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Trauma, Traumaübertragung und Traumafolgestörung

Pfeifchen
@Füchsin83 ich kenne mich nicht so gut aus, wie Scheol... aber ich meine, dass diese angelernten Traumaverhaltensweisen dann an die nächste Generation weitergegeben werden können. Weil sich die Leute verhalten, wie sie sich verhalten, und ohne Therapie es dann nicht ändern können.
Dann gibt es das auch tatsächlich angeboren, den Artikel hab ich irgendwo.... wenn Babys zu Notzeiten oder in Kriegsgebieten geboren werden, wird das Erbgut verändert. Ganz verrückt. Und ja, das war eine seriöse Zeitung.

Meine Oma ist durch ihre Erlebnisse psychotisch geworden. Würde sie heute leben, wäre sie irgendwo eine familienlose Top-Führungskraft, die mehrere Sprachen fließend könnte, unabhängig, und wäre glücklich damit.
Aber sie ist 1924 geboren, mit einem mega strengen Vater (Oberlehrer), musste zu *beep* in ein Arbeitslager, wie es alle für ein Jahr mussten, Krieg, den Bruder verloren (der war 19), den musste sie mit inzwischen dementem Vater identifizieren fahren. Der Bruder hatte 19 Eisensplitter im Kopf, erzählte sie mir immer. Der Vater wurde dann so dement, dass er weggelaufen war, weshalb man ihn irgendwann im Zimmer eingesperrt hat. Allerdings wollte er trotzdem weg und ist aus dem Fenster gesprungen. Das hat er nicht überlebt. Dann hat sie einen einarmigen Mann geheiratet (der muss mega lieb gewesen sein) und bekam meinen Vater. Die Geburt war das schlimmste, was sie je erlebt hat, sagte sie mir.
Unter solchen Umständen kann man nur psychotisch werden. Man sieht das auch auf Bildern von ihr. Als Jugendliche hat sie mega hübsch gestrahlt, das war dann alles weg. Wenn jemand verbittert war, dann sie.
Sie hat mir viel vom Krieg erzählt. Allerdings war ich da im Grundschulalter.

Das war für meinen zartbesaiteten Vater allerdings das pure Gift.
Und dann auch für mich, weil ich mit ihr 10 Jahre lang aufgewachsen bin.

Mich wollte sie nie, meine Mutter auch nicht. Aber mein Vater konnte sich nicht von ihr lösen, also zog meine Mutter in das Haus, weil sie ihn liebte. Als mein Vater dann tot war, ist meiner Oma aufgefallen dass ich ja seine Tochter war. Dann liebte sie mich, so auf ihre Art.... naja. Im weitesten Sinne vielleicht.

08.12.2023 09:16 • x 2 #391


E
Verstehe.

Ja, ich bin auch der Meinung, dass es sowas wie ein kollektives Trauma gibt. Gesellschaftlich gesehen. Krieg, Pandemie, Naturkatastrophen...Das macht was mit einem

08.12.2023 09:24 • x 1 #392


A


Trauma, Traumaübertragung und Traumafolgestörung

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Pfeifchen
Ich habe noch ein bisschen viel nachgedacht.

Ich habe festgestellt, dass ich mehr Lücken in meiner Kindheit habe im Gedächtnis. Gestern habe ich ich gefragt: Ich weiß, wie mein Vater in den Urlaub gefahren ist, und dann als ich am Grab stand. Aber dazwischen muss doch was gewesen sein... der Knall ist komplett! Gelöscht. Kann mir nicht vorstellen, dass das komplett an mir vorbeigeleitet wurde, ohne dass ich was gemerkt habe. Das gibts doch gar nicht.

Mit der Musik @Scheol ist das so: Da ich mich offenbar 1. emotional ausgeklinkt habe, und 2. ohnehin unsichtbar sein der bessere Weg war, durchs Leben zu gehen, war ich - im Nachhinein betrachtet - recht emotionslos. Also ich habe gelacht, und war fröhlich, als Jugendliche immer sehr unsicher in vielen Dingen, aber der Rest war weg, so wie ich auch nie um meine Großeltern getrauert habe.
ich merke, auch das dröppelt jetzt.

