Ein halbes Jahr betrogen und belogen *vermutlich*

Moin Sascha,
du hast es schon richtig erkannt. Das, was du da erlebst, wurde hier schon unzählige Male sehr ähnlich geschildert. Gerade um die 25 Jahre herum zeigen viele Ehen ihre Schwächen. Und wenn da gerade ein Nachbar zur Verfügung steht, der die Lücken nur allzu gerne füllt, kann das der Schlussakkord werden, meist mit vielen Dissonanzen drin.
Ich warne trotzdem davor, einfach zu übertragen, was andere erlebt haben. Ihr seid Individuen und so ist auch bei euch vieles individuell, was ihr erlebt und was zur Lösung dieser Krise beitragen kann. Je einfacher die Strukturen (Verlieben, Sechs und körperliche Reaktionen) desto weniger spielt das Individuum eine Rolle. Da kann man wirklich vieles an anderen Erfahrungen ablesen. Aber ihr besteht aus mehr als aus diesen einfachen Strukturen. Auch deine Frau. Und wenn sie sogar so ausrastet, dass es zu Handgreiflichkeiten kommen kann, dann muss das nicht bedeuten, dass sie ihre brutale Seite bisher gut verborgen hat, sondern es bedeutet eher, dass sie in einem ganz schrecklichen Ausnahmezustand ist und die Notlaufeigenschaften aktiviert sind. Wenn dabei mal außen vor lässt, dass sie daran selber SCHULD ist, dann kann man auch eher nachvollziehen, warum sie diese unkonventionelle Lösung mit der Nebenfrau gekommen ist.

Es ging ihr bei diesem skurrilen Vorschlag darum, wieder auf Augenhöhe mit dir zu sein und dann möglicherweise auch über eine gemeinsame Lösung wie einen Neuanfang reden zu können. In der Situation, in der sie sich ganz offensichtlich gerade befindet, ist diese Augenhöhe völlig verloren gegangen, und zwar gegenseitig. Du warst weit unter ihr, als sie dich belogen und betrogen hat, denn sie hat damit Macht über dich ausgeübt und dich ahnungslos und handlungsunfähig gemacht. Dann kam die Offenlegung und nun bist du so etwas wie der Richter, der entscheidet, ob sie ausziehen muss und ob die Frau ihres Lovers eingeweiht wird. Nun ist sie weit unterhalb der Augenhöhe, ihr seid nicht mehr ebenbürtig. Und solange ihr das nicht seid, sind eure Gespräche auch nur hilflose Versuche, die Symptome zu lindern. Das Problem selber wird nicht berührt oder gelöst. Denn man kann die Entscheidungen des jeweils anderen nicht einschätzen, nicht voraussagen und man hat auch fast keinen Einfluss mehr darauf.

Vielleicht wird es für dich wieder etwas leichter, wenn du dir klar machst, dass es deiner Frau überhaupt nicht gut geht, dass sie völlig ratlos und im permanenten Ausnahmezustand ist, genauso wie du. Sie weiß nicht, ob es mit dem Mann eine Zukunft geben würde, sie weiß auch nicht, ob es mit dir noch eine Zukunft geben könnte. Sie ist dem gefolgt, was ihr Bauch und Herz ihr gesagt haben, nämlich, dass sie nicht mehr glücklich war und etwas anderes erleben möchte. Das erleben viele um die 50, und tatsächlich fängt dann für viele auch jenseits der 50 das richtige Leben erst an. Ob du für sie und sie für dich in diesem richtigen Leben eine wichtige Rolle spielen wirst, ist noch völlig ungewiss. Nach der Hormonschwemme kommt vermutlich auch für sie der große Kater. Und das, was nach Scheidungen solch lange Ehen an Scherbenhaufen zu bewältigen ist, kann alle Beteiligten für einige Jahre beschäftigen.

Ich wünsche dir, dass du eure bisherige Beziehung nicht schlechter beurteilen musst als vor der Affäre. Sie war ein sehr wichtiger Teil eures Lebens, der euch beide geprägt und eurer Tochter ein lebenswertes Leben beschert hat. Das ist deshalb nicht Müll, es bleibt, was es war. Und das, was vor euch liegt, solltet ihr in zunehmend ruhigen Gespräche zu klären versuchen, dann aber wieder auf Augenhöhe und weitgehend ebenbürtig. Ob es dazu hilfreich sein kann, wenigstens für einige Zeit getrennt zu wohnen, kann ich nicht beurteilen, schließe es aber nicht aus.
Dein Körper reagiert mit Krankheit, klar, es ist ja auch krank, was du da erleben musst. Genieße den Gewichtsverlust, wenn du nicht eh schon untergewichtig warst. Kommt eh alles wieder im Normalfall. Aber schau wenn möglich nicht auf den Scherbenhaufen, sondern auf die Herausforderung, die vor dir liegt. Bestenfalls liegt sie nicht nur vor dir, sondern auch vor euch, wenn ihr das WIR noch nicht aufgegeben habt.

Viel Kraft wünsche ich dir