eine andere Funktion.
Manchmal werden diese epigenetischen Markierungen auch von einer Generation auf die Folgenden übertragen. Maispflanzen verändern spontan ihre Färbung, und bei manchen Mäusen hängt die Fellfarbe der Nachkommen davon ab, welches Futter die Mutter zu fressen bekam. Auch ein Knick im *beep* kann vererbt werden. Und Rattenmütter, die unter Stress stehen, bringen ängstliche Nachkommen hervor. Änderungen im Genom – also in der Abfolge der DNA-Bausteine – wurden in keinem dieser Fälle beobachtet4.
Von Generation zu Generation
Aber ist das wirklich Vererbung? Ein Fetus ist nicht völlig isoliert, wenn er sich im Bauch der Mutter entwickelt: Jeder Umweltreiz, der auf die Mutter wirkt, wirkt auch auf den Fetus. Und da sich Keimzellen schon sehr früh im Fetus entwickeln, trifft der Umweltreiz auch sie – die nachfolgende, zweite Generation kann somit direkt betroffen sein (siehe Abbildung). Und in so einem Fall kann man nicht von Vererbung sprechen.
Man muss also genau unterscheiden – zwischen epigenetischer Vererbung (Übertragung von Mutter auf Kind) und generationsübergreifenden epigenetischen Effekten (Prägung des Fetus im Mutterleib). Um sicher zu sein, dass eine epigenetische Vererbung vorliegt, muss das vererbte Merkmal noch in der dritten Generation sichtbar sein.
Um zu den obigen Beispielen zurück zu kehren: Beim Mais findet tatsächlich eine epigenetische Vererbung statt, der Effekt tritt noch einige Generationen später auf. Die ängstlichen Nachkommen der gestressten Ratten-Mutter werden jedoch im Mutterleib geprägt – die folgende Generation verhält sich wieder normal.
Die Fellfarbe und Schwanzform der Maus wiederum werden eindeutig epigenetisch vererbt – allerdings mit fremder Hilfe. In die Regulation dieser Gene hat sich ein fremdes DNA-Element eingeschlichen, das Überbleibsel einer uralten Virus-Infektion. Dieses sogenannte Retrotransposon bildet einen Schalter, der die Aktivität des Gens reguliert. Die Zellen der Maus erkennen im Retrotransposon immer noch den Virus und versuchen, das DNA-Element abzuschalten – indem sie epigenetische Marker darauf platzieren.
Die Vererbung von Fellfarbe und Schwanzform ist kein Versuch, sich an eine veränderte Umwelt anzupassen – und damit kein evolutionärer Prozess – sondern nur ein Nebenprodukt im Bestreben der Maus, sich vor einem Virus zu schützen.
Epigenetische Vererbung beim Menschen?
Epigenetische Vererbung beim Menschen?
Beim Menschen ist Lage noch komplizierter. So gibt es bislang keine Studien, die eindeutig eine Vererbung bis in die dritte Generation nachweisen. Und selbst wenn, fiele der Nachweis eines epigenetischen Einflusses schwer: Tiere kann man kontrolliert kreuzen und manipulieren, beim Menschen ist das unmöglich. Man kann also eine Studie am Menschen nicht so durchführen, dass eine sichere Unterscheidung zwischen epigenetischer Vererbung und epigenetischen Effekten möglich ist5.
Ob eine epigenetische Vererbung auch beim Menschen vorkommt, weiß man also noch nicht. Dies erscheint jedoch eher unwahrscheinlich, denn bei allen Säugetieren herrscht eine strikte Trennung zwischen Körperzellen und Keimzellen. Körperzellen reagieren auf Umweltreize, können diese Information aber nicht an Nachkommen weitergeben – das können nur die Keimzellen.
Und bei Keimzellen werden fast alle epigenetischen Marker sorgfältig entfernt – bereits in der frühen Entwicklung des Embryo und in zwei unterschiedlichen Wellen6. Pflanzen kennen weder diese strikte Trennung noch die beiden Säuberungswellen: Deshalb ist eine epigenetischer Vererbung bei ihnen auch deutlich verbreiteter.
Für den Menschen gilt also: Epigenetische Prägung sicher ja, epigenetische Vererbung eher nein. Ein Vererbung gemäß der Theorie von Lamarck findet nicht statt, die Geschichte der menschlichen Evolution muss nicht umgeschrieben werden – es sei denn, die Epigenetik hält noch weitere Überraschungen parat.
https://www.wissensschau.de/genom/epige...umwelt.php