Dann hab ich angefangen, Klavier zu spielen, und mochte am liebsten die traurigen und wütenden Stücke. Das war mein Ventil, und gleichzeitig konnte ich mich dahinter verstecken. Ich war ja nicht wütend, ich hab nur das wütende Stück gespielt...
Dann Musik studiert, dann hab ich gearbeitet, und auf Arbeit eine üüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüübelst liebe Person kennen gelernt, bei der ich mich anfangs so recht unwohl gefühlt habe. Hab also noch mehr gemauert, um dann später (so nach ca. 6 Jahren) zu begreifen, dass es eigentlich ganz einfach ist: Diese Person kann durch meine Mauern durchgucken. Sie sieht sie. Sie kauft die mir also so oder so nicht ab, und dann habe ich Stück für Stück gelernt, zuerst bei ihr manches abzulegen. Hat ja eh nichts gebracht, also konnte es weg.
Man macht sich damit aber leider auch angreifbar.

Jetzt bin ich an dem Punkt dass ich merke, ich kann selber fühlen, und vieles auch selber zeigen. Ich brauche den Katalysator Musik für mich nicht mehr, zumindest nicht mehr so in der Form.

Ist ja eigentlich ein Fortschritt.

Ich glaube, ich muss die Tage mal wieder auf den Friedhof gehen. Aber ich habe tatsächlich Angst davor.

Ich glaube, das Problem ist dass mir der Papa derzeit sehr fehlt. So ein Papa zum anlehnen. Bei meiner Mutter kann ich das nicht, aber ich weiß nicht, warum.

Und gleichzeitig muss ich lernen, von dieser Familiengeschichte mal loslassen zu lernen.

08.12.2023 09:25 • x 3 #393


Pfeifchen
@Füchsin83 Ich denke auch, früher wurde darüber einfach nicht gesprochen. Was sollte man reden, es ging ja allen so und so waren die Dinge, und das änderte nichts an den Tatsachen. Das Leben geht ja weiter, man musste gucken dass man das Haus aufgebaut und was zu Essen bekam usw.... So deren Aussagen.
Und Therapeuten gab es in der Form bei Weitem nicht so, wie heute.

Ich arbeite mit Leuten zusammen, die den Krieg noch erlebt haben.... Eine braucht es, darüber zu sprechen, die andere kann das absolut nicht hören. Sagt aber gleichzeitig Die Russen sind gute Menschen... die vergew... nur, wenn sie betrunken sind.
Und wieder andere schieben das kategorisch weg. Warum erzählst Du das jetzt, die Dinge sind doch vorbei, uns geht es doch jetzt gut und wir wollen uns doch freuen.

08.12.2023 09:29 • #394


E
Meine Eltern haben den Krieg in unserem Heimatland in den 90ern nicht als solchen anerkennen wollen.
Mein Vater hat sich in die Arbeit gestürzt, meine Mutter in die Depression. Probleme annehmen, proaktiv für sich sein, nope

08.12.2023 09:31 • #395


Pfeifchen
@Füchsin83 Wo kommst Du her?

08.12.2023 09:33 • #396


E
Ein Land aus dem ehemaligen Jugoslawien

08.12.2023 09:34 • #397


W
Nach/durch einen Krieg werden ein ganzes Land traumatisiert. Durch alle Schichten.
Da der menschliche Organismus wie bei allen Wesen darauf bedacht ist, sich selbst zu heilen, setzen diese Kräfte nach dem Trauma ein. Sie brauchen ca 5-7 Generationen, was auch Folgetraumata beinhaltet, etwa durch Fehlentwicklungen in päd. oder Sadismus oder sonstige. Durch diese Folgetraumata werden innerhalb der 5-7 Generationen weitere Traumaopfer geschaffen, in der Regel aber nicht von der Schwere, wie sie durch den Krieg ausgelöst wurden. (Gleichwohl handelt es sich für diese Opfer um schlimme Traumata)

Es kann auch zu einer Verschleppung der Traumafolgen kommen, so daß es über 7 Generationen braucht. Durch natürliche Resilienz und auch durch sachgerechte traumatherapeutische Aufarbeitung, kann der Traumaweitergabeprozeß verkürzt bzw gestoppt werden

08.12.2023 09:58 • x 1 #398


W
Zitat von Füchsin83:
Der Mensch neigt nur oft dazu, für alles einen Namen, ein Label und eine Erklärung zu finden

Das ist ot so. Einen Namen, einen Namen, das Kind braucht doch einen Namen!

08.12.2023 10:04 • x 2 #399


M
Zitat von Pfeifchen:
Das ist dann aber ein Fehler im System. Wenn mal wenigstens jemand ans Telefon gehen würde, käme man sich wenigstens nicht so komplett ignoriert vor. Das wäre ja wenigstens was gewesen.

Du kannst davon ausgehen, dass die Fehler im System immer schlimmer werden. Nicht nur im Gesundheitswesen und der Altenpflege. Wenn Du heute einen Handwerker brauchst, freut der sich nicht über einen neuen Auftrag, sondern schaut wie und ob er Dich noch unterbringt.
Unsere Gesellschaft geht vor die Hunde. Die Jungen sind zu wenige für den Berg an alten Menschen und sehen gar nicht ein, sich aufzuarbeiten wie es die Nachkriegsgeneration tat.
Jeder will einen bequemen Job. Ergo werden Berufe wie im Handwerk, im Gesundheitswesen, in der Pflege nicht mehr ergriffen. Die Konsequenzen kann man sich vorstellen, denn diese Lücken können auch Fremdarbeiter sicher nicht schließen. Ganz zu schweigen von den Lehrern, denn was früher eine sichere Bank war, ist heute ein schwieriger Job geworden.

Nichtsdestotrotz kannst Du auch ohne fachliche Anleitung etwas für Dich tun, denn die Arbeit bleibt Dir eh. Die kann Dir auch kein Therapeut abnehmen. Er kann Dich hinführen, Dinge zu erkennen, schwierige Erinnerungen zuzulassen, aber Dein Leben und Dein Wesen richten kann er nicht. Und er wird Dir auch keine Lebensplanung vorlegen.

08.12.2023 10:18 • #400


M
Zitat von Wolfstanz:
Einen Namen, einen Namen, das Kind braucht doch einen Namen!

Stimmt schon. Der Mensch braucht Namen und Begriffe, um Dinge, die schwammig und nicht greifbar erscheinen, einzuordnen.

08.12.2023 10:19 • x 2 #401


E
Zitat von Margerite:
Stimmt schon. Der Mensch braucht Namen und Begriffe, um Dinge, die schwammig und nicht greifbar erscheinen, einzuordnen.


Es nimmt ein bisschen die Angst vor dem großen Unbekannten. Wenn man seine Gefühle nicht richtig ein-und zuordnen kann. Gibt es aber einen Namen, dann gibt's auch einen Wikipedia Eintrag ^^

08.12.2023 10:22 • x 1 #402


Scheol
Zitat von Füchsin83:
Es nimmt ein bisschen die Angst vor dem großen Unbekannten. Wenn man seine Gefühle nicht richtig ein-und zuordnen kann. Gibt es aber einen Namen, dann gibt's auch einen Wikipedia Eintrag ^^

Gehen wir mal in die traumasprache……. Wenn es einen Namen hat , man weiß was es ist , gibt es einem Sicherheit..

08.12.2023 10:25 • x 1 #403


Pfeifchen
@Margerite Andersrum wird ein Schuh draus: Das komplette System ist ein Fehler, wenn man es so nimmt.

Ja, ich bin zum Glück ein recht reflektierter Mensch und alleine ganz gut vorwärts gekommen, auch vor dem großen Knall im März. Aber ich hab das Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein und Anleitung zu brauchen. Alleine fürs Feedback, wo ticke ich noch im Rahmen der Normalität, und wo müsste man aufpassen, in welche Richtung muss/kann/soll ich gehen, usw.

Ich habe aber zum Glück auch dank der Arbeit einen ganz wunderbaren Supervisor gefunden. Das ist dann keine Therapie mit regelmäßigen Terminen, aber auf Anfrage klappt das gut. Da kommt ein bisschen Input von außen, und ich komme mit dem super zurecht. Ansonsten hilft lesen und hier schreiben. 3
Ohne das alles wäre ich dann auch nicht so weit, wie ich jetzt bin. Das muss man auch mal sagen.

Aber du hast Recht, man muss dann schon auch bereit sein und mitarbeiten, wenn man schon sich in Gespräche begibt.

Das war das erste, was mich der Supervisor gefragt hat. Ich bin auf Empfehlung zu ihm und habe ihm nur recht knapp gesagt, dass ich von xy geschickt wurde. Da war er erstmal mäßig angetan und meinte, wenn es nicht freiwillig ist, bringt das nix. Hat er ja auch Recht. Aber ich konnte es klarstellen, dass man mir sagte, WENN ich an Problem x arbeiten möchte, dann könnte man mir den empfehlen.

08.12.2023 10:28 • #404


Pfeifchen
Zitat von Scheol:
Gehen wir mal in die traumasprache……. Wenn es einen Namen hat , man weiß was es ist , gibt es einem Sicherheit..

Bestätige ich. Dann ist es benennbar, hat einen Namen, ist damit auch nicht unbekannt.... ja, es gibt Sicherheit.
Auch wenn man bei manchen Diagnosen vielleicht gar nichts machen kann, aber ES HAT EINEN NAMEN!

08.12.2023 10:29 • #405


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